Indien/Pakistan – Droht das Pulverfass zu explodieren?

In den Nachtstunden von Donnerstag auf Freitag dieser Woche kam es im Lipa-Tal, rund 95 km östlich von Muzaffarabad, zu einem Schusswechsel zwischen indischen und pakistanischen Grenz- bzw. Militärposten. Dieser Teil gehört zum pakistanisch-kontrollierten Teil Kaschmirs. Berichte über Tote liegen derzeit noch nicht vor.

Ein weiterer Tropfen Benzin in’s bereits lodernde Feuer gegossen. Der Konflikt der beiden Atommächte (ausserhalb des Atomwaffensperr-vertrages) lodert nun schon seit Jahrzehnten – doch nun droht mög-licherweise eine Eskalation!

Indische Behörden haben inzwischen die Visa für Pakistani aufgehoben – sie müssen sofort ausreisen. Gleiches nun auch in Pakistan bei den Visa der Inder. Diplomatische Mitarbeiter werden gekürzt, die bislang noch funktionierenden Grenzübergänge beider Länder geschlossen, der Luft-raum über Pakistan für indische Luftfahrtgesellschaften gesperrt. Und nun auch der Indus: Indien hat offenbar damit gedroht, den Flusslauf zu unterbrechen. Pakistan bezeichnet dies ganz offiziell als Kriegshandlung, die mit „voller Härte über das gesamte Spektrum“ der pakistanischen Staatsgewalt beantwortet werde. Der „Wasserpakt“ wurde 1960 unter Mithilfe der Weltbank ausgehandelt und ist vor allem für die pakis-tanische Landwirtschaft enorm wichtig.

Dem Ganzen ging ein Anschlag voraus, der offenbar durch pakistanische Terroristen in Indien verübt wurde und nicht weniger als 26 Menschen das Leben kostete. Wie im Terrorismus üblich, hatten es die Mörder vor-nehmlich auf Touristen abgesehen, um damit möglichst viel Medien-präsenz zu erhalten. Verantwortlich dafür erklärte sich die bislang unbe-kannte Gruppe „Kaschmir Widerstand“. Die pakistanische Regierung bestreitet nach wie vor eine Beteiligung an dem Anschlag. In Indien gehen inzwischen die Massen auf die Strasse und fordern Vergeltungs-massnahmen ihrer Regierung. Die hindu-nationalistische Regierung hat bereits angekündigt: „Wir werden sie (Anmerkung des Schreiberlings: Die Terroristen und ihre Handlanger) bis ans Ende der Welt verfolgen.“

Dabei schwelt der Konflikt schon seit langem. Den Beginn nahm das Ganze schon im 10. Jahrhundert, als der Islam nach Indien drängte. 1526 wurde nach der Schlacht bei Panipat ein Mogulreich begründet, das nahezu den kompletten indischen Subkontinent umfasste. 1757 siegte die Britische Ostindien-Kompanie in der Schlacht bei Plassey über das Mogulreich, Dieses zerfiel und wurde 100 Jahre später vollends britische Kronkolonie. Bei der Teilung Indiens 1947 konnten sich die Fürsten-staaten entscheiden, sich entweder Indien oder Pakistan anzuschliessen. Der Maharaja von Jammu und Kashmir zögerte, worauf am 26. Oktober 1947 muslimische Freischärler in den Kaschmir eindrangen. Einen Tag später begann der erste Indisch-Pakistanische Krieg, Weitere drei sollten folgen (1965, 1971 und 1999), 1962 entflammte auch der indisch-chinesische †Grenzkrieg. Nach dem letzten Krieg im Jahre 1999 näherten sich die beiden Länder unter Vermittlung des US-Präsidenten Bill Clinton an.

Unter territorialer Kontrolle:

  • Indien: Jammu, Kashmir, Ladakh
  • Pakistan: Asad Kaschmir, Gilgit-Baltistan
  • China: Aksai Chin und das Shaksgam-Tal

Seither ist es in Jammu und Kaschmir militärisch betrachtet relativ ruhig – abgesehen von den vielen terroristischen Anschlägen: Seit 1988 fielen diesen bis 2018 nicht weniger als 44.954 Menschen zum Opfer. Im Jahr 2019 hob die indische Regierung unter Ministerpräsident Narendra Modi den halbautonomen Status Kaschmirs auf – zwei Jahre später wurde aller-dings das Waffenstillstandsabkommen entlang der Grenze beider Länder erneuert.

Die Region Kaschmir liegt im Himalaya-Gebiet und umfasst rund 220.000 Quadratkilometer, Indien beansprucht sie zur Gänze, Pakistan und China nur Teile davon. Das indische Territorium umfasst die Regionen Jammu, Kaschmir und Ladakh mit 12,5 Mio Einwohnern, das pakistanische die Regionen Gilgit-Baltistan und Asad Kaschmir mit 5 Mio Einwohnern, das chinesische etwa Aksai Chin mit einigen Tausend Bewohnern.

Die Brisanz, die dieser Kaschmir-Konflikt in sich birgt, liegt in der Tat-sache, dass hier drei Atommächte aufeinander treffen. Indien und auch Pakistan haben weder den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, noch den Nuklearteststopp-Vertrag unterzeichnet. Während China zwar Interesse am Gebiet haben dürfte, mit jahrzehntelanger nuklearen Verseuchung jedoch nichts anfangen kann, drohen die ständig wechselnden Regierungen der beiden anderen Länder dem Gegenüber auch schon mal mit dem nuklearen Erstschlag zur Abschreckung.

Hatten Terroristen dieses Mal Glück mit ihrem Versuch, einen Krieg auszulösen? 2019 starben bei einem Selbstmordattentat im indischen Territorium bei Awantipora 44 indische Reservepolizisten. Als Folge für den Anschlag drangen 12 Tage später zwei indische Mirage-Kampf-bomber in den pakistanischen Luftraum ein und beschossen Aus-bildungslager der Terrorgruppe Jaish-e-Mohammed, die sich zuvor zu dem Anschlag bekannt hatte. Zwei Tage später schoss die pakistanische Luftabwehr zwei indische Fluzeuge ab und nahm die beiden Piloten gefangen. Daraufhin hob Indien – wie bereits zuvor kurz angesprochen – den Autonomie-Sonderstatus für Kaschmir auf und schickte zehn-tausende Soldaten in das Gebiet. Gottlob aber geschah nichts weiteres. Doch jetzt fletschen beide Staaten erneut mit den Zähnen.

Zuletzt noch ein durchaus interessantes Detail: Während 2019 den Vermittlern der UNO und der USA die Einreise nach Kaschmir verwehrt wurde, organisierte ein indischer Geschäftsmann eine Rundreise mit Vertretern der rechtsnationalen Parteien des EU-Parlaments. Darunter auch zwei Abgeordnete der AfD und sechs des französischen Rassemblement National. Das EU-Parlament hatte erklärt, dass es sich nicht zum eine offizielle Reise handelte.

Lesetipps:

.) Der Kaschmirkonflikt, seine Ursachen, sein Wesen sowie Rolle und Bemühungen der Vereinten Nationen; Mohammed Soeed Chaudry; Weltforum Verlag 1996

.) Kashmir at the Crossroads: Inside a 21st-Century Conflict; Sumantra Bose; Yale University Press 2021

.) Krisenherd Kaschmir: Der Konflikt der Atommächte Indien und Pakistan; Dietmar Rothermund; C.H. Beck 2002

.) Der Kaschmirkonflikt und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung; Patrick Hönig; Duncker & Humblot 2000

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