Die weissen Tauben werden müde…

“Grand Prix Eurovision de la Chanson” – kaum zu glauben, aber so hiess der Eurovision Song Contest einst wirklich – in grauen Vorzeiten! Generationen von Moderatoren sind schon über diesen Zungenbrecher gestolpert (mich eingeschlossen). Da lob‘ ich mir doch das einfache “Song Contest”!!! Doch: Ist dieser Namenswechsel wirklich nur positiv?

Der “Grand Prix…” wurde 1956 gegründet. Teilnahmeberechtigt sind seither alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Rundfunkunion EBU, einer Vereinigung von hauptsächlich öffentlich-rechtlichen TV- bzw. Rund-funkanstalten, die ein grenzüberschreitendes Übertragungsnetz für Radio- und Fernsehsendungen errichtet haben. Zu den damaligen Zeiten war die Übertragung via Satellit noch Zukunftsmusik – also mussten die Sendungen von Sender zu Sender mittels Richtfunk weitergeleitet werden. Auch der Mittelmeerraum gehört inzwischen zu dieser Eurovision – jedoch ist bislang nur Israel regelmässig an den Start gegangen (und hat ihn auch viermal gewonnen) – der Libanon (2005) und Tunesien (1977) haben ihren Teilnahme-Antrag kurz zuvor wieder zurückgezogen. Vatikanstadt hat als einziges europäisches Mitglied der EBU noch nie am Wettbewerb teilgenommen – schade eigentlich. Das Fürstentum Liechten-stein übrigens hatte sich eine solche Mitgliedschaft schon mal durch den Kopf bzw. den Medienausschuss des Landes gehen lassen, dann jedoch abgelehnt.

Seit 1996 gibt es vier Fix-Setzungen für das Finale. Dies sind jene Staaten, die den grössten Batzen am Etat der EBU beisteuern: Deutsch-land, Frankreich, Grossbritannien und Spanien – etwas später stiess auch Italien in diese Gruppe vor – also erstmals fünf. Dies wurde deshalb eingerichtet, da der deutsche Beitrag 1996 nach einer internen Jury-Entscheidung nicht an den Start gehen konnte. Man wollte damit die finanzstarken Länder nicht für längere Dauer verlieren, da sie ja auch auf die Idee kommen könnten, ihre Beiträge zu senken!

Soweit so gut zur einen Seite der Medaille! Die andere Seite betrifft die zweite Hälfte des Namens: “…de la Chanson”. Die Sprache der Eurovision war einst französisch. Deshalb auch nicht verwunderlich, dass der Ausdruck “Chanson” verwendet wurde. Interessenshalber habe ich mal gegoogelt und bin auf Wikipedia fündig geworden. Unter Chanson wird ein “im französischen Kulturkreis verwurzeltes, liedhaftes, musikalisches Genre bezeichnet, das durch einen Sänger bzw. eine Sängerin sowie instrumentale Begleitung gekennzeichnet ist!” GRAWUMM – starker Tobak!!!

Haken wir vorerst die instrumentale Begleitung ab: Der EBU fehlt offenbar das Geld um ein Live-Orchester auf die Füsse zu stellen. Irgendwann in grauen Vorzeiten war alles “live” – heutzutage verläuft das Ganze über Halbplayback – somit müssen eigentlich auch nicht mal die Backing Vocals live gesungen werden! Der ehemalige hochangesehene Dirigent (Ausnahme war einst Stefan Raab) steht nicht mehr vor seinen Musikern, sondern legt nurmehr die Karaoke-CD ein!

Zum Liedgut (so benennt man doch das im Kulturkreis verwurzelte…). Mei lieber Schorli – wenn ich da so an die Schockrocker von Lordi aus Finnland denke, die 2006 mit “Hard Rock Hallelujah” gewonnen haben, oder an die Deutschen “Lord of the Lost” 2023 – da wird mir ja Angst und Bange vor einem Urlaub in deutschen oder finnischen Landen, wenn plötzlich beim Waldspaziergang einer dieser Ureinwohner hinter einem Baum hervorspringt…! Und das, obwohl ich bei der Eishockey-WM in Wien die finnischen Fans zu schätzen und lieben lernte!

Andererseits habe ich arge Bedenken zur Ausdruckweise der Deutschen, wenn ich mir Stefan Raabs “Wadde hadde dudde da” aus dem Jahr danach anhöre. Die anglophile Welt beschreibt es als “A kind of mixture of some different German dialects related to the German expression ‚Was hast Du denn da?’” Ich würde eher sagen, dass hier einige der ansonsten so wichtigen Lautverschiebungen voll in die Hose gegangen sind! Ähm – Österreich! Ich kann es mit absoluter Bestimmtheit zurückweisen, dass Alf Poier, der mit seinen Auftritten 2003 und 2005 die Alpenrepublik gleich zweimal vertreten hat, tief mit dem kulturellen Volksgut verwurzelt ist. Ausnahmen bestätigen natürlich immer die Regel (beim Einkaufs-wagerl-Fahren etwa!!!)! In diesem Falle nämlich muss ein Erwachsener daran zweifeln, dass der Zustand der Adoleszenz jemals mit Erfolg abgeschlossen wurde!

Doch sicher – damals hiess der “Grand Prix Eurovision de la Chanson” ja bereits “Song Contest”! Vorbei die Zeiten der Exklusivität – die Veranstaltung versinkt seither immer mehr im Morast des Alltäglichen! Grosse Siegertitel wurden in der Vergangenheit hervorgebracht: Lyss Assia mit “Refrain”, Sandie Shaw mit “Puppet on a string”, Abba mit “Waterloo”, Brotherhood of Man mit “Save your kisses for me” und nicht zuletzt auch Nicole für Deutschland mit “Ein bisschen Frieden” oder Udo Jürgens für Österreich mit “Merci Cherie”. Das sind Gassenhauer, die auch heute noch in den Radiostationen auf und ab gespielt werden. Mal ganz ehrlich: Können Sie mir sagen, wer vor Loreen vor zwei Jahren gewonnen hat? Das ukrainische Kalush Orchestra mit dem Song “Stefania” – ok, vielleicht haben Sie’s noch gewusst, doch 2021? Da sind selbst Menschen sprachlos, die tagtäglich mit Musik zu tun haben!

Mit der Wandlung vom “Grand Prix Eurovision de la Chanson” zum “Eurovision Song Contest” hielt auch die Popmusik Einzug. Dadurch bekam die populäre Musikszene eine weitere Möglichkeit, ihre Fliess-bandarbeit im Lichte der Scheinwerfer auszeichnen zu lassen. Neben den World Music Awards, den MTV-Europe Music Awards, den Brit-, den Swiss-, den German- und den Austrian Music Awards (um nur einige zu nennen), durchaus etwas Exklusives, oder was meinen Sie! Kein Hahn kräht inzwischen mehr nach dem Song Contest! Untermauert wird diese meine These etwa durch die Zuschauerquote bei “Ich will zum ESC” – einer Casting-Show mit fünf Folgen und dem Finale im NDR: 0,37 Mio – WOW! Ein Marktanteil von 1,9 % – bei den 14-49-jährigen gar nur 1,3 %. Dabei waren mit Rea Garvey und Conchita Wurst zwei selbst durchaus erfolgreiche Sänger als Coaches am Start. Oder bei Stefan Raabs “Unser Song für Deutschland” im Jahre 2011. Bei einer Quote von nur 1,8 Mio würde so mancher TV-Sender die Show sofort absetzen! Lena sollte mit aller Macht für die Titelverteidigung zum Heimspiel einlaufen! War es nicht jener Raab, der sich immer wieder über die Vormachtstellung des Duos Ralph Siegel/Bernd Meinunger beim “Grand Prix…” beschwert hat? Nun sagt derselbe Raab, dass es sich gezieme, dass der Sieger/die Siegerin des letzten Jahres den Titel verteidigen soll! Ist ja im Sport auch nicht anders. Und ganz Deutschland nickt – zustimmend! Lena schaffte es (naa no net!) mit dem Titel “Taken by a Stranger” wurde sie in Düsseldorf schliesslich nur Zehnte. Somit gelang eine erfolgreiche Titelverteidigung nur dem Iren Johnny Logan und der Schwedin Loreen! Allerdings beide um Jahre versetzt: Logan 1980 und 1987 bzw. 1992 als Komponist, Loreen 2012 und 2023.

Zurück zu Lena Meyer-Landrut: Die Nachfolgesongs zu “Satellite” liefen alle irgendwie nicht so, wie sie sollten. Tausende Karten für ihre Tour mussten verschenkt werden. Die neue CD “Loyal to myself” (seit vier Jahren wieder ein Lebenszeichen) erscheint am 31. Mai des Jahres – die vorab veröffentlichte erste Single-Auskoppelung des Title-Tracks ist nicht wirklich ein „Killer-Song“. Dafür der Ausschnitt in ihrem Kleidchen im Video dazu umso tiefer.

Oder die Österreicherin Conchita Wurst! 2014 gewann sie den ESC! Obgleich mit Dana International bereits 1998 eine Transgender-Frau den Sieg holte, wollte Europa auch 16 Jahre später wohl erneut ein Zeichen setzen, für einen offenen und vielfältig bunten Kontinent. Dass Conchita auch gut singen kann, hat sie schon als Mann (Thomas “Tom” Neuwirth) damals in der Casting-Show des ORF unter Beweis gestellt. Im Mai 2015 erschien das Debüt-Album “Conchita”, das zwar in Österreich Platin holte, sich auch in anderen Ländern recht gut hielt, in manchen allerdings gar nicht gut ankam. “From Vienna with Love” – ihr zweites Studio-Album – jedoch blieb grossteils unbeachtet. Tja – auch bei den Airplays Inter-national zog Conchita den kürzeren gegenüber den damals Zweit-platzierten: The Common Linnets mit “Calm after the storm”! Sehr interessant: Als ich gerade diesen Absatz abgeschlossen hatte, startete in dem von mir gleichzeitig gehörten Radiosender ausgerechnet dieser Song!

Apropos Zweitplatzierte! Unter diesen finden sich teils grosse Namen: 1968 etwa, als Cliff Richard als Rock’n’Roller zum Teenie-Schwarm wurde und wie zuvor die Beatles für viele Ohnmachtsanfälle bei seinen Konzerten verantwortlich zeichnete. Mit seinem auch heute noch gespielten “Congratulations” musste er sich dem Spanier Massiel mit “La, la,la” geschlagen geben – kennt heutzutage niemand mehr. 1972 erreichten die New Seekers mit “Beg, Steal or borrow” nur den zweiten Platz! Auch heute oftmals noch gespielt. Weniger hingegen der Siegertitel “Après toi” von Vicky Leandros. Katja Epstein brillierte 1980 mit “Theater” – ihr Pech: Die Sternstunde von Johnny Logan mit “What’s another Year”!

Zu einem anderen Problem des ESC: Immer öfter greifen die TV-Anstalten auf Werke internationaler Komponisten und Texter zurück. So stammt etwa der Siegertitel Lenas aus der Feder des Duos Julie Frost (USA) und John Gordon (Dänemark), die nicht mal wussten, dass ihr Titel bei einem solchen Award, der etwa Frau Frost gänzlichst unbekannt war, teilnahm (somit sind wir auch wieder bei der Verwurzelung im Kulturkreis! Oh Verzeihung – es ist ja der Song-Contest!!!. Da muss ich mir ernsthaft die Frage stellen: Gibt es in Deutschland denn niemanden adäquates, der die Zuschauer- und Musik-Fachwelt Europas und des Mittelmeerraumes präsentiert und gesagt werden kann: “Das ist das Beste, was wir haben – und nun messt Euch daran!” (Der olle schnöde Mammon ist hier wohl erneut zu wichtig!!!)

Die Alpenrepublik Österreich hat dasselbe Malheur! Hätte zu Zeiten des “Grand Prixs…” ein ehemaliger Slalom-Experte aus Kitzbühel zumindest noch die europäischen Frauenherzen ganz in weiss mit ebensolchen Pelzstiefeln entzückt, so hätten wohl die Fachleute weghören müssen. So mancher inzwischen nurmehr Vollplayback singende alpenländische Schlagerbarde trifft den Ton nurmehr mit Hilfe der Studiotechnik. Sicherlich gibt es auch hier Ausnahmen wie etwa Andi Borg oder Lolita (oh pardon – das ist ja auch schon wieder einige Jährchen her). Deshalb muss nun das Popmusik-Fliessband her. Und hier lohnt sich doch der Griff in die Vollen, denn wen juckt’s: In Österreich ist man inzwischen an einen Platz im hinteren Drittel des Starterfeldes gewohnt. Also – zur Retorte! Auch bekannt als “Starmania” (das aus vertragsrechtlichen Gründen in “Die grosse Chance” umgetauft wurde). Keine Frage – die meisten hiervon können singen, wurden jedoch aus markttechnischen Gründen nicht zum Sieger gekürt. Diese dürfen beim Song Contest nicht auftreten, erwartet sich doch die Plattenfirma einen supertollen Verkauf der CDs bzw. noch bessere Download-Zahlen durch die Kiddies. Bei einem Platz “unter ferner liefen” will auch der heimische Konsument eigentlich nichts mehr vom Interpreten wissen – er ist out! Also wird auf Platz zwei oder drei oder… zurückgegriffen. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Lukas Plöchl in Lederhosen gekleidet einen Mühlviertler Bauernrap in Malmö präsentieren soll – sorry – hier endet mein Musikgeschmack. Oder Alkbottle melden sich lautstark mit „Wir san do net zum Spass“ in gewohnt dreckiger Rockmanier zu Wort – äh Gesang!

Heuer am Start: Für Deutschland der durch auch die ARD-Seher ermittelte Isaak (“Always on the run”), die Österreicherin Kaleen mit “We will Rave” wurde ohne Zuschauerbeteiligung durch den ORF ermittelt, die Schweiz mit Nemo und “The Code” ist ebenso weiter – dieser war aber auch unter Beteiligung der SRF-Zuseher ausgewählt worden! Egal, wer auch immer Deutschland oder Österreich vertreten wird: Ich mache auch heuer wieder einen riesengrossen Bogen um eine Song-Contest-Fete! Lieber hole ich eine Kiste alter MAD-Heftchen aus dem Keller und ziehe mir diese die drei bis vier Stunden lang rein! Mit Musik nämlich, haben in den letzten Jahren sehr viele der Teilnehmer-Nummern nichts mehr zu tun gehabt – Ausnahmen wie Loreen bestätigen die Regel. Und dann will man es sich ja auch mit dem Nachbarn nicht verscherzen, also gehen die Twelve Points an den angrenzenden Staat, auch wenn der Beitrag unter aller Kritik war. Dies betreiben per anno vornehmlich die Staaten des ehemaligen Ostblocks in Perfektion! Obgleich heuer viele fehlen – das wird man wohl merken: Russland und Belarus, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Ungarn (seit 2019), …!

Nach einem kurzen Schnelldurchlauf musste ich zudem feststellen, dass es auch im Jahr 2024 zu einer Freak-Show kommen wird, bei der (unter Bedachtnahme des Kulturkreises) manches Mal durchaus von einer “musikalischen Flatulenz” gesprochen werden kann, obgleich auch hier sehr viel Potenzial vorhanden wäre. Aussergewöhnlich: Schweden liess dieses Jahr mit “Pedestal” von Aiko zu wünschen übrig, auch Irland lieferte mit “Doomsday Blue” von Bambie Thug etwas undefinierbares ab. Grossbritannien – nun – sie haben schon besseres geliefert als Olly Alexander mit “Dizzy”, wie auch Italien mit Angelina Mango und “La noia”! Auch bei Spanien wird bei Nebulossa und “Zorra” der Griff in den Schritt der beiden – sagen wir mal so – eigentümlich gekleideten Tänzer nicht ausreichen. Mir durchaus gefallen haben: Sarah Bonnici mit “Loop” für Malta, Saba mit “Sand” für Dänemark, Eden Golan mit dem Ersatz-Ersatz-Titel (die ersten beiden wurden wegen politischer Andeutungen von der EBU nicht zugelassen) “Hurricane” für Israel, Teya Doran für Serbien mit “Ramonda”. Das grösste musikalische Event Europas, bei dem die Musik immer mehr in den Hintergrund geschoben wird!

Nein, dafür ist mir meine Zeit ganz eindeutig zu schade, denn Lachen kann ich beim Lesen der MAD-Heftchen herzlicher und befreiender!!!

PS: Wünsche trotzdem den Startern (wem auch immer – mir wurscht!!!) alles Gute!!!

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