Archive for März, 2022

Von Putins Gnaden

„Ich weiß nicht, wie ich leben soll!“
(Michail Fridman, milliardenschwerer russischer Oligarch)

In den letzten Wochen war immer wieder von ihnen zu hören, doch lieben die meisten derer die Verborgenheit – vor allem ausserhalb Russlands: Die Oligarchen! Viele hierzulande kennen zwar den Ausdruck, wissen jedoch nicht viel damit anzufangen – ausser, dass er mit verdammt viel Geld behaftet ist! Auch über die Hintergründe dieser reichsten und mächtigsten Männer Russlands ist meist nur wenig bekannt. Hier möchte ich heute ansetzen und etwas Aufklärungsarbeit leisten.
In der westlichen Hemisphäre werden sie mit den beiden Wörtern „Finanztycoon“ oder „Wirtschaftsmagnat“ umschrieben, die reichen Industriebosse und Finanzspekulanten. Da tauchen stets Namen wie Bezos, Musk, Gates, Bloomberg, Buffet, Fink, etc. auf. Während sich viele beim Flaschensammeln Gedanken darüber machen müssen, wie sie diese Woche überleben sollen, verdienen derartige Grossindustriellen und Geldspezialisten in nur einer Sekunde mehr als viele andere in einem ganzen Monat. Im Reich Putins heisst diese ganz spezielle Spezies „Oligarch“. Sie gehen im Kreml ein und aus – ohne ihre Beteiligung läuft in der russischen Wirtschaft nichts mehr! Eine Mannschaft auf der obersten Sprosse der Leiter, die hochkarätiger nicht sein kann. Die beiden wohl bekanntesten unter ihnen dürften Roman Abramowitsch und Oleg Deripaska sein – doch entstammen sie nur dem Mittelfeld. Dennoch wird in diesen Reihen nach der Invasion Russlands in der Ukraine kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Die russische Wirtschaft liegt am Boden, Staatsanleihen haben nurmehr Ramsch-Wert, der Rubel verliert täglich an Wert, die Vermögen im Ausland sind gesperrt! Ja – dieser von Putin veranlasste Krieg, gerne als „kleiner Konflikt“ bezeichnet und seine krankhafte Sucht auf angebliche Nazijagd wird in diesen Kreisen den einen oder anderen Kopf kosten. Auch wenn die meisten unter ihnen ihr Vermögen mit Gas oder Öl aufbauten, auf das der Westen alsdann weiterhin angewiesen sein wird. Doch wer sind diese Menschen, die den Despoten bei der Jagd begleiten, ihn in seinem Schloss besuchen und bei Sportveranstaltungen direkt neben ihm sitzen dürfen? Allerdings von ihm auch sehr rasch durch Verstaatlichung enterbt, mundtot gemacht und noch bestenfalls des Landes verwiesen werden können. Gegen diese Superreiche wurden die ersten Sanktionen verhängt, sie verlieren jeden Tag zig Millionen ihres Vermögens – es sind die mächtigsten Männer aus Wirtschaft und Finanz an Putin’s Seite und vor allem: Mit dessen Segen! Allerdings zählen nicht alle zum „Silowiki“, dem engsten Machtzirkel des russischen Präsidenten.

Igor Sechin („Darth Vader“)
Sechin scheint zwar nicht in den vorderen Plätzen der Forbes-Liste der reichsten Russen auf, doch soll dies nicht von seiner Macht ablenken. Er gilt seit seiner Zeit als dessen Privatsekretär in den 1990er Jahren als engster Vertrauter des Staatspräsidenten. Seine Sporen verdiente er sich mit der Zerschlagung des Yukos-Erdöl-Konzerns, das der damalige Oligarch Michail Chodorkowski (mehr zu ihm später) leitete. Es glich einer Verstaatlichung der Aktiengesellschaft zugunsten des angeschlagenen staatlichen Konzerns Rosneft. Sechin war damals stellvertretender Leiter der Präsidialadministration. Nach einem kurzen Intermezzo als Präsidentenberater wurde er am 27. Juli 2004 zum Vorstands-vorsitzenden von Rosneft. Im April 2011 forderte Präsident Medwedew Sechin zum Rücktritt auf, bis zum 21. Mai 2012 übte er in Putin’s Kabinett die Funktion des stellvertretenden Ministerpräsidenten der Russischen Föderation aus. Am 22. Mai 2012 berief Putin seinen Gefolgsmann erneut in die Vorstandsebene des verstaatlichten Erdöl-konzerns. Anno 2016 zeichnete er verantwortlich für die Verhaftung von Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew. Damit Sechin jedoch seinem Förderer nicht zu mächtig werden sollte, machte Putin den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Sechin steht seit der Annexion der Krim 2014 auf der Sanktionsliste, sein Sohn Ivan folgte nun mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Sechins Jahreseinkommen lag einst bei 50 Mio US-Dollar Forbes 2013). Seine 1.229 qm grosse, fünfstöckige Wohnung in Moskau dürfte einen geschätzten Marktwert von 26,3 Mio Euro aufweisen. Anfang März beschlagnahmte der französische Zoll in La Ciotat die Luxus-Yacht Amore Vero, die einem Unternehmen gehöre, in dem Sechin Gross-aktionär ist. Sie war dort zur Reparatur, wurde jedoch eilendst reisefertig gemacht, obgleich die Arbeiten noch gar nicht beendet waren. Kurz danach beschlagnahmten die spanischen Behörden in Tarragona die 135 m lange Mega-Yacht Crescent (Wert: 600 Mio Dollar), die Igor Sechin gehören könnte. Sie segelt unter der Flagge der Kaimaninseln. Auch bei seinem relativ guten Gehalt kann sich der 1960 in Leningrad (heute St. Petersburg) Geborene einen solchen hohen Lebensstandard eigentlich gar nicht leisten! Sechin zählt zum Silowiki – er dürfte nach Einschätzung von Experten direkten Einfluss auf Putin’sche Entscheidungen haben.

Sergei Borissowitsch Iwanow
Auch Iwanow wurde in Leningrad geboren – am 31. Januar 1953. Nach seinem Studium (Englisch und Schwedisch) wurde er durch den KGB angeworben. Dort war er für die Gegenspionage zuständig. In dieser Funktion lernte er Wladimir Putin kennen. Dieser holte Sergei dann auch 1998 als Direktorsstellvertreter zum Inlandsgeheimdienst FSB. Von 2001 bis 2007 leitete er das Verteidigungsministerium, danach bekleidete er die Funktion des 1. Stellvertretenden Ministerpräsidenten. Von 2011 bis 2016 schliesslich stand er der russischen Präsidialverwaltung vor. Iwanow galt lange Zeit als aussichtsreichster Nachfolger seines Förderers. Im Jahr 2016 soll er selbst um seine Amtsenthebung gebeten haben, er wurde Sonderbeauftragter für Naturschutz und Transport. Mit der Annexion der Krim wurde Iwanow von den USA auf die Sanktionsliste gestellt. Als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates gehört er zum Silowiki. Mit der Invasion in der Ukraine wurde nun auch sein Sohn, Sergej Iwanow jun., auf die Sanktionsliste gehoben. Der hat eine steile Karriereleiter vorzuweisen: Gazprom, Gazprombank (Vizechef), Landwirtschaftsbank Rosselchosbank (Aufsichtsratsvorsitzender), Versicherungsgesellschaft Sogas (Vorstandsvorsitzender), stv. Vorstandsvorsitzender der Sberbank und 2018 schliesslich Vorstand von Alrosa, einem der weltweit grössten Diamentenproduzenten. Daneben jeweils einen Vorstandssessel bei Rosneft, mehreren Tochterunternehmen der Sberbank sowie beim Rentenfonds Gasfonds.

Alexander Wassiljewitsch Bortnikow
Unter Staatspräsident Medwedew wurde im Jahr 2008 der Armeegeneral Bortnikow Leiter des Inlandsgeheimdienstes FSB. Im Dezember des Jahres 2017 erregte er international die Gemüter, als er in einer Rede auf dem Parteitag die Stalinschen Säuberungen von 1930-1940 rechtfertigte. Der General soll an den Planungen der Ukraine-Invasion beteiligt gewesen sein. Der ukrainische Geheimdienst berichtet ganz offen von etwaigen Putschplänen gegen Putin, wobei auch der Name des Generals als möglicher Nachfolger angeführt wird. Ob dadurch ein gefährlicher Gegner abgesägt werden soll oder die Berichte auf Tatsachen beruhen, sei vorerst dahingestellt. Bortnikow wurde 2014 auf die Sanktionsliste gesetzt. Nach dem Giftanschlag auf den Oppositionellen Nawalny 2020 wurden diese Massnahmen verschärft. Jetzt hat es auch seinen Sohn Denis getroffen. Seine Bankenkarriere wurde durch den Aufstieg seines Vaters richtiggehend pulverisiert. Derzeit ist er stellvertretender Vorstand in der zweigrössten Bank Russlands, der VTB.

Kirill Schamalow
Papa hat’s gerichtet – was denn sonst! Nikolai Schamalow gründete gemeinsam mit Putin die Datschenkooperative „Osero“ bei St. Petersburg. Er zählt zum Silowiki, die Mitglieder von Osero sind in den meisten hohen Polit- und Wirtschafts-Ämtern zu finden. Schamalow verfügt auch über Anteile an Rossija, einer Privatbank, die unter Putin in ungeahnte Höhen aufstieg. So kaufte sie 2004 das Versicherungsunternehmen Sogas, das inzwischen den Pensionsfonds Gazfonds managt. 2005 wurde Sohn Juri Schamalow Präsident des Fonds. Sohn Kirill soll gar 2013 Putins Tochter Jekaterina Tichomirowa geehelicht haben. Kurz zuvor wurde dieser Vizepräsident des Chemieunternehmens Sibur und erhielt sozusagen als Hochzeitsgeschenk eine Apanage in der Höhe von 4,3 % Aktien des Betriebes. Diese musste er nach dem Ende der Beziehung zwar wieder zurückgeben. Allerdings blieb er offenbar seinem Schwiegervater treu. Mittels Kredit der Gazprombank erwarb er weitere 17 % vom Oligarchen Timchenko – die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg vermutet jedoch, dass er dies nur offiziell, stellvertretend abgewickelt hatte. Er ist nach wie vor Vizepräsident des Unternehmens und wird in der Forbes-Liste mit einem Vermögen von 800 Mio Dollar geführt.

Gennadi Nikolajewitsch Timchenko
Forbes führt den 69-jährigen auf Platz 9 in der russischen Milliardärsliste (Platz 78 weltweit). Sein Vermögen wird auf über 12,7 Milliarden Dollar geschätzt. Die USA sanktionierten den russisch-finnischen Oligarchen bereits 2014. Damals musste er seine Anteile am Rohstoffhandels-unternehmen Gunvor mit Sitz auf Zypern verkaufen. Allerdings besitzt er ein grosses Aktienpaket am Gasunternehmen Novatek (20,77 %), das er über seine luxemburgische Holding Volga Group erworben hatte. Die EU und Grossbritannien haben Timchenko mit dem Einmarsch in der Ukraine auf die schwarze Liste gesetzt, sein Vermögen in London eingefroren. Italienische Behörden beschlagnahmten in diesem Frühjahr seine Yacht „Lena“ in San Remo. Der Milliardär traf den Despoten im Jahr 1990. Seither gilt er als Weggefährte und enger Freund Putins. Timchenko handelte bereits Anfang der 90er Jahre mit Öl. Hierfür erhielt er vom damaligen Vizebürgermeister von St. Petersburg, Wladimir Putin, Zugriff auf den Ölterminal der Stadt. Dabei profitierte er stark von der Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos. 2007 gründete er gemeinsam mit dem Schweden Torbjörn Törnqvist das Rohstoffhandelsunternehmen Gunvor. Über dieses, aber auch die Volga Group in Luxemburg könnten alsdann Putin-Milliarden in’s Ausland geflossen sein, vermuten mehrere Geheimdienste. Dieser belohnte ihn dafür mit Grossaufträgen für Stroitransgas bei der Fussball-WM und den Olympischen Spielen von Sotschi; mindestens 50 % des Baukonzerns gehören der Familie Timchenko. Der Oligarch hat aus steuerlichen Gründen seinen Wohnsitz 2001 in die Schweiz verlegt. In Genf legte er für seinen Grundbesitz nicht weniger als 8,4 Mio CHF auf den Tisch (2014 wurde das Anwesen auf 18 Mio CHF geschätzt). Dort lebt nach wie vor seine Familie, er selbst ist jedoch wieder nach Moskau zurückgekehrt. Mit Schmunzeln reagiert nun der Schreiberling dieser Zeilen auf den Satz Timchenkos aus dem Jahr 2008, wonach seine „mehr als zwanzigjährige Karriere in der Ölindustrie nicht auf Gefallen oder politischen Verbindungen aufgebaut worden“ sei.

Alexei Borissowitsch Miller
Einen der wohl schwersten Kapazunder Russlands verkörpert Alexei Miller. Der 1962 (ganz zufälligerweise ebenfalls) in Leningrad geborene Manager ist Vorstandsvorsitzender und stv. Aufsichtsratsvorsitzender des wohl grössten Gaslieferanten der Welt und dem grössten russischen Unternehmen: Gazprom! Nach seinem Studium war er angeblich Bürobote des damaligen Vizebürgermeisters Wladimir Putin und als solcher für die Überbringung von Geldkoffer verantwortlich. Danach übernahm er selbst den Schlüssel für das Rathaus in St. Petersburg. Später leitete er den Hafen der Stadt und wurde nach einem Jahr als Generaldirektor des Baltischen Pipelinesysteme russischer Energieminister. Schon 2001 jedoch ereilte ihn der Ruf seines Förderers – er löste bei Gazprom Rem Wiachirew ab und leitete die Umstrukturierung des Staatsbetriebes zu einem multinationalen Konzern ein. Der Börsenwert des Unternehmens stieg von 9,8 Milliarden bei der Übernahme auf 300 Milliarden US-Dollar. Allerdings setzten in den letzten Jahren die Finanz- und Wirtschaftskrise, aber auch die Pandemie dem Konzern arg zu – der Börsenwert 2021 betrug nurmehr 69 Milliarden. 2013 reihte ihn Forbes erstmals in die Liste der mächtigsten Männer dieser Erde ein. Gazprom beherrscht grosse Teile der russischen Wirtschaft, obgleich Rosneft besser notiert ist. Sein Vertrag läuft noch bis 2026. Nach der Krim-Annexion landete er auf der US-Sanktionsliste, mit dem Einmarsch in die Ukraine auch auf jener der EU und Grossbritanniens. Miller und Sechin wetteifern um die Gunst des Staatspräsidenten. Miller verfügt über das Exportmonopol von Gas, weshalb Sechin dieses „Nebenprodukt“ der Erdölförderung nicht verkaufen darf. Das Vermögen Millers wird auf nur 200 Mio Euro geschätzt, als grösster Steuerzahler des Landes jedoch befindet er sich direkt an den Hebeln der Macht. Seine dreistöckige Penthouse-Wohnung in Moskau ist 775, seine Wohnung in St. Petersburg mit Blick auf die Eremitage 400 qm gross.

Michail Maratowitsch Fridman
Die Sanktionen haben den 57-jährigen von allen bisher genannten wohl am ärgsten getroffen. 1964 im ukrainischen Lwiw geboren, gründete er gemeinsam mit Pjotr Awen die Alfa Group, einen der grössten privaten Industrie- und Finanzkonzern des Landes. Dort agiert er nach wie vor als Aufsichtsratsvorsitzender, in mehreren Tochterunternehmen, wie etwa auch der Alfa Bank hatte er den Vorstandssessel inne. Den Banksessel gab er einen Tag nach der Verhängung der Sanktionen auf. Allerdings nennt er zudem dennoch 36 % der Bank-Aktien sein eigen. Als Vor-sitzender des Direktorenrates in der Alfa-Tochter TNK-BP hatte er seine Finger auch am Ölmarkt im Spiel – es ist der drittgrösste Ölkonzern Russlands. Seine Anteile jedoch musste er zuletzt veräussern. Die Alfa Group importierte nach ihrer Gründung 1988 gemeinsam mit dem schweizerischen Unternehmen ADP Trading Tee, Zigaretten, Zucker sowie andere Waren nach und exportierte Öl aus Russland. Das Konsortium ist nach wie vor breit aufgestellt, zu ihm zählt neben vielen anderen das Telekommunikationsunternehmen Altimo bzw. die LetterOne Group in Luxemburg. Sein Privatvermögen wurde zu Beginn des Jahres auf 12,2 Milliarden Dollar geschätzt – damit fand er sich auf Platz 11 der reichsten Russen. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine soll er rund vier Milliarden verloren haben. Mit dem Rest kann er derzeit nicht viel anfangen. Die EU und auch Grossbritannien haben alle seiner Karten und damit das komplette Hab und Gut eingefroren. Fridman lebte zuletzt vornehmlich in London. Nun muss er von nurmehr 2.900 € im Monat das Auslangen finden und zudem bei jeglichem Geldtransfer die Genehmigung der britischen Regierung einholen. Fridman zählt ebenfalls zu den engeren Freunden Putins, weist aber stets die Vorwürfe nach „engen Beziehungen“ zur russischen Regierung zurück. Zudem habe er mehrfach betont, dass Krieg niemals eine Antwort sei – somit hat er sich als einer der wenigen kritisch zu Putins Kriegsplänen geäussert.

Michail Borissowitsch Chodorkowski
Wie schnell und tief der Fall von einem der reichsten und mächtigsten Männer Russlands (2004 schätzte Forbes das Vermögen des Oligarchen auf 15,2 Milliarden Dollar – Platz 16 der reichsten Männer der Welt) bis ins Straflager bzw. bestenfalls zur Abschiebung ins Ausland gehen kann, zeigt der Werdegang von Michail Chodorkowski auf. Bereits während seines Chemiestudiums engagierte er sich in der Jugendorganisation der KPdSU Komsomol. Nach Studienabschluss absolvierte er noch den Volks-wirtschaftslehrgang. 1987 übernahm er die Leitung des Komsomol-Unternehmens „Zentrum für wissenschaftlich-technisches Schöpfertum der Jugendstiftung für Jugendinitiative (NTTM)“. Dort importierte er u.a. Computer und Jeans und exportierte Matrjoschka-Puppen. 1989 folgte der Vorsitz bei der NTTM-Bank „Innovationsbank für wissenschaftlich-technischen Fortschritt“ – eine der ersten Privatbanken Russlands. Über sie löste Chodorkowski die NTTM vom Obersten Sovjet los und gründete die Menatep-Invest, die in der zusammenbrechenden Sowjetunion rasch an Boden gewinnen konnte und Chodorkowski an Macht. Er war ab 1992 im Beraterstab des russischen Präsidenten Boris Jelzin vertreten und bekleidete mehrere politische Ämter. In Auktionen konnte die Menatep-Invest als Hausbank des Ölförderunternehmens Yukos zuerst rund 45 % und schliesslich die Aktienmehrheit am Konzern übernehmen. Chodorkowski wechselte in den Vorstand des Ölkonzerns. Diesen strukturierte er gemäss seines Leitmotivs „Ehrlichkeit, Offenheit und Verantwortung“ auf westlichen Standard um. Dabei versuchte er jedoch stets, durch die Finanzierung von Parteien wie Jabloko, die Kommunisten und auch der Regierungspartei Einiges Russland einen Fuss in der Innenpolitik zu behalten. Allerdings beschuldigte er die Regierung der Korruption, beabsichtigte mit Exxon Mobil und Chevron Texas zwei Ölmultis aus den USA an Yokus zu beteiligen und meinte lautstark vor den Duma- und Präsidentenwahlen, dass er als reichster Mann Russlands nicht nur Parlamente sondern auch Wahlergebnisse kaufen könne. Vor laufenden TV-Kameras gerieten sich im Februar 2003 Putin und Chodorkowski beim Thema Korruption in die Haare. Am 25. Oktober 2003 wurde er bei einem Zwischenstopp seines Flugzeugs in Nowosibirsk verhaftet und wegen Unterschlagung und Steuerhinterziehung angeklagt. 2005 folgte das Urteil zu neun Jahren Haft, später verkürzt auf acht Jahre. Im Dezember 2010 erfolgte die Verurteilung zu sechs weiteren Jahren wegen Unterschlagung von 218 Mio Tonnen Öl und Geldwäsche. Im Februar 2011 kündigte der damalige Staatspräsident Dmitri Medwedew die Überprüfung der zweiten Verurteilung Chodorkowski, seines Mit-streiters und Kollegen Lebedew und weiterer 30 Beschuldigter an. Der Tatvorwurf des Milliardendiebstahls wurde alsdann nicht mehr erhoben. 2012 verringerte ein Moskauer Bezirksgericht die Haftstrafen Chodorkowskis und Lebedews um zwei Jahre. Im Dezember stellte Chodorkowski ein erneutes Gnadengesuch und wurde überraschend einen Tag später kurz vor Weihnachten begnadigt. Welche Rolle der damalige deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher als Vermittler dabei einnahm, ist nach wie vor nicht bekannt. Der ehemalige Oligarch lebt inzwischen in London. Während der Krimkrise rief er beide Seiten zum Einlenken auf. Der neuen prowestlichen Regierung der Ukraine sicherte er nach dem Euromaidan seine Unterstützung zu. 2017 engagierte er sich für die Präsidentschaftskandidatur des russischen Regierungsgegners Alexei Nawalny.

„Es geht nicht darum, Wladimir Putin zu ersetzen, sondern das System, welches zu meinem tiefen Bedauern in meiner Heimat entstanden ist.“
(Michail Borissowitsch Chodorkowski)

Und zum Schluss zum Meister persönlich. Schon vor einigen Jahren berichtete ein Finanzexperte vor dem US-Senat über das unglaubliche Vermögen Wladimir Putins. Damals war von 200 Milliarden Dollar die Rede. Doch weiss der Kremlchef dies gut zu verbergen – es fehlen die Beweise. Fakt ist, dass Putins Yacht „Graceful“ die Blohm & Voss-Werft in Hamburg bereits im Februar in Richtung Kaliningrad völlig überstürzt verliess. Die Bootsbauer kamen nicht mal zu einer Probefahrt. Putins Dadscha, die Residenz am Kap Idokopas am Schwarzen Meer, wurde durch den russischen Architekten Lanfranco Cirillo geplant und von Spezstroi, einem Militärbauunternehmen, ab 2005 errichtet. Das 17.700 Quadratmeter grosse Gebäude steht in einem 68 Hektar grossen Anwesen und soll rund 1,1 Milliarde Euro gekostet haben.

Abschliessend noch einige Worte:
Es ist nicht der Neid, der mich angesichts solcher unvorstellbarer Vermögen zu diesem heutigen Blog bewogen hat. Es ist das System, das bislang nur wenige interessierte, da Russland weit weg scheint. Der Einmarsch russischer Truppen in einen unabhängigen Nachbarstaat jedoch hat aufgezeigt, dass uns diese besorgniserregende und gefährliche Entwicklung sehr wohl betrifft. Der erste wirklich grosse Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg! Nicht vor den Toren, sondern vielmehr direkt in Europa! Tausende Menschen – darunter viele Zivilisten – sterben, zigtausende werden verletzt, Millionen sind auf der Flucht! Für den Willen eines einzigen, vom Grössenwahn befallenen Despoten! Und niemand, nicht mal die Mächtigsten seines Landes, stellen sich ihm entgegen! Wie weit geht Loyalität? Bis zum eigenen Untergang? Bis zum möglichen Untergang unserer Welt?

Filmtipp:

– Der Fall Chodorkowski; Regie: Cyril Tuschi

Lesetipps:

.) Wohin steuert Russland unter Putin? Der autoritäre Weg in die Demokratie; Hrsg.: Gabriele Gorzka, Peter W. Schulze; Campus 2004
.) Das System Putin. Gelenkte Demokratie und politische Justiz in Rußland; Margareta Mommsen/Angelika Nußberger; C.H. Beck 2007
.) Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste; Catherine Belton; Harper Collins 2022
.) Russische Energiepolitik. Ent- oder Neuverflechtung von Staat und Wirtschaft?; Kirsten Westphal; Nomos 2000
.) The Political Economy of Russian Oil; Hrsg.: David Lane; Rowman & Littlefield, Lanham u. a. 1999
.) Michail Chodorkowski. Vom Jukos-Chefsessel ins sibirische Arbeitslager. Aufstieg und Fall des russischen Ölmilliardärs; Waleri W. Panjuschkin; Heyne 2006
.) Rich Russians: From Oligarchs to Bourgeoisie; Elisabeth Schimpfoessl; Oxford University Press 2018

No Comments »

Datenschutz

Sehr geehrte Leser und Leserinnen,

dieser Blog verwendet nur temporäre Cookies. Sie werden beim Verlassen der Seite gelöscht!
Wir legen sehr viel Wert auf Ihre Anonymität, weshalb auch auf Analyse-Tools gänzlichst verzichtet wird!
Spamer hingegen werden zur Anzeige gebracht!

Ulrich Stock

No Comments »

Das Problem mit den Führern

“Folge mir, ich bin dein Alphatier
Alphatiere können nicht verlieren
Glaube mir, ich bin ein Alphatier
Alphatiere können nicht verlieren!“

(Marius Müller-Westernhagen – „Alphatier“)

Es gibt sie, und es gibt sie nicht. Viele wollen es sein, werden es jedoch nie. Ist man es nicht, so brauchen einige Gewalt um es sein zu können! Was geht eigentlich in den Köpfen dieser Rudelführer, dieser Alphatiere vor?
Herzlich willkommen zu einem kurzen Ausflug in die Gruppentypologie!
Alpha ist der erste Buchstabe des griechischen Alphabets – auch wenn derzeit viele denken, es wäre „Π“ (Pi) wie Putin! In der Verhaltens-forschung spricht man von einem Alphatier, wenn es eine Herde, ein Rudel oder auch einen Schwarm anführt. Das Leittier ist meist das grösste und kräftigste seiner Art, da es viele Kämpfe gegen Widersacher bestehen muss. Alphatiere sind in der Regel männlich und auch sexuell die aktivsten in ihrer Gruppe. Zuhauf lassen sie kein zweites Männchen im Umfeld bestehen. Im Hühnerstall ist es der Hahn, der mit scharfen Krallen und Schnabel auf Gegner losgeht, in der Herde der Steinböcke der Leit-bulle, der seine Kontrahenten bei unglaublichen Machtkämpfen aus der Herde verbannt und bei den Gorillas der Silberrücken, der zuerst durch das Trommeln auf den Brustkorb oder die Erde aufzeigt, wo der Bartl den Most herholt. Man möchte meinen, dass es beim Menschen der Intelli-genteste ist, der ein Volk anführt. Doch – weit gefehlt. Schliesslich kommen bei der sog. „Krone der Schöpfung“ noch unzählige weitere Eigenschaften in’s Spiel, die ein derartiges Gruppenverhalten gewaltig aus den Fugen bringen können.
Eine dieser Eigenschaften ist die „Autorität“. Neben den Griechen waren die alten Römer jenes Volk mit der am besten funktionierenden Gesell-schaft. Sie haben aus den Fehlern der Griechen gelernt und versucht, diese auszumerzen. Deshalb gab es Rechte und Pflichten der Bürger, die auch deren Positionierung im Rahmen der Gesellschaft ganz eindeutig regelten. Eigens hierfür wurde die sog. „auctoritas“ eingeführt. Der Imperator („Cäsar“) war die höchste Autorität im Staate. Sein Wort entschied über Sein oder Nicht-Sein. Mit dem Senat gab es eine (schein-)demokratische Einrichtung, die ebenfalls sehr mächtig war – der Autorität des Imperators allerdings in keinster Weise gleich kam! Jeder Kaiser nun versuchte, jene Senatsmitglieder, die ihm unpässlich zu sein schienen, durch getreue Gefolgsleute zu ersetzen. Nach wie vor das Wesen der heutigen Diktatoren – aber auch der Führungskräfte in einem Unternehmen: Mit dem Fachbereichsleiter wechseln meist auch die anderen Führungspositionen. Schliesslich braucht der neue Chef ja loyale Mitarbeiter, die nicht an seinem Stuhl sägen. Der CEO beauftragt seinen Personalchef jenen Mitarbeiter zu finden, der intelligent, kompetent und strebsam ist, der gut mit seinen Mitarbeitern kann und deshalb auch immer wieder von diesen angesprochen wird. Dem Grosses vorausgesagt wird, der auch im Management beliebt ist! Um ihn zu entlassen! Nicht zuletzt könnte er zur Gefahr des Rudelführers werden.
Der deutsche Jurist und Nationalökonom, aber auch Soziologe aus Leidenschaft, Max Weber, beschäftigte sich zwischen dem auslaufenden 19. Jahrhundert und dem Ende des 1. Weltkrieges vornehmlich mit dem „Idealtypus“, aber auch dem „Moralischen Handeln in der Gesinnungs- und Verantwortungsethik“. Viele seiner Definitionen finden auch heute noch in der Soziologie, der Wirtschaft und Politik Anwendung. So etwa auch die Aufteilung der unterschiedlichsten Autoritäten nach den charak-teristischen Charismatisierungsquellen – in diesem Falle grob vereinfacht:

.) Charakter-Autorität (persönliche Autorität)
.) Behörden-Autorität (gegebene Autorität)
.) Kompetenz-Autorität (wissende Autorität)

Durch Spezialisten aus den unterschiedlichsten Wissensbereichen, wie etwa Jane Elliott und Erich Fromm (Pädagogik) oder Gerard Mendel (Soziopsychoanalyse) wurde dies noch verfeinert, differenzierter darge-stellt.
Das klassische Alphatier nun wäre jener, der nur auf der Charakter-Autorität aufbaut und sich die beiden anderen Autoritäten zu nutze macht. Sei es durch Gefolgsleute, Berater oder andere Möglichkeiten. Allerdings kämpfen in unseren Breitengraden die Anführer des Volkes nicht wie in anderen Regionen dieser Welt noch mit dem Schwert gegeneinander, um zu sehen, wer der Stärkere ist. Sie lassen sich bis zu einem gewissen Punkt die Autorität durch die Gesetze geben, danach formen sie die Gesetze nach eigenem Gutdünken. Die eigentlich wichtigste Autorität, die Wissenskomponente, bleibt dabei meist den Beratern überlassen – leider! Versagt dann die Kompetenz, weil Flüsterer verstossen werden, selbst davon laufen oder vielleicht doch nicht wirklich kompetent waren, so setzt die Charakterautorität zunehmend auf Gewalt, um sich Gegner vom Leibe zu halten und hierdurch die erarbeitete Rolle oder Position verteidigen zu können. Sie fallen wieder auf das Niveau der Steinböcke, die mit ihren Köpfen voran aufeinander zurennen und dies wiederholen, bis einer der beiden durch die Schmerzen des ständigen Aufpralls klein bei geben muss. Einzig die Methode unterscheidet Menschen wie Hitler oder Stalin bzw. auch Kim Jong-un oder Putin von den Tieren: Sie lassen kämpfen und treten selbst nurmehr nach, wenn der Andere schon auf dem Boden liegt!
Die meisten wirklichen menschlichen Alphatiere bauen also auf einem sehr gesunden Selbstvertrauen mit einem klar definierten Ziel auf, das sie erreichen wollen, sowie einer ordentlichen Portion der Selbstpräsentation, der Selbstdarstellung. Ein Alpha benötigt immer das Publikum, den Spot auf der grossen Theaterbühne – perfekt etwa beim Österreicher Richard „Mörtel“ Lugner zu sehen, der sich auch nicht davor gescheut hat, auf Schritt und Tritt von Kameras begleitet zu werden; Peinlichkeiten mit einem Lächeln preisgebend, die besser hätten verschwiegen werden sollen. Aufmerksamkeit – koste es, was es wolle! Fehler machen dabei nur die anderen, Hindernisse werden aus dem Weg geräumt. So soll der ehemalige Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche einst gegenüber einem Unternehmensberater betont haben, dass Daimler nicht ohne ihn, er aber ohne Daimler könne! Alter Schwede! Die Realität hat ihn wohl eingeholt! Jene Menschen allerdings, die dies alles ermöglichen, werden niemals in den pubilzierten Erfolg eingeschlossen. Wladimir Putin etwa baut auf einem ganzen Stab ihm treuest untergebener Gefolgsleute auf („Silowiki“), ohne die seine derzeitige Stellung gar nicht machbar wäre. Und einer der treuesten ist (oder war?) ohne Zweifel Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, der dem ehemaligen KGB-Offizier den Stuhl im Kreml warm hielt, als dieser per Gesetz nicht mehr kandidieren durfte – ein Gesetz, das inzwischen geändert wurde. Medwedew kündigte am 15. Januar 2020 den Rücktritt seiner Regierung an, als sein Förderer erneut Verfassungs-änderungen beabsichtigte, die mit seinem Regierungsende im Jahr 2024 im Zusammenhang stehen. War ihm dies zu viel oder reine Taktik? Schliesslich ist Medwedew nach wie vor Chef der Putin-Partei „Einiges Russland“ (Putin selbst ist kein Partei-Mitglied) und seit 2020 stellver-tretender Leiter des Sicherheitsrates. Widerspricht nun einer dieser Stabs-offiziere, so verliert er seine Existenzberechtigung in diesem Kreis der Privilegierten. Putin ist somit der Prototyp des modernen Leittiers: Intelli-gent, zielstrebig, makellos, strategisch durchtrieben und lässt für sich kämpfen. Einziger Makel: Die geschiedene Ehe mit Lyudmila Ocheretnaya – denn Alphas machen ja keine Fehler! Doch wendete er sich – wie der Boulevard berichtet – sehr rasch der wesentlich jüngeren Rhythmischen Sportgymnastin Alina Kabajewa zu, die von ihm mit Auszeichnungen überhäuft und mit hohen Ämtern betraut wurde. Auch dies passt ausge-zeichnet in das Bild der Alphas: Ihre Frau ist die Schönste, Beste, Bewundertste – doch stets untergeben! Kabajewa allerdings ist seit 2018 spurlos von der Bildfläche verschwunden. Angeblich soll sie mit Putins Kindern (Zwillingsmädchen und zwei Söhne) in einem privaten Chalet in der Schweiz wohnen.
Viele dieser speziellen Alpha-Macht-Menschen stehen derzeit in einer Warte- und Lauerstellung. In der Branche der Berufspolitiker besonders gefährlich, lässt sich doch das Volk sehr rasch beeinflussen und vergisst vieles binnen kürzester Zeit! Perfektes Beispiel: Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat seinen Wählern wieder goldene Zeiten, Schokoladebrunnen sowie eine schallende Ohrfeige für die ach so böse EU versprochen, wenn er gewählt wird. Bis zu seiner Abwahl im Jahr 2019 jedoch glich er eher dem Ritter von der traurigen Gestalt, der gegen die Windmühle kämpft. Trotzdem hatten viele seiner Landsleute den Glauben an ihn nicht verloren, da sich die Wut gegen die Sparmass-nahmen dermassen aufgestaut hat, dass sie dem krawattenlosen Vorzeige-Linken alles abnehmen würden. Tsipras war derjenige, der die Krise meistern wird – er ist der Leitwolf!
Auch in der Wirtschaft gibt es immer wieder derartige Fälle. Traditions-unternehmen gehen den Bach runter, da keiner der Berater dem Rudel-führer widerspricht und dieser selbst bekanntlich fehlerlos ist. So sprangen viele auf die Energiewende und die sich dadurch bietenden Möglichkeiten auf. Wenn sie auch anfänglich vielleicht Erfolge damit einheimsen konnten, so bekamen sie schon sehr bald den rauhen Wind der chinesischen Billigkonkurrenz zu spüren und mussten schliessen. Oder wurden durch Investoren übernommen, welche die Pokerkarten nach einer gewissen Zeit durch ein neues Päckchen ersetzen.
Alpha-Männchen bilden mit ihren Alpha-Weibchen das sog. Alpha-Pärchen. Wir kennen das ja zur Genüge aus den US-amerikanischen College-Filmen: Der Quarterback des Schul-Footballteams mit der Anführerin der Cheerleaders! Bei nur ganz wenigen Arten (Mufflons, den Bergzebras, den Kattas, …) werden die Herden von Alpha-Weibchen geführt. In der Rangordnung geht es dann weiter mit den Beta- bis hin zu den Omega-Tieren. Interessant ist inzwischen die Erkenntnis, dass in einem Rudel Wölfe zwar die Elterntiere die Führungsfunktionen über-nehmen – tatsächlich aber nur selten autoritär auftreten. Ansonsten herrscht ein soziales Gefüge – entgegen der bisherigen Auffassung, dass jedes Rudel nur einen Anführer hat.
Ein Alpha-Tier ist und bleibt ein Alphatier – vollkommen egal, in welcher Situation es sich befindet. Somit ist es beispielsweise erklärbar, dass viele Frauen solcher Männer lieber alleine zum Einkaufen gehen, da der Alpha – auch wenn er zum ersten Mal dabei ist – ansagt, was einzukaufen ist und was benötigt wird. Dies gilt selbstverständlich auch für die Arbeit – die Kollegen sind nur der lästige Rest, mit dem sich ein solches Leittier abfinden bzw. gar quälen muss. Somit wird die immer wieder in den Stellenausschreibungen enthaltene Eigenschaft der „Teamfähigkeit“ für ein Alphatier ad absurdum geführt. Erfahrene Headhunter können nach nur wenigen Augenblicken solche Rudelführer von der Masse der anderen unterscheiden: Während etwa der Beta-Bewerber etwas nach seitlich gebeugt auf dem Stuhl sitzt und nickend zustimmt, sitzt der Alpha-Bewerber kerzengerade ohne sich anzulehnen. Er scheut auch davor nicht zurück, den Headhunter zu unterbrechen und seine Meinung durchzu-setzen. Zudem glänzt er mit der Schilderung seiner bisherigen schulischen oder beruflichen Erfolge. Dass dabei nur das Positive ver-mittelt wird, steht ganz ausser Frage. Betonte doch der bereits erwähnte Daimler-Chef Dieter Zetsche ebenfalls einem Headhunter zischend gegenüber, dass er grundsätzlich nur erfolgreiche Unternehmen führt! Manches Mal ist ein solches Alphatier in einer Abteilung recht sinnvoll. In den meisten Fällen aber gibt es aufgrund seiner Dominanz Probleme. Kollegen, v.a. aber Kolleginnen werden eingeschüchtert, die Kreativität der ganzen Gruppe eingeschränkt, da ja nur die Meinung des Rangersten zählt. Dies kann schon mal fatale Folgen haben, wenn dieser die Gruppe aus welchen Umständen auch immer verlässt! So kann eine hochquali-fizierte Arbeitsgemeinschaft wirtschaftlich unnütz werden, da es niemand mehr gewohnt ist, eigenständig zu arbeiten, seine Ideen einzubringen. Die Arbeit ist keine One-Man-Show – zumindest nicht offiziell! Hinter den Linien weiss jeder, dass auch eine Einzelperson eine Gruppenarbeit wesentlich schneller und effizienter erledigen kann. Doch gilt jener als überheblich, der gerne seine eigenen Ideen umsetzen und für das Resultat alleine verantwortlich sein möchte – könnte ja an der Position des Alphatieres arbeiten!!! Im Zusammenspiel der Abteilungen hingegen zählt unbestritten die Zusammenarbeit. So kann der Vertrieb erst dann etwas auf den Weg bringen, wenn der Einkauf, die Produktion, das Marketing und auch der Verkauf funktioniert hat! Es ist nicht alleine der Verdienst des Verkaufs, wenn ein Unternehmen gut läuft. Auch nicht der Geschäftsführung. Hier spielen die unterschiedlichsten Faktoren zu-sammen. Schliesslich könnte der CEO nicht auf dermassen gute Leute zurück greifen, wenn der Personalchef nicht ein derart gutes Händchen bewiesen oder der Ausbildner nicht aus den Lehrlingen so gute Mitarbeiter gemacht hätte. Auch solche Löwen, die es gewohnt sind, laut zu brüllen, sollten sich besinnen, dass sie ihre Kollegen brauchen, andere Herangehensweisen sollten in’s Kalkül gezogen werden – somit sind auch die Ideen der Gruppenmitglieder wichtig – nicht nur jene des Anführers. Zeigt sich dabei der Rudelführer zwar als charismatisch, jedoch als inkompetent, verliert nämlich die Gruppe an Kreativität, an Flexibilität und an Innovation. Hier nun kommt der Big Boss in’s Spiel, der nicht unbedingt ein Alphatier sein muss, jedoch die Behörden-Autorität vorzu-weisen hat. Ein guter Unternehmensleiter, Vereinspräsident, Direktor,… schafft es, „die Stärken ihrer Mitarbeiter zu aktivieren und Schwächen zu kompensieren!“ (Wirtschaftspsychologe Dr. Albert Nussbaum). Gilt übrigens auch für jeden einzelnen Lehrer: Es gibt durchaus Schüler, die mehr drauf haben als die Pädagogen. Sie einzuschränken, ist ein Fehler. Sie zu fördern der Sinn dieses Berufes!
Und trotzdem regt sich zumindest bei mir so etwas wie Mitleid: Während sich Beta-Tiere auch anderen Tätigkeiten zuwenden können, sind Alpha-tiere immer nur damit beschäftigt, die Position gegenüber Widersacher verteidigen zu müssen. Da fällt mir in diesem Zusammenhang ein Spruch eines meiner Namensvetter, Oskar Stock, ein:

“Nichts ist anstrengender, als immer Recht haben zu müssen!“

Um das bisher eher etwas abstrakt Beschriebene nun zu untermauern – hier einige praktische Beispiele:
.) Dieser Tage sah ich zwei Katzen auf der Strasse. Die eine (das Alpha-tier) nahm Kampfhaltung ein und war zum Absprung bereit. Die andere (das Beta-Tier) marschierte langsam und gemütlich in einiger Entfernung vorbei – sie wollte nicht kämpfen!
.) In der Gruppe des Alphas kommt ein neues Mitglied hinzu – ein ausge-zeichneter Tischtennis-Spieler. Der Rudelführer wird natürlich einmal diesen Tischtennisspieler herausfordern, schliesslich kann er ja alles besser als die anderen. Nachdem er eine volle Abfuhr erfahren hat (selbstverständlich vor Publikum), wird er wie ein Verrückter trainieren. Ab dem Zeitpunkt jedoch, an dem er erkennen muss, dass es keinen Sinn mehr macht, ist das Thema gestorben. Ganz nach dem Motto: „Wen interessiert schon Tischtennis! Ist doch sowieso nur ein Spiel! Viel wichtiger scheint doch wohl, den Zusammenhang zwischen Protes-tantismus und Führungspositionen nach Max Weber zu kennen. Dann schicke ich als Katholik meinen Nachwuchs nicht auf eine humanistische sondern auf eine naturwissenschaftliche Schule, damit aus ihm mal etwas wird!“ Übrigens – Leistungssportler sind meist nur in einer Sportart wirklich gut, da sich die Trainingsmethoden beispielsweise eines Marcel Hirschers komplett von jenen eines Michael Phelps unterscheiden.
.) Das Alphatierchen hat vom Urlaub eines Beta-Tierchens erfahren, der beim Schnorcheln am Barrier Reef einem Kugelfisch in die Augen geschaut hat. Das Alphatier hingegen bucht für den nächsten Urlaub Bali und badet dort in einer heiligen Quelle. Die weltweite Empörung entlockt ihm nur ein müdes Lächeln.
.) Das Loch in der Strasse ist das einzige auf 5 Kilometer. Das Beta-Tier fährt zwar hinein, denkt sich aber nichts dabei. Der Alpha fährt ebenfalls zielsicher hinein und wird fuchsteufelswild. Schliesslich haben die anderen ihn beobachtet, wie und wo er diese Stelle passiert und haben dort mit der Spitzhacke ein Loch reingemacht. Und – das Omega-Tier kehrt um, nachdem es mit seiner Klapperkiste in das Loch gefahren ist, und fährt noch fünfmal hinein. Schliesslich ist es ja seine Bestimmung, kein Loch auszulassen!
Zuletzt noch eine beiläufige Bemerkung für all jene unter Ihnen, die – mit der Aussicht auf einen Führungsposten – beim nächsten Vorstellungs-gespräch voll den Alpha markieren, darstellen, schauspielern oder was auch immer. Unternehmensberater oder auch Personalchefs gleichen das Persönlichkeitsprofil mit dem Anforderungsprofil der Position ab. Die wirklich guten HR-Spezialisten hingegen wissen, dass dieses Anforderungsprofil bereits in kurzer Zeit überholt sein könnte. Sie müssen also vorausplanen und abchecken, inwieweit ein Bewerber das Unternehmen weiterbringen wird – auch wenn er vielleicht nur in speziellen Punkten diesem Anforderungsprofil entspricht. Auf diese Weise greifen sich auch die vielgerühmten Headhunter aus dem Pool heraus, wen sie gerade benötigen: Was hat diese Person bisher in seiner Arbeit bewirkt! Die Krawatte ist hier nur Beiwerk!

Lesetipps:

.) Das Faszinosum Max Weber. Die Geschichte seiner Geltung; Karl-Ludwig Ay, Knut Borchardt (Hrsg.); UVK; Konstanz 2006
.) Max Weber und Heinrich Rickert – Die erkenntnistheoretischen Grund-lagen der verstehenden Soziologie; Peter-Ulrich Merz-Benz; VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden 2008
.) Auge in Auge mit dem Wolf: 20 Jahre unterwegs mit frei lebenden Wölfen; Günther Bloch, Peter A. Dettling; Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2009
.) Was ist Autorität? Einführung in die Logik der Autorität; Joseph Maria Bocheński; Herder; Freiburg 1974

No Comments »

Krieg auf der Überholspur des Datenhighways

Wenn im russischen Staatsfernsehen plötzlich die ukrainische Flagge gezeigt und die ukrainische Nationalhymne abgespielt wird, so steckt sicherlich in diesen Zeiten kein menschliches Versagen dahinter, sondern pure Absicht. Hätte ein Praktikant versehentlich den falschen Knopf gedrückt, so wäre er nicht nur sofort seinen unbezahlten Job los, sondern stünde höchstwahrscheinlich auch wegen Hochverrates vor einem Militärgericht Putins. Nein – der Urheber einer solchen Szene sitzt irgendwo auf dieser Welt, in einem abgedunkelten Keller, vor mehreren Bildschirmen, einer Tastatur und einer Maus: Ein Hacker der Vereinigung „Anonymous“. Manche übrigens sind kaum älter als der vorhin ange-sprochenen Praktikant. Kriege werden heute vor allem im weltweiten Web ausgetragen und hier sind ja bekanntlicherweise die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt. So wurden beispielsweise die US-amerikanischen Drohnen in Afghanistan von Rammstein/Deutschland aus gesteuert. Freilich unter Zuhilfenahme von Militärsatelliten, damit es schneller ging.
Auch die Invasion Russlands in der Ukraine war bereits monatelang zuvor im Internet vorbereitet worden: Durch Putins Troll-Fabrik. Kampagnen mit eindeutiger Desinformation und Furchtszenarien wurden bereits gefahren, als der erste russische Feldschuh noch weit entfernt der russisch-ukrainischen Grenze seinen Dienst versah. Zu diesem Schluss kam der 2020 eingesetzte „Sonderausschuss zur Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der EU“ des Europa-parlaments. Und – offenbar stehen ausgerechnet hier Tür und Tor sperr-angelweit offen. So konnten Schwachstellen aufgezeigt werden, die perfekt für das Einschleusen von Falschmeldungen geeignet sind und dadurch Unruhe stiften können. Viele sind davon auch dafür genutzt worden. Doch hat nicht nur Brüssel diese Probleme. Gewarnt werden vor allem nationale Stellen. Namentlich erwähnt wird dabei die Finanzierung der AfD in Deutschland. Das Ausschussmitglied Sabine Verheyen (CDU) berichtet u.a von einer Propaganda-Maschinerie mit „extremer Raffinesse und unzähligen Formen“. Aber auch von einer sog. „Landsmannpolitik“, wodurch die vielen russischstämmigen Menschen ausserhalb des Landes (v.a. in den baltischen Staaten und den östlichen EU-Mitgliedsländern) vom Konzept der „russischen Welt“ angesprochen und überzeugt werden sollen. Wie es zuvor der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits praktizierte.
Am Tag vor dem Einmarsch der russischen Truppen wurde eine Wiper-Schadsoftware aktiviert. Sie war bereits vorinstalliert – bei Unternehmen, die mit der ukrainischen Regierung zusammenarbeiten. Es handelt sich dabei um eine Software, die grossflächig Löschungen vornimmt. Das betrifft nicht nur einzelne Rechner sondern auch Server und damit ganze Netzwerke.
Die Kampfkraft dieser speziellen Soldaten wurde bereits mehrfach – vor-nehmlich bei Wahlen – unter Beweis gestellt. So sind etwa die Umstände der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und die Rolle Russlands dabei nach wie vor noch nicht endgültig geklärt. Alsdann hatten die Russen beim Brexit ihre Finger im Spiel. Während der Pandemie stiessen die gefakten Zweifel an der Qualität der westlichen Impfstoffe auf offene Ohren der Impfgegner. Die grüne Europaabgeordnete Viola von Cramon fürchtet vor allem die bewusst geführte Desinformation der Bevölkerung in der westlichen Hemisphäre. Viele übernehmen diese Fakes 1:1 und glauben fest daran, anstatt dies zu hinterfragen und sich über einen anderen Info-Kanal abzusichern. Hierzu zählen u.a. die nachgewiesen gelogenen Aus- bzw. Zusagen Wladimir Putins. Von Cramons bezeichnet dies als „Hybride Kriegsführung“. Auch der MEP der österreichischen Sozialdemokraten, Andreas Schieder, spricht von einem Info-Krieg Putins, der schon „seit vielen Jahren“ laufe. Zudem – ebenfalls im Abschluss-bericht des Ausschusses enthalten – kooptiere Russland Eliten im Westen. Hier erwähnt seien etwa die ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Alfred Gusenbauer und Christian Kern, sowie allen voran der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Sie werden in Vor-stände und Aufsichtsräte deutscher und österreichischer Unternehmen oder russischer Ableger eingeschleust, damit sie vornehmlich ihre Kontakte bzw. vertrauliches Wissen zugunsten Russlands nutzen sollen. Dies sei heute aber nur am Rande erwähnt.
Die breite Öffentlichkeit wird durch die Trolle vornehmlich über die sozialen Medien hysterisiert. Fake-Accounts, -Likes und -Posts, Drohungen, Hassmeldungen gegenüber Politiker, Journalisten, Wissen-schaftler etc. – nicht hinter jedem Post steckt ein der deutschen Sprache nicht kundiger Rechtsextremer. Experten sprechen in diesem Zusammen-hang von der „Erschaffung einer Scheinöffentlichkeit“ mit dem Ziel, Stimmung zu machen. Es soll gar ein künstliches Chaos geschaffen werden, wodurch die Bevölkerung das Vertrauen in ihre politischen Vertreter verliert. Litauen hat bereits hierauf reagiert und mit der Platt-form debunk.eu eine Faktencheck-Website geschaffen, wo so manche Aussage überprüft werden kann. Die Macher nennen sich selbst „Die litauischen Elfen“. Auch die EU hat schon im Jahr 2015 die Gegen-massnahme „East Stratcom Taskforce“ online gestellt, damit Falsch-meldungen durch den Faktencheck gejagt werden können. Sie ist jedoch nahezu unbekannt, während die litauischen Elfen immer mehr Zulauf bekommen.
Cyber-Attacken hingegen finden auf einer weitaus höheren Ebene statt. So beschuldigten die USA schon unter Trump, aber auch unter Biden den militärischen Geheimdienst Russlands GRU der tatkräftigen Beteiligung an diesen Operationen. Inhalt solcher Angriffe sind zumeist Infrastrukturen wie Elektrizitätswerke, Wasserversorger, medizinische Einrichtungen und Medienunternehmen, aber auch Rüstungsbetriebe oder Global Player sowie Banken. Otto Normalbürger steht dem hilflos gegenüber – er bemerkt nur deren Auswirkungen. Um diese Front kümmern sich die Mitglieder von Anonymous. Hacker aus aller Welt haben sich auf Seiten der Ukraine gegen Putins Trolle eingeschaltet. So war am 26. Februar des Jahres auf Twitter zu lesen:

„Ukrainian people we are at your side. Anonymous is against this war. We will all do our best to help the Ukrainian people. We cannot let this attack go unpunished!“

Übrigens ging dem Ganzen ein Hilferuf des stellvertretenden Premier-ministers und Digitalministers der Ukraine, Mykhailo Fedorov, voraus, der über Telegram digitale Talente für eine IT-Armee suchte. Bekannt wurde die Gruppierung vornehmlich aufgrund ihrer Maske: Ein grinsendes, weisses Männergesicht mit Schnurrbart („Guy Fawkes Maske“). Niemand kennt sie. Keiner weiss, wo sie umgehen. Auch untereinander weiss niemand bescheid über die wahre Identität des Anderen. Nur deren Nicknames sind bekannt. Vor allem die Untergruppierung „OpRedScare“ greift via Tastatur und Maus in den Cyberkrieg gegen Russland ein. Sie knacken so manche Firewall ohne Probleme, andere Zugänge dauern etwas länger, sind aber ebenfalls nicht sicher vor einem Zugriff. Auf ihr Konto geht u.a. das vorhin bereits erwähnte russische Staatsfernsehen, aber auch das russische Verteidigungsministerium, der Energiekonzern Gazprom und russische sowie belarussische Infrastruktur. Innerhalb von nur 72 Stunden waren über 1.500 Websites offline sowie das Passwort des russischen Verteidigungsministers geknackt. Nicht jedoch jene von medizinischen oder Bildungseinrichtungen – Anonymous sieht sich auf der Seite der Zivilbevölkerung. Die russischen Trolls versuchen die Anonymous-Hacker mit sog. „Honeypots“ zu ködern. Webseiten, die eigens online geschalten wurden, um an die Urheber derartiger Zugriffe zu gelangen. Nicht zuletzt deshalb müssen Neuankömmlinge bei Anonymous ein schwieriges Aufnahmeprozedere durchstehen, damit sie zum Einen nicht sofort ausfindig gemacht werden können und schliesslich die Gefahr ausgeschlossen wird, sich hier einen Wolf im Schafspelz einzufangen. Anonymous hat sich auf DDoS-Attacken (Distributed Denial of Service) spezialisiert. Hierbei werden Server von unterschiedlichen Rechnern grossflächig mit Anfragen geflutet, bis sie zusammenbrechen. Dies kann durchaus auch über den Laptop im heimischen Wohnzimmer der Familie Schmidt geschehen, da er nach wie vor auf einem Betriebssystem läuft, für das es keine Sicherheitsupdates mehr gibt oder auf dem keine Firewall und Sicherheitssoftware installiert wurde. Nach derartigen Attacken erscheint stets ein Bekennervideo der Gruppierung auf der geknackten Website. Die Russen reagierten erbost und sprechen von Angriffen des Westens. Dabei ist es nicht auszu-schliessen, dass der eine oder andere Angriff von einem Russen oder einem Chinesen durchgeführt wurde. Ein amerikanischer Hacker wurde durch das FBI angeschrieben. Es habe erfahren, dass er an einer Cyberattack gegen Russland beteiligt gewesen sei. „Gute Arbeit!“
So witzig und trivial dies auch klingen mag, sollte dem Cyber-Krieg grösste Aufmerksamkeit zukommen! Beispiel? Die Ukraine betreibt an vier Standorten insgesamt 15 Kernreaktoren. Ein. Atomkraftwerk muss nicht beschossen werden, wie zuletzt Saporischschja. Es genügt ein Hacker, der im besten Fall „nur“ den Reaktor runterfährt. Zwei Drittel des ukrainischen Stroms wird in Kernkraftwerken produziert. Worst Case jedoch ist hierbei das Hinauffahren des Reaktors über seine Kapazitäts-grenzen. Die Folge wäre im Extremfall ein Supergau wie damals bei Tschernobyl, das ebenfalls in der Ukraine steht. Putin hätte damit eine Atomkatastrophe ausgelöst, ohne auf sein A-Waffen-Arsenal zurück-zugreifen. Ganz Europa wäre – wie auch in den 1980er Jahren – davon betroffen. Darunter jedoch weite Teile Russlands! Die Tat eines Wahn-sinnigen! Doch: War der Beschuss des AKW etwas anderes???
Der wirklich grosse Cyberkrieg hat bislang noch nicht stattgefunden. Nachdem für den russischen Staatspräsidenten die Invasion nicht wirklich so läuft wie geplant, ist die Gefahr sehr gross, dass dies noch geschehen könnte.
Wie im realen Leben gilt auch auf dem Datenhighway der Grundsatz:

Im Krieg gibt es nur Verlierer!

No Comments »

Biogas – tatsächlich eine Furz-Idee???

Deutschland verbrauchte im Jahr 2020 nicht weniger als 86,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Mehr als die Hälfte davon kamen via Pipeline aus Russland, gefolgt von Norwegen und den Niederlanden. Österreich ver-brannte im selben Jahr 8,5 Milliarden Kubikmeter, die Schweiz 3,2. Während bei den Eidgenossen nur rund 35 % aus russischer Förderung stammen (der Rest aus der EU und Norwegen), sind es in Österreich 56 % (nur 12-13 % aus Norwegen und Deutschland).
Angesichts des derzeitigen von Russland angezettelten Krieges gegen die Ukraine mehr als bedenkliche Zahlen. Das Ostsee-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 wurde durch den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz erst mal eingefroren. Viele Kritiker (wie die USA) bezeichnen es als fahrlässig, sich derart von nur einem Lieferanten abhängig zu machen! Stimmt zu einem gewissen Anteil. Andererseits versuchen selbstverständlich die Ameri-kaner das wesentlich teurere Fracking-Gas an den gutzahlenden Herrn Müller oder Frau Schmidt zu bekommen. Also sind Ideen gefragt. Eine dieser Ideen wäre sicherlich das Biogas!
Biogas entsteht mit Hilfe von Bakterien bei der Vergärung von pflanz-lichen und tierischen Überresten (Gülle, Bioabfälle, Energiepflanzen,…) – unter Luftabschluss (anaerobes Milieu) in sog. „Fermentern“. Zurück bleibt ein hochwertiges Düngemittel mit einer Vielzahl an Nähr- und humusbildenden Stoffen. Das entstehende Gas beinhaltet neben 25 % CO2 auch zwischen 40-75 % Methan (beim Erdgas sind es 80-90 %) – abhängig vom Oxidationsgrad der verwendeten Substrate. Dieses wird zur Strom- oder Wärmegewinnung verwendet. Daneben kann es auch aufbereitet in das Erdgas-Netz eingespeist werden. Zumeist geschieht diese Produktion nicht in einem grossen Biogas-Kraftwerk sondern direkt bei den Produzenten: Auf den Bauernhöfen. Eine durchschnittliche Anlage bringt eine Kapazität von 600 kW. In Österreich sind derzeit rund 350 Biogas-Anlagen im Einsatz. Sie erzeugen jährlich in etwa 150 Mio Kubik-meter Biogas (rund 2 % des jährlichen Gasbedarfs). In Deutschland sind es rund 9.700, in der Schweiz 30.
Biogas ist die drittwichtigste erneuerbare Energieform in Deutschland – nach der Wasserkraft und der Photovoltaik. 2019 wurden 8,1 Milliarden Euro mit der Produktion und Verwertung von Biogas in Deutschland umgesetzt, zwischen Flensburg und Berchtesgaden im Jahr 2020 5,2 % des verbrauchten Stroms aus Biogasanlagen gewonnen. Alleine in Niedersachsen beläuft sich die Biogaskapazität auf 1,4 Gigawatt, deutschlandweit sind dies 5,6 GW. Klar – bei einer Stromproduktion von 30 Terrawattstunden sind dies vernichtend geringe Zahlen!
Die anderen Bestandteile (neben Methan und CO2) sind Stickstoff N2 (0-7 %), Sauerstoff O2 (0-2 %), Wasserstoff H2 (0-1 %) und Schwefelwasserstoff H2S (0-1 %). Inzwischen sucht neben anderen auch die Technische Universität Graz im „Projekt Biogas 2H2“ nach einer Möglichkeit, aus der Biomasse Wasserstoff H2 zu extrahieren, der für den Antrieb von Brennstoffzellen dienen könnte. Ansonsten muss dieser sehr energie-aufwendig gewonnen werden.
Am interessantesten jedoch bleibt die Herstellung von Biomethan. Ein Kubikmeter Methan hat einen Energiegehalt von 9,97 kWh. Umgerechnet auf einen Methananteil von 60 % bei Biogas entspricht dies einem Energiegehalt von 6 kWh pro Kubikmeter (rund 0,6 l Heizöl).
In Blockheizkraftwerken erfolgt die Stromgewinnung. Leider wird in den meisten Fällen die Abwärme noch nicht zur Heizung von Gebäuden genutzt. Dadurch geht rund 2/3 der enthaltenen Energie verloren. Eine vorbildhaft geführte 190 kWh-Biogasanlage produziert rund 1,5 Mio kWh Strom und speist zudem 350.000 kWh Wärme in das Wärmenetz einer Gemeinde ein. Dadurch können 430 Haushalte mit Strom und 30 Haushalte mit Wärmeenergie beliefert werden. Hochgerechnet auf den CO2-Ausstoss ergibt sich gegenüber der Verwendung fossiler Treibstoffe (1.100 to CO2) eine Einsparung von zirka 650 to pro Jahr – dabei eingerechnet ist übrigens auch der Bau der Anlage!
Bei den Gasanbietern kann der Biogas-Anteil selbst gewählt werden. So erzeugt beispielsweise die Biogas-Aufbereitungsanlage Wien-Simmering pro Jahr über eine Million Kubikmeter Biomethan aus zirka 22.000 Tonnen biogenem Küchenabfall und speist dies in das Gasnetz ein. Aus 1,3 kg biogenen Hausabfällen lässt sich 1 kWh Strom gewinnen. Damit können 900 Haushalte der österreichischen Bundeshauptstadt umwelt-freundlich versorgt werden. Somit verringert sich der Ausstoss von CO2 um jährlich mehr als 3.000 Tonnen. Auch im schweizerischen Freiburg wird weitergedacht. Gemeinsam mit dem Projekt E Celsius nutzt die Stadt das durch die Klärschlammvergärung entstehende Gas nach erfolgter Aufbereitung zur Einspeisung in das städtische Gasnetz. 17.000 Kubikmeter Abwasser strömen täglich in die Kläranlagen der Stadt. Daraus entstehen jährlich 10 GWh Energie (gegengerechnet etwa 1 Mio Liter Heizöl). Damit ist der Wärmebedarf von 1.000 Einfamilienhäusern gedeckt.
Biomethan gelangt aber auch bei Gasmotoren zum Einsatz. So kann umgerechnet mit einer Tonne Grüngut ca. 1.000 Kilometer weit gefahren werden. Wurde der Methangehalt auf 98 % aufbereitet, so kann auch ein gasbetriebenes Fahrzeug ohne Folgen oder Problemen damit betankt werden. Dies reduziert den CO2-Ausstoss um bis zu 90 % und hilft alsdann beim Sparen auf jedem gefahrenen Kilometer. Biomethan kann zudem verflüssigt werden – man spricht dann von „LNG“ (Liquid Natural Gas). Damit werden LKW und Schiffe betankt und betrieben. Eine solche Aufbereitungsanlage steht neben 200 anderen in Deutschland in Pliening bei München.
Bei all diesen positiven Aspekten sollten aber auch objektiverweise die negativen nicht ausser Acht gelassen werden. So produzieren zusehends mehr Ackerbauern Mais oder Futterrüben (Energiepflanzen) nur für die Vergärung zu Biogas. Zur Zeit auf über 2 Mio Hektar Ackerland (1/5 des Gesamtackerlandes) – alleine in Deutschland. Durch Monokulturen verödet die Landschaft, Schädlinge oder Klima-Veränderungen können grossen Schaden anrichten (zur Resistentmachung gelangt die Genmanipulation zum Einsatz), der Boden wird ausgelaugt. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz aus dem Jahr 2014 versuchte die deutsche Bundesregierung dem entgegenzutreten. So erhalten seither grosse Betriebe nurmehr die Grundvergütung für die Stromeinspeisung, die Subventionen für Energiepflanzen wurden gänzlich gestrichen. Nurmehr Klein-Anbieter bis 75 kWh erhalten eine hohe Einspeisevergütung. Die Verwendung von Energiepflanzen sollte gänzlich verboten werden, da die Ernährung der Bevölkerung (v.a. fernab der grossen internationalen Lieferketten) immer mehr zum Problem wird (die derzeitigen Weizenpreise sprechen wohl Bände!). Nahrungsmittel sollten stets den Vorrang gegenüber Antriebsmitteln haben! Schliesslich gibt es genügend Küchenabfälle, Rückstände aus der Bier- und Weinproduktion (Treber), aus der Saftproduktion (Trester), Ernterückstände (Pflanzenblätter etwa) oder auch Molkerei- und Schlachtereiabfälle, Gülle oder Klärschlamm, die dafür eingesetzt werden kann. Apropos Gülle: Derzeit werden nur rund 1/4 der in Deutschland entstehenden tierischen Exkremente in Biogas-Anlagen vergärt – der Rest landet entweder auf den Ackern und Feldern, wo sie für eine übermässige Nitratbelastung des Grundwassers sorgt, oder wird in andere Staaten exportiert.
Daneben bestehen auch einige Gefahren, die von derartigen Biogas-Anlagen ausgehen. So entstehen hochentzündliche und extrem klima-schädliche Gase, die durch ein Leck leicht in die Umwelt abgegeben oder im Brandfall gar zu einer verheerenden Verpuffung führen können. Daneben bilden die Substrate, Gülle und Gärreste eine erhebliche Gefahr für Grund- und Fliesswasser. Schon mehrfach wurde schlichtweg ein Ventil bei einer Zuführungs- oder Ablassstelle nicht geschlossen, wodurch das Leben in Bächen oder Flüssen vernichtet wurde. Deshalb unterliegen Biogas-Anlagen strengen gesetzlichen Richtlinien und Kontrollen. Doch so sicher auch die Technik sein mag – menschliches Versagen kann niemals ausgeschlossen werden.
Nachdem bereits von ernst zu nehmenden Ökonomen mit einer Verdoppelung des derzeitigen Gaspreises bis kommendes Jahr gerechnet wird, wäre die Umstellung auf Biogas durchaus erstrebenswert. Es ist nicht nur klimaneutral und das ganze Jahr über verfügbar, sondern bietet auch die Möglichkeit, das Geld wertschöpfend in der eigenen Region zu belassen anstatt es nach Russland zu schicken. Ihrer Gastherme übrigens ist es völlig gleichgültig, ob Erdgas oder aufbereitetes Biogas verwendet wird.

Lesetipps:

.) Biogas-Praxis. Grundlagen, Planung, Anlagenbau, Beispiele; Heinz Schulz/Barbara Eder; Ökobuch 2005
,) Vom Bauern zum Energielieferant. Die Zukunft des Energiewirt; Martin Stroh; Landwirtschaftsverlag 2000
.) Energie aus Biomasse. Grundlagen, Techniken und Verfahren; Hrsg.: Martin Kaltschmitt/Hans Hartmann/Hermann Hofbauer; Springer 209
.) Kraftwerk Wiese Strom und Wärme aus Gras;Walter Graf; Books on Demand 1999

Links:

– www.biogas.org
– www.dbfz.de
– biogas.fnr.de
– www.ergar.org
– www.umweltbundesamt.de
– www.klimaaktiv.at
– www.gruenes-gas.at
– task37.ieabioenergy.com
– www.chemie.de
– www.aee.at
– gazenergie.ch
– oekostrom.at
– www.energieag.at
– gazenergie.ch
– www.biogas-netzeinspeisung.at

No Comments »

WP Login