Archive for Jänner, 2022

Arabischer Frühling – was übrig blieb!

„Freiheit ist es wert zu sterben!“
(George W. Bush, 2003)

Tunesien am 17. Dezember 2010: In Sidi Bouzid (250 km südlich der Hauptstadt Tunis) steht ein Mann auf dem Marktplatz. Er übergiesst sich mit Benzin und zündet sich selbst an. Tarek al-Tayeb Mohamed Bouazizi erliegt am 04. Januar 2011 seinen schweren Verbrennungen und Verletzungen. Der Gemüsehändler betrieb einen mobilen Gemüsestand. Damit ernährte er seine Mutter und die fünf Geschwister. Doch die Behörden machten es ihm nicht leicht: Wegen fehlender Genehmigungen wurde sein Stand mehrfach geschlossen, die Waren und auch die Waage beschlagnahmt. Als er auf der Polizeiwache dagegen Beschwerde einlegen wollte, wurde er schwer misshandelt.

„Seine Tat war der Funke, der den Flächenbrand entzündet und letztlich die ganze arabische Welt verändert hat!“
(Ibrahim al-Koni 2011 im „Tagesspiegel“)

Was damals noch niemand ahnen konnte: Bouazizis Selbsttötung hat den Arabischen Frühling ausgelöst. Revolutionen, die wie ein Lauffeuer ganz Nordafrika und den Nahen Osten erfassten. Leider grossteils mit sehr blutigem Wegzoll! Doch – was blieb übrig? Was hat sich dort seither getan? War der sehnliche Wunsch nach Freiheit und Demokratie die zigtausenden Opfer wert? Eine Bilanz!

.) Tunesien
Bouazizi wurde im Krankenhaus noch vom tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali besucht. Danach musste dieser nach 23 Jahren Regierungsverantwortung am 14. Januar Tunesien fluchtartig verlassen. Bereits am 17. Dezember gab es die ersten Proteste, die immer mehr wurden – leider auch verbunden mit Plünderungen und Gewaltexzessen. Aus den Unruhen wurde ein Volksaufstand, aus dem Volksaufstand eine Revolution. Über das Land wurde der Ausnahmezustand verhängt. Als sich das Militär auf die Seite der Demonstranten stellte, wurde eine Übergangsregierung („Regierung der nationalen Einheit“) erstellt und ein Übergangspräsident in’s Amt bestellt. Die Proteste jedoch rissen nicht ab, sie richteten sich vornehmlich gegen Mitglieder der Regierung, die bereits der Ben-Ali-Regierungspartei angehörten. Viele von ihnen schieden schliesslich am 27. Januar 2011 aus der Regierung aus. 2014 wurde die Autokratie Ben Alis durch eine demokratische Verfassung mit anschliessenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ersetzt. Seither ist es ruhiger geworden in Tunesien. Tatsächlicher Grund für die Unruhen waren allerdings die stark gestiegenen Lebensmittelpreise und Energie-kosten, die hohe Arbeitslosigkeit, die miserablen Zukunftsperspektiven der Jugend und die Korruption der bisherigen Regierung. Ben Ali übrigens kam 1987 durch einen Putsch an die Macht. Gegen ihn erliess die tunesische Justiz am 27. Januar 2011 einen internationalen Haftbefehl, wie auch gegen seine Frau Leila und einige seiner engsten Mitarbeiter. Ben Ali verstarb am 19. September 2019 in Dschidda/Saudi Arabien.

.) Algerien
Dieses Land ist schnell abgearbeitet, da hier seit 1999 Präsident Abd al-Asis Bouteflika mit eiserner Faust regierte. Zuvor stand Algerien 19 Jahre lang im Ausnahmezustand, der dem Präsidenten zusätzliche Macht-befugnisse bescherte. Am 05. Januar 2011 begannen die Unruhen. Grund dafür waren ebenso die stark gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel und die schlechten Zukunftsperspektiven der grossteils gut ausgebildeten Einwohner. Der Ausnahmezustand wurde aufgrund des Drucks aus der Bevölkerung am 22. Februar aufgehoben. Hinter den Aufmärschen stand allerdings keine einheitliche Organisation, was sie zu Einzelereignissen machte. Die Polizei knüppelte sie mit Schlagstöcken nieder. Im April wurden erneut Unruhen im Keim erstickt. So zudem am 05. Oktober 2011, dem Jahrestag der Demokratiebewegung 1988. Deren Initiatoren wurden verhaftet. 2013 flachten die Demonstrationen ab – Präsident Bouteflika erlitt kurz danach einen Schlaganfall, kandidierte allerdings nach einer Verfassungsänderung (anno 2016) bei der Wahl 2019 erneut. Dies führte zu weiteren, landesweiten Protesten. Daraufhin zog Bouteflika seine Kandidatur zurück. Zwei Jahre später, am 17. September 2021, verstarb „Boutef“ Bouteflika. Nach den Präsidentschaftswahlen trat am 19. Dezember 2019 Abdelmadjid Tebboune das Amt des Premierministers an. Das Militär stellte sich hinter ihn, der Verfassungsgerichtshof bestätigte seine Wahl (1. Wahldurchgang 58,15 %). Er liess das Volk über eine neue Verfassung abstimmen, das diese auch bestätigte. Danach stellte er die Geheimdienste unter die Kontrolle der Regierung. Dieser Schritt begrenzte die Macht des Militärs. Seither wurde es auch in Algerien wieder ruhig.

.) Ägypten
Am 25. Januar 2011 („Tag des Zorns“) begann in Ägypten der Arabische Frühling in Form einer Grosskundgebung gegen das korrupte Regime von Präsident Husni Mubarak. Es gärte allerdings schon vorher, da auch in Ägypten seit 30 Jahren Notstandsgesetze in Kraft waren, die dem Präsidenten entscheidende Machtbefugnisse zugestanden. Demonstra-tionen der elitären Oppositionsbewegung wurden stets mit Polizeigewalt niedergeschlagen, Reformen nur unmerklich durchgeführt, sozusagen um den Schein zu wahren. Auch hier waren es wohl die desolate Wirt-schaftslage und die Perspektiven, die die Menschen auf die Strassen trieben. Ägypten galt bislang als guter Partner des Westens, weshalb hier die Entwicklung mit grösster Sorge beobachtet wurde. In der Regierungspartei selbst herrschte Uneinigkeit über den zukünftigen Weg des Landes. Die Unruhen kamen somit zu einem mehr als ungünstigen Moment. Organisiert wurden sie vornehmlich durch die Mittelschicht-jugend via sozialer Netzwerke. Mubarak hatte die Jahre zuvor versucht, seinen Sohn Gamal als Nachfolger aufzubauen. Der jedoch versuchte ein Netzwerk mit den Wirtschaftstreibenden und Grossunternehmern aufzu-bauen. Ihm fehlte der Rückhalt im Militär, weshalb sich nach und nach Teile der Armee auf die Seite der Demonstranten stellten, da die Offiziere ihre lukrativen Nebengeschäfte dahinschwinden sahen. Am 11. Februar 2011 schliesslich übernahm das Militär unter dem bisherigen Verteidigungsminister Generalfeldmarschall Muhamed Hussein Tantawi offiziell die Macht, dem sich auch die bis zuletzt für Mubarak gewaltsam kämpfenden Polizei- und Sicherheitskräfte unterordneten. Husni Mubarak wurde abgesetzt, später zu lebenslanger Haft verurteilt, seine National-demokratische Partei NDP aufgelöst. Viele wurden unter Anklage gestellt. Die anschliessenden Parlamentswahlen gewann die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ (Muslimbrüderschaft). Diese war jedoch intern selbst uneins: Der konservative Flügel forderte den Umbau der Gesellschaft nach islamischen Vorstellungen, während der progressiv-reformistische Flügel einen Zivilstaat mit religiösem Rahmen forderte. Mohamed Mursi übernahm die Präsidentschaft. Dies trieb wiederum die liberalen, linken und säkulären Kräfte auf die Barrikaden. Am 29. November 2012 beschloss die Verfassungsgebende Versammlung einen Entwurf für eine neue, auf der Scharia aufbauenden Verfassung. Erneut waren Unruhen die Folge. Hierauf putschte das Militär. Bei den Neuwahlen 2014 siegte mit Generaloberst Abd al-Fattah as-Sisi erneut ein Autokrat. Er wurde im April 2018 mit 97 % der Stimmen wiedergewählt. Allerdings übten viele unabhängige Wahlbeobachter Kritik an diesen Wahlen.

.) Jordanien
Schon am 07. Januar 2011 gab es in Jordanien erste Demonstrationen. Sie richteten sich nicht gegen das Königshaus, sondern gegen die Regierung. Auch hier waren es vor allem Preissteigerungen bzw. die Streichung von Subventionen auf Benzin, Diesel und Erdgas. Am 26. Januar 2011 schliesslich kam es zu einem durch die Islamische Aktionsfront ausge-rufenen Protest. König Abdullah II. bin al-Hussein forderte daraufhin Reformen ein. Ministerpräsident Samir ar-Rifai wurde abgesetzt. Der König änderte die Verfassung insofern, dass der Regierungschef und dessen Kabinett durch das Parlament gewählt wird, er jedoch ein Veto-Recht ausüben kann. Am 23. Januar 2013 wurden Parlamentswahlen abgehalten, aus welchen die Loyalisten als Sieger hervorgingen. Dies führte erneut zu Protesten vor allem aus dem Kreise der Muslimbrüder und ihren Anhängern, die die Wahlen boykottierten.

.) Kuwait
Die ersten Proteste begannen am 18. Februar 2011 in al-Dschahra. Hierbei ging es jedoch nicht um Preissteigerungen sondern um die Ver-leihung der Staatsbürgerschaft. Insgesamt sollen dabei 30 Demons-tranten verletzt worden sein. Es folgten Proteste der Opposition gegen die Korruption von Regierungsmitgliedern. Die Regierung von Nasir al-Muhammad al-Ahmad as-Sabah trat am 28. November zurück. Zuvor hatten Hunderte Demonstranten das Parlamentsgebäude gestürmt. Kuwait ist eine konstitutionelle Erbmonarchie. Der Emir ist sowohl welt-liches, als auch geistliches Oberhaupt.

.) Marokko
In Marokko versammelten sich am 20. Februar 2011 („Tag der Würde“) tausende Demonstranten nach einem Aufruf auf Facebook. Es kam zu Unruhen, die in der Stadt Al-Hoceima fünf Todesopfer forderten (Brand einer Bankfiliale). Die Demonstrationen hatten auch hier eine neue Verfassung zum Ziel – Marokko ist eine konstitutionelle Monarchie. König Muhammad VI. schwenkte ein, musste dadurch einen Teil seiner Befugnisse abtreten. So wird seither der Regierungschef aus der Partei mit den meisten Parlamentssitzen gewählt und die Judikative deutlich von der Exekutive getrennt. Die neue Verfassung wurde am 01. Juli 2011 mittels eines Referendums mit 98 % bestätigt.

Mohamed Bouazizi erhielt postum 2011 den Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments, in Paris wurde ein Platz nach ihm benannt. Die tunesische Post widmete ihm eine Briefmarke! Es hat sich noch weitaus mehr in der arabischen Welt damals bis heute getan. Davon berichte ich in der kommenden Woche.

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So manches Privathaus würde abgerissen werden

All jene unter Ihnen, die sich während der Feiertage nicht vollends vom weihnachtlichen Glanz haben blenden lassen, werden die Tagesschlag-zeile in den Nachrichten mitverfolgt haben: Frankreich will am Atomstrom festhalten, die EU will ihn künftig gar als „klimafreundlich“ und somit nachhaltig bezeichnen, sofern sie den aktuellsten Standards entsprechen und bis 2050 eine Entsorgungsanlage für hochradioaktiven Abfall errichtet wird. Das stösst v.a. dem Nachbarn Deutschland mehr als sauer auf – wird doch hier an einer atomfreien Zukunft gearbeitet – ebenso wie in Österreich seit jeher. Alsdann wurde am 31. Dezember 2021 der letzte Block des Siedewasser-AKWs Grundremmingen abgeschaltet. Bundes-umweltministerin Steffie Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) meint durchaus zurecht, dass eine Technik, die gefährliche Abfälle hinterlasse, niemals nachhaltig sein könne! Aber auch aus dem Alpenland gibt es keine guten Worte hierfür, ist es doch förmlich umringt von Schrottmeilern – die meisten davon noch nach sowjetischer Bauart. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat unterdessen mit aller Vehemenz betont, dass sein Land die gesteckten CO2-Ziele nur mit der Hilfe der Atomkraft schaffen werde. Gesagt getan versprach er gleich darauf eine Milliarde Euro für die Kernkraft und den Bau neuer Reaktoren. Anbieter Électricité de France SA (EDF) nahm ihn beim Wort und legte die Pläne für sechs weitere Druck-wasserreaktoren auf den Tisch. Es wird also weitergehen in Frankreich.
Klimafreundlich? Unter Umständen, doch wird zu warmes Wasser in die Flüsse abgeleitet. Nachhaltig? Keineswegs, braucht doch der dabei ent-stehende, strahlende Atommüll mehrere tausend Jahre bis zur Halb-wertszeit.

Die Katastrophe von Fukushima liess die deutsche Kanzlerin eine 180-Grad-Kehrtwende beschreiten – ähnlich wie jenes kleine Flüchtlings-mädchen, das erstmals öffentlich im Fernsehen Emotionen bei Frau Merkel aufkommen liess. Danach folgte das allseits bekannte „Wir schaffen das!“. Doch Deutschland kann atomfrei planen – so lange die Nachbarn nicht mitmachen, erscheint alles eher sinnlos. So stehen rund um deutschen Boden nicht weniger als neun Kernkraftwerke mit ins-gesamt 20 Reaktoren – innerhalb von gerade Mal 100 Kilometer nach der Grenze. 100 Kilometer – ein Klacks für eine atomar verseuchte Staub-wolke. Wer damals den Super-Gau von Tschernobyl am 26. April 1986 miterlebt hat, wird sich noch erinnern können, wie es ist, wenn aufgrund des kontaminierten Fallouts die Kinder nicht in den Sandkisten spielen und keine selbstgesammelten Pilze oder Wildfleisch verzehrt werden darf. Dabei liegt der Katastrophenort 1.044 km von Wien und 1.147 km von Berlin entfernt. Tihange im benachbarten Belgien aber ist eines dieser 100-km-AKWs. Die Meiler befinden sich rund 70 km von Aachen ent-fernt. Sollte also aufgrund eines Defektes oder Unfalles Radioaktivität austreten, so gehören die beiden Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit zu den ersten, die davon betroffen wären. Utopie? In keinster Weise – bei dieser Bausubstanz und dem Stand der Technik. So berichtete etwa die Tagesschau 2015 über einen Brand im Reaktorblock 1. Es war zwar ein Feuer im nicht-nuklearen Bereich, doch sollte dies nicht auf die leichte Schulter genommen werden: Der Block hat sich sofort automatisch selbst abgeschaltet, eine Gefahr soll nicht bestanden haben, versucht die Betreiberfirma Electrabel zu beruhigen. Erst kurz zuvor war – trotz grossem Protest aus Deutschland, der Reaktor-Block 2 wieder hochgefahren. Dieser sorgte 2012/2013 für sehr grossen Unmut, als tausende Risse im Reaktor-Druckbehälter sowie Erosionen an der Stahlbeton-Hülle festgestellt wurden – ebenso übrigens wie im 2. Schrottmeiler Belgiens, Doel-3! Im Reaktor 2 gab es immer wieder Probleme in den Jahren 1983, 1990, 2018 und 2019. Daneben wurde im Oktober 2014 bekannt, dass zwischen 2009 und 2012 ein polizei-bekannter Dschihadist dort gearbeitet hatte – als Techniker im Hoch-sicherheitsbereich. Die Druck-Behälter sind in den 70er-Jahren durch das niederländische Unternehmen Rotterdam Drydock geliefert worden, das inzwischen nicht mehr am Markt tätig ist. Baugleiche Typen standen auch in Deutschland (Philippsburg I und Brunsbüttel – beide sind inzwischen stillgelegt), den USA und der Schweiz. 2013 bekundete selbst die Atomaufsicht AFCN Bedenken gegen ein erneutes Hochfahren des Reaktors. Dennoch wurde es immer wieder ans Netz genommen.

Apropos Schweiz – auch bei den Eidgenossen stehen mehrere Schrott-meiler. So kommt es beispielsweise im regelmässigen Abstand von zwei Jahren zu Zwischenfällen am AKW Leibstadt, die jedoch zumeist auf menschlichen Fehlern beruhen. Anders zeigt sich da schon das AKW Gösgen bei Däniken. Rund 60 km von der deutschen und 200 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt, kommt es hier immer wieder zu Zwischenfällen. einmal waren es zwei Ventile, die zu einer Schnell-abschaltung führten, ein anderes Mal eine nicht absperrbare „Speise-wasserleckage“ an einer Messleitung. Die zweitägige Reparatur verur-sachte einen Produktionsausfall von 57 Mio Kilowattstunden. Rund ein halbes Jahr später führte im selben Jahr 2019 ein Kurzschluss in der Schaltanlage zu einer zweiwöchigen Abschaltung, da ein Transformator gewechselt werden musste (Produktionsausfall: 409 Mio kWh). Das AKW Gösgen sei jedoch nach Angaben von Verwaltungsratspräsident Michael Wider in gutem Zustand und solle noch weitere 20 Jahre betrieben werden (Stand: 2020).
Diese Simulation zeigt die Auswirkungen bei einem möglichen Zwischenfall in Supergau-Grösse des inzwischen stillgelegten AKWs Mühleberg – ebenfalls nicht weit von der deutschen und österreichischen Grenze entfernt:

Auch das zweite Alt-AKW Beznau sorgt für grosse Bedenken: „…eines der gefährlichsten Atomkraftwerke der Welt“! Im Jahre 1969 erbaut befindet sich das AKW nur sechs Kilometer von der deutschen und 111 km von der österreichischen Grenze entfernt. Block 1 war der erste Atommeiler der Schweiz. Im Vergleich zu Mühleberg bestellte der Betreiber NOK (Nord-ostschweizerische Kraftwerke AG) Druckwasser-Reaktoren bei Westing-house aus den USA, ausgestattet mit Turbosätzen der Firma Brown, Boverie & Cie (BBC). Bereits beim Hochfahren des ersten Reaktors gab es Probleme mit der Abdichtung des Primärkreislaufes, mit den Wellen-abdichtungen der Pumpen, der Absauganlage im Sicherheitsbehälter etc. Zudem griff borisiertes Wasser die galvanisierten Schalungsbleche an. Eine Sanierung folgte. Und so ganz nebenbei wurde das Warmwasser, nachdem beide Blöcke den Vollbetrieb aufgenommen hatten, kurz vor deren Mündung in den Rhein in die Aare eingeleitet. Die Folge: Eine Überwärmung des Flusses. Die Serie an Zwischenfällen riss in all den Jahren nicht ab. Erste Korrosionserscheinungen am Block 1 wurden an den Dampferzeugern bereits 1971 festgestellt. „Der Tagesanzeiger“ berichtete 2016 von nahezu tausend Löchern im Reaktor-Stahl von Block 1 („Einschlüsse“). Nicht nur Mikro-Löcher – manche haben einen Durchmesser von bis zu einem halben Zentimeter. Daneben ist die Reaktorummantelung spröde geworden. Beznau hat an sich eine unbefristete Betriebsgenehmigung erhalten – beide Blöcke sollen 2030 abgeschaltet werden. Kommt in der Schweiz das dienstälteste, noch in Betrieb befindliche Kernkraftwerk zur Sprache, so weiss der Eidgenosse durchaus mit dem Ausdruck „Technikmuseum Beznau“ etwas anzu-fangen. Die Kernkraft-Gegner schreien indes immer lauter auf: Beznau gibt während des laufenden Betriebes krebserregende Strahlung ab. Etwa in Form des Kühlwassers der Aare, die dadurch mit Tritium kontaminiert wird. Bei einem Störfall sind hunderttausende Menschen betroffen – riesige Gebiete auf Dauer unbewohnbar! Die Schweiz übrigens zur Gänze! Trotz alledem erhielt das Kernkraftwerk Beznau im Jahre 2001 das ISO-Zertifikat 14001 – ein Hohn gegenüber der Zertifizierungspraxis. Seit 1995 gab es insgesamt 128 meldepflichtige Vorkommnisse!

Nur einen guten Kilometer westlich der deutsch-französischen Grenze befindet sich das älteste französische Kernkraftwerk Fessenheim. Die beiden Druckwasserreaktoren sollten eigentlich Ende 2016 stillgelegt werden, auch sie wurden durch die US-Amerikaner Westinghouse geliefert und gingen 1977 in Betrieb. Beide Blöcke dieses Schrottmeilers wurden gottlob im Jahr 2020 abgeschaltet. Doch verweilen wir noch etwas in Frankreich, das diskussionslos auch weiterhin auf die Atomkraft setzt. Im Januar dieses Jahres waren insgesamt zehn von 56 AKWs nicht am Netz. Darunter auch jene in Penly/Normandie und Civaux/Nouvelle Aquitaine sowie Chooz/Grand Est. Nach Angaben der stellvertretenden Leiterin des Instituts für Strahlenschutz und Atomsicherheit (IRSN), Karine Herviou, soll es sich um Risse im Sicherheitskühlsystem bzw. Korrosions-problemen handeln.
Das alles aber ist vergleichbar harmlos, betrachtet man sich die Vorkommnisse rund um das Vorzeige-Kernkraftwerk Flamanville/ Normandie. Im Jahr beschloss die zum grössten Teil im Staatsbesitz befindliche Electricité de France (EDF) den Ersatz des in die Jahre gekommenen Blocks 3 durch einen leistungsstarken Druckwasser-reaktors. Das Projekt wurde als „Rolls Royce du nucléaire“ in höchsten Tönen gelobt. Der Neubau sollte nach Angaben der Betreiberfirma 3,4 Milliarden Euro kosten. 15 Jahre später sprach der französische Rechnungshof von „… die eigenen Fähigkeiten und Kapazitäten überschätzt und die Kosten und ungelösten Probleme unterschätzt!“ Die tatsächlichen Kosten beliefen sich alsdann auf rund 19,1 Milliarden Euro. Aus der Inbetriebnahme im Jahr 2012 wurde … nichts! Er befindet sich nach wie vor im Bau – jetzt geplante Inbetriebnahme im Jahr 2023. „Sehr ernste Sicherheitsmängel“ haben das Ihre dazu beigetragen. So etwa fehlerhafte Schweissnähte im zentralen Reaktordruckbehälter oder einen zu hohen Kohlenstoffgehalt in der Stahldecke. Somit musste vor der Inbetriebnahme des Blocks bereits grossflächig saniert werden. Übrigens traten dieselben Probleme in Olkiluoto an der Westküste Finnlands auf, an dem auch die deutsche Siemens beteiligt ist. Ein weiterer solcher Druckwasserreaktor befindet sich im britischen Hinkley Point im Bau – geplante Inbetriebnahme 2025. Auch hier explodierten die Kosten von veranschlagten 20 auf vorerst 28,4 Milliarden Euro.

Vor einer durchaus ähnlichen Situation wie Deutschland steht auch Österreich. Im Umkreis von 150 km liegen nicht weniger als 12 Kernkraftwerke, alleine vier davon mit rund 200 km in unmittelbarer Nähe zum Ballungsraum Wien: Bohunice, Mochovce, Temelin und auch Dukovany. Ausgerechnet letzteres ist mit ca. 50 Kilometern Luftlinie zur österreichischen Grenze (zur deutschen sind es 175 km) eines der ältesten Tschechiens. Die drei anderen genannten liegen allesamt in der Slowakei. Temelin nur ca. 60 km von der österreichischen Grenze entfernt – doch wurde dieses erst im Jahr 2002 an’s Netz genommen. Sicherlich ist Dukovany im Vergleich zu den bisher angesprochenen Schrottmeilern ein Jungspund, doch zählt es zu jenen Kernkraftwerken, die nach sowjetischem Vorbild erbaut wurden. Ein Inspektor der IAEO meinte einst, dass in so manchem dieser AKWs Schalter noch mit Streichhölzern fixiert wurden! Block 1 dieses Schrottmeilers sollte eigentlich Ende 2015 vom Netz gehen (die anderen drei 2016 bzw. 2017), doch wurde die Betriebsdauer nun auf 50 bis 60 (!) Jahre verlängert. Und dies obgleich Sicherheitsvorkommnisse nahezu zur Tagesordnung gehören. Diese Druckwasserreaktoren russischer Bauart weisen einerseits viel zu geringe Wandstärken auf, andererseits fehlt ein stabiles Containment. Erwähnt man alsdann im Beisein eines Kernkraft-Experten die Worte „erdbeben-sicher“ und „gefeit gegen Flugzeugabsturze“ , so bricht dieser in ein nicht mehr enden wollendes, schallendes Gelächter aus. Zudem befindet sich das Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente ausserhalb des Sicherheitsbehälters, die Blöcke stehen (wie auch in Fukushima) zu nahe nebeneinander, die Kühltürme sind dermassen in Mitleidenschaft gezogen, dass sie extremen Wetterverhältnissen gar nicht mehr stand-halten würden. Ausserdem befindet sich auf demselben Gelände ein Endlager für schwach- und mittelaktiv-strahlenden Atommüll. Zuguter-letzt versuchen die Betreiber immer wieder Leistungserhöhungen zu erzielen. Dadurch sinken auch die Sicherheitsreserven – irgendwann wird dem gegenüber das Material nicht mehr standhalten. Ferner werden durch derartige Abbranderhöhungen auch mehr längerlebige Radio-nuklide produziert, die eine Kontamination im Störfall verstärken.

https://www.w24.at/Video/Dukovany-Hohes-Risiko-nach-Stoerfall/8239

Der Ausdruck „Bröckel-Reaktoren“ übrigens stammt nicht etwa von Kernkraftgegnern sondern nahm seinen Ursprung direkt in der Landesregierung NRWs, bei Umweltminister Johannes Remmel (Bündnis 90/Die Grünen). Im Hohen Haus in Berlin ist nicht selten auch von „Flick-Schusterei“ die Rede, da eine Generalsanierung oder grossflächige Reparatur wirtschaftlich zu teuer kommt und somit nicht rentabel ist.
Belgien hat nach Fukushima den Kernenergie-Ausstieg zugesagt, aller-dings nur dann, wenn andere ausreichende Energie-Reserven vorliegen. Die Schweiz – nach eigenen Aussagen das schönste und reichste Land der Erde – betreibt die ältesten und gefährlichsten Kernkraftwerke. Auch Fukushima änderte nichts an der Tatsache, dass weitere erbaut werden sollten. Doch wurde der Druck der Bevölkerung und der Nachbarn zu stark. In Deutschland sind derzeit noch sechs Kraftwerke in Betrieb – die ältesten wurden bereits abgeschaltet. Wie kurzsichtig Brüssel reagiert, ist am besten an der Milliarden-Subventionsspritze für das englische Kernkraftwerk Hinkley-Point aufzuzeigen. Weshalb Berlin in dieser Thematik nicht ebenso wie Wien Klage dagegen eingebracht hat, ist wohl nur im Bundeskanzleramt bekannt. Schliesslich ist auch in Deutschland die Atommüll-Endlagerung noch mit einem riesengrossen Fragezeichen behaftet. Ein Fass ohne Boden für deutsche Steuergelder. Ebenso übrigens wie die Sanierung von Uran-Minen. „Wismut“ im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Thüringen verschlang 6,5 Milliarden Euro! Und zudem wurde der Reaktortyp von Tschernobyl kurz vor der Katastrophe als „sicher“ erklärt! Ausserdem darf die Gefahr eines terroristischen Anschlages gerade jetzt nicht unterschätzt werden. Oder das Szenario eines Flugzeug-Absturzes! Seit Juni 2014 muss nicht mehr nur für Neubauten sondern auch für Betriebszeitenverlängerungen europaweit eine Umweltverträglichkeitsprüfung absolviert werden („Espoo-Konvention“). Allerdings sind diese zu 99 % nicht grenzüberschreitend, sodass auch die Nachbarländer eine Einspruchsmöglichkeit nutzen könnten. Atomenergie ist und bleibt eine nationale Angelegenheit!
Von 133 Kernkraftwerken in Europa gelten 62 als Hochrisikoreaktoren. Der Super-Gau von Tschernobyl hat es aufgezeigt: Bei anderer Witterung wäre die Giftwolke vielleicht gleich nach Westeuropa getrieben. Nicht auszudenken, was das für unsere Breitengrade bedeutet hätte. Voll-kommen gleichgültig also, ob ein solches Schrottkraftwerk 100 oder 200 km von der Grenze entfernt steht – bekommen die Bewohner dieser Kernzone Wind von einem schweren Störfall, so wird es für die meisten unter ihnen zu spät sein. Im August 2010 beispielsweise wurden in Fessenheim nicht weniger als 50 Kubikmeter radioaktiver Gase frei-gesetzt. Obgleich die Zerfallsaktivität nach Angaben der Autorité de sûreté nucléaire (ASN – staatliche französische Atomsicherheits- und Aufsichtsbehörde) nicht gemessen wurde, ist der Vorfall gerade mal mit INES 0 bewertet worden: „Ereignis ohne oder mit geringer sicher-heitstechnischer Bedeutung“. INES ist die Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse – sie reicht bis zum „Katastrophalen Unfall“ = INES 7! Kurz nach dem Unfall in Tschernobyl schalteten schwedische Atomkraftwerke automatisch ab, da zu hohe Strahlungswerte gemessen wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sowjets noch gar keinen Störfall gemeldet!!!
Bei all dem sollte eine Schlagzeile nicht fehlen, die bei so manchem unter Ihnen für lautes Gelächter sorgen wird, anderen hingegen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt: 2008 bohrte im schweizerischen AKW Leibstadt ein Mitarbeiter sechs wanddurchdringende Löcher in das Primärcontainment, um daran Feuerlöscher aufzuhängen.
Tja und von „nachhaltiger Energie“ kann wohl nur dann gesprochen werden, wenn ein Rückbau zur sog. „Grünen Wiese“ erfolgt, aus dem Areal also tatsächlich wieder nicht belastete Grünfläche oder Ackerland gewonnen wird. Der Rückbau zur „braunen Wiese“ bedeutet die weitere Verwendung für industrielle Zwecke. Für den Rückbau werden mancherorts (Schweiz) Fonds bereits während der Laufzeit eingerichtet, andernorts übernimmt dies der Stromkunde oder Steuerzahler.

Lesetipps:

.) „Atomkraft – nein danke!“: Der lange Weg zum Ausstieg. Die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung; Wolfgang Sternstein; Brandes & Apsel 2013
.) Kernenergie: Eine Technik für die Zukunft? (Technik im Fokus); Hrsg.: Julia Neles/Christoph Pistner; Springer 2012
.) Die Versicherung der Atomgefahr; Christoph Wehner; Wallstein Verlag 2017
.) Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft; Joachim Radkau/Lothar Hahn; oekom verlag 2013
.) Das Kreuz mit dem Atom: Die Debatte um die Kernenergie und die christlichen Grundwerte der CDU; Stefan Bürgel; LIT Verlag 2018
.) Störfall Atomkraft: Aktuelle Argumente zum Ausstieg aus der Kernenergie; Hrsg.: Ralph TH. Kappler/Karl W. Hoch/Astrid Schneider; VAS-Verlag für Akademische Schriften 2010
.) Der Traum vom eigenen Reaktor: die schweizerische Atomtechnologieentwicklung 1945-1969; Tobias Wildi; Chronos 2003

Links:

– www.bmub.bund.de
– www.umweltinstitut.org
– www.contratom.de
– www.mitwelt.org
– www.greenpeace.de
– rp.baden-wuerttemberg.de
– www.fanc.fgov.be
– www.electrabel.be/
– www.stop-tihange.org
– www.anti-akw-ac.de
– www.derbund.ch
– www.ensi.ch
– www.energiestiftung.ch
– www.bkw.ch
– www.kernenergie.ch
– www.axpo.com
– www.menschenstrom.ch
– www.nein-zu-neuen-akw.ch
– www.mesure-radioactivite.fr
– www.asn.fr
– www.irsn.fr
– www.cez.cz
– www.bmlfuw.gv.at
– www.unet.univie.ac.at
– www.global2000.at
– www.atomkraftfreiezukunft.at
– www.world-nuclear.org

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Die fünfte Jahreszeit

Der leider bereits verstorbene Kabarettist Dieter Hildebrandt meinte 2003 in der Sendung „Unter4Augen“:

„Mensch bedenke: Die Bakterien werden uns von der anderen Seite des Mikroskops aus beobachten!“

Ehrlich? Vor allem in der „Fünften Jahreszeit“ würde es mich durchaus interessieren, was so manch getreuer Vierbeiner angesichts der vielen Jecken und Narren von der Krone der Schöpfung und deren mehr als dubiosen Verhalten in diesen Wochen meint. Sei’s drum – leider sind auch heuer die meisten Grossveranstaltungen abgesagt, da sich nach wie vor einige unmaskierte Narren weigern, an Massnahmen zur Verbesserung jener Lage zu halten, gegen die sie höchstpersönlich auf die Strasse gehen. Aber – das ist wieder eine ganz andere Geschichte!
Lassen Sie uns heute doch mal einen Blick auf die Hintergründe dieses närrischen Treibens werfen, denn viele zwängen sich zwar alljährlich in ein Kostüm, wissen jedoch nicht warum! Fehlt hier der Zusammenhang – wird daraus tatsächlich ein sinnloses Tun! Dabei ist die Geschichte durch-aus interessant.
Der grundsätzliche Gedanke sowohl der Fasnächte als auch des Karnevals lag in dem Aufbrauchen verderblicher Lebensmittel vor dem Beginn der Fastenzeit – also in der christlichen Zeit, nicht wie oftmals angenommen in der vorchristlichen. Zu diesem Fress- und Trinkgelage wurden Freunde und Verwandte eingeladen. Aufzeichnungen lassen darauf schliessen, dass dies bereits im 12./13. Jahrhundert praktiziert wurde.
Je nach Region wird auch heute noch unterschiedlich gefeiert:

1. Die Schwäbisch-alemannische Fastnacht
Eigentlich ist sie noch gar nicht so alt – dennoch der höchste Würden-träger unter allen Varianten: Die schwäbisch-alemannische Fastnacht zählt seit dem Jahr 2014 zum deutschen Verzeichnis des immateriellen Weltkulturerbes nach den Richtlinien der UNESCO. Gefeiert wird sie in Südwestdeutschland sowie der Nordost- bzw. Zentralschweiz. Dement-sprechend unterschiedlich sind auch die Schwerpunkte oder die Bezeichnungen. So schwanken diese zwischen Fasnacht, Fasnet, Fasnad oder auch Fasent. Historisch leitet sich Fasnet von der frühneuzeit- bzw. mittelalterlichen Fasnacht ab, deren Tradition im 20. Jahrhundert wieder ausgegraben wurde. In der Schwäbisch-alemannischen Fastnacht treffen sich die „Narrenhäs-Träger“, also Menschen, die sich mit Larven oder „Schemen“ zumeist aus Holz verkleidet haben. Das Narrenhäs wird vom Träger über Jahre hinweg verwendet, manches Mal gar vererbt. Beginn des ganzen Zinnobers ist der Dreikönigstag, an welchem die Larven „abgestaubt“ werden. Den Höhepunkt stellt der „Schmotzige Dunnschtig“ dar, andernorts auch als „Gumpiger Donnerstag“ bekannt. Dann trifft man auf den Strassen oder bei so manchem Narrentreffen auf jede Menge „Schneller“ (Bodenseekreis), „Klepfer“ (Rottweil) oder „Häser“ (Villingen). Am oberen Neckar sind es die „Abstauber“ und in Rottenburg am Neckar die Hexen. Nahezu jedes Wochenende steigt in pandemiefreien Jahren eine Narrenversammlung. Der zweite wichtige Termin der schwäbisch-alemannischen Fasnet ist der 02. Februar – Maria Lichtmess. Die Anzahl der Veranstaltungen nimmt rasant zu. Da feiert man in Oberschwaben das „Maschgern“, im Schwarzwald das „Schnurren“, in Villingen das „Strählen“, in Oberndorf das „Hecheln“ und in Schömberg das „Welschen“. Andernorts heisst es auch ganz einfach „Aufsagen“! Inhalt dieses Auf-sagens sind die Ereignisse des letzten Jahres, die lustig aufbereitet als Vierzeiler oder Lieder von den maskierten Narren dem Volk dargeboten werden. Diese ziehen von Gasthaus zu Gasthaus, wo sie meist schon sehnsüchtigst erwartet werden. In früheren Zeiten wurde dies an unterschiedlichen Stationen auf der Strasse gezeigt.
Auch für den Schmotzigen Dunnschtig gibt es Namen, die nach Regionen variieren können: Gausaliger Donschdig, Schmitziga Dorschdich, Dicker Donnerstag, Glombiger Doschdig, … „Schmotzig“ bedeutet im Alemannischen „fettig“. Alsdann wurden an diesem Tag zumeist fette Speisen gereicht: Fasnetsküechle, Krapfen oder auch „Nonnenfürzle“. In Konstanz etwa wird die Bevölkerung bereits um 06.00 Uhr durch Trommler und Fanfarenzüge geweckt. Nachdem die Stadt- oder Gemeinderegierung beim Rathaussturm abgesetzt wurde, übernehmen die Narren das Kommando. Gefeiert wird mit unzähligen Umzügen und Strassenfasnachten. In Rottweil und Oberndorf sind dies auch heute noch die bekannten „Narrensprünge“. 1924 gründeten die Narrenzünfte die „Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte“ (VSAN). 1937 folgte der Verband oberrheinischer Narrenzünfte und schliesslich 1959 die Narrenvereinigung Hegau-Bodensee. Die Aufgabe dieser Dach-verbände liegt vornehmlich in der Bewahrung des Brauchtums. Die Gestalt der Hexe kam erst 1933 mit der Gründung der Hexenzunft in Offenburg in’s Spiel – nicht unbedingt zum Wohlwollen der Brauchtum-schützer, die die Fasnacht dadurch gefährdet sehen. Sie beruht einerseits auf Märchen, andererseits auf den Überlieferungen über die mittelalter-lichen Hexen. Auch in Tirol gehört die Hexe als ein wichtiger Bestandteil zum Fasching. Dort jedoch bereits seit dem 18. Jahrhundert. Ähnlich ergeht es dem Treibermotiv, bei dem Narrenhäs-Träger eine Figur vor sich hertreiben. In Weingarten ist dies das „Fasnetsbuzzerössle“, in Rottweil das „Brieler Rössle“ und in Bad Waldsee „Werners Esel“. Dieses Motiv kam auch erst später hinzu. Der Teufel jedoch fand seinen Platz bereits vor dem 17. Jahrhundert. In Rottweil als „Federahannes“, im mittleren Schwarzwald als „Elzacher Schuttig“. Die „Alte Vettel“ ist ebenfalls typisch alemannisch: Schon im Mittelalter verkleideten sich Männer mit Frauenklamotten um als solche unerkannt ihr Unwesen zu treiben (“Verkehrte Welt“). Daneben spielten stets auch Sagen- und Tiergestalten, Narrenrufe, Sprüche etc. eine wichtige Rolle, auf die ich aus Platzgründen nicht näher eingehen möchte.

2. Die Buurefasnacht (Alte Fasnacht)
Hier mischte einst die römisch-katholische Kirche gewichtig mit. Im Konzil von Benevent wurde der Beginn der Fastenzeit um sechs Tage vorverlegt. Daran aber hielten sich vornehmlich evangelische Regionen bzw. einige ländliche Gebiete nicht – sie feierten bis zum Dienstag der 6. Woche vor Ostern. Dies ist auch heute noch als „Buurefasnacht“ bekannt. Die römisch-katholische Kirche hingegen sprach vom „civitas diaboli“ – dem Teufelstaat. Das Volk reagierte mit dämonischen, teuflischen Masken. Auch die Basler orientieren sich bis heute an der alte Fastenzeit, wonach die Sonntage nicht zur Fastenzeit gerechnet werden. Die katholischen Regionen hielten sich an die höchstkirchliche Anordnung – deshalb spricht man hierbei von der „Herren- oder Pfaffenfasnacht“.

3. Die Groppenfasnacht
In Ermatingen am schweizerischen Südufer des Untersees am Bodensee endet die Fasnacht erst drei Wochen vor Ostern, am „Sonntag Laetare“. Heuer übrigens wird sie zum 607. Mal begangen! Sie ist eine der traditionsreichsten Fasnächte der Ostschweiz.

Ganz allgemein war in der Fasnacht die Verkleidung meist simpel und einfach gewählt. Erst im 17. Jahrhundert wurde während des Barocks der Fantasie freien Lauf gelassen. Dies vor allem bei den Masken, die teilweise wahre Kunstwerke sind. Zudem wurde auch der Einfluss der italienischen Commedia dell’Arte immer wichtiger.

4. Der Karneval
Vielen wurde in der Zeit der Aufklärung die Fastnacht zu altbacken, manchen gar zu primitiv. Während der Romantik entwickelte deshalb das Bildungsbürgertum den Karneval. Das Wort „Karneval“ selbst leitet sich ab vom italienischen „carnevale“, das wiederum seinen Ursprung im kirchen-lateinischen „carnislevamen“ (Fleischwegnahme) hat. Die Enthaltsamkeit bezog sich übrigens im Mittelalter auch auf den Wein (nicht das Bier) und die Sexualität, weshalb diese ausschweifenden Tage wenig Anhänger in der Kirche fand. In der Karnevals-Hochburg Köln wurde er erstmals 1823 abgehalten. Der Haupttag des Karnevals ist stets der Rosenmontag, an dem kilometerlange Karnevalszüge durch die Städte ziehen. Daneben wird der Karneval selbstverständlich auch durch Sitzungen, v.a. aber in den Lokalen und Gasthäusern gefeiert. Der Karneval ist seit dem 19. Jahrhundert sehr politisch geworden. So wurden Kölner Karnevals-präsidenten wie Heinrich von Wittgenstein, Franz Raveaux oder auch der Bonner Universitätsprofessor und Büttenredner Gottfried Kinkel später Politiker. Büttenredner Karl Küpper beispielsweise erhob in der Saison 1937/38 auf dem Weg zur Bütt den rechten Arm zum „deutschen Gruss“ und sagte nicht „Heil Hitler“ sondern. „Nä, nä, su huh litt bei uns dr Dreck em Keller!“ (Nein, nein, so hoch liegt bei uns der Dreck im Keller!). Küpper erhielt lebenslanges Redeverbot, das 1944 wieder aufgehoben wurde. 1951 übrigens deutete er diesen Gruss erneut in der Bütt an und meinte: „Et es widder am rähne!“ Er meinte damit den Einfluss der NS-Elite in der neu gegründeten Bundesrepublik. Interessant ist übrigens die Tatsache, dass die Nationalsozialisten bis 1940 den Karneval nicht verboten hatten. Sie haben ihn instrumentalisiert. 1937 wurde der „Bund Deutscher Karneval“ gegründet. Karnevalsvereine, die diesem Dach-verband nicht angehörten, konnten fortan nurmehr geheim feiern. Männer durften nicht mehr in Frauenkleidern auftreten, antisemitische Parolen wurden in alle Reden eingebaut. 1938 erwähnte ein Büttenredner in der Mainzer Carnevalssitzung das Konzentrationslager Dachau, worauf die Live-Übertragung sofort abgebrochen wurde.

5. Der Fasching
In Österreich und Bayern wird Fasching gefeiert. Dieser setzt sich aus allen bislang aufgeführten Spielarten zusammen. Eingeläutet am 11.11. um 11.11 Uhr (die 11 ist seit jeher die „Narrenzahl“) werden zumeist ab dem 07. Januar Faschingssitzungen und Bälle abgehalten, während der Weihnachtszeit schläft der Fasching. Die grossen Strassenumzüge finden entweder am Faschingssonntag oder vor allem am Faschingsdienstag statt. Gereicht werden übrigens hierzu Faschings- oder Punschkrapfen. Auch im Fasching gibt es unzählige alte Brauchtümer, wie etwa das Fisser Blochziehen, bei dem ein 35 m langer Zirbenstamm gezogen werden muss oder der Ebenseer Fetzenzug, bei dem auf alten Frauenkleidern Lumpen genäht werden, die zu selbstgeschnitzten Holzmasken beim Umzug getragen werden. Beides gehört seit 2011 ebenfalls zum immateriellen Weltkulturerbe Österreichs nach UNESCO-Richtlinien. Ebenso wie der Ausseer Fasching mit seinem Flinserl, den Trommel-weibern und den Pless oder das Murauer Faschingsrennen, bei dem die bunten Figuren von Hof zu Hof marschieren. Viele dieser Faschings-Brauchtümer wurzeln jedoch in heidnischen Zeiten: Dadurch sollte Göttern gehuldigt und die bösen Geister vertrieben werden. Dies wird v.a. beim Allgäuer und Vorarlberger Brauch des Funkenabbrennens („Fast-nachtsfeuer“) am Sonntag nach Aschermittwoch bewusst. Auf einem riesigen Scheiterhaufen wird eine Hexe verbrannt. Explodiert sie laut, bedeutet dies Erfolg und Glück für das kommende Jahr. Fällt der Funken davor um, folgt ein Jahr voller Unheil. Der Vorarlberger Funken zählt seit 2010 zum immateriellen Weltkulturerbe nach UNESCO-Richtlinien. Fasching in Österreich ist also wesentlich mehr als Wiener Opernball oder Villacher Fasching.

Die Fastnacht, der Fasching und der Karneval haben sich inzwischen zu ganz entscheidenden Wirtschaftsfaktoren entwickelt. Alleine in Deutsch-land geben Frau Schmidt und Herr Müller jährlich rund 300 Millionen Euro nur für Kostüme und Verkleidungen aus, der Gesamtumsatz am Kölner Karneval wird alljährlich auf rund 460 Mio € geschätzt.
Auch in vielen anderen Ländern wie Frankreich, Italien, Polen, Kroatien, Brasilien und sogar Syrien wird diese Fünfte Jahreszeit gefeiert – ein mögliches Thema eines anderen Blogs.
Für die nächsten Wochen wünsche ich allen Narren und Jecken eine ausgelassene und närrische Zeit, wenn auch unter anderen Voraus-setzungen. Um Dieter Nuhr aus seinem Jahresrückblick zu zitieren:

„Im nächsten Jahr auch wieder mit den Ungeimpften, die dann ja wohl genesen oder nicht mehr unter uns sein werden!“

Lesetipps:

.) Das große Buch der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Ursprünge, Entwicklungen und Erscheinungsformen organisierter Narretei in Südwestdeutschland; Werner Mezger; Theiss 1999
.) Zur Geschichte der organisierten Fastnacht. Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte; Wilfried Dold/Roland Wehrle u. a., DoldVerlag 1999
.) Schwäbisch-alemannische Fasnacht; Wilhelm Kutter; Sigloch 1976
.) Fastnacht/Karneval im europäischen Vergleich. (Mainzer Vorträge 3); Hrsg.: Michael Matheus; Franz Steiner Verlag 1999
.) Elf Uhr elf; Hrsg.: Theodor Barth, Ute Behrend, Thekla Ehling, Dirk Gebhardt, Matthias Jung, David Klammer, Frederic Lezmi, Nadine Preiß, Wolfgang Zurborn; Kettler 2014
.) Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der „verkehrten Welt“; Dietz-Rüdiger Moser; Edition Kaleidoskop 1986
.) Was auch passiert: D’r Zoch kütt! Die Geschichte des rheinischen Karnevals; Hildegard Brog; Campus 2000
.) Kölner Karneval. Zur Kulturgeschichte der Fastnacht; Peter Fuchs/Max-Leo Schwering; Greven Verlag 1972
.) Unangepasst und widerborstig. Der Kölner Karnevalist Karl Küpper, Fritz Bilz; Edition Kalk 2020
.) Die großen Fasnachten Tirols; Hans Gapp; Edition Löwenzahn 1996
.) Fasnächtliches Uri; Rolf Gisler-Jauch; Gisler 2005

Links:

– www.kulturrat.de
– www.alemannische-seiten.de
– www.vsan.de
– www.groppenfasnacht.ch
– www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/fastnacht
– www.schwarzwald.com
– koelnerkarneval.de

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Trinkwasser – unser höchstes Gut gehört geschützt

Eine kleine Bewegung am Wasserhahn – schon läuft das klare Nass. Wie von selbst! Doch ist dem ganz und gar nicht so. Tatsächlich steckt ein immenser Aufwand dahinter, der mit dem Fassen der Quelle beginnt und in regelmässigen Qualitätskontrollen endet. In weiten Teilen Mittel-europas erfüllt das durchsichtige Gold die höchsten Qualitäts-anforderungen. Gesetzlich geregelt wird dies in Deutschland, der Schweiz und Österreich durch die jeweilige Trinkwasserverordnung, in der EU durch die „Richtlinie über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch“ (COM/2017/0753 final – 2017/0332 (COD)). Doch kann sich dieses Blatt sehr rasch wenden: Schlagwetter, Murenabgänge, Über-flutungen, Verkeimungen, Legionellen, Nitrate uvam. Ist es geschehen, sehen sich von einer Sekunde auf die andere hunderte Haushalte mit dem Problem konfrontiert: Woher nehme ich auf die Schnelle jene rund 130 l, die ein Mensch pro Tag an Wasser in Deutschland verbraucht. Zirka 70 Liter davon sind Brauchwasser, die durch die Toilettenspülung, die Waschmaschine oder die Dusche den Weg in’s Abwasser-Kanalsystem finden. Dies ist auch bei verkeimtem oder verschmutztem Wasser bis zu einem gewissen Grad noch verwendbar. Schwieriger wird’s da jedoch mit dem Wasser für den Saft, dem Kaffee oder Tee, dem Wasser zum Kochen oder Nahrungsmitteln reinigen, dem Wasser zum Zähneputzen – jenem Wasser also, das über den Mund in unseren Körper Einlass findet und dort für gesundheitliche Beeinträchtigungen oder gar teils ganz erheb-liche Krankheiten verantwortlich zeichnen kann. Die Folgen sind meist sehr kosten-, material- und personalaufwendig, schliesslich muss das komplette Netz gereinigt und gespült werden.
Im Folgenden werde ich etwas auf einige Umstände aufmerksam machen, die teils bewusst, teils unbewusst in Kauf genommen werden, jedoch verheerende Auswirkungen mit sich bringen können.

Schlagwetter und Murenabgänge
Die Klimakrise zeigt sich mannigfaltig. So auch bei Wetterereignissen mit Starkregen und Überflutungen. Zu viel Wasser in zu kurzer Zeit zeigt sich alsdann beim Grundwasser bzw. Quellwasser. Es kommt zu Trübungen durch Schlammpartikel. Auch Verkeimungen durch etwa Kolibakterien oder sonstigen Krankheitserregern werden immer wahrscheinlicher mit der Zunahme vor allem lokaler Gewitterzellen und fehlendem Wind. Maß-nahmen hiergegen zu setzen, ist zumeist unmöglich!

Rohrbrüche im öffentlichen Netz
Auch hiergegen kann nur wenig unternommen werden! Die Erfahrungen allerdings zeigten, dass bei privatisierten Wasser- und Abwasser-systemen die Zahl der Rohrbrüche eklatant ansteigt, da sich die Unter-nehmen wenig um die Instandhaltung der Systeme kümmern. Die Gewinne freilich werden eingestreift.

Landwirtschaftliche Intensivnutzung
Durch industrielle landwirtschaftliche Betriebe fallen Unmengen an Gülle und Mist an. Wird beides vor Regen oder zu häufig ausgebracht, sickert dies gemeinsam mit dem Regenwasser in das Grundwasser bzw. im Quellenschutzgebiet auch in das Quellwasser. Immer wieder werden deshalb zu hohe Nitratwerte im Trinkwasser gemessen. Dasselbe gilt übrigens auch für Pestizide, Fungizide oder Herbiziden, wie auch Glypho-sat!

Fracking
Beim Fracking (Gewinnung von Erdöl und Erdgas oder auch der Geothermie) werden Millionen Liter eines Sand-Wasser-Chemikalien-Gemisches (bis zu 600 unterschiedliche, grossteils hochgiftige Chemi-kalien) mit hohem Druck durch eine Bohrung in den Boden eingeleitet, damit Risse im Gestein entstehen oder bestehende Risse erweitert werden. Normalerweise geschieht dies in mehreren hundert oder gar tausend Metern Tiefe, sodass das Grundwasser davon nicht betroffen sein sollte. Dennoch kann es durch beispielsweise einem Absenken des Grundwasserspiegels oder Folgen des Drucks geschehen, dass sich diese hochgiftigen Substanzen mit dem Wasser mischen. Fracking ist in Österreich noch erlaubt, in Deutschland können bundesweit zu wissen-schaftlichen Zwecken vier derartige Versuchsmassnahmen in Schiefer-, Ton-, Mergel- oder Kohleflözgesteinen durchgeführt werden. Unter-suchungen in den USA brachten zu Tage, dass in manchen Regionen das Wasser derart verseucht war, dass es nicht mehr verwendet werden konnte. Mancherorts war es gar brennbar.

Bleirohre
Die Verwendung von Bleirohren war lange Zeit sowohl in Österreich als auch Deutschland im Wassernetz- und dem Hausbau Standard. Wasser-analysen hingegen zeigten, dass das Wasser durch das sich lösende Schwermetall schleichend und dauerhaft vergiftet wurde. Eine Bleiver-giftung zeigt sich vornehmlich durch Beeinträchtigungen des Nerven-systems, der Blutbildung und möglicherweise auch der Nierenfunktion. Dies führte 1973 in Deutschland zum bundesweiten Verbot solcher Rohre, in Süddeutschland gar schon vor 130 Jahren. In Österreich wurde die Verwendung von Bleirohren ebenfalls in den 1970er-Jahren verboten – in Wien begann der Ersatz im öffentlichen Wassernetz im Jahr 2007. Dennoch gibt es sie noch in Altbauten. Hier legt die Österreichische Trinkwasserverordnung BGBl. 304/2001 (in Umsetzung der oben genannten EU -Richtlinie 98/83 EG) seit 1. Dezember 2013 den Grenz-wert auf max. 0,01 Milligramm pro Liter fest. Für Vermieter besteht eine grundsätzliche Behebungspflicht.

Quellfassungen und Hausbrunnen
Vor allem in Streulagen (ländlicher Raum) mit hoher landwirtschaftlicher Nutzung ist das eigene Wasser unerlässlich, liegt doch der Wasser-verbrauch eines Bauernhofes weit über dem Normalverbrauch. In Niederösterreich beispielsweise verfügen rund 10 % der Einwohner über einen eigenen Hausbrunnen. Bei derartigen Einzelwasserversorgungs-anlagen ist der Besitzer selbst für die Wasserqualität und damit zusammenhängenden Massnahmen verantwortlich. Geht man nun davon aus, dass der Wasserbedarf einer 4-köpfigen Familie bei einer Quell-fassung mit 1 l/min getilgt wird, muss bei einer niedrigeren Ergiebigkeit ein Speicherbehälter angeschafft werden. Hier nun sollte auf jeden Fall eine Aufbereitungsanlage (etwa eine UV-Entkeimungsanlage) zwischen-geschaltet werden. Um eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten und aus hygienischen Aspekten verfügen jedoch inzwischen viele auch über einen Anschluss an das öffentliche Hochdrucknetz – vornehmlich für das Wasser im Haushalt. Bei Häusern nahe der öffentlichen Versorgung besteht zumeist Anschlusszwang.

Retension
Hauptsächlich in Regionen mit hohem Regenaufkommen ist sog. „Retension“ (Retentionszisternen oder mit Rigolensystemen) beim Hausbau verpflichtend. Dies sind zumeist Sickerschächte oder Tanks, die im Garten in den Boden eingelassen sind und das Regenwasser vom Dach, aber unter Umständen auch das Sickerwasser bei versiegelten Flächen aus dem Garten zurückhalten oder in tiefere Bodenregionen weitergeben sollen, damit das Kanalnetz bei Schlagwetter nicht überlastet wird. Das Wasser soll dann gedrosselt zu einem späteren Zeitpunkt in das Kanalnetz abgegeben oder selbst als Giesswasser im Garten verbraucht werden. Ein Sickerschacht sollte mindestens 10, besser jedoch 40-50 m von einem eigenen Hausbrunnen oder einem Keller entfernt sein. Vor allem für den Sickerschacht, aber auch den Regenwassertank gilt: Es sollte nur das Dachregenwasser eingeleitet – alles andere muss gefiltert werden.

Nun gibt es jedoch so manchen Besitzer einer Hausquelle oder eines Retensionsbeckens, der sich Wasser- und v.a. Abwassergebühren sparen möchte und zu Regenzeiten oder der Schneeschmelze Wasser mittels einer Hochdruckpumpe zurück in das öffentliche Netz pumpt! Eine Unart, die geahndet werden muss. Schliesslich ist die öffentliche Hand für die Qualität dessen verantwortlich, was aus dem Wasserhahn in der Küche bzw. dem Bad Einsatz findet. Werden Hausquellen zumeist regelmässig geprüft, so handelt es sich bei Wasser aus Retensionsbecken um stehendes, nicht gesiebtem und alsdann unbehandeltem Regenwasser, das eigentlich in das Abwasserkanalsystem gepumpt oder zur Garten-pflege herangezogen werden sollte. Hier haben Keime, aber auch Legionellen beste Lebensvoraussetzungen. Wird dieses Wasser in das Trinkwassernetz gepumpt, so kann dies nicht nur für die eigene, sondern auch die Versorgung der weiteren Wassernutzer verheerende Konse-quenzen haben. Die öffentliche Hand reagiert inzwischen mit dem Einbau von Wasserzählern mit einem Rückflussverhinderer, wie dies auch beim Bau von Hydranten Einsatz findet. Dabei kann das Wasser nur in einer Richtung fliessen.

Ist nun das Trinkwasser belastet, ist das Abkochen des Wassers (5 Minuten auf Meereshöhe bei 100 Grad C – pro 1000 m Höhe 3,75 min länger, da der Siedepunkt pro 1000 m Höhe um 3,3 Grad C abnimmt) eine Massnahme, die allerdings nur in der ersten der folgenden Gruppen hilft:

.) Pathogene Mikroorganismen
– Bakterien (Escherichia coli, Salmonella typhimurium, Enterokokken, Vibrio cholerae, Legionellen
– Viren (Hepatitis A, Norwalk-Virus, Rota-Virus, Polio-Virus)
– Protozoen (Entamoeba histolytica, Giardia intestinalis, Cryptosporidium Parvum)
Beginnend bei Magen-Darm-Infekten, Salmonellen- und Legionärser-krankung bis hin zur Cholera und Ruhr werden durch solche Keime über-tragen.

.) Schwermetalle wie Blei oder Quecksilber
Diese lassen sich nur durch Destillation oder Flockung entfernen.

.) Dünger, Pestizide, Herbizide
Hierfür bedarf es eines Aktivkohlefilters.

.) Schwebestoffe
Zuerst filtern, dann durch etwa Chlor desinfizieren

Vor allem, wenn sich Babies im Haushalt befinden, sollte mit erhöhter Vorsicht agiert werden, da das Immunsystem der Kleinen noch nicht gegen solche Eindringlinge vorgehen kann. Aber auch bei Diabetikern sollte vor Gebrauch vor allem am Morgen das Wasser relativ lange laufen, sodass kein Standwasser (Stagnationswasser) getrunken wird. Sofern zuvor keine der angeführten Belastungen stattgefunden haben, müsste dies ausreichend sein.

Filmtipps:

– „Ist unserem Trinkwasser noch zu trauen?“ – WDR 2021
– „Wie belastet ist unser Trinkwasser“ – SWR 2020
– „Wie gut ist unser Trinkwasser?“ – WDR 2019
– „Mission Trinkwasser“ – ZDF (2021)
– „Gasland“ von Josh Fox (2010)

Lesetipps:

.) Pathogene Mikroorganismen im Grund- und Trinkwasser: Transport – Nachweismethoden – Wassermanagement; Hrsg.: Adrian Auckenthaler; Springer 2002
.) Vom Leitungswasser zu gesundem Trinkwasser: Dein Weg zu gesundem Wasser einfach & verständlich; dr. Michael Scholze; epubli; 2. Edition 2019
.) Wasseraufbereitung; Stefan Wilhelm; Springer 2008
.) Legionellen in Trinkwasser-Installationen: Gefährdungsanalyse und Sanierung; Arnd Bürschgens; Beuth 2018
.) Gebäudetechnik für Trinkwasser – Fachgerecht planen – Rechtssicher ausschreiben – Nachhaltig sanieren; Thomas Kistemann/Werner Schulte/ Klaus Rudat/Wolfgang Hentschel/Daniel Häußermann; Springer 2012

Linktipps:

– http://www.gesetze-im-internet.de/trinkwv_2001/BJNR095910001.html#BJNR095910001BJNG000201310
– https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20001483
– https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52017PC0753
– https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2017/153/de
– info.bmlrt.gv.at/themen/wasser/nutzung-wasser/wasserversorgung/Trinkwasser.html
– www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/trinkwasser
– www.ages.at/themen/umwelt/wasser/trinkwasser/
– https://www.trinkwasserinfo.at
– unicef.at/news/einzelansicht/21-milliarden-menschen-haben-keinen-zugang-zu-sauberem-trinkwasser/

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