Engelbert Dollfuß – Held oder Diktator?

Der Mann war tapfer, bereit, sich bis zur letzten Konsequenz für Österreich einzusetzen. Damals habe ich ja alles aus dieser Perspektive gesehen: Wir müssen Österreich erhalten.“

(Otto Habsburg-Lothringen, November 2007)

Bruno Kreisky schrieb in seinen Memoiren über Dollfuss:

…zunächst eine jener Persönlichkeiten zu sein, mit denen sich unter normalen Bedingungen eine akzeptable Zusammenarbeit zwischen Opposition und Regierung hätte herstellen lassen!“

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), im Speziellen der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol, erklärte 2014, dass es im bürger-lichen Lager keinen „Dollfuß-Mythos“ gäbe.

Die katholische Kirche distanziert sich von Engelbert Dollfuß: Bilder werden verhängt, Gedenkschriften in den oberen Teil der Kirche verbracht, Gedenktafeln demontiert, …

Viele Studentenverbindungen des katholischen Cartellverbandes hatten ihm schon zu Lebzeiten die Ehrenmitgliedschaft verliehen.

Was hat es wirklich auf sich mit Engelbert Dollfuß? War er ein öster-reichischer Held oder ein austrofaschistischer Diktator? Und v.a. – was geschah an diesem 25. Juli des Jahres 1934 tatsächlich? Zeit für einen History-Blog!

Engelbert Dollfuß wurde am 18. November 1868 in Texing im Bezirk Melk in Niederösterreich geboren. Eigentlich wollte er Priester werden. Nach Fürsprache durch seinen Pfarrer (Simon Veith) erhielt er ein Stipendium der Diözese für das fürsterzbischöfliche Knabenseminar der Erzdiözese Wien, in welchem er 1913 die Matura mit gutem Erfolg bestand.

Im Anschluss studierte er einige Monate lang Theologie, wechselte aber schliesslich zu den Rechtswissenschaften. Nach Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zum Militärdienst bei den Tiroler Schützen. Mit Aus-zeicnung wurde er aus der Brixener Offizierschule ausgemustert und in Bozen stationiert. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Kommandant einer Maschinengewehrabteilung an der italienischen Front. Insgesamt vierfach dekoriert, setzte er nach Kriegsende sein Studium fort, das er nach einigen Auslandsmonaten in Berlin 1922 in Wien abschloss.

Seine politische Karriere begann Engelbert Dollfuß 1919 als Sekretär beim Bauernbund. Er wirkte mit bei der Errichtung der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, deren Direktor er 1927 wurde. Der spätere Bundeskanzler führte die landwirtschaftlichen Genossenschaften ein, daneben auch die Sozialversicherung für die Bauern und die Arbeits-losenunterstützung für landwirtschaftliche Lohnarbeiter. Daneben wurde er Präsident der Österreichischen Bundesbahnen. Obgleich Dollfuß nie als Abgeordneter im Nationalrat sass, wurde er am 18. März 1931 als neuer Landwirtschaftsminister vereidigt. Am 10. Mai beauftragte Bundes-präsident Wilhelm Miklas Engelbert Dollfuß mit der Regierungsbildung. Er übernahm das Kanzleramt, das Aussenministerium und das Landwirt-schaftsministerium.

Dollfuß liebäugelte mehr mit dem Regime Mussolinis in Italien als mit dem Adolf Hitlers in Berlin, der am 30. Januar 1933 zum deutschen Reichskanzler gewählt wurde. Mussolini war durchaus erfreut über diese Pufferzone Österreichs zwischen ihm und Hitler. Dass er diesem nicht vertraute, zeigen wohl am ehesten die Befestigungen in Südtirol auf, die er als Verteidigungswall errichten liess.

Dollfuß war durchaus rechtsnational eingestellt. So war er u.a. maß-geblich an der Einführung des Arierparagraphen im Cartellverband beteiligt. Daneben suchte er auch zweimal Kontakt zu Arthur Seyß-Inquart, der kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich Innenminister, dann Bundeskanzler war und schliesslich Reichsstatthalter der „Ostmark“. Die zweite Kontaktaufnahme erfolgte kurz vor dem Juliputsch 1934. Im Oktober 1932 umging Dollfuß zum ersten Mal das österreichische Parlament, indem er versuchte, mit dem Kriegswirt-schaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 die Creditanstalt und damit auch die Staatsschulden Österreichs zu sanieren. Um sich abzusichern, ernannte er 1932 den Wiener Heimwehrführer Emil Fey zum Staats-sekretär für Sicherheitswesen. Der verbot als erstes alle Aufmärsche der Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten.

Engelbert Dollfuß führte am 04. März 1933 in einer dringlichen Sitzung des Nationalrates einen Staatsstreich durch. Anlass hierfür war der am 01. März begonnene Eisenbahnerstreik. Er nutzte dafür eine Geschäfts-ordnungskrise. Nachdem es zu Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung gekommen war, traten die drei Nationalratspräsidenten zurück. Damit aber war das Parlament nicht mehr beschlussfähig. Dollfuß sprach von einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ und schaltete das Parlament und den Verfassungtsgerichtshof mittels Notverordnung aus. Er bot dem Bundespräsidenten seinen Rücktritt an, dieser aber betraute ihn mit der Weiterführung der Regierungsgeschäfte. Fortan regierte er durch die Ausschaltung der Legislative und Judikative alleine – also diktatorisch! Er führte die Pressezensur ein und verbot erneut jegliche Veranstaltungen und Aufmärsche. Eine Fortsetzung der damaligen Nationalratssitzung wurde mit Polizeigewalt verhindert. Auch Neuwahlen verhinderte Dollfuß – er befürchtete eine Machtergreifung der NSDAP, wie sie kurz zuvor in Deutschland stattgefunden hatte. Mussolini versuchte zu vermitteln – allerdings ohne Erfolg. Dollfuß traf Mussolini in Rom und kurz danach in Riccione. Der hatte zuvor die Abschaffung des Parteienstaates zugunsten eines Ständestaates gefordert. Dollfuß setzte dies um:

…sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“

Ernst Rüdiger Starhemberg löste den Heimatblock auf und trat mit der Heimwehr in die „Vaterländische Front“ ein, die künftige Einheitspartei. Vor dem zweiten Treffen mit Mussolini wurde am 19. Juni 1933 die NSDAP in Österreich verboten, die Sozialdemokratische Partei später am 12. Februar 1934. Bei der Entwaffnung der radikalen Kräfte des Republi-kanischen Schutzbundes besetzten diese die Sozialwohnanlage Karl-Marx-Hof in Wien und lieferten sich schwere Gefechte mit der Heimwehr und dem Bundesheer. Der Aufstand griff auch auf St. Pölten und Steyr über. Insgesamt gab es über 350 Tote. Am 01. Mai 1934 wurde der austrofaschistische Ständestaat ausgerufen. Soweit die geschichtlichen Fakten.

Nicht einmal in Österreich wurde es begriffen, dass sich der Bundeskanzler deutschnationaler Motive bediente, um den Anschluss zu verhindern.“

(Autor Franz Schausberger)

Nun zu diesem folgenschweren 25. Juli 1934! Ein Revierinspektor der Polizei, der mit der verbotenen NSDAP sympathisierte, wurde von einem Kriminalbeamten gleicher Gesinnung angerufen, dass der „Aktionsplan“ nun anlaufe. Da er sich nicht sicher war, welcher seiner Vorgesetzten Nazi war, wandte er sich an die Vaterländische Front (die Einheitspartei unter Dollfuß). Dort wurde der Anruf nicht ernst genommen. Deshalb suchte er den Kontakt zur Heimwehr. Die Nachricht erreichte den vorhin angesprochenen Major Emil Fey, der sofort weitere Massnahmen einleitete. Er fuhr zur Ministerratssitzung, die zu diesem Zeitpunkt tagte. Dollfuß wies alle Minister an, unmittelbar in ihre Ministerien zu gehen – nur Fey und der Staatssekretär Carl Karwinsky verblieben im Bundes-kanzleramt. Das Bundesheer wurde in Alarmbereitschaft versetzt.

Inzwischen hatten sich in der Halle des Deutschen Turnvereins in der Siebensterngasse rund 150 Angehörige der SS-Standarte 89 versammelt – entlassene Bundesheersoldaten und aktive Polizisten. Sie bewaffneten sich und machten sich in Uniformen des Bundesheeres und der Bundessicherheitswache auf den Weg. Zuvor wurde noch ein Ablenkungs-manöver ausgestreut: Auf den Wagen des Bundeskanzlers sollte am Michaelerplatz ein Attentat verübt werden. Um 12:53 Uhr erreichte der Konvoy der Putschisten den Ballhausplatz. Dort wurden sie aufgrund ihrer Uniformen und des Wachewechsels direkt durchgelassen. Ihr Auftrag lautete: Die Regierung in Geiselhaft zu nehmen! Anstelle des zurück-getretenen Engelbert Dollfußes sollte der frühere steirische Landeshaupt-mann Anton Rintelen die Regierungsgeschäfte weiterführen. Er wartete bereits im Hotel „Imperial“ auf das vereinbarte Zeichen. Die Wachen des Bundeskanzleramtes wurden entwaffnet, die Tore verriegelt. Paul Hudl, Franz Holzweber und Otto Planetta (ein unehrenhaft entlassener Stabs-wachtmeister), alle zusammen ehemalige Bundesheerangehörige, durch-suchten die Stockwerke. Staatssekretär Karwinsky und der Portier Hedvicek versuchten den Bundeskanzler durch das Staatsarchiv und dem Nebenausgang zum Minoritenplatz in Sicherheit bringen. Dort jedoch stiessen sie auf die Männer um Planetta. Ob nun dieser auf die Männer geschossen hat, oder sich ein Schuss bei einem Handgemenge mit Dollfuß löste, ist nach wie vor nicht bekannt. Gerichtsmediziner aber betonten, dass sich der Schuss aus rund 15 cm löste und den Bundes-kanzler im Halswirbelbereich traf. Er dürfte aufgrund dessen gelähmt worden sein und verstarb später durch Verblutung. Seiner Bitte nach einem Priester kamen die Putschisten nicht nach.

Inzwischen hatten andere Putschisten das Funkhaus der Rundfunkgesell-schaft RAVAG besetzt und den Moderator zu folgenden Durchsage gezwungen:

Die Regierung Dollfuß ist zurückgetreten. Dr. Rintelen hat die Regierungsgeschäfte übernommen.“

Es sollte das Zeichen für die SA-Kameraden in den Bundesländern sein, den Aufstand auch dort zu beginnen – gottlob erfolglos. Nur in der Steiermark und Kärnten fanden kleinere Gefechte statt. Die Funkhaus-besetzer konnten rasch durch die Polizei überwältigt werden.

Bundespräsident Wilhelm Miklas hatte inzwischen in seinem Urlaub aus Kärtnen den bisherigen Justiz- und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg mit der provisorischen Übernahme der Regierungsgeschäfte beauftragt. Welche Rolle nun Fey zukam, bleibt wohl auch weiterhin unbeantwortet. Die Putschisten verwendeten ihn als Vermittler, angeblich soll ihm in der Regierung Rintelen der Posten des Sicherheitsministers angeboten worden sein. Die Spekulationen des sozialdemokratischen Juristen Fritz Kreisler gehen davon aus, dass er sogar den zweiten Schuss auf Dollfuß abgegeben haben soll, dessen Spuren die Gerichtsmediziner zutage beförderten. Oder war es der Sicherheitswachebeamte Franz Leeb, der dies am Abend der Tat seinem SS-Kameraden Wilhelm Kern gestanden haben soll? Oder der SS-Untersturmführer Otto Käfinger? Auch die Nazis in Berlin hätten dies gerne geklärt gehabt. So stellte Reichsführer-SS Heinrich Himmler eine Historiker-Kommission zusammen – ein Ergebnis blieb aus. Wer diesen brutalen und mehr als unehrenhaften Schuss auf einen unbeweglichen Sterbenden tatsächlich abgegeben hatte, bleibt ebenso im Verborgenen. Fey beging am 16. März 1938 mit seiner Familie Selbstmord! Drei Tage nach dem Beschluss des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und einen Tag nach dem Einmarsch Hitlers in Wien. Dollfuß verstarb um 15.45 Uhr – zuvor soll er noch Fey instruiert haben, Kontakt mit Mussolini auf-zunehmen, damit sich dieser um seine Frau und die Kinder kümmere.

Die Putschisten gaben kurz nach 19.00 Uhr auf. Ein Militärgerichtshof verurteilte neben 12 anderen auch Planetta wegen Mordes zum Tode – er wurde am 31. Juli gehängt, viele andere und auch Rintelen erhielten lebenslang. Andere konnten nach Hitlerdeutschland fliehen.

Adolf Hitler muss von diesem Putschversuch gewusst haben. Nach einer Eintragung im Tagebuch Joseph Goebbels traf er sich mit den Haupt-verantwortlichen des Putsches kurz zuvor in Berlin. Dass jedoch Bundes-kanzler Engelbert Dollfuss dabei umgebracht würde – das entsprach nicht dem Plan Hitlers. Mussolini reagierte sehr rasch und entsandte noch am 25. Juli Truppen an die österreichisch-italienische Grenze. Hitler soll getobt haben.

Filmtipp:

.) Engelbert Dollfuß: „Arbeitermörder“ oder verklärter Märtyrer; ORF-Doku 2002

.) Das Attentat – Der Tod des Engelbert Dollfuß; 1967

Lesetipps:

.) „Der Führer bin ich selbst.“ Engelbert Dollfuß – Benito Mussolini. Briefwechsel; Hrsg.: Wolfgang Maderthaner; Löcker 2004

.) Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen; Lucile Dreidemy; Böhlau 2014

.) Das Dollfuß-Regime in Österreich; Heinrich Bußhoff; Duncker & Humblot 1968

.) Mein Vater – Hitlers erstes Opfer; Eva Dollfuss: Amalthea 1994

.) Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuss I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie; Franz Schausberger; Böhlau 1993

.) „Sommerfest mit Preisschießen“. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934; Hans Schafranek; Czernin 2006

.) Wir werden ganze Arbeit leisten … Der austrofaschistische Staatsstreich 1934; Hrsg.: Stephan Neuhäuser; BOD 2004

.) Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938; Emmerich Tálos; Lit 2013

.) So sprach der Kanzler. Dollfuss’ Vermächtnis. Aus seinen Reden; Anton Tautscher; Baumgartner 1935

.) Die Altersfürsorgerente in der Land- u. Forstwirtschaft Österreichs. Eine Anleitung für Oberösterreich; Engelbert Dollfuß/Hans Walter; Agrarverlag 1929

.) Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten; Bruno Kreisky; Siedler Verlag und Kremayr & Scheriau 1986

Links:

  • hdgoe.at
  • hpb.univie.ac.at
  • zeitgeschichte.univie.ac.at
  • www.demokratiezentrum.org

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