Lesen verleiht Macht
Schon in der Antike waren die Philosophen und Dichter hoch angesehene Bürger und besassen grossen Einfluss auf das tägliche Geschehen. Auch im Mittelalter änderte sich daran nicht viel, doch übernahmen die Kirchen immer mehr das Wissensmonopol. Schliesslich wurden in den Kloster-Bibliotheken nicht nur alte Werke übersetzt, sondern diese auch erhalten. Noch immer lagern dort unvorstellbare Schätze, wie Originalschriften, Erstdrucke und dergleichen. Heutzutage hat das World Wide Web das Wissensmonopol weitestgehend übernommen, obgleich viele damit ihr Unwesen treiben. Während auf den Datenhighways Falschmeldungen mit nur einem Klick gelöscht werden können, sind sie in einem Buch nicht so leicht zu entfernen. Zudem: Wer Bücher verbrennt, verbrennt damit auch einen Teil seiner Geschichte und seines Wissens! So weist etwa eine Gedenktafel auf dem Berliner Bebelplatz auf die Geschehnisse des 10. Mai 1933 hin:
„An diesem Platz vernichtete faschistischer Ungeist die besten Werke der deutschen und der Weltliteratur.“
Deshalb stehe ich zu meiner Meinung, dass „Wissen Macht verleiht und dieses Wissen in Büchern steht“! Das werde ich in den kommenden Zeilen beweisen bzw. zur Diskussion stellen.
Am 23. April war der Welttag des Buches. Durchaus zurecht, wie ich finde. Obwohl viele sog. Meinungsmacher immer wieder das Ende der Bücher vorhergesehen haben – so etwa die New York Times schon 1992.
„Das Buch ist nach wie vor relevant und kann sich in einer schwierigen Gesamtwirtschaftslage behaupten!“
(Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels)
Nach Angaben des Börsenvereins wuchs nach einem Einbruch 2022 der Umsatz am Buchmarkt 2023 um 2,8 % auf 9,44 Mrd Euro. 2024 war es ein weiteres Plus von 0,8 %. Das schaut nicht nach einen sterbendem Markt aus! Besonders beliebt waren Sachbücher (+7,7 %) vor der Belle-tristik (+4,1 %). Erfreulich: Die Kinder- und Jugendbücher legten ebenfalls zu – zwar wenig, aber dennoch: +0,5 %! Nettes Detail am Rande: Entscheidend zum Verkaufserfolg der Sachbücher beigetragen hat der Bestseller „Freiheit“ von Ex-Kanzlerin Angela Merkel und Beate Baumann. Dennoch war es im vergangenen Jahr nach Angaben von Media Control nicht das meistverkaufte Hardcover-Buch: Platz 1 ging an Elke Heidenreich mit „Altern“, gefolgt von Sebastian Fitzeks „Das Kalender-mädchen“. Platz 3 dann für die Ex-Kanzlerin. Ganz stark im Kommen sind die „New Adult Liebesgeschichten“ für die Zielgruppe 20-30 Jahre. Waren das früher nicht die Taschenromane? Weitere Zahlen gefällig? 2023 erschienen 60.230 Erstauflagen (-6,3%) und 8.760 Übersetzungen in’s Deutsche – ein Minus von 6,8 % (Angaben: Börsenverein). Für Österreich konnte ich leider keine entsprechenden Zahlen finden.
Obgleich weniger Neuerscheiungen, so nimmt offenbar doch die Beliebt-heit des Buches wieder zu. So blöde es klingen mag, doch ist hierfür zu grossen Teilen das World Wide Web verantwortlich: In den Social Medias posen User mit den Stapeln von Büchern, die sie angeblich im vergangenen Monat gelesen haben wollen. Daraus ist ein richtiggehender Hype entstanden. In diesem Zusammenhang erreichen Bücherbe-sprechungen von „Booktokkern“ oder „Bookflencern“ hohe Klickzahlen. Auch der gute alte Buchklub ist wieder sehr beliebt. Und hier zeigt sich durchaus der eine oder die andere Megastar – wie etwa die Popsängerin Dua Lippa!
„Das Buch ist das Medium zur Selbstreflektion, mit dem sich eigene Identitätsfragen sehr gut verbinden lassen.“
(Gerhard Lauer, Literaturwissenschaftler Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Allerdings hält die KI langsam Einzug und stellt v.a. die Autoren vor nicht zu unterschätzende Probleme. Die Schauspieler und Sprecher wurden bereits grossteils durch sie ersetzt – beim Einsprechen von Hörbüchern etwa.
Konträr dazu mehr als interessant ist das Ergebnis der OECD-Bildungs-studie, wonach die Lesekompetenz der Grundschulkinder immer schlechter wird. Hier durfte wohl das in früheren Zeiten so beliebte Vorlesen einen immens wichtigen Beitrag spielen. Heute werden die Kinder immer öfter vor dem Flimmerkasten geparkt.
„Kinder, denen heute vorgelesen wird, werden morgen selbst zu begeisterten Leserinnen und Lesern. Wir sind ihre Vorbilder!“
(Die steirische Landeshauptmann-Stellvertreterin Manuela Khom (ÖVP) – eine der Organisatoren des Steirischen Vorlesetages)
By the way: Der 8. Steirische Vorlesetag findet am 14. Juni statt!
Dieses Sprachdefizit bleibt bei manchen bis ins Erwachsenenalter erhalten: Sie werden ausgeschult ohne einen Text fehlerfrei lesen zu können, geschweige denn, ihn zu verstehen. Tatsächlich korreliert das Standard-Vokabular mit dem Bildungsgrad: So ergaben unzählige Studien unisono, dass ein 15-jähriger über einen Wortschatz von rund 12.000 Wörtern verfügt. Während sich dieses Repertoire bei Gebildeten noch weiterhin ausbaut (im aktiven Wortschatz auf mehrere zehntausend, im passiven Wortschatz, dem Verstehen von weiteren Wörtern, gar auf ein Vielfaches davon), hat sich zuvor offenbar die Spreu vom Weizen getrennt. So besitzt ein durchschnittlicher deutschsprachiger Mensch einen Wortschatz von 3.000-216.000 Wörtern. Dabei spielen die Informationsmedien eine enorm wichtige Rolle: So nutzen Tages-zeitungen wesentlich weniger Wörter als Magazine. Diese wiederum weniger als Bücher. Auch verfügt der TV-Junkie über ein geringeres Standard-Vokabular als der Leser (ausser er zieht sich grossteils Wissensmagazine rein). Doch tun auch dies meist nur die Zuschauer mit höherem Bildungsgrad. Übrigens verfügt die deutsche Speache insgesamt über einen Wortschatz von 5,3 Mio Wörtern!
Abschliessend noch ein wichtiger Gedanke meinerseits: Für die Herstellung von Druckwerken müssen leider nach wie vor viele Bäume sterben. Die mögliche Alternative aus etwa Hanf wird aktuell zu wenig genutzt. Deshalb meine Bitte an Sie, die Leser dieser digitalen Zeilen: Nutzen Sie den Gebrauchtbüchermarkt! Als begeisteter Ebayer (sowohl im An- als auch im Verkauf) musste ich ernüchtert feststellen, dass Bücher zu den Ladenhütern zählen. Auch wenn sie noch originalverpackt sind! Etwa das Weihnachtsgeschenk der Tante, das voll und ganz meinem Geschmack entspricht! Kritisieren möchte in diesem Zusammenhang ebenfalls die vielen Bibliotheken und Büchereien, die stets laut aufschreien, wenn die öffentlichen Förderungen gekürzt werden, Bücherspenden jedoch ablehnen. Als hervorragende Idee hingegen sehe ich die Lesestationen, bei welchen Bücher kostenlos eingestellt und ausgeliehen werden können – auch wenn dies natürlich der Buchbranche schadet – so tut es zumindest der Umwelt gut! Denn: Ohne Umwelt wird es auch keine weiteren Bücher mehr geben!
Links:
- www.bildungsserver.de
- www.boersenverein.de
- wortschatz.uni-leipzig.de/de
- leseland-steiermark.at
- www.media-control.de/
Lesetipps:
.) Die deutsche Sprache zur Jahrtausendwende. Sprachkultur oder Sprachverfall?; Hrsg.: Rudolf Hoberg/Karin Eichhoff-Cyrus; Dudenverlag 2000
.) Reichtum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache; Wolfgang Klein; DeGruyter 2013
.) Quantitative Linguistik. Eine Annäherung; Karl-Heinz Best; Peust & Gutschmidt 2006
.) Lexikon der bedrohten Wörter; Bodo Mrozek; Rowohlt Taschenbuch 2005
.) Aspekte des deutschen Wortschatzes; Elisabeth Knipf-Komlósi/Roberta Rada, Bernáth Csilla; Bölcsész Konzorcium 2006
.) Die Architektonik des deutschen Wortschatzes; Paul Menzerath; Dümmler 1954