Iran/Israel – das Pulverfass explodiert gerade
„Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle!“
(Friedrich Merz, deutscher Bundeskanzler im ZDF)
Dieter Hallervorden und 20 weitere haben den dt. Bundeskanzler inzwischen für diese Aussage angezeigt, obwohl sie ihm ja quasi auf dem Präsentierteller vorgelegt wurde.
Es ist ein offener Schlagabtausch, der seit nunmehr etwas mehr als einer Woche zwischen Israel und dem Iran stattfindet – zumeist über den Köpfen der Bevölkerung des Iraks, Syriens, Jordaniens bzw. Saudi Arabiens hinweg. Diese Staaten liegen nämlich zwischen den beiden Kriegsparteien.
Lange ist die Eskalation befürchtet worden, nun ist sie eingetreten. Begonnen durch die Luftangriffe auf Atomanlagen (wie Natans und Fordo), Atomwissenschaftler und ranghohe Offiziere der Revolutions-garden. Es waren Punktangriffe – das hat sich inzwischen geändert: Hat offenbar der israelische Geheimdienst Mossad erst gute Arbeit bei der Weiterleitung der Koordinaten geleistet, spricht die NGO „Human Rights Activists News Agency (HRANA)“ inzwischen (seit Beginn bis zum 20. Juni) von 263 getöteten Zivilisten (bei ingesamt 657 Toten. Der Iran antwortete ebenfalls mit Drohnen und Raketen, dabei wurden die ersten Menschen in der Zivilbevölkerung getötet. Israel nimmt zwar auch weiterhin vornehm-lich die Atom- und Rüstungsanlagen unter Beschuss, bei Angriffen auf Militärs und Wissenschaftlern jedoch nimmt man durchaus auch Kollateralschäden in Kauf. Der Unterschied: Israel besitzt viele Bunker – wenn nicht gar die meisten im internationalen Ländervergleich. Die Mullahs in Teheran hingegen liessen und lassen die Bevölkerung im Stich – und dies obgleich sie seit der Machtübernahme der Mullahs eine ständige Aggressionspolitik verfolgen und den internationalen Terro-rismus unterstützen. Somit sollte eigentlich davon ausgegangen werden, dass irgendwann ein solcher Erstschlag erfolgt. Bereits in der ersten Amtszeit Trumps tötete eine US-Drohne des Typs MQ-9 Reaper am 03. Januar 2020 den iranischen Divisionskommandanten Qasem Soleimani sowie den irakischen Brigadegeneral Abu Mahdi al-Muhandis, einen Hisbollah-Führer und fünf weitere Personen. Der Angriff erfolgte zwar im Irak, hätte aber durchaus auch im Iran stattfinden können. Nach ständigen Drohungen zwischen Teheran und Tel Aviv sowie der Unter-stützung der Terrormilizen Huthi, Hamas und Hisbollah bei derem Kampf gegen Israel musste man wohl auch davon ausgehen, dass dem rechtskonservativen Ministerpräsidenten Netanjahu der Kragen platzt. Somit ist diese Nicht-Vorsorge eine grobe Vernachlässigung gegenüber der iranischen Bevölkerung. Jene, die es sich leisten können, fliehen deshalb über die Grenzen um sich in Sicherheit zu bringen.
So pervers es klingt, doch sehen iranische Regimegegner im Exil nun eine Chance zum Neuanfang in ihrem Land. Das allerdings gehe nur mit der Bevölkerung, die seit der Revolution im Jahre 1979 v.a. unter den geist-lichen Führern von damals (Ayatollah Ruhollah Khomeini) bis heute (Ayatollah Khamenei), aber auch den weltlichen Präsidenten von Abol-hassan Banisadr bis zum heutigen Massud Peseschkian (die stets im Schatten der geistigen Führer standen) zu leiden hatte.
Offiziell ist der Iran eine Islamische Republik, inoffiziell allerdings eine Autokratie der Mullahs. Widerrufe werden im Keim erstickt, Demons-trationen mit Gewalt niedergeschlagen, Kritiker verhaftet und gefoltert sowie oftmals auch hingerichtet. 2024 wurden nach Angaben der UNO mindestens 975 Menschen hingerichtet – im Revolutionsjahr 1979 waren es 900! 16 Journalisten sind inhaftiert, wie viele politischen Gegner zudem ist nicht bekannt. Gehen Frauen auf die Strasse, um gegen etwa die Todesstrafe zu demonstrieren, werden sie festgenommen und Körperstrafen oder gar Todesurteile über sie verhängt. Apropos Frauen: Sie dürfen erst seit 2019 wieder an Sportveranstaltungen aktiv und passiv teilnehmen. Hierfür gab es zwei Anlässe: Die Selbstverbrennung von Sahar Chodayari, die sich als Mann verkleidet am 12. März 2019 ins Fussballstadion schlich, um das Spiel ihres Teams Esteghlal Teheran gegen al-Ain (VAE) in der asiatischen Champions League zu verfolgen. Sie machte ein Selfie und setzte es in die Sozialen Medien . Ein Riesenfehler! Es dauerte nicht lange bis sie festgenommen wurde. Sie sollte für ein halbes Jahr ins Gefängnis. 90 % ihrer Haut wurden bei ihrem Selbstmord verbrannt – einige Tage später starb sie. Und zum Zweiten kämpfte die Tochter des ehemaligen Präsidenten Rafsandschani, Faezeh Haschemi, als Politikerin und Sportfunktionärin für das Recht der Frauen am Sport.
Das Internet im Iran war zwar vor dem Beginn der gegenseitigen Angriffe freigegeben, unterlag aber ebenfalls wie Zeitungen, Radio und Fernsehen der staatlichen Zensur.
Rund 80 % der iranischen Wertschöpfung wird von religiösen Stiftungen (Bonyads) kontrolliert. Die grösste davon ist die Āstān-e Qods-e Razavi, die mehrere Banken, Hotels, Geschäfte, Fabriken, aber auch Museen und Bibliotheken betreibt. Sie macht jährlich einen Umsatz von rund 14 Milliarden Dollar. Obgleich die Regierungen seit 2001 an Privatisierungen arbeiteten, bestand hier kein wirklich grosses Interesse daran. Erst 2008 griffen verschiedene Kommandeure der Iranischen Revolutionsgarden zu.
Alles somit durchaus Erscheinungsbilder autokratisch regierter Staaten oder gar Diktaturen, die häufig auch durch UN-Resolutionen scharf kritisiert wurden. Deshalb sehen Regimekritiker wie Nasrin Sotudeh (die Trägerin des Alternativen Nobelpreises und des EU-Menschenrechts-preises) eine gute Chance für einen Regimewechsel im Iran. Nach den Angriffen Israels sind viele Führer nicht mehr vorhanden, die Herrschaftsklasse ist geschwächt. Auch aus militärischer Sicht betonen viele Experten, dass der Iran angezählt ist. So wurden viel Geld und Waffen in die Terrormilizen investiert, die selbst derzeit geschwächt sind. Und weitere Waffen (v.a. Drohnen) wurden nach Russland geliefert. Werden nun auch die Einnahmequellen vornehmlich aus der Erdöl-förderung abgeschnitten, da durch Raketeneinschläge für längere Zeit ausser Funktion gesetzt, so verliert das derzeitige Mullah-Regime auch den wirtschaftlichen Hintergrund. Hauptabnehmer des iranischen Erdöls waren übrigens bislang China und Indien.
Anlass zu Spekulationen gaben diesbezüglich zwei Regierungsflüge mit Maschinen der Airline „Meradsch“ von Teheran nach Maskat/Oman am 18. Juni des Jahres. Der Oman hatte einst im Atomstreit der USA und dem Iran vermittelt. Gerüchte nun meinen, dass hochrangige Regierungs-mitglieder ausgeflogen wurden. Bislang liegen keine Erklärungen des Iran und des Omans vor. Sollte es jedoch tatsächlich zu einem Regimewechsel kommen, so bestht die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass hochange-reichertes Uran in falsche Hände kommen könnte.
Entscheidend wird wohl die Position der USA in diesem Konflikt sein. Trump lässt keine Zweifel darüber aufkommen, dass sie in den Kriieg eingreifen werden. Zwei Flugzeugträger und mehrere Zerstörer der Navy wurden in die Region verlegt. Tankflugzeuge, die Langstreckenbomber in der Luft auftanken sollen, stehen ebenfalls bereit. Werden diese aktiv in den Konflikt eingreifen, oder unterschtüzen sie das Flugabwehrsystem Israels (dieses Mal vornehmlich „Arrow“ für die Langstreckenangriffe, daneben gibt es noch den „Iron Dome“ für Kurz- und „David’s Sling“ für die Mittelstreckenangriffe), dem langsam die Abwehrraketen auszugehen drohen. China hat seine Bürger bereits aus dem Iran evakuiert, andere Länder ebenfalls. Trump empfahl der iranischen Regierung die Kapitulation, Ayatollah Ali Chamenei hat dies selbstverständlich abge-lehnt. Er warnte auch andere Staaten davor, in den Konflikt einzugreifen.
Stein des Anstosses ist übrigens das iranische Atomprogramm. So ist es dem Land international erlaubt, Uran für den Gebrauch in Atom-kraftwerken, nicht jedoch für den Bau von Atomwaffen anzureichern. Dieses Atomabkommen cancelte Trump bereits während seiner ersten Amtszeit und verhängte Sanktionen gegen das Land und führende Regierungs- und Wirtschaftsmitglieder. Er ging gar so weit, Ländern zu drohen, die nach wie vor mit dem Iran Geschäfte machten. Für diese Urananreicherung sind Zentrifugen notwendig. Diese soll Israel immer wieder unter Beschuss genommen haben. Teilweise jedoch sind sie unterirdisch bzw. durch Bunker geschützt. Hat Israel also sich selbst und den Nahen Osten durch diesen eindeutig völkerrechtswidrigen „Präventiv-schlag“ geschützt? Oder hat der Chef der Internationalen Atomenergie-behörde IAEA, Rafael Grossi, recht, wenn er behauptet, dass keine Beweise für den systematischen Versuch des Irans vorliegen, an Atom-waffen zu gelangen. Allerdings kann auch er nicht ausschliessen, dass es versteckte Aktivitäten gegeben habe. Der Iran hatte in letzter Zeit seine Uran-Vorräte stark aufgestockt – mit beinahe waffenfähigem Uran.
Scharfe Kritik am Angriff Israels kam übrigens aus Pakistan und ausgerechnet aus Russland. So warf Moskau der israelischen Regierung vor, „die Welt in Richtung einer nuklearen Katastrophe zu treiben“ und warnte die USA davor, direkt in diesen Konflikt einzugreifen.
Ob nun der Iran oder Israel die Wahrheit gesprochen hat, wird sich wohl so oder so in den kommenden Wochen zeigen. Ich hoffe, dass die Parteien doch noch an den Verhandlungstisch zurückkehren und objektiven Prüfkommissionen voller Einblick gewährt wird. Ansonsten haben wir einen Kriegsschauplatz mehr auf der Erde, der erneut der Zivilbevölkerung beider Staaten viel Blut und Leid bringen wird.
Übrigens: Im Jahr 2023 flüchteten insgesamt 36.173 Menschen aus dem Iran (Angabe: UNHCR) – in Deutschland wurden 1.511 positive Entscheide gefällt (40,08 Prozent).
Lesetipps:
.) Zwischen den Welten. Von Macht und Ohnmacht im Iran; Natalie Amiri: Aufbau 2021
.) Geschichte Irans – Von der Islamisierung bis zur Gegenwart; Monika Gronke; C.H. Beck 2016
.) Moderne, Subjekt, Staat: zur Rolle der Bildung in der Kontroverse zwischen Individuum und Staat in Iran; Parvin Javadi; Schwarz 2014
.) Iran. Grundzüge einer geographischen Länderkunde; Eckart Ehlers; Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980
.) Revolutionary Iran – A History of the Islamic Republic; Michael Axworthy; Penguin Books 2013
.) The Cambridge History of Iran; Cambridge University Press 1993
.) A History of Modern Iran; Ervand Abrahamian: Cambridge University Press 2008
.) Contemporary Iran – Economics, Society, Politics; Hrsg.: Ali Gheissari; Oxford University Press 2009
.) Der schiitische Islam. Von der Religion zur Revolution; C.H. Beck 1994
Links:
www.cia.gov/the-world-factbook/countries/iran/
teheran.diplo.de/ir-de
www.hrw.org/
rsf.org/en
www.ohchr.org