Europa wählt – “Nutze Deine Stimme, sonst entscheiden andere für Dich!“

Soweit der Slogan des Europaparlaments zur diesjährigen EU-Wahl zwischen dem 06. und 09. Juni 2024. Durchaus richtig, liegt doch hierzu-lande traditionell die Wahlbeteiligung bei etwa 35 %. Gesamteuropäisch waren die letzen Wahlen ein Ausreisser: Immerhin gingen 2019 über 50 % der Wahlberechtigten europaweit zur Urne – soviel wie seit 20 Jahren nicht mehr. Wer also nicht wählen geht, hat seine Chance vertan, etwas verändern zu wollen und auch zu können! Zur Erklärung: Je niedriger die Wahlquote ist, desto mehr kommt dies den linken und rechten Rändern des politischen Spektrums zugute, die ihre Wähler zu mobilisieren wissen und ihr Wahlprogramm bzw. ihre Gesinnung danach gnadenlos umzu-setzen wissen. Da helfen dann auch keine Demonstrationen mehr – das haben die nationalen Wahlen in vielen der 27 Mitgliedsstaaten der EU bereits mehrfach aufgezeigt. Auch Protestwählen ist insofern sinnlos, sitzen doch dann einzelne Abgeordnete im Europaparlament, die ohne Zugehörigkeit zu einem der Blöcke/Bündnisse nichts ausrichten können. Zur Bildung einer Fraktion sind mindestens 23 Abgeordnete vonnöten, in welcher jeweils wenigstens ein Viertel der Mitgliedsstaaten vertreten sein müssen. Einzelne Abgeordnete zählen somit als fraktionslos – sie können sich Entscheidungen nur anschliessen oder dagegen voten. Deshalb ist es auch wichtig, sich die Programme der wahlwerbenden Parteien im Vorfeld anzuschauen und mitzubestimmen, wie sich das Europa in den nächsten fünf Jahren der kommenden Legislaturperiode entwickeln wird. In diesem Blog möchte ich deshalb die Aufgaben des EU-Parlaments vorstellen und einen Einblick in die Vorgänge in Brüssel und Strassburg gewähren.

Das EU-Parlament ist das offizielle Parlament der Europäischen Union (Art. 14 EU-Vertrag). Stammsitz ist Strassburg. Bisher zählte es 705 Abgeordnete, heuer kommen 15 neue dazu. Die Zahl der Abgeordneten wird proportional zur Einwohnerzahl jedes Mitgliedsstaates errechnet – Deutschland (als grösstes Mitgliedsland) verfügt etwa über 96, Österreich über 19 Volksvertreter. Sie werden direkt gewählt – übrigens die einzige Möglichkeit für Herrn Müller und Frau Warlitschek direkt eingreifen zu können. Die ersten Direktwahlen fanden erst 1979 statt, obgleich das EU-Parlament schon seit 1952 (damals noch als „Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“) bestand. Alle anderen Organe werden nur indirekt gewählt! So auch die Präsi-dentschaft, die bei der konstituierenden Sitzung des EU-Parlaments durch die Abgeordneten heuer im Juli bestimmt wird. Derzeitige Präsi-dentin ist Roberta Metsola aus Malta. Wie in den meisten nationalen Parlamenten erfolgt ein Grossteil der Arbeit in den 27 Ausschüssen – während der Plenarsitzungen wird nurmehr entschieden. Zwar gibt es im EP keinen Fraktionszwang – allerdings voten die meisten entsprechend der Vorgabe der Fraktion. Soll heissen, dass sich die Abgeordneten nach der Meinung des Blocks entscheiden, dem sie angehören.

Diese Blöcke sind:

  • Fraktion der Europäischen Volkspartei/Christdemokraten (EVP)
  • Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten
  • Renew Europe Group
  • Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz (EFA)
  • Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer
  • Fraktion Identität und Demokratie (ID)
  • Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament (GUE/NGL)

Die Webseiten sind im Anschluss an den Blog angeführt – dort finden Sie zumeist auch das Wahlprogramm der Fraktionen. Die deutsche AfD gehörte zuletzt der Fraktion ID an, wurde von dieser jedoch ausge-schlossen und muss sich nun einen neuen Bündnispartner suchen, ansonsten sitzen die gewählten Abgeordneten als Fraktionslose im Parla-ment.

Am Beispiel Deutschlands:

.) CDU/CSU 30 Abgeordnete – Spitzenkandidaten Ursula von der Leyen/Manfred Weber

.) Bündnis 90/Die Grünen 25 Abgeordnete – Spitzenkandidatin Terry Reintke

.) SPD 16 Abgeordnete – Spitzenkandidatin Katarina Barley

.) AfD 9 Abgeordnete – Spitzenkandidat Maximilian Krah

.) Die Linke 5 Abgeordnete – Spitzenkandidaten Karola Rackete und Martin Schirdewan

.) FDP 2 Abgeordnete – Spitzenkandidat Marie-Agnes Strack-Zimmer-mann

.) Freie Wähler 2 Abgeordnete – Spitzenkandidat Christine Singer

.) Fraktionslos 3 Abgeordnete

Die FDP und Die Freien Wähler gehören der Fraktion „Renew Europe“ an, die AfD bislang der ID! Alle anderen Spitzenkandidaten, wie etwa Fabio De Masi und Thomas Geisel (Bündnis Sahra Wagenknecht) oder Manuela Ripa (Ökologisch-Demokratische Partei) waren möglicherweise bereits als Abgeordnete anderer Parteien vertreten, kandidieren heuer aber erstmals für ihre neue Partei.

In Österreich:

.) ÖVP 7 Abgeordnete – Spitzenkandidat Reinhold Lopatka

.) SPÖ 5 Abgeordnete – Spitzenkandidat Andreas Schieder

.) FPÖ 3 Abgeordnete – Spitzenkandidat Harald Vilimsky

.) Grüne 3 Abgeordnete – Spitzenkandidatin Lena Schilling

.) NEOs 1 Abgeordneter – Spitzenkandidat Helmut Brandstätter

Die beiden anderen Spitzenkandidaten Günther Hopfgartner (KPÖ) und Maria Hubmer-Mogg (DNA) sind mit ihren Parteien bislang nicht vertreten gewesen. Die FPÖ gehört zur ID, der NEOs-Vertreter zur Renew.

Die drei zentralen Aufgaben des Europäischen Parlaments sind rasch erklärt:

  • Gesetzgebung Die Vorschläge der EU-Kommission für neue Gesetze werden gemeinsam mit den jeweiligen Fachministern (Rat der EU) verabschiedet. Letztes Beispiel, wie das Parlament gegen die Kommission entscheiden kann, war das Lieferkettengesetz. Die Prüfung solcher Gesetzesvorschläge und auch die Diskussion darüber erfolgt zumeist in den Ausschüssen.
  • Kontrolle der EU-Organe
  • EU-Haushalt Der Haushalt wird gemeinsam mit den Fachministern (Rat der EU) aufgestellt – Ausgaben für die unterschiedlichen Politik-Bereiche werden ebenfalls hier entschieden. Zuletzt etwa auch +ber die 50 Milliarden Euro, welche die Ukraine als Hilfeleistung erhalten soll.

Ausserdem entscheidet das EU-Parlament mit über die Aufnahme neuer möglicher Mitgliedsstaaten und wählt auf Vorschlag der Kommission auch den Präsidenten der Kommission. Zudem muss jedem einzelnen Kandidaten des Kollegiums der Kommission zugestimmt werden.

Sie sehen also, dass das EU-Parlament durchaus eine Existenz-berechtigung hat und entscheidend zum Erscheinungsbild der EU beiträgt. Nahezu alle Entscheidungen der Kommission, so sinnvoll oder unnütz sie auch sein mögen, sind durch das EP mitentschieden worden.

Deshalb zuletzt meine Bitte:

Gehen Sie am 09. Juni zur Wahl! Ihnen obliegt es, ob Europa auch weiterhin demokratisch frei (Meinungs- und Pressefreiheit, ohne Grenzen), rechtsstaatlich (Gewaltenteilung etwa) und friedlich regiert wird, oder ob die Autokratie wieder Einzug hält, mit Einschränkungen und defacto Abschaffungen, Landesgrenzen, Konflikten der einzelnen Staaten untereinander etc. Dann wäre die gesamte Arbeit unserer Eltern und Grosseltern seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sinnlos gewesen.

Vielen Dank – von Herzen!

Lesetipps:

.) Das Europäische Parlament. Institution, Vision und Wirklichkeit; D. Dialer, H. Neisser, E. Lichtenberger; University Press 2010

.) Griff nach den Sternen. Die Geschichte der Europäischen Union, Christoph Driessen; Verlag Friedrich Pustet 2024

.) Das Europäische Parlament und seine Funktionen. Eine Erfolgs-geschichte aus der Perspektive von Abgeordneten; Stephan Dreischer; Nomos 2006

.) Kürschners Handbuch Europäisches Parlament, Hrsg.: Andreas Holzapfel; NDV Neue Darmstädter Verlagsanstalt 2019

.) Das Europäische Parlament. Supranationalität, Repräsentation und Legitimation; Andreas Maurer/Dietmar Nickel; Nomos 2005

.) The European Parliament; R. Corbett, F. Jacobs, M. Shackleton; John Harper Publishing 2011

.) Democratic Politics in the European Parliament; S. Hix, A. Noury, G. Roland; Cambridge University Press 2007

Links:

elections.europa.eu/de/

www.europarl.europa.eu/portal/de

the-president.europarl.europa.eu/en/

www.europarl.europa.eu/about-parliament/de/organisation-and-rules/organisation/political-groups

www.europarl.europa.eu/meps/de/home

www.europarl.europa.eu/committees/de/home

www.europarl.europa.eu/delegations/en/home

www.eppgroup.eu/

www.socialistsanddemocrats.eu/de

www.reneweuropegroup.eu/

www.greens-efa.eu/de/

ecrgroup.eu/

de.idgroup.eu/

left.eu/

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