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Sport steigert die Hirnleistung

Als ich noch jeden Tag meine 12 Kilometer runterspulte, dachte ich während des Laufens zumeist an gar nichts, fühlte mich jedoch danach auch geistig fit wie ein Turnschuh. Zurecht, gilt es inzwischen als erwiesen, daß sich Sport sehr positiv auf die Leistungen unseres Gehirns auswirkt. Vielleicht mit Ausnahme des Boxens oder zu vieler Kopfbälle! Neueste Studien haben gar ergeben, daß die körperliche Betätigung (insbesondere das Ausdauer- oder Cardiotraining) gegen Demenz schützen kann indem das sehr komplexe Zusammenspiel hämo-dynamischer, neurohumoraler und neurometabolischer Veränderungen positiv beeinflusst wird, wodurch das Gehirn plastischer, adaptiver und effizienter wird (siehe hierzu die SMART-Studie der Goethe- Universität Frankfurt zur Cholinkonzentration im Gehirn). Sehr schlechte Nachrichten also für Couch-Potatoes – doch die haben das soeben gelesene ohnedies bereits schon wieder vergessen.
Die beiden Mediziner Hans-Jürgen Grabe und Katharina Mittfeld von der Universität Greifswald entdeckten bei Ihren Versuchen, je besser die körperliche Fitness ist, desto grösser war das Hirnvolumen der von Ihnen untersuchten Studienteilnehmer. Alsdann kann daraus geschlossen werden, daß in einem sportlich durchtrainierten Körper der altersbedingte Abbau der Hirnmasse verlangsamt wird. Das Gehirn ist also gesünder! Insgesamt untersuchten sie nicht weniger als 2.103 Personen zwischen 21 und 84 Jahren. Bei diesen wurde zuerst die maximale Sauerstoff-aufnahme pro Minute unter Höchstbelastung gemessen (Fahrradergo-meter). Dies gab Auskunft über die Fitness der Probanden. Daneben wurde mit Hilfe der Magnetresonanztomographie die Grösse des Gehirns sowie der grauen und weißen Hirnsubstanz im Speziellen gemessen. Die graue Substanz enthält die Axone der Nervenzellen, also ihre Zellkörper, während die Neuriten und Dendriten, also die Zellfortsätze, in der weißen Substanz zu finden sind. Experten nun schließen daraus, daß in einem sportlichen Körper mit häufiger körperlicher Höchstbelastung nicht nur der Körper von der vermehrten Sauerstoffaufnahme profitiert, sondern auch das Gehirn. Zudem erhält es bei besserer Durchblutung mehr Energiestoffe mitgeliefert. Allerdings ist diese These noch nicht wissen-schaftlich untermauert. Interessant jedoch scheint in diesem Zusammen-hang das Wandeln der Philosophen im Altertum. Egal ob Sokrates oder Aristoteles bei den Griechen, Seneca bzw. Cicero bei den Römern: Sie philosophierten zumeist im Gehen, da sie der Überzeugung waren, die Bewegung halte die Gedanken im Fluss! Diese Meinung vertritt alsdann Jennifer Raymond von der kalifornischen Stanford University: Menschen, die ein Problem zu lösen haben oder angestrengt nachdenken müssen, erledigen dies zumeist im Gehen.
Etwas genauer wird der Zusammenhang an der Sporthochschule in Köln erforscht. Stefan Schneider vom Institut für Bewegungs- und Neuro-wissenschaft erklärt dieses Phänomen wie folgt: Bei körperlicher Bewegung wird im Gehirn der motorische Kortex aktiviert, während gleichzeitig der präfrontale Kortex (ein Teil des Frontallappens der Grosshirnrinde) heruntergefahren wird. Ersterer steuert und koordiniert die Bewegungsabläufe im Körper, während zweiterer für das logische Denken und Planen zuständig ist.

„Man kann sich das wie bei einem Reset eines Computers vorstellen, dessen Arbeitsspeicher überlastet ist!“
(Apl-Prof. Dr. Dr. Stefan Schneider , DSHS Köln)

Danach läuft nicht nur der PC wieder besser, sondern auch das menschliche Gehirn. Für seine Untersuchungen verwendete Schneider EEG-Messgeräte und Infrarot-Sensoren, um durch diese Gehirnströme und die Durchblutung des Gehirns festzustellen. Diese These wird alsdann von Arne Dietrich von der American University of Beirut bestätigt.
Depressionsforscher (etwa der Jacobs University Bremen) gehen gar noch einen Schritt weiter, indem sie dem Sport eine ähnliche Wirkung zuschreiben wie den Antidepressiva. Sie entdeckten bei Patienten mit einer rezidivierenden Depression (F33), also wiederholten depressiven Schüben, einen starken Gewebeschwund (Atrophie) spezieller Hirn-strukturen im Hippocampus und dem präfrontalen dorsolateralen Kortex. Zurückgeführt wird dies auf die Abnahme von Nervenwachstumsfaktoren (Neurotrophine wie das Eiweiß BDNF) und damit auch der neuronalen Konnektivität („Neurotrophin-Hypothese“). Derartige Neurotrophine sorgen für neue Verbindungen zwischen bestehenden Nervenzellen. Auslöser für einen Rückgang ist zumeist negativer Stress. Sport bzw. Bewegung ganz allgemein bauen ein erhöhtes Stressniveau ab und führen zu einer Zunahme von Neurotrophinen. Bei Probanden mit einem hohen BDNF-Gehalt im Blut ist der Hippocampus wesentlich grösser. Diese Neurotrophin-Hypothese bestätigte etwa der Psychologe Kirk Erickson von der University of Pittsburgh im Jahre 2010, der ebenfalls die Grösse des Hippocampus mit Hilfe eines Kernspintomographen gemessen hatte. Aus diesem Grunde wird immer mehr die Bewegung in die Depressions-therapie eingebaut.
Allerdings – und damit wieder zurück zum Sport-Neurologen Schneider aus Köln – muss die Sportart Spass machen und die Belastungsintensität direkt auf die jeweilige Person abgestimmt sein. Dauert beispielsweise eine starke Ausdauerbelastung über mehr als ein bis zwei Stunden an, können sich durch das Anschwellen der Vorhöfe und der rechten Herzkammer im Herzmuskel feine Risse bilden. Schliesslich pumpt das Herz bei starker Belastung bis zu siebenmal mehr Blut durch den Körper als im Ruhezustand. Wird dem Körper nun keine Ruhephase gegönnt, damit diese Risse selbst ausheilen können, so kommt es durch Gewebeschäden und Verhärtungen zu einem chronischen Herzleiden, das mit Herzrhythmusstörungen bzw. dem plötzlichen Herztod enden kann. Deshalb sind zumeist 30-40 Minuten Ausdauersport vollends aus-reichend. Die Studienteilnehmer Schneiders konnten sich bis zu 30 Minuten nach dem Sport wesentlich besser konzentrieren. Schneider selbst meint gar, bei ihm wirke dies noch mehrere Stunden nach.
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten die Experten der Universität Ulm rund um die Neurowissenschaftlerin Sanna Stroth. Sie testeten 80 Personen im Alter von 17 bis 47 auf deren Konzentrationsfähigkeit, das Gedächtnis sowie das räumliche Vorstellungsvermögen. Die Test-Gruppe musste über vier Monate hinweg jeweils dreimal die Woche Ausdauer-sport, die Kontroll-Gruppe keinen Sport betreiben. Während sich der Sport nicht auf das Gedächtnis auswirkte, zeigte die Sportgruppe jedoch deutliche Verbesserungen in den beiden anderen Untersuchungs-bereichen. Die Studienleiter erklären sich dies einerseits mit der Reset-Theorie Schneiders, andererseits jedoch mit dem menschlichen Hormon-haushalt. Ständige Bewegung verlangsame den Abbau des Botenstoffes Dopamin, der für entscheidende Prozesse im präfrontalen Kortex benötigt wird Zudem gilt Dopamin als Stimmungsaufheller („Glücks-hormon“). Sinkt der Dopamin-Spiegel, so lassen viele geistige Fähigkeiten nach – etwa die Konzentration oder die Aufmerksamkeit. Allerdings ist diese Dopamin-These ebenso noch nicht wissenschaftlich bestätigt worden. Eine Studie der Colombia University New York gelangte hingegen zum selben Ergebnis.
Sport ist somit nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist durchaus gesund. Allerdings neigt der Mensch zum „Delay discounting“, also dem Abwerten zeitlich verzögerter Belohnungen. Soll heissen, wir ziehen kurzzeitige Genüsse den längerfristigen vor – der innere Schweinehund gehört dazu! Für das Planen und abstrakte Denken ist der präfrontale Kortex zuständig, für die kurzzeitigen Genüsse hingegen das limbische System. Gewinnt stets das limbische System, so werden diese Denkmuster zur Gewohnheit. Hier herauszukommen kostet weitaus mehr Energie und Überwindung. Wer also regelmässig Sport betreibt, wird nicht nach den unterschiedlichsten Ausreden suchen, die nächste Laufrunde auszulassen. Deshalb ist es auch dermaßen wichtig, dass die gewählte Sportart Freude bereitet. Denn: Spass macht, was unsere Bedürfnisse befriedigt! Ein immens wichtiger Teil der Sportpsychologie – das erspart Ihnen den Kauf vieler teurer Ratgeber!.

„Oft reicht es schon, sich selbst eine Backpfeife zu verpassen oder ‚Los jetzt!‘ zu rufen, um sich zu aktivieren.“
(Jens Kleinert, Sportpsychologe an der DSHS)

Lesetipps:

.) Die Veränderung psychischer Zustände, Stimmungen und Dispositionen durch sportliche Aktivität; M. Gomer; Verlag Harri Deutsch 1995
.) Effects of aerobic exercise on brain metabolism and grey matter volume in older adults: results of the randomised controlled SMART trial; Matura S/ Fleckenstein J/Deichmann R/Engeroff T/Fuzeki E/Hattingen E et al; Transl Psychiatry 2017
.) Cardiovascular fitness, cortical-plasticity, and aging; Colcombe SJ/Kramer AF/Erickson KI/Scalf P/McAuley E/Cohen NJ et al; Proc Natl Acad Sci USA 2004
.) Exercise training increases size of hippocampus and improves memory; Erickson KI/Voss MW/Prakash RS/Basak C/Szabo A/Chaddock L et al; Proc Natl Acad Sci USA 2011
.) SMART: physical activity and cerebral metabolism in older people: study protocol for a randomised controlled trial; Fleckenstein J/Matura S/Engeroff T/Fuzeki E/Tesky VA/Pilatus U et al; Trials 2015
.) Comparison of the peak exercise response measured by the ramp and 1-min step cycle exercise protocols in patients with exertional dyspnea; Revill SM/Beck KE/Morgan MD; Chest 2002
.) Auswirkungen des Sporttreibens auf Selbstkonzept und psychisches Wohlbefinden; Metzenthin, S./Tischhauser, K.; Gesellschaft zur Förderung der Sportwissenschaften an der ETH Zürich 1996
.) Einführung in die Sportpsychologie; Hrsg.: H. Gabler/J.R. Nitsch/R. Singer; Hofmann 2004
.) Handbuch Gesundheitssport (2. vollst. neu bearb. Aufl.); Jtsg.: K. Bös & W. Brehm; Hof mann 2007
.) Physical activity and psychological well-being; Hrsg.: Boutcher; Routledge. Thelwell, R.C., Lane, A.M., & Weston 2007
.) Training in der Therapie. Grundlagen und Praxis (3. Aufl.); I. Froböse/G. Nellessen-Martens/C. Wilke; Urban & Fischer 2005
.) Zum Stellenwert von Sport in der Behandlung psychischer Erkrankungen; Broocks, A./Meyer, T./George, A./Pekrun, G./Hillmer-Vogel, U./Hajak, G./Bandelow, B./Rüther, E.; Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1997

Links:

– www.uni-frankfurt.de
– www.uni-greifswald.de
– www.stanford.edu
– www.dshs-koeln.de
– www.aub.edu.lb
– www.uni-ulm.de
– www.columbia.edu

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