Tornados – Wütend und alleszerstörend

Schwere Gewitter, Schlagwetter mit Überflutungen und Hagelschauer – die Wetterphänomene werden auch in unseren Breitengraden eklatant schlimmer. Hinzu kommt immer mehr auch eine Erscheinung, die es vermeintlich zumindest in früheren Zeiten in Europa nicht gab: Tornados! Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes treten jährlich im Schnitt 47 Tornados zwischen Flensburg und Berchtesgaden auf, 17 davon sind Wasserhosen. Allerdings – zumindest noch nicht – mit einer dermassen bekannten Zerstörungskraft wie jenseits des grossen Teiches.

Diese speziellen Stürme wüten eigentlich im Frühjahr in vielen Bundes-staaten der USA. Die Bevölkerung hat gelernt, damit umzugehen. Zu jedem Haus wird in den leidgeprüften Regionen des mittleren Westens der Staaten immer auch ein Tornadokeller gebaut. Zumeist ein sturm-sicheres unterirdisches Verlies, das mit dem Notwendigsten zum Über-leben ausgestattet ist. Bei entsprechenden Warnungen begeben sich die Bewohner mit den wichtigsten Unterlagen in diesen Keller. So mancher Hausbesitzer weiss nicht, ob er noch ein Dach über dem Kopf vorfindet, wenn er die gut verriegelbare Falltüre öffnet.

Der Tornado (auch Wind- oder Wasserhose) ist ein Wirbelsturm mit einer vornehmlich senkrechten Drehachse. Er ist deshalb so gefährlich, da er Haken schlägt, sehr schnell sein kann und über den sich auftuenden Schlauch alles aufsaugt, was er am Boden findet. Eine Vorhersage ist schwer, da die Lebenszeit einer solchen Windhose nur auf wenige Minuten beschränkt ist. Ein Killer!

Vorraussetzung für diesen ganz speziellen Sturm sind Cumulus- oder Cumulonimbus-Wolken. Der Luftwirbel reicht vom Boden bis zur Wolkenuntergrenze. Dabei herrscht aussen Aufwind und im Inneren Fallwind. Für die Entstehung derartiger Wirbel ist eine starke vertikale Temperaturabnahme sowie grosse, labile Mengen von Wasserdampf in der Luft (Wolke) erforderlich. Der Wasserdampf speichert die Wärme besser als die trockene Luft – Energie, die der Tornado zuhauf benötigt, bezieht er aus diesen feuchten Luftmassen. Durch die Kondensation wird Wärme freigesetzt, die zu einem rasend schnellen Aufsteigen der Luft führt. In unseren Breitengraden wird ein starkes Gewitter oder eine Regenfront normalerweise durch kleine Böenfrontwirbel (auch „Gustnados“) eingeleitet. Findet nun die Verbindung mit einem solchen Aufwindbereich einer Wolke statt, kommt es zu einem Tornado, der in Europa gar nicht mal so selten auftritt, als viele denken.

Der Experte unterscheidet nun zwischen zwei Tornadotypen:

.) Mesozyklonale Tornados

Zu den bereits genannten Faktoren kommt eine starke Zunahme der Windgeschwindigkeit und Richtungsänderungen mit zunehmender Höhe hinzu. Dadurch entwickeln sich sog. „Superzellen“ (Mesozyklen), also Gewitterzellen mit rotierendem Aufwind, die gepaart sind mit Sturzregen, grossem Hagel und Fallböen von teils mehr als 200 Stundenkilometern. Sie können längere Zeit am selben Ort verharren. Durch die stark rotierende Wolkenbasis wird am unteren Ende immer mehr Luft zur Drehachse (auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn) hin ange-saugt, was zu einer steten Steigerung der Geschwindigkeit führt.

.) Nicht-mesozyklonale Tornados

Sie entstehen durch den Zerfall der bodennahen horizontalen Windscherung (Temperaturunterschiede mit wechselnden Windrich-tungen) in einzelne Wirbel mit vertikaler Achse. Die Temperaturabnahme in den unteren Schichten ist eklatant. Diese Tornados sind nicht so kräftig wie die mesozyklonalen Geschwister, da keine Superzelle aufge-baut wird. Die meisten Wasserhosen entstehen auf diese Art.

Tornados sind bei ihrer Geburt nahezu nicht zu erkennen. Erst wenn aufgrund des Druck- und Temperaturabfalls der Wasserdampf konden-siert oder Kleinteile wie Staub, Wasser bzw. kleinere Trümmer aufge-wirbelt werden, wird der Wirbel sichtbar. Übrigens spricht man nur dann von einem Tornado, wenn er Bodenkontakt hat, ansonsten ist es für den Experten eine „Blindtrombe“. Der Trichter bzw. die Hose kann im Durch-messer einige Metern bis über einen Kilometer gross sein. Gerade bei den Riesen ihrer Art sind es zumeist mehrere Wirbel, die um ein gemeinsames Zentrum kreisen („Multivortex“). Die Stärke eines Tornados wird mangels Messmöglichkeiten meist aufgrund der Schäden geschätzt. Dann erfolgt die Klassifizierung – in Europa in der TORRO-Skala, in den USA in der Fujita Scale F1 bis F6 bzw. der genaueren Enhanced Fujita Scale (EF0 – EF5 mit 28 zusätzlichen Merkmalen). Nur 1 % der US-amerikanischen Tornados sind verheerend (F4 und F5), 11 % sind stark (F2 und F3). Nicht-mesozyklonale werden meist nicht heftiger als F2.

Die Fortbewegungs-Geschwindigkeit des Tornados liegt bei rund 65 km/h (F0) – sie richtet sich nach jener der Mutterwolke (kann somit auch weitaus schneller oder wie bei Wasserhosen niedriger liegen). Die Rotations-Geschwindigkeit ist wesentlich höher – die schnellste wurde 1999 bei Bridge Creek (Oklahoma) mit 512 km/h (F5) gemessen – das entspricht der Druckwelle einer Atombombe. Ein Strohhalm, der mit dieser Geschwindigkeit durch die Luft fliegt, durchschlägt wie ein Speer den menschlichen Hals! Schätzungen gehen gar von Spitzengeschwindig-keiten von 800 Stundenkilometern im Rüssel eines starken Tornados aus – doch konnte dies noch nicht wissenschaftlich erwiesen werden. Im Schnitt beläuft sich die Verweildauer auf zirka 10 Minuten, kann jedoch auch auf wenige Sekunden schrumpfen oder über mehr als eine Stunde ansteigen.

Wasserhosen treten zumeist in den Morgenstunden des Spätsommers auf, während die Kollegen auf dem Land die Abendstunden des Frühsommers bevorzugen. Der mittlere Westen der USA bietet die besten Voraussetzungen für Tornados und Superzellen: Östlich der Rocky Mountains liegen weitläufige Ebenen, südlich der warme Golf von Mexico. Hier ergibt sich nämlich folgendes Szenario: Von den Rockies strömt in höheren Luftschichten trockene und kühle Luft über die Ebenen. In den bodennahen Schichten hingegen strömt warme und feuchte Luft vom Golf in Richtung Norden. Dies führt zu einer sehr labilen Luftschichtung! Die meisten der jährlich etwa 1.200 Tornados werden deshalb in dieser „Tornado Alley“ (Texas, Oklahoma, Kansas, Nebraska) gezählt.

Im Vergleich dazu sind in Europa 330 pro Jahr Durchschnitt, wobei etwa 160 über Wasser entstehen. Die meisten davon eher schwach (F0-F2) – doch sind auch zwei F5- und acht F4-Tornados in Deutschland bzw. weniger in Österreich (bislang ein F4) dokumentiert. Alle 20 bis 30 Jahre gibt es in deutschen Landen einen Tornado mit Stärke F4. Die „Tornado-Alley“ Deutschlands ist der Westen der norddeutschen Tiefebene. Als damals der Orkan im Winter über Norddeutschland hinweg fegte, hatte ich gerade mit einer jungen Frau telefoniert. Im Hintergrund war sehr laut der Sturm zu hören. Sie meinte nur ganz lapidar: Da bleibt man einfach im Haus, macht den Ofen an und fühlt sich so richtig heimelig! Auch hier wurde offenbar gelernt, mit den Sturmen zu leben. In Österreich werden jedes Jahr im Schnitt fünf Tornados beobachtet – alle 5-10 Jahre ist auch ein F3 mit dabei. Viele der Windhosen in der Südoststeiermark. Der letzte F4 auf europäischem Festland wurde 2022 im Süden Tschechiens beobachtet. Zuerst mit Stärke F3, dann mit F4 zog er über die beiden Kreise Břeclav und Hodonín hinweg. Besonders betroffen waren dabei die Stadt Hodonin sowie die beiden Dörfer Mikulčice und Lužice. Sechs Menschen kamen dabei um’s Leben, 200 weitere wurden teils schwer verletzt. Der Tornado hinterliess eine 26 Kilometer lange und 500 m breite Schneise und einen Sachschaden von rund 588 Mio Euro. Die letzten F4 gab es in Deutschland am 24. Mai 1974 zwischen Bad Liebenwerda, durch Prestewitz bis kurz vor Lübben, in Österreich am 10. Juli 1916 über Wiener Neustadt. Er forderte 34 Todesopfer, 328 Menschen wurden verletzt. In der Schweiz am 26. August 1971 – im Vallée de Joux mit einer Schneise von 23 Kilometern Länge.

Dass jedoch auch F2-Tornados riesige Schäden verursachen können, wurde am 06. August 2001 in NRW bewusst. Er zog über die Gemeinde Belm bei Osnabrück hinweg und hinterliess eine sechs Kilometer lange und 50 Meter breite Schneise der Verwüstung mit einem Gesamtschaden von über 2,5 Mio €.

Experten sind sich einig: Derzeit kann noch keine Verbindung zur Klima-Erwärmung hergestellt werden. Vielmehr ist die ansteigende Zahl von Tornados auf die bessere Erfassung in den letzten Jahren zurückzu-führen. So gibt es in den USA die systematische Tornadoforschung gar erst seit den 50er Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts, eine Vorwarnmöglichkeit durch den Einsatz des Doppler-Radars seit 1948. Inzwischen wurde die Vorhersage präzisiert. Dabei laufen alle Infos bei der in Norman/Oklahoma stationierten NSSL („National Severe Storms Laboratory“) zusammen. Auch die Beobachtungen der ehrenamtlichen „Spotter“ (Beobachter) und „Storm chasers“ (Sturmjäger). Das gute alte Europa war ab 1917 mit Alfred Wegener und Johannes Peter Letzmann schon etwas früher tätig, jedoch wurden die Forschungsarbeiten aufgrund des 2. Weltkrieges eingestellt und erst 1997 durch das Netzwerk TorDACH wieder professionell aufgenommen. Sehr wichtig zudem die ehrenamtlichen Spotter, mit ihrem eigenen Netzwerk „Skywarn“. 30 Wissenschaftler und Laien aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen verarbeiten diese Infos neben vielen anderen auch vornehmlich bei Tornados, Wasserhosen und Gewitter-Fallböen („Downbursts“). Dadurch sollen möglichst gute Klimamodelle für betroffene Gebiete erstellt, somit gezieltere Vorhersagen gemacht werden können. 2006 übernahm die meisten dieser Aufgaben das European Secere Storms Laboratory e.V. (ESSL) im Auftrag der EU. Hier wird auch die Unwetterdatenbank ESWD geführt.

Doch geschieht immer wieder auch Unglaubliches während solcher Twisters. So wurde am 11. April 1965 in Ohio ein Jugendlicher von einem Tornado aus dem Bett durch das Fenster gesogen und unbeschädigt auf der Strasse vor dem Haus wieder abgesetzt. Neun Jahre später wurde in Xenia/Ohio ein Bauernhaus komplett dem Erdboden gleich gemacht. Nur eine Schachtel Eier, eine andere mit Christbaumschmuck und ein Spiegel blieben heil!

Links:

www.dwd.de/

www.zamg.ac.at

www.meteoswiss.ch

www.essl.org/

www.tornadoliste.de/

www.skywarn.at/

skywarn.org/

www.tordach.org/

weather.rap.ucar.edu/

www.nssl.noaa.gov

www.ncdc.noaa.gov

www.spc.noaa.gov/

www.ready.gov/tornadoes

www.cswr.org/

stormtrack.org/community/

stormchaser.com/

tornadochaser.net/

www.naturgewalten.de

science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/2000/ast01may_1m/

www.thunderbolttours.com/

Lesetipps:

.) Wind- und Wasserhosen in Europa; Alfred Wegener; Vieweg 1917

.) Klimatologische-statistische Ausarbeitung von Tornado-Ereignissen in Europa (Diplomarbeit); Katharina Amstler

Filme:

.) Twister

.) Tornado

.) Im Auge des Tornados (MDR)

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