Archive for Mai, 2025

Permafrost – Das kann ja heiter werden


„Es ist so wie bei einem Güterzug. Hat der sich erst einmal in Bewegung gesetzt, dürfte es fast unmöglich sein, ihn wieder zu stoppen.“

(Antoni Lewkowicz, Geologe und Exvorsitzender der Internationalen Permafrost-Gesellschaft)

Ende Mail 2025 – Ein grosser Teil des Birchgletschers oberhalb von Blatten/VS bricht ab. Fels-, Geröll- und Eismassen donnern ins Lötschen-tal und begraben nahezu das ganze Dorf Blatten unter sich. Experten sprechen von rund 3 Mio Kubikmeter an Material, die sich gelöst haben. Diese Mixtur verlegte zudem das Bachbett des an sich beschaulichen Flüsschens Lonza. Das Wasser staute sich zu einen künstlichen See auf. Das hätte eine noch weitaus grössere Katastrophe ausgelöst, wäre das Ganze als Wasserschwall mitsamt der Schlammasssen zu Tale gerauscht. Vorsichtshalber wurden die Einwohner der beiden weiter unten liegenden Gemeinden Steg und Gampel auf eine Evakuierung vorbereitet. Diese war gottlob nicht nötig, das Wasser grub sich nach und nach durch die Schuttmassen. Dass kein Mensch zu Schaden kam, war der vorzeitigen Warnung der Geologen zu verdanken. Noch kurz ein Bild über die Dimension dieses Gletscherbruchs: Das Lötschental wurde zwischen 50 und 200 Meter hoch verschüttet – um dieses Material abzutransportieren wären mindestens 200.000 LKW-Fahrten vonnöten. Derzeit allerdings nicht möglich, da der Schuttkegel zu instabil ist und noch weitere Fels-stürze nachkommen könnten.

Nicht der einzige Fall!

Ende Januar 2021 führte ein Felssturz im eidgenössischen Kanton Wallis zu grossen Sorgen. Die Gemeinde Raron liegt rund eine Stunde östlich von Montreux am Genfersee. 2000 Menschen leben dort. Einige davon mussten nach einem Felsabbruch binnen Minuten ihre Häuser verlassen. Geologen befürchteten einen weiteren Abbruch – zu locker waren die Gesteinsmassen. Und er kam! In den frühen Morgenstunden des Folge-tages. Tonnenweise Schutt, Gestein und Felsbrocken donnerten zu Tal. Raron hatte immenses Glück. Die Gesteinsmassen kamen nur wenige Meter vor dem Wohngebiet zum Stillstand. In einem Steinbruch wurde lediglich eine Baracke verschüttet. Verletzt wurde niemand. Auch das verlegte Bachbett des Bietschbaches konnte noch rechtzeitig vor einer Überschwemmung des Ortes mit schwerem Material ausgebaggert werden. 1500 Kubikmeter mussten am Berg gesprengt werden. Von den 76 evakuierten Personen konnten 30 recht zeitnah wieder in die eigenen vier Wände zurückkehren – der Rest rund eineinhalb Monate später.

Im Jahr 2007 stürzten im Kärpfgebiet im Kanton Glarus rund 20.000 Kubikmeter Fels- und Schuttmaterial zu Tal – auch hier wurde gottlob niemand verletzt. Geologen haben schon vorzeitig davor gewarnt: Im Glarnerland befinden sich rund 16 – 17 Quadratkilometer Permafrost, der nach und nach auftaut! Das wird noch gefährlich werden.
Weniger glimpflich verliefen die Felssturze von Bondo anno 2017. Sie rissen acht Menschen aus dem Leben, die trotz Warnungen das Gebiet an der Nordflanke des Piz Cengalo bewanderten. Rund vier Millionen Kubik-meter Gestein und Schlamm haben sich Mitte August in diesem kleinen beschaulichen Dorf im schweizerischen Kanton Graubünden zu Tal geschoben. Nicht das erste Mal: Bereits 2011 und 2012 gab es in den Bergeller Alpen Felsabbrüche und Muren. 2011 rutschten zirka 1,5 bis 2 Mio Kubikmeter in die hintere Bondasca. An der ETH Zürich wurde ein Erdstoss mit einem Magnitude von 2,7 verzeichnet. 2012 löste ein Gewitter rund 100.000 Kubikmeter Geschiebe aus, das kurz vor dem Ortsgebiet zum Stehen kam. Am 23. August 2017 schliesslich rasten zirka 3 Mio Kubikmeter Gestein mit einer Geschwindigkeit von etwa 250 km/h auf Bondo zu. Das komplette Dorf wurde evakuiert. Am 25. und 31. August kam es zu erneuten Felssturzen und Murengängen, am 15. September schliesslich lösten sich weitere bis zu 500.000 Kubikmeter Gestein.
Die Tragödie von Bondo hat es einmal mehr aufgezeigt: Die Erde lebt und sie reagiert zunehmend extremer auf den Klimawandel. Viele zeigen sich verwundert, dass immer wieder derartige Naturereignisse auftreten, dabei ist das Phänomen jedoch sehr simpel. Lassen Sie es mich anhand dieses Beispieles erklären. Der Piz Cengalo in Bondo beherbergt den grossen Aletsch-Gletscher. Dieser aber geht aufgrund der höheren Temperaturen konstant Jahr für Jahr zurück. Dabei legt er in einer Höhe von etwa 2.500 Meter Fels frei, der bislang durch das Eis des Gletschers stabilisiert wurde. Steigt nun die Temperatur im Stein auf über minus 1,5 Grad, so wird das Ganze instabil. Zudem hat das Wasser Rinnen und Kanäle in das Gestein gebohrt. Durch das weitere Abtauen und das Mehr an Wasser werden immer grössere Felsmassen instabil. Dadurch rutscht die sog. „Moosfluh“ (ein kompletter Hang an der Flanke der Berges) immer weiter ab. Auch im Winter, wenn das Wasser im Stein gefriert, kann es zu richtiggehenden Felssprengungen kommen. Die Folge sind geringsten-falls Steinschlag, schlimmstenfalls aber Abbrüche wie diese Mitte August bzw. September 2017. Und da oben liegt noch mehr! Experten des Bundesamtes für Umwelt sprechen von bis zu 150 Millionen Kubikmetern. Dagegen kann leider nichts unternommen werden, die Menge ist einfach zu gigantisch. In diesem Falle steht der Berg seit längerer Zeit unter ständiger Beobachtung – das Dorf war bereits evakuiert. Ebenso beim Rutsch Ende August. Der Aletsch-Gletscher schmilzt seit dem Jahr 1850 kontinuierlich – in den letzten vierzig Jahren um rund fünf Meter pro Jahr. Dies setzt unheimliche Felsmassen frei, die sogar bis in eine Tiefe von 150 Metern reichen. Die Moosfluh rutschte im Jahr 2015 um zeitweise 80 cm pro Tag in Richtung Tal ab – nach den Ereignissen 2017 waren es 12 cm. Diese Rutschgeschwindigkeit bereitet den Experten grosses Kopfzerbrechen. Damit Sie in etwa eine Dimension des Ganzen bekommen: Die Rede ist von rund 2 Quadratkilometern – das sind ca. 280 Fussballplätze! Überall entstehen inzwischen Spalten – die grösste ist rund 300 m lang und bis zu 20 m breit. Dasselbe Bild zeigt sich auch beim Piz Kesch im Engadin (Felssturz anno 2014) oder dem Bliggferner in den Ötztaler Alpen. Auch hier sind rund 4 Mio Kubikmeter Fels betroffen. Stürzen diese in den darunterliegenden Gepatsch-Stausee ist mit einer Katastrophe zu rechnen! Der aussergewöhnlich heisse Sommer im Jahr 2003 brachte beispielsweise auch eine aussergewöhnlich hohe Felssturzaktivität mit sich. Messungen haben ergeben, dass der Auftauboden in der Schweiz um bis zu 0,5 m tiefer reichte als in den 20 Jahren zuvor. Übrigens steht auch die Zugspitze unter Beobachtung, haben doch Berechnungen ergeben, dass auf dem höchsten Berg Deutschlands der Permafrost spätestens bis zum Jahr 2080 aufgetaut sein könnte.
Dem Thema des sog. „Permafrosts“ möchte ich mich heute an dieser Stelle widmen, denn es stellt ein riesiges Pulverfass dar, das jederzeit explodieren kann. Den Permafrost nämlich gibt es nicht nur in den Bergen, sondern vornehmlich in den arktischen Gebieten Russlands (50 % des Staatsgebietes), Kanadas (40-50 %), der USA (Alaska zu 80 %) und auf Grönland (99 %). Auch 20 % des Staatsgebietes Chinas besteht aus Permafrost! Insgesamt rund 23 Mio Quadratkilometer. Unter dem Perma-frost versteht man normalerweise einen Boden, der das gesamte Jahr über gefroren ist. Das kann nun Sediment oder Gestein wie in den Alpen bzw. Boden und Torf wie in den arktischen und antarktischen Gebieten sein – den Tundren. Damit dies geschieht, muss er zumindest zwei Jahre lang Minusgraden ausgesetzt sein. Rund 90 % der arktischen Perma-frostzone sind durchgehend gefroren (kontinuierlicher Permafrost – Jahresdurchschnittstemperatur von -6 bis -8 Grad Celsius). Dann folgen der diskontinuierliche (Jahresschnitt: -3 bis -4 Grad Celsius), der sporadische (Jahresschnitt: -1 bis -2 Grad Celsius) und der isolierte Permafrost. Ab einer Jahresdurchschnittstemperatur vom -1 Grad Celsius und einer Jahresdurchschnittsmenge von 1.000 mm/qm Niederschlag wird’s kritisch. Interessanterweise gibt es auch den submarinen Permafrost, also tiefgefrorenen Boden unter Wasser – etwa in der Laptewsee (Nordpolarmeer). Diese submarinen Dauerfrostböden haben mit den Kontinentalschelfs in der letzten Eiszeit zu tun. Sie möchte ich aber heute zum grössten Teil mal aussen vor lassen. Während die gefrorene Boden-Decke etwa in Skandinavien nur bis auf rund 20 Meter Tiefe geht, reicht sie in Sibirien schon mal auf bis zu 1.500 m. Verantwortlich dafür ist die nördliche Weichsel-Kaltzeit (120-10.000 Jahre v.Chr.), also die letzte Eiszeit, die ihre Gletscher unterschiedlich platzierte. So war Sibirien etwa komplett vergletschert. In den Alpen sorgte parallel dazu die Würm-Eiszeit (115-10.000 Jahre v.Chr.) für die Gebirgs-Gletscher und so manches Tal.

http://gtnpdatabase.org/activelayers

Taut nun Permafrostboden etwa im Sommer auf, so spricht man dabei vom „active layer“. Die Auftauschicht variiert zwischen 30 bis 200 cm. Darunter bleibt der Boden gefroren. Sollte aufgrund eines Temperatur-anstiegs von 2 Grad auch der Boden wärmer werden, so haben Wissenschaftler ausgerechnet, dass bis zu 44 % des Permafrostbodens dauerhaft auftauen könnten. Eine Tatsache mit schwerwiegenden Folgen. In diesen Böden nämlich fand eine Gefrier-Konservierung jeglichen organischen Materials statt: Holz, Pflanzen, Tiere, etc. 1997 wurde beispielsweise das sog. „Jarkov-Mammut“ ausgezeichnet erhalten in Nordsibirien gefunden. In den oberen Schichten der Permafrost-Böden werden bis zu 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff geschätzt. Das ist fast doppelt so viel wie in der gesamten Atmosphäre. Werden (wie berechnet) bis zum Jahr 2100 rund 100 Milliarden Tonnen freigegeben, so steigt alleine hierdurch die Durchschnittstemperatur um 0,2 Grad.
Aus dem Permafrostboden wird also zusehends eine Moorlandschaft. Mit allen Vorzügen, aber auch Nachteilen. Jeder, der schon mal durch ein Moor gegangen ist, der weiss, dass man sich vor den Gasen in Acht nehmen muss. V.a. das Distickstoffmonoxid (N2O) kann für den Menschen gefährlich werden, wurde es doch in früheren Zeiten als „Lachgas“ in der Narkose eingesetzt. Daneben sind noch Methan (CH4) und Kohlendioxid (CO2) zu erwähnen. Obgleich Methan für den Menschen ungiftig ist, sollte doch sehr sorgsam damit umgegangen werden, da es zu einer höheren Atem- und Herzfrequenz führen kann. Eine zu hohe Konzentration von Kohlendioxid führt zum Erstickungstod. Soweit zur Toxikologie.
Alle drei Gase allerdings sind Treibhausgase – teils sehr klimawirksam bzw. aggressiv:

.) Kohlendioxid (CO2)
Kohlendioxid entsteht in entwässerten Mooren. Allerdings nehmen Moore auch Kohlendioxid auf: Bei normalen Moore sind es rund 1.200 kg pro Hektar und Jahr, bei Reichmooren gar 1.700 kg. In den Permafrostböden dieser Welt sind zirka 1.300 bis 1.600 Gigatonnen CO2 gebunden – in der Luft befinden sich zum Vergleich etwa 3.000 Gigatonnen. Sollten bis zum Jahr 2200 2/3 der Permafrostböden aufgetaut sein, so würden nach Berechnungen von US-Forschern alleine hierdurch 190 Milliarden Tonnen CO2 emittiert.

.) Methan (CH4)
Methan entsteht in ungestörten und wiedervernässten Mooren beim Abbau von Kohlenstoffverbindungen unter Ausschluss von Sauerstoff. Werden also Pflanzen oder Tiere im Moor durch Bakterien abgebaut, wird dadurch Methan freigesetzt. Könnte dies in den Permafrostgebieten aufgefangen werden, wären wohl die Heizprobleme von Generationen frierender Menschen gelöst. Das Treibhauspotential von Methan ist rund 25mal grösser als jenes von Kohlendioxid.

.) Lachgas (N2O)
Der Klimakiller schlechthin ist jedoch das Lachgas. Es entsteht vornehmlich in entwässerten Reichmooren oder gedüngten Mooren, die ohnedies bereits viel Stickstoff enthalten. Hinzu kommt noch eine hohe Konzentration an Stickstoff im zugeführten Dünger. Das Treibhaus-potential von Lachgas ist rund 300mal grösser als das von CO2.

.) Wasserstoff (H2)

.) Schwefelwasserstoff (H2S)

.) Phosphorwasserstoff (P2H4)

Die Klimawirkung dieser Gase werden durch die „CO2-Äquivalenten“ angegeben. Dabei handelt es sich um die mittlere Erwärmungswirkung über zumeist 100 Jahre. So werden beispielsweise alleine in deutschen Landen nicht weniger als 31 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus Mooren freigesetzt. Eine ungeheure Zahl! Dabei aber ist dies nur 2,8 % der deutschen Gesamtemission klimawirksamer Gase!
Die letzteren drei Gase entstehen unter Druck – sie entweichen entweder explosionsartig oder durch Blasen. Reagieren sie nun mit dem Sauerstoff der Luft, kommt es zu Verbrennungen (Moor-Irrlichter). So könnten auch die riesigen Moorbrände in Sibirien 2021 erklärt werden. Hunderte Millionen Tonnen CO2 wurden dadurch in die Atmosphäre abgegeben.
All diese Gase werden beim Auftauen der Permafrostböden freigesetzt. Was das für die Atmosphäre bedeutet, muss hier nicht eigens erwähnt werden. In Langzeitbeobachtungen der letzten Jahrzehnte konnte nachgewiesen werden, dass die Permafrostgrenze v.a. in Nordamerika, aber auch in Eurasien in Richtung Norden wandert. Soll heissen, dass immer mehr des gefrorenen Bodens auftaut.

Selbstverständlich ist es auch in anderer Richtung tragisch: Wurden Häuser, Dörfer oder ganze Städte auf Permafrostböden hochgezogen, so versinken diese beim Auftauen im Morast („Thermokarst“). Hier ging man zuletzt dazu über, Häuser auf Pfählen zu errichten, die bis auf die permanent gefrorene Bodenschicht hinunterreichen. Im russischen Norden etwa stürzen ganze Landstriche in sich zusammen. Zu einer aussergewöhnlichen Kraterlandschaft, da das auftauende Wasser an Volumen verliert, Gase entweichen und der Boden seinem eigenen Gewicht nachgibt. Sollten die gesamten, geschätzten 35.000 Kubik-kilometer auftauen, so würde der Meeresspiegel nach Berechnungen um bis zu 9 cm ansteigen. Durchaus realistisch, haben doch die Oberflächentemperaturen im Norden Kanadas und Sibiriens in den 90er Jahren um rund 2 Grad zugenommen (nach 3 Grad in den 80ern). So blöde es auch klingen mag: Eine höhere Schneedecke im Winter beschleunigt die Erwärmung der Böden, da der Schnee einer Kälte-schutzdecke gleichkommt. Nach Berechnungen von Klimatologen wird sich die zusammenhängende Permafrostdecke bis zum Jahr 2100 von derzeit 10,5 auf nurmehr 1 Million Quadratkilometer verkleinert haben.
Nur mit Hilfe der Satelliten ist eine ständige Beobachtung und Vermessung dieser riesigen Dauerfrostflächen möglich. So wurde beispielsweise ein Teil des betroffenen Lena-Tales in Russland im Oktober 2014 via Satellit durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) vermessen und abgebildet. Beobachtet wird hingegen auch eine Wanderung der Baumgrenze in Richtung Norden. Ein untrübliches Anzeichen dafür, dass die Temperaturen ansteigen. So hilft sich die Natur selbst: Bäume binden während ihres Lebens unheimlich viel Kohlenstoff durch die Aufnahme von CO2 aus der Luft. Wissenschaftler der Forschungsstation Samoilov im Lena-Delta entdeckten unweit der Station eine etwa 70 cm hohe und 20 Jahre alte Lärche. Weitaus nördlicher der Baumgrenze! Sie wurde zum Symbolbild für die Erderwärmung.
Die weitere Gefahr: Methangas-Entweichungen. Hochrechnungen haben ergeben, dass pro Jahr zwischen 14 bis 35 Mio Tonnen Methan nur in Sibirien und Alaska freigesetzt werden. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es bis zu 200 Mio Tonnen pro Jahr sein. Alleine das könnte die weltweite Durchschnittstemperatur um 0,32 Grad Celsius erwärmen. Erste Schätzungen über die Folgekosten nur des freigesetzten Methans aus Ostsibirien belaufen sich auf weltweit 60 Billionen US-Dollar. Die Zeitung „Siberian Times“ berichtete bereits 2022 von bis zu 7.000 Methanblasen in Sibirien. Und hier kommt nun auch wieder der submarine Dauer-frostboden in’s Spiel: Russische Wissenschaftler konnten anhand von 5.100 Messungen zwischen den Jahren 2003 und 2008 nachweisen, dass zirka 80 % des Tiefenwassers und etwa 50 % des Oberflächenwassers des ostsibirischen Schelfs mit Methan übersättigt sind. Damit gelangt mit rund 8 Millionen Tonnen kontinuierlich (ohne plötzliche Ausbrüche) nur hier jährlich mehr Methan in die Luft als in allen anderen Ozeanen zusammen. Die Experten warnen in diesem Zusammenhang vor einer abrupten globalen Erderwärmung! Einer Zeitbombe gleich!
Zurück in heimische Gefilde: Durch eine exzessive Wärmeentnahme beispielsweise aufgrund von Bodenwärmepumpen, verbunden mit einem nicht zugleich stattfindenden Ausgleich durch Umgebungswärme kann übrigens ein künstlicher Permafrostboden angelegt werden. Dies geschieht etwa, wenn zwischen den einzelnen Anlagen oder Bohrungen zu wenig Abstand besteht.
Die Alpenvereine Deutschlands und Österreichs, sowie der Schweizer Alpen Club warnen ganz allgemein bei Touren in’s Hochgebirge. Zwar werden die Wege immer wieder gepflegt (alleine im Zuständigkeitsbereich des DAV befinden sich 30.000 Kilometer Wegstrecke), doch gehört der Steinschlag und Felsabbruch inzwischen zum alpinen Bergerlebnis hinzu. Deshalb sollte keineswegs bei der Ausrüstung und Information vor der Tour gespart werden. Und noch ein Tipp für alle Investoren mit Vorliebe für Kanada, Skandinavien oder Russland: Vergewissern Sie sich immer vor dem Ankauf einer Immobilie, ob diese auf einem Permafrostboden erbaut wurde.

Zuletzt noch die Gretchenfrage:

Kennen Sie Ihren CO2-Fussabdruck??? Wenn ja – arbeiten Sie daran???

Lesetipps:

.) Warnsignal Klima: Das Eis der Erde; J.L. Lozán / H. Grassl / D. Kasang / D. Notz / H. Escher-Vetter (Hrsg.); 2015
.) Natural Gas Hydrate: Coastal Systems and Continental Margins; M.D. Max; Springer 2000
.) Climate Change, Permafrost, and Impacts on Civil Infrastructure; F.E. Nelson / L.W. Brigham 2003
.) A projection of severe near-surface permafrost degradation during the 21st century; D.M. Lawrence / A.G. Slater; Geophys. Res. Lett. 2005
.) Arctic Climate Impact Assessment; ACIA 2005
.) Disappearing Arctic Lakes; L.C. Smith / Y. Sheng / G.M. MacDonald / L.D. Hinzman; 2005


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Tornados – Wütend und alleszerstörend

Schwere Gewitter, Schlagwetter mit Überflutungen und Hagelschauer – die Wetterphänomene werden auch in unseren Breitengraden eklatant schlimmer. Hinzu kommt immer mehr auch eine Erscheinung, die es vermeintlich zumindest in früheren Zeiten in Europa nicht gab: Tornados! Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes treten jährlich im Schnitt 47 Tornados zwischen Flensburg und Berchtesgaden auf, 17 davon sind Wasserhosen. Allerdings – zumindest noch nicht – mit einer dermassen bekannten Zerstörungskraft wie jenseits des grossen Teiches.

Diese speziellen Stürme wüten eigentlich im Frühjahr in vielen Bundes-staaten der USA. Die Bevölkerung hat gelernt, damit umzugehen. Zu jedem Haus wird in den leidgeprüften Regionen des mittleren Westens der Staaten immer auch ein Tornadokeller gebaut. Zumeist ein sturm-sicheres unterirdisches Verlies, das mit dem Notwendigsten zum Über-leben ausgestattet ist. Bei entsprechenden Warnungen begeben sich die Bewohner mit den wichtigsten Unterlagen in diesen Keller. So mancher Hausbesitzer weiss nicht, ob er noch ein Dach über dem Kopf vorfindet, wenn er die gut verriegelbare Falltüre öffnet.

Der Tornado (auch Wind- oder Wasserhose) ist ein Wirbelsturm mit einer vornehmlich senkrechten Drehachse. Er ist deshalb so gefährlich, da er Haken schlägt, sehr schnell sein kann und über den sich auftuenden Schlauch alles aufsaugt, was er am Boden findet. Eine Vorhersage ist schwer, da die Lebenszeit einer solchen Windhose nur auf wenige Minuten beschränkt ist. Ein Killer!

Vorraussetzung für diesen ganz speziellen Sturm sind Cumulus- oder Cumulonimbus-Wolken. Der Luftwirbel reicht vom Boden bis zur Wolkenuntergrenze. Dabei herrscht aussen Aufwind und im Inneren Fallwind. Für die Entstehung derartiger Wirbel ist eine starke vertikale Temperaturabnahme sowie grosse, labile Mengen von Wasserdampf in der Luft (Wolke) erforderlich. Der Wasserdampf speichert die Wärme besser als die trockene Luft – Energie, die der Tornado zuhauf benötigt, bezieht er aus diesen feuchten Luftmassen. Durch die Kondensation wird Wärme freigesetzt, die zu einem rasend schnellen Aufsteigen der Luft führt. In unseren Breitengraden wird ein starkes Gewitter oder eine Regenfront normalerweise durch kleine Böenfrontwirbel (auch „Gustnados“) eingeleitet. Findet nun die Verbindung mit einem solchen Aufwindbereich einer Wolke statt, kommt es zu einem Tornado, der in Europa gar nicht mal so selten auftritt, als viele denken.

Der Experte unterscheidet nun zwischen zwei Tornadotypen:

.) Mesozyklonale Tornados

Zu den bereits genannten Faktoren kommt eine starke Zunahme der Windgeschwindigkeit und Richtungsänderungen mit zunehmender Höhe hinzu. Dadurch entwickeln sich sog. „Superzellen“ (Mesozyklen), also Gewitterzellen mit rotierendem Aufwind, die gepaart sind mit Sturzregen, grossem Hagel und Fallböen von teils mehr als 200 Stundenkilometern. Sie können längere Zeit am selben Ort verharren. Durch die stark rotierende Wolkenbasis wird am unteren Ende immer mehr Luft zur Drehachse (auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn) hin ange-saugt, was zu einer steten Steigerung der Geschwindigkeit führt.

.) Nicht-mesozyklonale Tornados

Sie entstehen durch den Zerfall der bodennahen horizontalen Windscherung (Temperaturunterschiede mit wechselnden Windrich-tungen) in einzelne Wirbel mit vertikaler Achse. Die Temperaturabnahme in den unteren Schichten ist eklatant. Diese Tornados sind nicht so kräftig wie die mesozyklonalen Geschwister, da keine Superzelle aufge-baut wird. Die meisten Wasserhosen entstehen auf diese Art.

Tornados sind bei ihrer Geburt nahezu nicht zu erkennen. Erst wenn aufgrund des Druck- und Temperaturabfalls der Wasserdampf konden-siert oder Kleinteile wie Staub, Wasser bzw. kleinere Trümmer aufge-wirbelt werden, wird der Wirbel sichtbar. Übrigens spricht man nur dann von einem Tornado, wenn er Bodenkontakt hat, ansonsten ist es für den Experten eine „Blindtrombe“. Der Trichter bzw. die Hose kann im Durch-messer einige Metern bis über einen Kilometer gross sein. Gerade bei den Riesen ihrer Art sind es zumeist mehrere Wirbel, die um ein gemeinsames Zentrum kreisen („Multivortex“). Die Stärke eines Tornados wird mangels Messmöglichkeiten meist aufgrund der Schäden geschätzt. Dann erfolgt die Klassifizierung – in Europa in der TORRO-Skala, in den USA in der Fujita Scale F1 bis F6 bzw. der genaueren Enhanced Fujita Scale (EF0 – EF5 mit 28 zusätzlichen Merkmalen). Nur 1 % der US-amerikanischen Tornados sind verheerend (F4 und F5), 11 % sind stark (F2 und F3). Nicht-mesozyklonale werden meist nicht heftiger als F2.

Die Fortbewegungs-Geschwindigkeit des Tornados liegt bei rund 65 km/h (F0) – sie richtet sich nach jener der Mutterwolke (kann somit auch weitaus schneller oder wie bei Wasserhosen niedriger liegen). Die Rotations-Geschwindigkeit ist wesentlich höher – die schnellste wurde 1999 bei Bridge Creek (Oklahoma) mit 512 km/h (F5) gemessen – das entspricht der Druckwelle einer Atombombe. Ein Strohhalm, der mit dieser Geschwindigkeit durch die Luft fliegt, durchschlägt wie ein Speer den menschlichen Hals! Schätzungen gehen gar von Spitzengeschwindig-keiten von 800 Stundenkilometern im Rüssel eines starken Tornados aus – doch konnte dies noch nicht wissenschaftlich erwiesen werden. Im Schnitt beläuft sich die Verweildauer auf zirka 10 Minuten, kann jedoch auch auf wenige Sekunden schrumpfen oder über mehr als eine Stunde ansteigen.

Wasserhosen treten zumeist in den Morgenstunden des Spätsommers auf, während die Kollegen auf dem Land die Abendstunden des Frühsommers bevorzugen. Der mittlere Westen der USA bietet die besten Voraussetzungen für Tornados und Superzellen: Östlich der Rocky Mountains liegen weitläufige Ebenen, südlich der warme Golf von Mexico. Hier ergibt sich nämlich folgendes Szenario: Von den Rockies strömt in höheren Luftschichten trockene und kühle Luft über die Ebenen. In den bodennahen Schichten hingegen strömt warme und feuchte Luft vom Golf in Richtung Norden. Dies führt zu einer sehr labilen Luftschichtung! Die meisten der jährlich etwa 1.200 Tornados werden deshalb in dieser „Tornado Alley“ (Texas, Oklahoma, Kansas, Nebraska) gezählt.

Im Vergleich dazu sind in Europa 330 pro Jahr Durchschnitt, wobei etwa 160 über Wasser entstehen. Die meisten davon eher schwach (F0-F2) – doch sind auch zwei F5- und acht F4-Tornados in Deutschland bzw. weniger in Österreich (bislang ein F4) dokumentiert. Alle 20 bis 30 Jahre gibt es in deutschen Landen einen Tornado mit Stärke F4. Die „Tornado-Alley“ Deutschlands ist der Westen der norddeutschen Tiefebene. Als damals der Orkan im Winter über Norddeutschland hinweg fegte, hatte ich gerade mit einer jungen Frau telefoniert. Im Hintergrund war sehr laut der Sturm zu hören. Sie meinte nur ganz lapidar: Da bleibt man einfach im Haus, macht den Ofen an und fühlt sich so richtig heimelig! Auch hier wurde offenbar gelernt, mit den Sturmen zu leben. In Österreich werden jedes Jahr im Schnitt fünf Tornados beobachtet – alle 5-10 Jahre ist auch ein F3 mit dabei. Viele der Windhosen in der Südoststeiermark. Der letzte F4 auf europäischem Festland wurde 2022 im Süden Tschechiens beobachtet. Zuerst mit Stärke F3, dann mit F4 zog er über die beiden Kreise Břeclav und Hodonín hinweg. Besonders betroffen waren dabei die Stadt Hodonin sowie die beiden Dörfer Mikulčice und Lužice. Sechs Menschen kamen dabei um’s Leben, 200 weitere wurden teils schwer verletzt. Der Tornado hinterliess eine 26 Kilometer lange und 500 m breite Schneise und einen Sachschaden von rund 588 Mio Euro. Die letzten F4 gab es in Deutschland am 24. Mai 1974 zwischen Bad Liebenwerda, durch Prestewitz bis kurz vor Lübben, in Österreich am 10. Juli 1916 über Wiener Neustadt. Er forderte 34 Todesopfer, 328 Menschen wurden verletzt. In der Schweiz am 26. August 1971 – im Vallée de Joux mit einer Schneise von 23 Kilometern Länge.

Dass jedoch auch F2-Tornados riesige Schäden verursachen können, wurde am 06. August 2001 in NRW bewusst. Er zog über die Gemeinde Belm bei Osnabrück hinweg und hinterliess eine sechs Kilometer lange und 50 Meter breite Schneise der Verwüstung mit einem Gesamtschaden von über 2,5 Mio €.

Experten sind sich einig: Derzeit kann noch keine Verbindung zur Klima-Erwärmung hergestellt werden. Vielmehr ist die ansteigende Zahl von Tornados auf die bessere Erfassung in den letzten Jahren zurückzu-führen. So gibt es in den USA die systematische Tornadoforschung gar erst seit den 50er Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts, eine Vorwarnmöglichkeit durch den Einsatz des Doppler-Radars seit 1948. Inzwischen wurde die Vorhersage präzisiert. Dabei laufen alle Infos bei der in Norman/Oklahoma stationierten NSSL („National Severe Storms Laboratory“) zusammen. Auch die Beobachtungen der ehrenamtlichen „Spotter“ (Beobachter) und „Storm chasers“ (Sturmjäger). Das gute alte Europa war ab 1917 mit Alfred Wegener und Johannes Peter Letzmann schon etwas früher tätig, jedoch wurden die Forschungsarbeiten aufgrund des 2. Weltkrieges eingestellt und erst 1997 durch das Netzwerk TorDACH wieder professionell aufgenommen. Sehr wichtig zudem die ehrenamtlichen Spotter, mit ihrem eigenen Netzwerk „Skywarn“. 30 Wissenschaftler und Laien aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen verarbeiten diese Infos neben vielen anderen auch vornehmlich bei Tornados, Wasserhosen und Gewitter-Fallböen („Downbursts“). Dadurch sollen möglichst gute Klimamodelle für betroffene Gebiete erstellt, somit gezieltere Vorhersagen gemacht werden können. 2006 übernahm die meisten dieser Aufgaben das European Secere Storms Laboratory e.V. (ESSL) im Auftrag der EU. Hier wird auch die Unwetterdatenbank ESWD geführt.

Doch geschieht immer wieder auch Unglaubliches während solcher Twisters. So wurde am 11. April 1965 in Ohio ein Jugendlicher von einem Tornado aus dem Bett durch das Fenster gesogen und unbeschädigt auf der Strasse vor dem Haus wieder abgesetzt. Neun Jahre später wurde in Xenia/Ohio ein Bauernhaus komplett dem Erdboden gleich gemacht. Nur eine Schachtel Eier, eine andere mit Christbaumschmuck und ein Spiegel blieben heil!

Links:

www.dwd.de/

www.zamg.ac.at

www.meteoswiss.ch

www.essl.org/

www.tornadoliste.de/

www.skywarn.at/

skywarn.org/

www.tordach.org/

weather.rap.ucar.edu/

www.nssl.noaa.gov

www.ncdc.noaa.gov

www.spc.noaa.gov/

www.ready.gov/tornadoes

www.cswr.org/

stormtrack.org/community/

stormchaser.com/

tornadochaser.net/

www.naturgewalten.de

science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/2000/ast01may_1m/

www.thunderbolttours.com/

Lesetipps:

.) Wind- und Wasserhosen in Europa; Alfred Wegener; Vieweg 1917

.) Klimatologische-statistische Ausarbeitung von Tornado-Ereignissen in Europa (Diplomarbeit); Katharina Amstler

Filme:

.) Twister

.) Tornado

.) Im Auge des Tornados (MDR)

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Lesen verleiht Macht

Schon in der Antike waren die Philosophen und Dichter hoch angesehene Bürger und besassen grossen Einfluss auf das tägliche Geschehen. Auch im Mittelalter änderte sich daran nicht viel, doch übernahmen die Kirchen immer mehr das Wissensmonopol. Schliesslich wurden in den Kloster-Bibliotheken nicht nur alte Werke übersetzt, sondern diese auch erhalten. Noch immer lagern dort unvorstellbare Schätze, wie Originalschriften, Erstdrucke und dergleichen. Heutzutage hat das World Wide Web das Wissensmonopol weitestgehend übernommen, obgleich viele damit ihr Unwesen treiben. Während auf den Datenhighways Falschmeldungen mit nur einem Klick gelöscht werden können, sind sie in einem Buch nicht so leicht zu entfernen. Zudem: Wer Bücher verbrennt, verbrennt damit auch einen Teil seiner Geschichte und seines Wissens! So weist etwa eine Gedenktafel auf dem Berliner Bebelplatz auf die Geschehnisse des 10. Mai 1933 hin:

An diesem Platz vernichtete faschistischer Ungeist die besten Werke der deutschen und der Weltliteratur.“

Deshalb stehe ich zu meiner Meinung, dass „Wissen Macht verleiht und dieses Wissen in Büchern steht“! Das werde ich in den kommenden Zeilen beweisen bzw. zur Diskussion stellen.

Am 23. April war der Welttag des Buches. Durchaus zurecht, wie ich finde. Obwohl viele sog. Meinungsmacher immer wieder das Ende der Bücher vorhergesehen haben – so etwa die New York Times schon 1992.

Das Buch ist nach wie vor relevant und kann sich in einer schwierigen Gesamtwirtschaftslage behaupten!“

(Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels)

Nach Angaben des Börsenvereins wuchs nach einem Einbruch 2022 der Umsatz am Buchmarkt 2023 um 2,8 % auf 9,44 Mrd Euro. 2024 war es ein weiteres Plus von 0,8 %. Das schaut nicht nach einen sterbendem Markt aus! Besonders beliebt waren Sachbücher (+7,7 %) vor der Belle-tristik (+4,1 %). Erfreulich: Die Kinder- und Jugendbücher legten ebenfalls zu – zwar wenig, aber dennoch: +0,5 %! Nettes Detail am Rande: Entscheidend zum Verkaufserfolg der Sachbücher beigetragen hat der Bestseller „Freiheit“ von Ex-Kanzlerin Angela Merkel und Beate Baumann. Dennoch war es im vergangenen Jahr nach Angaben von Media Control nicht das meistverkaufte Hardcover-Buch: Platz 1 ging an Elke Heidenreich mit „Altern“, gefolgt von Sebastian Fitzeks „Das Kalender-mädchen“. Platz 3 dann für die Ex-Kanzlerin. Ganz stark im Kommen sind die „New Adult Liebesgeschichten“ für die Zielgruppe 20-30 Jahre. Waren das früher nicht die Taschenromane? Weitere Zahlen gefällig? 2023 erschienen 60.230 Erstauflagen (-6,3%) und 8.760 Übersetzungen in’s Deutsche – ein Minus von 6,8 % (Angaben: Börsenverein). Für Österreich konnte ich leider keine entsprechenden Zahlen finden.

Obgleich weniger Neuerscheiungen, so nimmt offenbar doch die Beliebt-heit des Buches wieder zu. So blöde es klingen mag, doch ist hierfür zu grossen Teilen das World Wide Web verantwortlich: In den Social Medias posen User mit den Stapeln von Büchern, die sie angeblich im vergangenen Monat gelesen haben wollen. Daraus ist ein richtiggehender Hype entstanden. In diesem Zusammenhang erreichen Bücherbe-sprechungen von „Booktokkern“ oder „Bookflencern“ hohe Klickzahlen. Auch der gute alte Buchklub ist wieder sehr beliebt. Und hier zeigt sich durchaus der eine oder die andere Megastar – wie etwa die Popsängerin Dua Lippa!

Das Buch ist das Medium zur Selbstreflektion, mit dem sich eigene Identitätsfragen sehr gut verbinden lassen.“

(Gerhard Lauer, Literaturwissenschaftler Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Allerdings hält die KI langsam Einzug und stellt v.a. die Autoren vor nicht zu unterschätzende Probleme. Die Schauspieler und Sprecher wurden bereits grossteils durch sie ersetzt – beim Einsprechen von Hörbüchern etwa.

Konträr dazu mehr als interessant ist das Ergebnis der OECD-Bildungs-studie, wonach die Lesekompetenz der Grundschulkinder immer schlechter wird. Hier durfte wohl das in früheren Zeiten so beliebte Vorlesen einen immens wichtigen Beitrag spielen. Heute werden die Kinder immer öfter vor dem Flimmerkasten geparkt. †

Kinder, denen heute vorgelesen wird, werden morgen selbst zu begeisterten Leserinnen und Lesern. Wir sind ihre Vorbilder!“

(Die steirische Landeshauptmann-Stellvertreterin Manuela Khom (ÖVP) – eine der Organisatoren des Steirischen Vorlesetages)

By the way: Der 8. Steirische Vorlesetag findet am 14. Juni statt!

Dieses Sprachdefizit bleibt bei manchen bis ins Erwachsenenalter erhalten: Sie werden ausgeschult ohne einen Text fehlerfrei lesen zu können, geschweige denn, ihn zu verstehen. Tatsächlich korreliert das Standard-Vokabular mit dem Bildungsgrad: So ergaben unzählige Studien unisono, dass ein 15-jähriger über einen Wortschatz von rund 12.000 Wörtern verfügt. Während sich dieses Repertoire bei Gebildeten noch weiterhin ausbaut (im aktiven Wortschatz auf mehrere zehntausend, im passiven Wortschatz, dem Verstehen von weiteren Wörtern, gar auf ein Vielfaches davon), hat sich zuvor offenbar die Spreu vom Weizen getrennt. So besitzt ein durchschnittlicher deutschsprachiger Mensch einen Wortschatz von 3.000-216.000 Wörtern. Dabei spielen die Informationsmedien eine enorm wichtige Rolle: So nutzen Tages-zeitungen wesentlich weniger Wörter als Magazine. Diese wiederum weniger als Bücher. Auch verfügt der TV-Junkie über ein geringeres Standard-Vokabular als der Leser (ausser er zieht sich grossteils Wissensmagazine rein). Doch tun auch dies meist nur die Zuschauer mit höherem Bildungsgrad. Übrigens verfügt die deutsche Speache insgesamt über einen Wortschatz von 5,3 Mio Wörtern!

Abschliessend noch ein wichtiger Gedanke meinerseits: Für die Herstellung von Druckwerken müssen leider nach wie vor viele Bäume sterben. Die mögliche Alternative aus etwa Hanf wird aktuell zu wenig genutzt. Deshalb meine Bitte an Sie, die Leser dieser digitalen Zeilen: Nutzen Sie den Gebrauchtbüchermarkt! Als begeisteter Ebayer (sowohl im An- als auch im Verkauf) musste ich ernüchtert feststellen, dass Bücher zu den Ladenhütern zählen. Auch wenn sie noch originalverpackt sind! Etwa das Weihnachtsgeschenk der Tante, das voll und ganz meinem Geschmack entspricht! Kritisieren möchte in diesem Zusammenhang ebenfalls die vielen Bibliotheken und Büchereien, die stets laut aufschreien, wenn die öffentlichen Förderungen gekürzt werden, Bücherspenden jedoch ablehnen. Als hervorragende Idee hingegen sehe ich die Lesestationen, bei welchen Bücher kostenlos eingestellt und ausgeliehen werden können – auch wenn dies natürlich der Buchbranche schadet – so tut es zumindest der Umwelt gut! Denn: Ohne Umwelt wird es auch keine weiteren Bücher mehr geben!

Links:

Lesetipps:

.) Die deutsche Sprache zur Jahrtausendwende. Sprachkultur oder Sprachverfall?; Hrsg.: Rudolf Hoberg/Karin Eichhoff-Cyrus; Dudenverlag 2000

.) Reichtum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache; Wolfgang Klein; DeGruyter 2013

.) Quantitative Linguistik. Eine Annäherung; Karl-Heinz Best; Peust & Gutschmidt 2006

.) Lexikon der bedrohten Wörter; Bodo Mrozek; Rowohlt Taschenbuch 2005

.) Aspekte des deutschen Wortschatzes; Elisabeth Knipf-Komlósi/Roberta Rada, Bernáth Csilla; Bölcsész Konzorcium 2006

.) Die Architektonik des deutschen Wortschatzes; Paul Menzerath; Dümmler 1954

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Müde bin ich, geh‘ zur Ruh…!

Wenn der Winterschnupfen in den Heuschnupfen übergeht – dann ist es so weit: Frühling! Jawoll – ich freue mich immer auf diese Jahreszeit, wenn die Natur erwacht und sich in den schönsten Farben präsentiert, die Sonne intensiver und die Tage länger werden. Verrückt, was die Hormone mit einem anstellen! Wenn da allerdings nicht die Abgeschlafftheit und Müdigkeit wäre. Frühjahrsmüdigkeit! Was steckt eigentlich dahinter, wie kommt man damit klar und wie kann dagegen angegangen werden?

Normalerweise treten diese bei vielen narkoleptisch-gleichen Anfälle ab Mitte März bis Mitte April auf. Durch den wechselhaften Winter in diesem Jahr hat sich dies aber etwas nach hinten verlagert. Rund 60 % der Frauen und 54 % der Männer sind von diesem Phänomen betroffen. Gekenn-zeichnet ist die Frühjahrsmüdigkeit durch Mattigkeit und verringerter Leistungsfähigkeit. Daneben kann es zu Kreislaufproblemen, Wetter-fühligkeit, Schwindel und niedrigem Blutdruck sowie Kopfschmerzen kommen. Den Betroffenen fehlt der ansonsten durchaus vorhandene Antrieb.

Die Frühjahrsmüdigkeit ist noch nicht wirklich wissenschaftlich erklärbar. Klar ist, dass der Körper in der kalten Zeit des Jahres den Stoffwechsel und die Körpertemperatur auf Sparflamme senkt. In früheren Zeiten wurde die Frühjahrsmüdigkeit deshalb auf den Mangel an Vitaminen in den dunklen und kalten Wintermonaten zurückgeführt. Mediziner und Neuro-, sowie Chronobiologen gehen jedoch inzwischen davon aus, dass der Hormonhaushalt federführend dahintersteckt. Die steigenden Temperaturen, v.a. aber die komplett anderen Lichtverhältnisse im Vergleich zum ansonsten normalerweise düsteren Winter, regen die Produktion der Hormone an – vornehmlich des Serotonins. Dieser Botenstoff des Nervensystems wird vornehmlich im Hypothalamus (eine sehr wichtige Hormondrüse im Gehirn) aus der Aminosäure L-Tryptophan unter Einbindung einiger Enzyme und Mikronährstoffen als Cofaktoren gebildet. Auch Lunge, Milz und die Darmschleimhaut sind in geringem Ausmass an der Produktion des Serotonins beteiligt. Das Hormon regelt unsere Stimmung, aber auch den Schlaf-Wach-Rhythmus. Der Gegen-spieler des Serotonins ist das von der Zirbeldrüse produzierte Schlaf-hormon Melatonin. Hinzu kommt, dass sich bei höheren Temperaturen die Blutgefässe erweitern, der Blutdruck sinkt, der Organismus wird müde.

Der Zustand kann ganz entscheidend durch die Zugabe von Vitamin D verbessert werden. Dieses wird eigentlich durch die Sonneneinstrahlung ausreichend produziert, doch sind die Menschen im Winter meist gut in wärmeschützende Kleidung eingelümmelt, sodass die Wintersonne hier nicht wirklich viel bewirken kann. Allerdings sollte man besser die kostenlose Sonne tanken, etwa durch viel Bewegung wie Sport oder Arbeit im Freien. 20 Minuten pro Tag im T-Shirt oder der Bluse bei direkter Sonneneinstrahlung dürften ausreichen. Wenn möglich ohne Sonnen-brille, da die Netzhaut des Auges für die Aufnahme des Sonnenlichtes immens wichtig ist. Ganz allgemein helfen vermehrte soziale Kontakte gegen Stimmungstiefs: Trommeln Sie öfters ihre Freunde zusammen und unternehmen Sie gemeinsam etwas. Daneben können alle Ratschläge zur Ankurbelung des Kreislaufs umgesetzt werden:

  • Mit bis zu zwei Liter genügend Flüssigkeit trinken (Wasser, Tee oder verdünnter Fruchtsaft)
  • Frisches Obst und Gemüse essen
  • Saunabesuche oder Wechselduschen
  • Zuhause öfters mal Durchlüften, damit der Körper genügend Sauerstoff erhält

Der ansonsten empfehlenswerte Mittagsschlaf hingegen ist grundlegend falsch. Hierdurch wird Serotonin ab- und Melantonin aufgebaut – sie werden noch matter. Ein Power-Nap hingegen wirkt Wunder.

Menschen mit einer Herz-Kreislaufschwäche, niedrigem Blutdruck oder Rheumaleiden aber auch wetterfühlige Patienten sind am meisten von der Frühjahrsmüdigkeit betroffen.

Sollten die Symptome nach vier Wochen jedoch nicht enden wollen, so sollte unbedingt ein Arzt Ihres Vertrauens aufgesucht werden. Schliesslich können viele ernst zu nehmende Krankheiten wie etwa eine Schilddrüsenunterfunktion oder eine Depression, aber auch eine Schlaf-störung dahinterstecken. Ferner möglicherweise ein Nährstoffmangel im Energiestoffwechsel, der mit ganz einfachen Methoden bekämpft werden kann: Zu wenig der Mineralstoffe Magnesium, Calcium, Jod, Mangan und Kupfer, aber auch Vitamine B1, B2, B6, B12, C sowie Pantothensäure, Niacin und Biotin können zu Müdigkeit führen. Hier helfen Nahrungs-ergänzungsmittel – bitte aber auch in diesem Fall zuerst einen Arzt aufsuchen.

Zusätzlich können Sie Ihrem Immunsystem und dem Stoffwechsel einen richtiggehenden „Push durch biologischen Raketenantrieb“ geben – hier wusste sich bereits Grossmuttern mit ihrem Kräuterkästchen zu helfen: Die leider nach wie vor eher verschmähten Brennesseln und der Bärlauch kamen häufig als Tee oder Suppe auf den Tisch. Beim Sammeln des Bärlauchs aber ist Vorsicht geboten, da er recht häufig mit dem Maiglöckchen verwechselt wird, das giftig ist. Der Bärlauch ist an der Blattunterseite matt und besitzt eine hervortretende Mittelrippe. Sein typischer Geruch ist kein alleiniges Erkennungsmerkmal! Das Maiglöckchen hingegen führt zu Atemnot, Herzrasen und schliesslich zum Herzstillstand. Auch mit dem „Aronstab“ wird Bärlauch häufig verwechselt – er ist zwar nicht giftig, doch sehr scharf und kann somit ein ganzes Gericht ungeniessbar machen.

Alsdann kennt auch die Homöopathie einige Mittelchen, wie Arsenicum album (hergestellt aus dem hochgiftigen, weissen Arsenik), Phosphorus (der sog. „Lichtträger“ – ebenfalls als elementarer Stoff giftig, jedoch ausserordentlich wichtig für den Körper) oder Causticum Hahnemanni (frisch gebrannter Kalk, verarbeitet mit Kaliumdihydrogensulfat – stark ätzend) – für all jene, die darauf schwören. Die Dosis macht das Gift – alle drei Mittelchen sind stark verdünnt!

Kommen Sie gut durch den Frühling und erfreuen Sie sich an der Pracht der Natur!!!

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Niemals wieder Krieg!!!

Die ersten Tage des soeben begonnenen Wonnemonats Mai waren mit Sicherheit die wichtigsten des 20. Jahrhunderts. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg – Hitler und seine Schergen begingen entweder Selbst-mord oder wurden gefangen genommen. Europa lag zwar in Schutt und Asche, doch kam mit dem Ende der Nazis zumindest wieder ein Hoff-nungsschimmer auf. Grund genug, heute mal wieder einen History-Blog zu verfassen. Dabei möchte ich vornehmlich die Befreiungen wichtiger Städte in’s Auge fassen.

Die Schlacht um Berlin war sicherlich die blutigste und grauenvollste. Sie endete nach rund 14 Tagen am 02. Mai. Wie durch das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte Unterlagen beweisen, stiess die Rote Armee dabei auf erbitterten Widerstand, mit dem auch der Oberbe-fehlshaber der russischen Truppen in Deutschland, Marschall Georgij Schukow, nicht gerechnet hatte. In seinen Ausführungen schreibt dieser, dass jeder Straßenzug und jedes Haus erbittert verteidigt wurden. Dabei kamen über 170.000 Soldaten und zehntausende Zivilisten um’s Leben. Hitler hatte sich mitsamt seiner Frau Eva Braun bereits im Führerbunker umgebracht. Seine letzte Hoffnung, ein Durchbruch der 12. Armee nach Berlin fand nicht statt. Deren Oberbefehlshaber, Panzergeneral Walter Wenck, hatte die Aussichtslosigkeit erkannt und befreite anstatt dessen zersprengte Wehrmachtsverbände aus russischen Kesseln um sie in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft zu bringen.

Sechs Tage später, am 08. Mai 1945 kapituliert mit der Unterschrift von Generaloberst Alfred Jodl die Wehrmacht bedingungslos – der Zweite Weltkrieg ist – zumindest für Europa – beendet. Die ersten Verhandlungen für eine Übergabe der Stadt Berlin fanden am 01. Mai ab 03.50 Uhr statt, zwischen dem Generalstabschef Hans Krebs, Oberst von Dufving (Chef des Stabes des LVI. Panzerkorps) und dem sowjetischen Generalleutnant Wassili Iwanowitsch Tschuikow, der bereits mit der 62. Armee Stalingrad befreite. Stalin lehnte jedoch Verhandlungen ab – Berlin sollte bedingungslos kapitulieren. Dies lehnte der zu diesem Zeitpunkt noch lebende Goebbels ab. Erst nachdem sich dieser mit seiner Frau am 01. Mai selbst umgebracht hatte, wurde am 02. Mai um 01.00 Uhr ein Funk-spruch abgesetzt. Darin bat die deutsche Führungsspitze um die Einstellung der Kampfhandlungen. Am 02. Mai 1945 ordnete General Helmuth Weidling die Einstellung aller Kampfhandlungen an und unter-schrieb um 13.00 Uhr die Kapitulationserklärung. Die letzten Waffen wurden gegen 17.00 Uhr niedergelegt.

Bereits zuvor hatte sich Wien ergeben. Die Schlacht um die öster-reichische Hauptstadt dauerte vom 16. März bis zum 15. April. Am 06. April 1945 hatte das 39. Schützenkorps der 6. Armee unter General Tichonow und die 4. Gardearmee die 2. und 3. SS-Panzerdivision zurückgeschlagen. Das 21. Garde-Schützenkorps unter General Kozak und das 20. Garde-Schützenkorps unter General Birjukow drangen in Simmering und Schwechat in Wien ein. Mehrere deutsche Offiziere wollten Wien zur „Offenen Stadt“ erklären und damit kampflos über-geben. Dies scheiterte jedoch am Reichsstatthalter und Gauleiter Baldur von Schirach. Dieser liess durch den Volkssturm und die Hitlerjugend Barrikaden errichten. Erbitterte Kämpfe lieferten sich Teile der 3. SS-Panzerdivision mit der Roten Armee beim Wiener Arsenal. Vor allem auf Seiten der Sowjets gab es hohe Verluste. Auch in Wien kam es zu einem intensiven Häuserkampf um jeden Strassenzug. Bereits in den ersten Apriltagen hatten sich der Wiener Untergrund und einige Offiziere mit den Sowjets in Verbindung gesetzt. Sie wollten grössere Kämpfe und damit auch Schäden in der Stadt verhindern („Operation Radetzky“). Nachdem das Vorhaben verraten wurde, sind drei beteiligte Offiziere am 08. April an Strassenlaternen in Floridsdorf gehängt worden. Am Morgen des 13. April stürmten Einheiten der 7. Garde-Luftlande-Division vom Prater her kommend gemeinsam mit dem Schützenregiment 217 die Reichsbrücke. Von Schirarch hatte sich schon am 09. April zur 2. SS-Panzerdivision nach Floridsdorf geflüchtet und dann später abgesetzt. Er tauchte unter dem Namen Richard Falk in Tirol unter, stellte sich dann aber am 05. Juni 1945. Er erhielt in den Nürnberger Prozessen 20 Jahre Haft. Nach kurzen aber heftigen Kämpfen auf dem Gürtel zwischen der SS, der Wehrmacht und dem Volkssturm auf der einen sowie und der 4. Gardearmee auf der anderen Seite erklärten die Sowjets am 13. April um 14.00 Uhr die Kämpfe für beendet. Gegen Abend wurden allerorts die Waffen niedergelegt. Die West-Alliierten übrigens marschierten erst am 28. April über Tirol in Österreich ein.

Innsbruck blieb nahezu gänzlich von Kampfhandlungen verschont. Am 02. Mai hatte Gauleiter und Reichsstatthalter Franz Hofer in seiner letzten Rundfunkansprache betont, dass man den vorrückenden Alliierten im Gebirge, nicht jedoch in der Stadt erbitterten Widerstand leisten werde. Die Brücken wurden deshalb auf seinen Befehl hin nicht gesprengt. Hofers Alpenfestung erwies sich jedoch als Lug und Trug – er versuchte selbst nach der Kapitulation der Heeresgruppe C in Italien ohne grossen Schaden aus dem Krieg zu kommen. Auch die von ihm aufgestellten Standschützen, ein Tiroler Traditionsverband, kamen nicht mehr als Volkssturm zum Einsatz. Hofer war es auch, der verhindern wollte, dass sich die Reste der 19. und 1. Armee der Heeresgruppe G in Vorarlberg und Tirol verschanzen sollten. Dies jedoch ohne Erfolg. Allerdings waren diese Einheiten stark ausgedünnt und grossteils demoralisiert. Die 19. Armee wurde im Tiroler Oberland, die 1. Im Unterland eingesetzt. Über Vorarlberg kämpfte sich die 1. Französische Armee vor, über das Ausser-fern und Mittenwald drei Divisionen der 7. US-Armee. Die 103. Infanteriedivision der Amerikaner sollte Innsbruck einnehmen. In der Scharnitzer Klause standen sie 15- und 16-jährigen der Hitlerjugend „HJ Bann Innsbruck“ gegenüber. Nach deren Aufgabe ging es nahezu kampflos bis vor die Tore Innsbrucks.

Am Fernpass gab es bei starkem Wintereinbruch am 01. und 02. Mai die heftigsten Kämpfe in Tirol. Dort hatten sich 1.200 Mann der 19. Armee der 44. Infanteriedivision in den Weg gestellt. Erst der 2. Umgehungs-versuch gelang den Amerikanern, die mit Hilfe von österreichischen Soldaten aus dem Tiroler Widerstand durchbrachen. Inzwischen hatte sich in Innsbruck unter Dr. Karl Gruber der Widerstand formiert. Am 02. Mai nahmen Stosstrupps die Wehrmachtskasernen und die Gendarmerie-kaserne in Innsbruck ein. Auf der Hungerburg wurde General Johannes Böheim, der Kommandeur der Divisionsgruppe Innsbruck-Nord, mitsamt seines Stabes festgenommen. Dieser hatte bereits mit den Amerikanern über eine Kapitulation verhandelt. In der Nacht zum 03. Mai kämpfte sich Ludwig Steiner zu den Amerikanern vor und informierte diese, daß sie in Innsbruck mit keinerlei Gegenwehr zu rechnen hätten. In der Stadt selbst gab es immer wieder Schießereien des Widerstands mit versprengten Wehrmachtssoldaten und Mitgliedern der SS. Als die 103. Amerikanische Invanteriedivision („Cactus-Division“) kampflos gegen Abend in Innsbruck einrückte, wurde sie von begeisterten Menschenmassen mit Fahnen und Blumen empfangen.

„Die Kaktus-Männer konnten kaum ihren Augen trauen. Es war wie die Befreiung von Paris. Der Jubel war ungeheuer. Männer, Frauen und Kinder schrieen den einmarschierenden Truppen Begrüßungsworte zu und streuten ihnen Blumen.“

(Kriegsberichterstatter der 103. Infanteriedivision)

In Frankfurt/Main trafen die US-Truppen auf keinerlei Widerstand. Die strategisch wichtige Stadt lag nach nicht weniger als 75 Luftangriffen in Schutt und Asche. Wehrmachts-Pioniere hatten am 26. März alle Brücken gesprengt – einzig die Wilhelmsbrücke (heute: „Friedensbrücke“) war noch intakt – über sie gelangten am 29. März die Amerikaner in die Innenstadt. Die Bevölkerung hauste zum grössten Teil in ihren Kellern, von den Häusern war v.a. in der Innenstadt nicht mehr viel übrig geblieben. Die 5. US-Infanteriedivision und die 6. US-Panzerdivision gehörten zu den Truppen der 3. US-Armee unter General George Patton. Sie war am 23. März bei Oppenheim über den Rhein vorgestossen. Schon am 24. März hatten die 300 Mann des Volkssturms kapituliert und Darmstadt kampflos übergeben. In Frankfurt selbst hielten sich nurmehr rund 1.000 Mann des Volkssturms und kampfunerfahrene junge Soldaten unter Generalmajor Friedrich Stemmermann auf. Gauleiter Jakob Sprenger hatte sich schon Tage zuvor nach Thüringen abgesetzt. Er flüchtete schliesslich nach Tirol, wo er sich kurz vor der Festnahme durch die Amerikaner selbst vergiftete. Vor seiner Flucht hatte er noch den „Kampf bis zum letzten Blutstropfen“ befohlen. Der Oberbefehlshaber West, Albert Keßel-ring, hatte daraufhin den Kommandeur des Grenadierregiments 57 aus Marburg, Oberstleutnant Erich Löffler, nach Frankfurt beordert. Als dieser am 27. März in der Taunusanlage 12, der Frankfurter Kommandantur, eingetroffen war, zerfetzte eine Granate den kompletten ersten Stock des Gebäudes. Dabei starb auch Löffler. Stemmermann geriet schwer verletzt in US-Kriegsgefangenschaft. Er hatte nach der Ablösung auf ein Auto vor dem Gebäude gewartet.

Hamburg schlenderte haarscharf an einer kompletten Zerstörung vorbei. Ende April 1945 stand die 7th Armoured Division 15 km vor der Hanse-stadt. Diese britische Division hatte sich ihre Sporen im Afrika-Krieg erworben – daher auch die Wüstenspringmaus im Emblem der Panzer-division) und war an der Landung in der Normandie beteiligt. Zuvor hatten die Streitkräfte von der Insel die Lüneburger Heide erobert, das KZ Bergen-Belsen am 15. April befreit – Lüneburg selbst hatte sich am 18. April kampflos ergeben. Bremen verteidigte sich bis auf den letzten Mann, die Stadt glich einem grossen Trümmerhaufen – die Verluste auf beiden Seiten waren sehr hoch. Am 27. April schliesslich ist auch hier der Krieg nach großem Blutvergießen vorbei. Hitler hatte Hamburg zur Festung erklärt und den Kampf bis zum bitteren Ende befohlen. Am 22. April beginnen mit der Aufstellung von Panzersperren die Vorbereitungen hierzu. 20.000 Soldaten und der Volkssturm sollten die Stadt vor den Briten retten. Den Oberbefehl hatte Hitlers Stellvertreter, Großadmiral Karl Dönitz. Kampfkommandant Alwin Wolz jedoch erkannte die Sinnlosigkeit und kapitulierte, wodurch er die Reste Hamburgs retten konnte. Neben dem Hafen standen auch die Phoenix-Werke unter ständigem britischen Artillerie-Beschuss. Dort wurden die Reifen für die Wehrmachtfahrzeuge hergestellt. Zudem befand sich hier ein Lazarett, in dem auch britische Kriegsgefangene medizinisch behandelt wurden. Stabsarzt Hermann Burchard konnte dessen Generaldirektor Albert Schäfer überzeugen, die Stadt zu retten. Nach der Genehmigung durch Wolz gingen die beiden am 29. April mit einer weissen Fahne den royalen Truppen entgegen. Offiziell durften die Soldaten (Burchard und Kampfkommandant Wolz) nur über die Rettung des Lazaretts Verhandlungen führen. Albert Schäfer hingegen überreicht dem britischen Captain Thomas Martin ein Schreiben mit dem Inhalt einer möglichen kampflosen Kapitulation. Darin wurde auch erwähnt, daß sich Gauleiter Karl Kaufmann „vernünftig“ verhalte. In der Antwort forderte Generalmajor Lewis Lyne die kampflose Kapitulation Hamburgs. Schäfer hatte dieses Schreiben in seinem rechten Schuh versteckt. Er überreichte es am 30. April Wolz. Dieser besprach sich mit Gauleiter und Reichsstatthalter Kaufmann, der in die kampflose Übergabe der Stadt angesichts der aussichtslosen Situation einwilligte. Am 3. Mai marschierten britische Truppen in Hamburg ein. Allerdings hing tatsäch-lich alles an einem seidenen Faden: Mit einem Tag Verspätung wurde der Selbstmord Hitlers über den Reichssender Hamburg bekannt. Nun sollte Kampfkommandant Wolz abgelöst werden. Dieser beorderte, nachdem er davon in Kenntnis kam, am 1. Mai zwei Wehrmachtsoffiziere zur Überbringung der Kapitulationserklärung. Grossadmiral Dönitz erfuhr über die Zeitung davon. Doch willigte er, nachdem die Briten Lübeck und die Amerikaner Wismar eingenommen hatten, als Stellvertreter Hitlers wider Erwarten ein. Hamburg musste seit dem Sommer 1943 ganze 190 Luftangriffe überstehen – nahezu kein Mauerstein stand mehr auf dem anderen. Kampfkommandant Wolz begab sich am Abend des 2. Mai zu Generalmajor Lyne und unterschrieb am darauffolgenden Morgen die Kapitulationsurkunde. Nach einer Rede von Gauleiter Kaufmann im Reichssender Hamburg, die die Bevölkerung der Stadt von der bevor-stehenden Besetzung durch die Briten informieren sollte, übergab Wolz am 3. Mai um 18.25 Uhr Hamburg an den britischen Brigadegeneral John Michael Sperling. Kaum vorzustellen, was mit Hamburg geschehen wäre, hätten nicht Wolz, Schäfer und Lindsay klaren Kopf bewahrt. Wolz war übrigens zwei Jahre lang in britischen Kriegsgefangenschaft. Danach erwarb er einen Bauernhof in Bayern; Schäfer wechselte in die Handels-kammer.

Der 8. Mai sollte deshalb nicht nur als Gedenktag für das Ende des Zweiten Weltkrieges in die Geschichtsbücher eingehen. Er sollte vielmehr als Heldengedenktag für all jene gefeiert werden, die den Mut und die Intelligenz aufbrachten, sich kampflos zu ergeben. Sie retteten dadurch viele Städte und Gemeinden vor deren Auslöschung und verhinderten weiteres Blutvergiessen in der Zivilbevölkerung. An Frauen, Kindern und alten Menschen. Es ist zudem ein Tag der Befreiung! Nicht von dem bösen Deutschen oder Österreicher. Viele gehorchten nur den Befehlen, da sie ansonsten selbst exekutiert worden wären. Es ist die Befreiung von einem menschenunwürdigen Regime, das niemals wieder eine solche Macht bekommen darf. Dabei spielt das politische Lager (rechts oder links) keine Rolle!

Der 8. Mai sollte zudem als Feiertag für ein friedliches, gemeinsames Europa begangen werden. Ob West oder Ost, Süd oder Nord! Europa hatte noch nie in seiner Geschichte eine dermaßen lange Ära des Friedens. Lasst uns deshalb auch weiterhin an einem grenzüberschreitenden, demokratischen Miteinander arbeiten! Wer aus der Geschichte nichts gelernt hat („Ein Fliegenschiss!“), sollte nicht die Zukunft eines Landes beeinflussen können!

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