Wer regiert in Deutschland und Österreich?
Der Deutsche Bundestag verfügt in der aktuellen Legislaturperiode (21. Dt. Bundestag) über 630 Sitze! Ebenso wie beim Österreichischen Nationalrat (183 Abgeordnete) wird hierbei vom „Parlament“ gesprochen, dem höchsten Gremium einer Demokratie! Man möchte meinen, dass hier alle Drähte des sozialen Lebens zusammenlaufen, hierfür Gesetze entworfen und beschlossen werden und die Kontrolle über die jeweilige Regierung geübt wird. Nun – ähm – JEIN!
Sowohl in Berlin als auch Wien existieren Interessensverbände, deren Ziel die Einflussnahme auf die parlamentarischen Entscheidungsprozesse darstellt: Der Lobbyismus!
„Die Vertretung gesellschaftlicher Interessen gegenüber der Politik gehört zu den Wesensmerkmalen einer jeden Demokratie.“
(Lobbyregister des Dt. Bundestages)
Wie wichtig dieser Lobbyismus nun ist, zeigen die aktuellen Zahlen der Lobbyvertreter auf. Im deutschen Lobbyregister gibt es aktuell 6.109 Eintragungen, im österreichischen 447! Somit kommen auf einen Bundes-tagsabgeordneten 9,7 Lobbyisten, auf einen Nationalratsabgeordneten im Alpenland 2,44! Hochbezahlte Manager, oftmals selbst aus einem Volks-vertretungsposten stammend, versuchen die Politik im Land zugunsten ihrer Arbeitgeber nach allen erlaubten (und manches Mal auch nicht erlaubten) Mitteln und Methoden zu biegen und zu brechen. Oftmals geht es um recht hohe Geldsummen, manches Mal um teure Festivitäten, teil-weise auch um einen 5*-Urlaub mit Privatjet-Feeling! Die Formen der wohlwollenden Zuschläge sind unerschöpflich und kommen aus allen Richtungen der Wirtschaft, der Finanzen, der politischen Verbände aber auch der NGOs (wie Umweltverbände, Tierschutz, Menschenrechte etc.).
Lassen Sie mich das anhand der jeweils beiden letzten Eintragungen in das Lobbyregister (Stand: 07.08.2025) aufzeigen:
.) Deutschland
- Celanese Services Germany GmbH
Ein Unternehmen mit Sitz im saarländischen Sulzbach. Interessen: Aussenpolitik, Energiepolitik, Europapolitik, Immissions- und Klima-schutz uvam. Geht man dem jedoch etwas genauer nach, so gelangt man auf die Website des Mutterunternehmens mit Sitz im texanischen Irving, das sich mit sog. „Engineered Materials“, also Chemikalien und Kunst-stoffen beschäftigt. Nach Angaben des Lobbyregisters wurden hier im Jahr 2024 zwischen 150.001 und 160.000 € für Lobbytätigkeiten ausge-geben.
- CC Business Consulting
Ein Beratungsunternehmen aus Berlin. Interessen: Energie- und Flücht-lingspolitik (Migration und Integration), sowie Bauwesen und Bauwirt-schaft. Auch hier einen Blick hinter den Vorhang geworfen, gelangt man zu einem FDP-Politiker aus Berlin und dem „Fachverband Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e.V. FVHF“. 2024 wurde noch kein Geld für Lobbyarbeit ausgegeben.
In beiden Fällen können Sie sich, werte Leser, wohl vorstellen, in welcher Richtung die Interessensarbeit der beiden Eintragungen gehen soll.
.) Österreich
- Varian Medical Systems Gesellschaft m.b.H.
Ein Unternehmen mit Österreich-Sitz in Brunn am Gebirge mit dem Tätigkeitsbereich des Handels mit Medizinprodukten. Weitergeclickt gelangt der Interessierte zur „Varian Medical Systems, Inc., a Siemens Healthineers company“, einem Unternehmen aus dem kalifornische Palo Alto, das sich vornehmlich mit der Krebs-Bestrahlung beschäftigt.
- vi.pr Communications GmbH
Ein Unternehmen mit Sitz in Wien. Es bietet Lösungen im Bereich der strategischen und Krisenkommunikation, sowie der politischen Strategie-beratung an, kann also von jedem beauftragt werden, der sich etwas mehr an politischer Hingabe erwartet.
Was aber ist der Lobbyismus und wie funktioniert diese Macht im Schatten tatsächlich?
Das ZDF führte 2024 gemeinsam mit Abgeordnetenwatch das sog. „Lobbyismus-Experiment“ durch. Ziel war es, aufzuzeigen, wie einfach es eigentlich ist, eine politische Einflussnahme im eigenen Interesse anzu-kurbeln. Dabei gaben sich die Reporter als Vertreter einer ausgedachten Lobbyagentur aus Luxemburg aus, die von einer britischen Firma für das Pushen von E-Zigaretten beauftragt worden sein soll. 32 Bundestags-abgeordnete wurden angeschrieben, sechs davon aus den Fraktionen der FDP, der CDU, der SPD und der AfD erklärten sich spontan dazu bereit, an einem Treffen teilzunehmen, eine CDU-Abgeordnete bot während des Gespräches sogar die Schirmherrschaft eines Lobby-Events im Bundestag an.
Der wohl bekannteste Lobby-Skandal in Österreich war sicherlich der inzwischen ausgesessene Akt zwischen einer englischen Scheinfirma und dem damaligen Delegationsleiter der ÖVP im Europaparlament, dem ehe-maligen Innenminister Ernst Strasser, anno 2011. Der Vertreter der Scheinfirma war der Reporter Jonathan Calvert von der „Sunday Times“, der Sonntagsausgabe der grossen „The Times“ aus London. In einem aufgezeichneten Video erklärte sich Strasser damals bereit, für eine gewisse Summe bei einem Gesetzesantrag zu lobbyieren. Nach der Veröffentlichung des Videos trat Strasser von allen politischen Ämtern zurück, er wurde zu drei Jahren unbedingt verurteilt, der OGH wandelte dies in sechs Monate und 16 Monate Hausarrest mit Fussfessel um.
Lobbyismus ist im Grunde genommen nichts Schlechtes! Bei der Fülle von Gesetzesanträgen müssten die Volksvertreter Spezialisten in allen mög-lichen Richtungen sein um abschätzen zu können, ob sie dieses Gesetz gegenüber ihrer Wähler vertreten können. Oder es müssten unzählige Spezialisten als objektive Berater angeheuert werden um eine Fach-expertise zu erhalten. Dies würde wohl den finanziellen Rahmen einer jeden Fraktion sprengen. Also suchen sie Rat bei den kostenlosen, dafür aber umso mehr motivierten Lobbyisten.
Diese allerdings – und nun das Schlechte an diesem System – haben selbstverständlich grosses Interesse daran, dass ihre Geldgeber entweder wirtschaftlich oder in einer anderen Form vom neuen Gesetz profitieren. Das scheut sie auch nicht davor zurück, einseitige Studien miteinfliessen zu lassen, Lobby-Events abzuhalten oder gar die bereits angesprochenen Geldflüsse zum Laufen zu bringen. Solches wurde etwa dem CDU-Abgeordneten Philipp Amthor 2020 vorgeworfen. Er soll sich 2018 für das New Yorker Start-up Augustus Intelligence durch einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (auf offiziellem Bundestags-Briefpapier) stark gemacht haben. Seine Belohnung: Durchaus lukrative Aktienoptionen sowie ein Sitz in der Direktion des Unternehmens. Amthor wies jedoch alle Anschuldigungen zurück. Ein guter Lobbyist verfügt über ein ausgezeichnetes Netzwerk zu Entscheidungsträgern aus allen Fraktionen. Es soll gar vorkommen, dass die Gesetzesanträge von den Unternehmen bzw. deren Lobbyisten selbst verfasst wurden und ohne weitere Prüfung das entsprechende Plenum passierten. Eine Schande für das durch die Wähler in ihre Vertreter gesetzte Vertrauen und das Verantwortungsgefühl derjenigen.
Um nun mehr Transparenz in die Vorgänge zu bringen, wurde in Deutschland 2021 das Lobbyregister eingeführt, in Österreich bereits im Jahr 2012. Einige wenige Abgeordnete veröffentlichen auch auf ihren Websites, mit wem und wann sie Gespräche führten.
Transparency International Deutschland führte erstmals 2021 ein Lobby-Ranking an, das 2022 und 2024 aktualisiert wurde. Dabei werden die Angleichungen der Länder an die Transparenzkriterien veröffentlicht. Im vergangenen Jahr lag Thüringen bei einer Angleichung von 69 % – Platz 1. Bremen mit nur 9 % auf dem letzten Rang. Der Bund übrigens erreichte 71 %! Solche Entwicklungen sind nur aufgrund der hartnäckigen Arbeit von Organisationen wie eben Transparency Deutschland oder Abgeord-netenwatch zu verdanken, die auch den Schritt vor die Gerichte nicht scheuen.
Am 11.02.2025 wurde der „Korruptionswahrnehmungsindex 2024“ (Corruption Perception Index „CPI“ 2024) von Transparency International (TI) veröffentlicht. Deutschland erreicht dabei gemeinsam mit Kanada Platz 15, gefolgt von Hongkong. Österreich sackte mit 67 Punkten auf Platz 25 ab. Die Nachbarn: Davor die Vereinigten Arabischen Emirate, punktegleich Frankreich und Taiwan. Vor drei Jahren war das Alpenland noch auf Platz 13 zu finden. Zum Vergleich: Die Schweiz rangiert gemeinsam mit Norwegen und Luxemburg auf Platz 5. Dänemark führt vor Finnland und Singapore die Liste an.
Welche Konzerne oder Verbände haben nun den grössten Einfluss auf die Parlamente?!
Sehr engen Kontakt hielten etwa Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz und Siegfried Russwurm, seines Zeichens Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V.. Dieser gewann auch das Ranking des Medien-dienstleisters Unicepta, der im ersten Halbjahr 2024 4000 Artikel in Leitmedien auf Zitate hin untersuchte. Der BDI wurde in nicht weniger als 968 Artikeln zitiert (+30 % gegenüber 2023). Danach folgt der Gesamt-verband der Versicherer (GDV). Nach Angaben von Transparency Deutschland gaben 2024 die ersten drei Verbände GDV, VCI (Verband der Chemischen Industrie) und BVMW (Verband Der Mittelstand) zusammen rund 33,7 Mio € für die Lobbyarbeit aus. Im Vergleich dazu der Branchenverband Bitkom mit unter fünf Mio – dafür aber die Beein-flussung von 141 Regelungsvorhaben (Eigenangabe). Danach folgt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft mit einer Mitwirkung bei 132 Gesetzen (knapp 700.000 € Lobby-Ausgaben),
Ein Problem mehr stellen ehemalige Politiker dar, die nahezu nahtlos zum Lobbyismus übertreten. Sie haben zumeist noch ausgezeichneten Kontakt zu ihren Kollegen, aber auch der Regierung. Damit verkürzen sie Zeit und Wege ihrer Arbeitgeber und machen vieles möglich, was andere nicht geschafft hätten. Hier die Prominentesten, da die vollständige Liste den Rahmen dieses Blogs sprengen würde):
- Ex-Kanzler Gerhard Schröder (Aufsichtsrat beim russischen Ölkonzern Rosneft)
- Ex-Vizekanzler und Ex-Bundesminister in verschiedenen Ressorts Sigmar Gabriel (Aufsichtsrat bei u.a. der Deutschen Bank, ThyssenKrupp, Rheinmetall, Siemens Energy, sowie Berater für die Tönnies Holding)
- Ex-Bundesumweltminister Joschka Fischer (Berater für die Deutsche Börse, Tank&Rast bzw. DocMorris)
- Ex-Bundesverteidigungsminister Thomas De Maizière (Vorstandsvor-sitzender der Deutschen Telekom-Stiftung)
- Ex-Bundeswirtschaftsminister Dirk Nebel (Interessensvertreter der Rheinmetall)
- Ex-Bundesgesundheitsminister Otto Bahr (Vorstand der Allianz Private Krankenversicherung)
- Ex-Ministerpräsident Torsten Albig (Philip Morris – obgleich Nicht-raucher)
- Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (Kasachstan, Signa Holding)
- Ex-NR-Abg Franz Hörl (Fachverband der österreichischen Seilbahnen)
Allerdings geht es auch anders: Indem die Lobbyisten direkt auf einen politischen Posten gesetzt werden. Da machte sich Deutschlands Bundes-wirtschaftsministerin Katherina Reiche zuletzt keine gute Presse: Sie forderte die Abschaffung der Vorschriften der Heizungsumrüstung (ein-gesetzt durch ihren Vorgänger Robert Habeck) und mehr Gaskraftwerke. Bedenklich: Vor ihrem Wiedereintritt in die Politik war sie Geschäfts-führerin der innogy Westenergie GmbH, einer Tochtergesellschaft von E.ON! Ein weiterer Lobbyist hätte in die Regierung Merz kommen sollen, wurde jedoch in letzter Sekunde verhindert: Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Vizepräsident des Deutschen Bauernver-bandes und Vorschlag von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder, Günther Felßner. Nach heftigen Protesten von Umweltschützern, einer Online-Petition und der Besetzung seines Bauernhofes durch Aktivisten zog er seine Kandidatur zurück. Ihm wurde vorgeworfen, einseitig die Interessen der Bauernschaft (auf Kosten von Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz) zu vertreten und dabei wissenschaftliche Akzente ausser Acht zu lassen. Zudem soll er jahrelang kontaminierte Abwässer in ein Wasserschutzgebiet abgeleitet haben und wurde hierfür durch ein Gericht verurteilt.
Nach Angaben von Abgeordnetenwatch besitzen derzeit 778 Lobbyisten Hausausweise für den Deutschen Bundestag. Das heisst, sie können zu jeder Tages- und Nachtzeit in das Hohe Haus und mit den Abgeordneten ihrer Wahl ungesehen Kontakt aufnehmen. Sollte uns das nicht zu denken geben? Für Österreich konnte ich trotz intensiver Recherche keine Zahlen finden!
TV-Tipps:
- Lobbyismus für Besserverdienende: Die Show vom BdSt; ARD-Doku
- Das Lobbyismus-Experiment; ZDF-Doku
Links:
- www.bundestag.de/
- www.lobbyregister.bundestag.de/startseite
- www.bpb.de
- www.lpb-bw.de/lobbyismus
- www.transparency.de
- www.lobbycontrol.de/
- www.abgeordnetenwatch.de
- www.parlament.gv.at
- www.bmj.gv.at
- lobbyreg.justiz.gv.at
- www.ti-austria.at
- www.transparency.org
- oepav.at
- www.celanese.com/
- www.fvhf.de/
- www.varian.com/de
- www.vipr.at