Gentechnik bleibt Gentechnik

Vorweg ein Hinweis:

Der Autor ist weder Experte für Genetik, noch Medizin. Deshalb werden beide Bereiche in diesem Blog nur gestreift, damit dies zudem für Jedermann verständlich bleibt!

Die EU hat entschieden! Einmal mehr nicht für den Konsumenten! Mussten bislang Lebensmittel, die eine gentechnisch veränderte Zutat beinhalten, eindeutig gekennzeichnet sein (etwa „Hergestellt aus gene-tisch veränderten Zuckerrüben, Soja und Mais“), so entfällt dies in Zukunft. Konnte sich bis zu diesem Zeitpunkt der Konsument selbst entscheiden, ob er der Gentechnik Einlass in seinen Haushalt gewährte, so muss er künftig sehr genau lesen und recherchieren, was er seinen Kindern zum Abendbrot auftischt! Diese Kennzeichnungspflicht entfällt nämlich bei einigen Nahrungsmitteln: Jenen, die mit der sog. „Genschere“ bearbeitet wurden!

Was steckt dahinter?

Die EU hat die weltweit strengsten Regel für den Einsatz und Verkauf gentechnisch veränderter Pflanzen. Dies war schon immer den global agierenden Saatgut-Konzernen wie Bayer/Monsanto, Syngenta und Co ein Dorn im Auge. Das soll nun aufgeweicht werden. Vorerst für Produkte, die mit der sog. „Genschere Crispr“ bearbeitet wurden. Hier muss fortan nurmehr das Saatgut eindeutig gekennzeichnet sein, damit der Bauer weiss, dass er gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut! Dies beschlossen Vertreter des Europarlaments und der Kommission. Ziel ist es, dass Gemüse und Obst geschaffen wird, das resistenter gegen Dürre und Nässe ist um damit die Ernten zu vergrössern und die Pflanzen zudem weniger Dünger benötigen. Dies gilt für Pflanzen, die auch durch die natürliche Hybridzüchtung hätten resistenter gemacht werden können. Also der Kreuzung zweier reinerbiger Inzuchtlinien, um sie da-durch leistungs- und widerstandsfähiger zu machen. Die Wissenschaft freut sich über die Entscheidung, die Bio-Landwirtschaft schüttelt nur-mehr resignierend den Kopf.

Gentechnik könnte viel zu grüner, gesünderer Landwirtschaft beitragen!“

(Jiří Friml, Biochemiker und Zellbiologe)

Damit hinein ins Eingemachte! Die derzeitig geltende Regelung stammt aus dem Jahr 2001 und ist selbstverständlich nicht mehr zeitgemäss. Sie wird nun durch eine Reform gegenüber den Neuen Genomischen Techniken (NGT) erweitert. Hierunter fallen Werkzeuge bzw. Techniken wie etwa die 2012 durch die beiden Forscherinnen Emmanuelle Char-pentier aus Frankreich und Jennifer Doudna (USA) entdeckte „Genschere CRISPR/Cas9“. Im Jahr 2020 wurde ihnen dafür der Chemie-Nobelpreis zuerkannt. Wurden bislang in der klassischen Gentechnik fremde Gene in die DNA eines Organismuses eingebaut (es kommt dadurch zu „transgenen Organismen“), so wird dies mit CRISPR/Cas9 wesentlich präziser gemacht: Es können Teile der DNA entfernt, aber auch andere Teile eingefügt werden. Allerdings dürfen auch weiterhin keine art-fremden Gene bzw. – teile eingefügt bzw. eine gewisse Anzahl der Veränderungen nicht überschritten werden. Dadurch können diese bearbeiteten Pflanzen nicht mehr von den natürlichen Mutationen der herkömmlichen Züchtung unterschieden werden. Das kostet erheblich weniger Zeit als auf natürliche Art. Eigentlich ja eine gute Sache. Doch gibt es wie bei allen neuen Errungenschaften auch negative Seiten:

– Wie wirken sich diese gentechnisch veränderten Lebensmittel auf den Menschen aus? Es fehlen die Langzeitstudien

– Durch Windverfrachtung kann es zu einer Befruchtung der gentechnisch veränderten mit den Bio-Pflanzen kommen, wodurch der Biobauer seinen Hof dicht machen müsste

– Die Big-Player aus der Saatgut-Produktion werden die schon lange versuchte Monopolstellung durchboxen und endlich den grossen Reibach machen

Dafür hat die Wissenschaft jahrelang gekämpft!“

(Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissen-schaften)

Die Wissenschafter begrüssen diese Reform. Schliesslich sind viele Staaten wie China, die USA, Kanada und auch einige afrikanische Länder wesentlich weiter als die EU-Mitgliedsländer. So können Pflanzen etwa auch resistenter gegenüber Schädlingen und Krankheiten gemacht werden. Für die Monokultur-Landwirtschaft ein erheblicher Fortschritt.

Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) hat aller-dings bereits eine Zustimmung in weite Ferne gerückt – noch deutlicher wird der Landwirtschaftssprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Thomas Waitz:

Das Ergebnis ist eine totale Deregulierung: ein absoluter Super-GAU für Konsument:innen und für die europäische Biolandwirtschaft!“

Derselben Meinung ist sein deutscher Parteikollege Martin Häusling. Auch die FPÖ steht dem Ganzen skeptisch gegenüber. In Deutschland schliessen sich dem die Verbraucherverbände, der Bauernverband und die SPD im Europaparlament an. Die letzteren Beiden sehen vornehmlich unklare rechtliche Verhältnisse, steigende finanzielle Belastungen sowie eine starke Machtkonzentration auf die Landwirtschaft und Lebensmittel-industrie zukommen.

Durch die hohen Kosten der Regulierung wären die Klein- und Mittel-betriebe hier nicht konkurrenzfähig!“

(Eva Stöger, BOKU Wien, Institut für Angewandte Genetik und Zellbiologie)

So besteht beispielsweise die Gefahr, dass ein Bio-Bauer aus eigener Züchtung auf die Eigenschaften der Pflanze kommt, diese aber nicht mehr anbauen darf, da bereits ein Patent auf die NGT-Pflanze besteht. In Fachkreisen wird betont, dass die Hersteller ein Nachweisverfahren zu liefern hätten, was aber bislang noch nicht geschehen ist. Für die Nachweisbarkeit der Genschere ist die EU verantwortlich. Schliesslich sind veränderte Pflanzen so gut wie gar nicht von ihren natürlichen Kollegen zu unterscheiden. Allerdings sind bereits entsprechende Produkte auf dem Markt – etwa das Sojaöl des US-amerikanischen Unternehmens Calyxt aus Minneapolis.

In Österreich etwa sind mit CRISPR/Cas9 bearbeitete Pflanzen bereits genehmigt, wenn deren Anbau nicht im Freien erfolgt und sie in weiterer Folge für medizinisch/pharmazeutische Zwecke verwendet werden.

Dennoch – Gentechnik bleibt Gentechnik:

Das Ergebnis (nach Genveränderung mit der Genschere, Anm.) ist nicht natürlich passiert. Das macht die Technologie per Definition zur Gentechnik. Es ist ein gezielter Eingriff!“

(Sebastian Theissing-Matei, Greenpeace Österreich)

Er stellt die Frage, ob wir solche „tollen Innovationen“ überhaupt benötigen und fordert das Vorsorgeprinzip als Nachweis, dass diese Methode als sicher gilt, ebenso aber die Transparenz und Kennzeichnung bei betroffenen Produkten.

Dem gegenüber stehen nicht weniger als 93 europäische Forschungs-einrichtungen (darunter auch die BOKU in Österreich) bzw. fast 1.500 Wissenschaftler, die in einem offenen Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments eine Lockerung des Gentechnikgesetzes und damit die Zulassung der Genschere fordern.

Und – wie schaut’s mit Tier und Mensch aus? Durchaus denkbar! Kühe, die gegen die Maul-und-Klauen-Seuche resistent sind, Geflügel gegen die Vogelgrippe, Schafe, die qualitativ hochwertige Wolle liefern, …! Probleme treten allerdings beim Menschen auf: Hier geht es um das Designer-Baby! Viele ethische Fragen müssten zuvor geklärt werden, wenn die Genschere etwa gegen Erbkrankheiten eingesetzt wird (wie die Sichelzellanämie und die beta-Thalassämie, bei welchen der Blutfarbstoff Hämoglobin missgebildet wird, wodurch der Sauerstoff-Transport im Blut erheblich eingeschränkt wird). Bei Stammzellen-Therapien beispielsweise sind Fälle beobachtet worden, bei welchen eine Leukämie ausgelöst wurde. Finanzierbar aber ist eine solche Therapie nur für reiche Menschen – rund 2 Mio Euro an Kosten stehen an! Und – wie ist es, wenn sich genau diese Reichen ein Baby zurecht schneidern lassen, das sie schon immer so haben wollten (Augen- und Haarfarbe, athletischer Typ, Intelligenz, …). 2018 machte ein chinesischer Forscher von sich Reden, als er behauptete, ein CRISPR-Baby geschaffen zu haben, das gegen HIV resistent ist. Ob dies tatsächlich der Realität entspricht oder nur ein gelungener Schachzug der chinesischen Propaganda war, lässt sich nicht mehr eruieren. Jedoch – auch in China ist ein solcher Eingriff wie auf den meisten anderen Erdteilen verboten!

Bleibt die abschliessende Frage:

Soll der Mensch tatsächlich in die göttliche Schöpfung eingreifen dürfen, mit der Gefahr, dass diese Eingriffe auch missbraucht werden???

Lesetipps:

.) Eingriff in die Evolution: Die Macht der CRISPR-Technologie und die Frage, wie wir sie nutzen wollen; Jennifer A. Doudna, Samuel H. Sternberg; Springer Verlag 2018

.) Technikfolgenabschätzung des CRISPR/Cas-Systems, Über die Anwen-dung in der menschlichen Keimbahn; Annika Hardt; De Gruyter 2019

.) Modern Prometheus; Jim Kozubek; Cambridge University Press 2016

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