Das Ende der Tiefsee!
Regionen dieser Erde, die noch weitestgehend unerforscht sind. Und jetzt sollen sie komplett zerstört werden – Tiefsee-Bergbau (Deep Sea Mining)! Experten warnen davor: Das Abfräsen der obersten Schicht des Meeres-bodens wird Spuren in diesen einzigartigen Ökosystemen zurücklassen, die Jahrtausende danach noch zu sehen sind! Doch auch in höheren Meeresschichten werden verheerende Auswirkungen zu erkennen sein – und das sofort!
Norwegen ist eigentlich ein Land, das in vielerlei Hinsicht durchaus als Vorreiter bezeichnet werden kann: E-Mobilität, erneuerbare Energien, … 90 % des gegenwärtig erzeugten Stroms etwa kommt aus erneuerbaren Energien, wie der Wasserkraft und anderen. Und dann dies: Anfang Dezember 2023 genehmigt die norwegische Regierung die wissenschaft-liche Erkundung des Meeresbodens in der Arktis! Wie die Vergangenheit bei solchen offiziellen „wissenschaftlichen Erkundungen“ aufgezeigt hat, ist der Schritt zur kommerziellen Ausbeutung nur ein ganz kleiner. Im Walfang etwa.
Kurz zur Erklärung: Im Meeresboden der Tiefsee werden Mineralien vermutet, die enorm wichtig für die industrielle Verarbeitung sind: Mangan etwa. Dieses kommt in den tiefsten Stellen der Erde in Form sog. „Mangan-Knollen“ vor. So gross etwa wie eine Kartoffel, beinhaltet diese Knolle auch Seltene Erden. Diese werden dringend in grosser Menge für beispielsweise Elektroautos, Smartphones, Brennstoffzellen und auch für Windkraftanlagen gebraucht. Derzeit ist China der grösste Lieferant dieser Seltener Erden. Unentbehrliche Rohstoffe also für die grüne Energiewende. Diese Manganknollen wachsen in rund 6.000 m Tiefe in der Barentsee und vor Grönland heran. Weiter oben (zwischen 700 bis 4.000 m unter der Meeresoberfläche) werden zudem grosse Lagerstätten von Kupfer, Zink, Sulfid und nicht weniger als 120 Mio Tonnen Kobalt vermutet. Ein Abbau würde viele Arbeitsplätze, aber auch wichtige Rohstoffe bringen – so das Argument der norwegischen Regierung.
„In Anbetracht der geopolitischen Entwicklungen ist es wichtig, die strategische Kontrolle über die Ressourcen zu behalten und sicher-zustellen, dass die Mineralien aus Ländern mit demokratischen Regierungen stammen!“
(Astrid Bergmal, Staatssekretärin im norwegischen Energieministerium)
Allerdings hatte man nicht mit einem solchen Gegenwind gerechnet: National, aber auch international formiert sich lautstarker Widerstand. Umweltorganisationen, aber auch Wissenschaftler warnen vor der Zerstörung der Tiefsee, die sich über Jahrmillionen hinweg entwickelt hat (schliesslich gibt es dort kein Licht, es ist eisig kalt und der Wasserdruck enorm) und den sofort auftretenden Auswirkungen in höheren Meeres-schichten. Der WWF befürchtet, dass Norwegen gar seinen guten Ruf als Meeres-Beschützernation auf’s Spiel setze. In diesem speziellen Fall betreibe man gar Greenwashing – Umweltzerstörung als Grundlage für eine nachhaltigere Zukunft folgender Generationen. Deshalb baute die Regierung rasch noch strengere Auflagen in Sachen Umweltverträglichkeit in den Gesetzesentwurf ein, bevor dieser im Januar 2024 zur Abstimmung ins Parlament kam und am 09. Januar genehmigt wurde. Zudem solle dem Parlament schliesslich die Entscheidung zur Gänze obliegen, ob nach der Erkundungsphase mit dem kommerziellen Abbau begonnen werden dürfe.
„Wir glauben und hoffen, dass der Plan zum internationalen Standard für diese Tätigkeit wird!“
(Baard Ludvig Thorheim – konservativer Abgeordnete)
Ja – auch andere Staaten versuchen den Tiefsee-Bergbau schon längst zu beginnen, China oder Russland etwa. Im November richteten 120 EU-Parlamentarier einen Appell an ihre Kollegen im norwegischen Parlament, gegen diese Tiefsee-Bergbaupläne zu stimmen. Die vier grossen Parteien und auch die Opposition Norwegens allerdings verteidigten diese Pläne – alsdann passierte der Gesetzesentwurf für den Beginn von Probe-bohrungen zu Beginn 2024 trotz all dieser Bedenken das Hohe Haus in Oslo. Bei einer kommerziellen Nutzung sollen in weiterer Folge über 280.000 Quadratkilometer Meeresboden des norwegischen Kontinental-schelfs durchpflügt werden. Hier hakt sich auch des Zentrum für Meeres-Tiefenforschung in Bergen ein. So betont dessen Leiter Pedro Ribiero:
„Man kann keine Mineralien aus dem Meeresboden gewinnen, ohne dass das Konsequenzen hat. Wir wissen aber noch nicht, wie groß diese Konsequenzen sein können.“
International wird vor allem befürchtet, dass Norwegen erst der Anfang für die grenzenlose Ausbeutung des Meeresbodens werden könnte. Erste Lizenzen wurden bereits für Gebiete in Papua-Neuguinea, Ozeanien und dem Roten Meer vergeben. Bislang scheuten aber die Unternehmen und Staaten vor den hohen Kosten, aber auch vor den internationalen Rechtsverfahren zurück.
Im Dezember 2024 kam allerdings die überraschende vorläufige Einstellung des Projektes. So hatte die linke SV-Partei die Regierung dazu aufgefordert, die Lizenzen zu streichen – dafür würde sie dem Haushalt für 2025 zustimmen. Allerdings – so betont die Regierung – ist das ein Stopp auf Zeit: Nur bis zum Jahresende 2025 sollten keine Lizenzen vergeben werden. Der Abbau allerdings könnte bereits 2030 erfolgen. An Land dauert eine solche Genehmigung aufgrund strengerer Umweltvor-schriften, Landrechte und infrastruktureller Herausforderungen weitaus länger, betonen interessierte Bergbauunternehmen.
Auch der WWF hatte gegen Norwegen einen Prozess aufgerollt. Die Folgenabschätzung enthalte zu wenig Informationen für die Bewertung der Auswirkungen auf die Meeresumwelt. Das Gericht entschied jedoch im Februar dieses Jahres gegen die Umweltorganisation und lehnte deren Klage ab. Kritiker befürchten neben der irreversiblen Zerstörung des Meeresbodens auch eine schwere Beeinträchtigung des Wassers („Sedi-mentfahnen“) in höheren Meeresschichten und enorme Auswirkungen auf die dortige Fisch- und Tierwelt: Durch den Lärm könnte beispielsweise die Kommunikation vieler Walarten (z.B. Orcas, Nar- und Weisswale) weitestgehend beeinträchtigt werden – hörbar bis zu 500 km weit. Dies treibt plötzlich auch die internationale Fischereiindustrie auf die Barrikaden, die um ihre Fangquote fürchtet. Schliesslich leben in diesen Gewässern zwischen Spitzbergen und der Insel Jan Mayen unzählige Fischarten, aber auch Krebstiere und Garnelen sowie seltene Arten wie etwa die Löwenmähnen-Qualle oder die in der Tiefsee vorkommenden Dumbo-Oktopusse. Meeresbiologen sprechen von einem „biologischen Schatz“.
Die Umweltorganisation Greenpeace weist indes darauf hin, dass die angesprochenen Mineralien künftig gar nicht mehr in diesem Ausmaß nötig sein werden, da Hersteller zusehends auf Kobalt und Nickel für die Batterieproduktion verzichten. Der Bedarf könnte ohne weiteres durch ein effektiveres Recycling (Kreislaufwirtschaft) und weniger Konsum gedeckt werden! Auch haben sich mehr als 50 internationale Konzerne (darunter Apple, BMW, Google und Microsoft) dazu bereit erklärt, auf Rohstoffe aus dem Tiefseebergbau zu verzichten. Über 30 Staaten, darunter Deutsch-land, Frankreich und Kanada, fordern zusammen mit mehr als 900 Wissenschaftlern ein Moratorium und somit eine Nachdenkpause.
Zuständig für Meeresbodengebiete, die in internationalen Gewässern liegen, ist die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) der Vereinten Nationen. Sie hat bereits einige sog. „Explorationslizenzen“ etwa für den Pazifik vergeben. Grosses Interesse daran haben Länder wie China, Russland und Japan. Bei den beiden erstgenannten kann davon ausge-gangen werden, dass beim Abbau keinerlei Rücksicht auf die Ökosysteme genommen wird. Japan zudem gehört auch nicht dem internationalen Walfangabkommen an, das ein Fangen der Säugetiere nur zu wissenschaftlichen Zwecken erlaubt. In Norwegen beträfe ein solcher Abbau aber keine internationalen, sondern territoriale Gewässer und die ausschliessliche Wirtschaftszone (AWZ). Deshalb hat hier die ISA kein wirkliches Mitspracherecht.
Wer nun selbst in die Entscheidung eingreifen möchte, kann unter
https://act.greenpeace.de/protestmail-sos-aus-der-arktis
via Greenpeace eine Protestmail an den norwegischen Premierminister schicken. Auch wenn sich das norwegische Parlament bereits für den Abbau ausgesprochen hat, so können viele Zuschriften vielleicht doch zu einer Meinungsänderung führen.
Lesetipps:
.) Der Tiefseebergbau: Eine interdisziplinäre Untersuchung der völker-rechtlichen Problematik; Gregory A. French; Heymann 1990
.) Manganknollen – Tiefseebergbau und Ressourcenwerdung zwischen Rohstoffmärkten, Politik und Ökologie (1873–2022); Ole Sparenberg; Waxmann Verlag 2024
Links:
- www.hi.no/en
- seabedminingsciencestatement.org/
- hifmb.de/de
- www.ices.dk
- www.greenpeace.de/
- www.worldwildlife.org/
- oceanfdn.org/de