Archive for Juli, 2025

Wenn die wahre Realität verloren geht

„Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die richtige Wirklichkeit ist.“
(Hilde Domin, dt. Schriftstellerin)

Die Corona-Krise hat es wohl in aller Härte wie bislang noch nie aufgezeigt: Das Internet kann verrückt machen! Die Hamsterkäufe von Toilettenpapier, Mehl, Hefe etc. waren allesamt das Produkt von Panik-mache über die Social Medias mit dem Effekt, dass die Produkte teurer werden. . Durch die Ausgangsbeschränkungen waren noch weitaus mehr Menschen noch weitaus länger im World Wide Web als in normalen Zeiten. Da schaukelt man sich gegenseitig emotional hoch – ein wahrhaftiges Paradies für Fake News-Maker. Ein nicht zu unterschätzen-des Risiko, schliesslich droht hier der Realitätsverlust!
Wer sich trotz all dieser Negativmeldungen zum Einkauf in den Super-markt getraut hat, konnte feststellen, dass von allem noch (oder wieder) genug da war. Er konnte jedoch auch feststellen, wenn er zum Beispiel im Discounter einkaufen sollte, dass gewisse Gesellschaftsschichten anfäl-liger sind als andere. Wissenschaftler warnen schon seit Jahren vor dem exzessiven Gebrauch von beispielsweise PCGames, aber auch dem Internet. In beiden Fällen droht der Verlust des Realitätssinns – die Sucht wird deshalb seit Juni 2018 durch die WHO als „substanzungebundene Sucht“, also als psychische Krankheit im Rahmen der ICD-11-Erkran-kungen eingestuft – trat mit dem 1. Januar 2022 in Kraft. Besonders problematisch in dieser Hinsicht ist die sog. „Gaming Disorder“, also die Computerspielesucht. Auf diese möchte ich heute aber nicht im Speziellen eingehen, sondern das Problem allgemeiner halten. Wenn Sie die nun folgende Frage mit „Ja!“ beantworten können, sollten Sie auf jeden Fall diesen Blog bis zum Ende durchlesen:

„Sind Sie öfter als 30 Stunden die Woche im Internet?“

Facebook, Twitter, Instagram oder vor allem WhatsApp – in den Social Medias ist jegliches Zeitgefühl zumeist sehr schnell verloren! Dennoch lässt es sich nicht genau bestimmen, ab wann der Zeitvertreib zur Sucht wird. Deshalb gehen die meisten Experten inzwischen von einem anderen Erscheinungsmuster aus: Tritt ein Kontrollverlust mit erheblichen Auswir-kungen auf das soziale Leben und die Arbeitsfähigkeit ein, so ist die Schwelle zur Sucht überschritten! Das kann beim Mann in den Midlife-Crises sein, der stets neue Sexfotos oder -filme sucht, bei den Kaffee-tanten, die sich via SoMes jede Neuigkeit sofort zusenden müssen oder auch beim Teen, der nahe am Kollaps steht, wenn das Handy verlegt wurde und somit nicht gechattet werden kann. Es ist dieser nicht zu unterbindende innerliche Drang, stets einen Computer (in welcher Grösse oder Erscheinungsform auch immer) in greifbarer Nähe haben und ihn bedienen zu müssen. Betroffene Menschen reagieren oftmals stark gereizt und nervös. Das stärkste Zeichen einer Sucht jedoch ist es, wenn jemandem diese Sucht bewusst ist, man ihr aber hilflos gegenüber steht, dies also nicht in den Griff bekommen kann. Ob Drogen, Alkohol, Nikotin oder Computer – diese Abhängigkeit bleibt immer gleich.
Doch – was steckt wirklich dahinter? Ähnlich wie bei den Drogen oder dem Alkohol ist es vornehmlich die Flucht vor der Realität. In eine Welt, die vermeintlich besser ist, in welcher man Gleichgesinnte findet oder wo man sich als jener ausgeben kann, der man immer schon sein wollte. In die Risikogruppe fallen vornehmlich Menschen mit Problemen im privaten Bereich, der Arbeit oder Schule und jene, die unter einem mehr oder weniger starken Minderwertigkeitskomplex leiden. Auch Personen ohne soziale Kompetenz, mit nur eingeschränktem Freundeskreis sind gefährdet! Millionen User alleine im deutschsprachigen Raum sind hier-von betroffen. Alleine in Deutschland sind 560.000 Menschen bereits als virtuell-süchtig gemeldet, 2,5 Mio weitere werden als „problematische Internetnutzer“ bezeichnet.
Sie flüchten in eine Scheinwelt, aus der viele nurmehr schwer heraus-finden. Vor allem nicht ohne Unterstützung. Übrigens steht dieser Realitätsverlust auch am Beginn der Schizophrenie und der organischen Psychose.
Wie bei jeder exzessiven Sucht hinterlässt auch die Computersucht tiefe Spuren in der Psyche eines Menschen. So mancher Experte weiss zu berichten, dass die Online-Sucht schwieriger und gar gefährlicher als die Alkohol- und Nikotinsucht ist. Wenn ein klärendes Gespräch keine oder nur wenig Wirkung zeigt, sollten Experten zu Rate gezogen werden. Auch Suchthilfeorganisationen können hierbei weiterhelfen. So betont die Spielsuchtberatung der Stadt Klagenfurt (auch zuständig für Internet-sucht), dass es teilweise bis zu zehn Jahre dauere, bis sich ein Spiele-Süchtiger die Sucht eingesteht. Inzwischen haben sich Schulden ange-häuft, ist das Aggressionspotenzial gestiegen und die reale Welt durch die Spielewelt ersetzt worden, betont die Psychologin Petra Hinteregger von der Suchtberatung. Keinesfalls sollten die Symptome auf die leichte Schulter genommen werden. Vor allem Kindern und Jugendlichen droht oftmals gar der Realitätsverlust, meint der Neurobiologe und Autor Gerald Hüther! So fehle dem wachsenden Kind oder Jugendlichen mit jeder Stunde vor dem Computer auch eine Stunde, sich im wirklichen Leben weiterzuentwickeln, so Hüther. Irgendwann überwiegt die Schein-welt gegenüber der Realwelt – die Grenze ist überschritten. Nach den Untersuchungen der JIM-Studie 2024 (Jugend, Information, Medien) besitzen 93 % der deutschen Jugendlichen zwischen 12-19 Jahren ein Handy bzw. Smartphone. 98 % der Mädchen und 97 % der Jungen sind zumindest täglich im Internet – 96 % der Mädchen und 91 % der Jungen nutzen dafür das eigene Smartphone (38,7 h/Woche). Insgesamt erklärten die befragten Jugendlichen, 71,5 Stunden pro Woche im Internet zu sein (2023 waren es noch 69,9 Stunden). Hinzu kommen aber noch die anderen Bildschirmzeiten vor dem Fernseher oder dem PC! Alles in allem beläuft sich die Bildschirmzeit auf dieselbe Dauer wie die tägliche Schulzeit!
Diese Menschen finden sich zumeist in der wirklichen Gesellschaft nicht mehr zurecht – sie greifen nurmehr auf ihre digitale Friends zurück. Hüther bezeichnet dies als „Verinnerlichung virtueller Vorstellungs-welten“. Hirnforscher machten die Entdeckung, dass jene Hirnregion, die die Bewegungen der Daumen steuert, aufgrund des exzessiven Handyge-brauchs seit geraumer Zeit wächst. Das Gehirn strukturiert sich nach neuen Erfordernissen um. Gleiches stellten Wissenschaftler in bereits älteren Tests mit Gaming, Alkohol und Cannabis fest. In allen drei Bereichen führen die positiven Belohnungen zur Ausschüttung des Glückshormons Dopamin (klassische Konditionierung). Somit versucht der Betroffene immer mehr des Dopamins zu erheischen (siehe hierzu auch mein Blog zum Thema „Glück“). Süchtige können recht leicht erkannt werden: Sie sind aggressiver als ihre Altersgenossen. Zudem lassen Leistungen in Schule und Arbeit nach.
„Na cool!“, höre ich nun viele Eltern sagen. Der hat ja keine Ahnung. Stimmt möglicherweise, doch besitzen viele der Antworten von ausge-wiesenen Experten denselben Inhalt. So betont beispielsweise der Stressmediziner und Endokrinologe am Medizinischen Zentrum Ulm, Alfred Wolf: Hunderte Dinge können nebenbei nicht erledigt werden. Ich kann nicht wirklich frühstücken und ständig in’s Smartphone oder das Pad schauen. Wenn jemand joggen will, soll er mal für eine halbe Stunde nicht erreichbar sein. Jeder soll sich auf eine Aufgabe konzentrieren, dann wird diese auch besser erledigt und die Welt wird entschleunigt! Das können Sie auch Ihren Kindern mit auf den harten Weg des Lebens geben!

Lesetipps:

.) Computersüchtig – Kinder im Sog der modernen Medien, Wolfgang Bergmann / Gerald Hüther; Walter Verlag 2013
.) Digitale Hysterie – Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen; Georg Milner; Beltz Verlag 2016

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Ulrich Stock

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Zölle – Trumps Spiel mit dem Feuer

Die Geschichte der Zölle ist uralt! Schon die Römer kannten sie, dann waren es die Adeligen, Grossgrundbesitzer und Wegelagerer (ausgezeich-nete Kombination!), die den Wegezoll abkassierten. Einige Jahrhunderte später wurde der Zoll berechnet, um Importwaren im Inland teurer zu machen als die heimischen Produkte. Doch ein Grundsatz blieb über all die Jahrhunderte hinweg erhalten: Mit dem Zoll soll immer eine Schatulle gefüllt werden – sei es die Staatskasse, die fürstliche Geldkiste oder der Geldstrumpf so mancher Räuber. Das ist bis heute geblieben! So freut sich auch der US-Präsident Donald Trump über Mehreinnahmen: Im Juni etwa nur durch die Zölle in der Höhe von 27,2 Mrd. Dollar – das führte zu einem Haushaltsüberschuss von 27 Mrd. Dollar (Angaben: US-Finanz-ministerium)! Mr. Trump fühlt sich dadurch bestätigt, berücksichtigt aber nicht, dass in den USA diese Produkte oder die Waren daraus entschei-dend teurer geworden sind. Das heizt wiederum die Inflation an! Es ist also ein Rattenschwanz bzw. eine Kettenreaktion, die der Präsident (mit der Begründung der „Nationalen Sicherheit“) losgetreten hat. Und mit dem Handelsdefizit hat dies nur wenig zu tun – das steigt nämlich noch weiter an! Doch eines nach dem anderen!

.) Zölle

US-Finanzminister Scott Bessent stellt bis Jahresende ganze 300 Mrd. Dollar zusätzlich in Aussicht! Dazu müssten die Zölle aber noch steigen! Sein Herr und Meister reagiert sofort darauf und kündigt zum 01. August weitere, wesentlich höhere Zölle an. Er spricht dabei vom „grossen Geld“! Treffen wird es nahezu alle Handelspartner der USA – nun auch Russland, das ebenso wie Nordkorea, Kuba und Belarus bislang verschont blieb. Trotz Sanktionen führen die USA nach wie vor Waren im Wert von 3,5 Mrd. Dollar aus Russland ein (vor dem Einmarsch in die Ukraine waren es 35 Mrd.). Schwer trifft es China, Brasilien, Kanada, Mexico und die EU, aber auch Japan und Südkorea. Auf Kupferimport und Waren aus Brasilien soll ein Zoll von satten 50 % aufgeschlagen werden. Trumps Begründung: Die dortige Regierung behandelt den ehemaligen Präsidenten und Gesin-nungsgenossen Trumps, Jair Bolsonaro, nicht so, wie es Trump passen würde. Kanada wird mit 35 % Aufschlag belohnt, die EU mit 30 %. Kanada hatte bereits zuvor auf die erste Zollwelle reagiert und Gegenzölle auf US-Waren verhängt bzw. diese aus den Regalen verbannt. Wie wichtig Herrn Trump bestehende Verträge sind, zeigt dieses Beispiel: Die USA sind ebenso Mitglied beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA), wie auch Kanada und Mexiko. Gottlob wurde der Freihandels-vertrag TTIP zwischen den USA und der EU niemals unterschrieben – es wäre umsonst gewesen! Die EU verhandelt nach wie vor mit Washington, doch gab es bislang keine Hinweise darauf, dass diese Verhandlungen von Erfolg gekrönt sind. Dabei sind derartige, höhere Zölle bereits für einige EU-Waren aktiv: 25 % auf Automobile und Autoteile bzw. 50 % auf Stahl und Aluminium – zusätzlich zu den bereits bestehenden 10 %. In Brüssel hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Vergel-tungszölle auf US-Waren im Wert von 21 Milliarden Euro vorerst bis zum 01. August ausgesetzt. Sollte Trump an seinen Plänen festhalten, werden Importe im Wert von 72 Milliarden davon betroffen sein: Gegenzölle! Die EU sollte ihr Licht dabei nicht unter den Scheffel stellen: Mit 450 Mio Einwohnern in 27 Ländern ist sie einer der grössten Binnenmärkte der Welt – die Chinesen haben dies bereits vor Jahren begriffen (siehe Neue Seidenstrasse bzw. Containerhafen in Athen)! Weitere und höhere Zölle bremsen nicht nur den Handel, sondern machen die Waren auch empfindlich teurer und gefährden viele Arbeitsplätze. Zudem: Die Verhandlungen, die seit Jahrzehnten über die Welthandelsorganisation (WTO) geführt wurden, werden mit einem Schlag wertlos, da es einem Menschen nicht in den Kram passt!

.) Handelsüberschuss

Dieses Thema ist weitaus komplexer! Nach Angaben des Bureaus of Economic Analysis (BEA), das direkt dem US-Handelsministerium unter-stellt ist, belief sich der Handelsüberschuss zwischen der EU und den USA im Jahre 2023 auf 235,6 Mrd. Dollar (201,5 Milliarden Euro) – zugunsten der EU! Sogar Österreich hat demnach ein Plus auf der Bilanz stehen (13,1 Mrd. Dollar). Ich wusste gar nicht, dass Tiroler Hüte in den USA so begehrt sind! Ein Ausgeglichen oder Minus verzeichneten nur die EU-Partner Niederlande, Spanien, Polen, Slowenien, Zypern sowie Luxemburg und Malta. Dieser Überschuss ist nach jenem von China direkt an zweiter Stelle zu finden. Das heisst, dass von der EU um diesen Betrag mehr Waren in die USA exportiert werden, als US-Waren den Weg nach Europa finden. Um genau zu sein: Die USA importierten Waren im Wert von 503 Mrd. Euro, die EU Waren aus den USA im Wert von 347 Mrd. Euro. Hinzu kommen noch die Dienstleistungen: Von der EU in die USA 319 Mrd., von den USA in die EU 427 Mrd. Euro. Rechnet man dies nun gegen, so bleiben (sofern ich richtig gerechnet habe!) 48 Mrd. als Handelsbilanz-defizit der USA bei den EU-Staaten übrig. Sicherlich – für Otto Normal-verbraucher eine gewaltige Summe – betrachtet aber auf das Handels-aufkommen gerade mal 3 %! Das liegt nämlich bei rund 1,6 Billionen Euro! Übrigens: Der Handelsüberschuss zwischen Deutschland und den USA ist nicht der grösste innerhalb der EU! Das wird durch Irland mit 86,7 Mrd. getoppt! Die Erklärung: Wegen der niedrigen Steuern in Irland haben viele Konzerne ihren Sitz auf der grünen Insel. Darunter etwa Pharma-unternehmen (Pfizer, Eli Lilly und Johnson & Johnson), aber auch US-Konzerne ihre Europa-Zentralen wie Apple, Google oder Meta.

.) Auswirkungen

Die letzten Monate seit April haben aufgezeigt, dass Zölle nicht nur diese 3 % (Handelsaufkommen) mit Müh‘ und Not verringern, sondern das gesamte Handelskonstrukt zwischen der EU und den USA gefährden. Als Beispiel: Mercedes muss für die in der EU produzierten PKW beim Import in die USA 10 + 25 % Zoll bezahlen. Das Unternehmen produziert jedoch in den USA auch Autos (vor allem SUVs), die weltweit – so auch in die EU – exportiert werden. Dort wird es nun Gegenzölle geben. Man muss kein Betriebswirtschaftler sein um dieses Problem zu lösen: Die bislang exportierten Fahrzeuge werden nun im Zielland selbst oder einem anderen Staat hergestellt, der nicht durch diese Zollspirale betroffen ist. Das allerdings führt zu weniger Handel zwischen der EU und den USA. Harley Davidson hat so etwa bereits während der ersten Amtszeit Trumps reagiert und die Produktion für den Export nach Brasilien ausgelagert. Somit sind US-Arbeitsplätze massivst gefährdet. Anderes Beispiel: Viele US-Autobauer produzieren selbst aus Kostengründen in Mexiko. Durch die Zölle bzw. den Wiederaufbau der inländischen Produktion rechnen die grössten US-Autobauer mit mehreren Milliarden Dollar Verlust! Ein Beispiel aus Europa: Die Antibiotika-Produktion Europas wurde nahezu zur Gänze nach Fernost ausgelagert. Übrig blieb der Standort von Sandoz im Tiroler Kundl. Dort musste mit erheblichen auch öffentlichen Zuwendungen die eher als klein zu bezeichnende Produktion wieder hochgefahren werden. Der italienische Landwirtschaftsverband Coldiretti hat in diesem Zusammenhang eine Berechnung angestellt. So würden diese 30 % Zoll alleine auf landwirtschaftliche Produkte der Apenninen-Halbinsel die US-Konsumenten und die italienische Landwirtschafts-branche 2,3 Mrd. Euro kosten.

Übrigens zum Schluss noch ein Gedanke: Würde China durch die US-Zölle schwer getroffen, so trifft dies wohl das gesamte Weltwirtschafts-Wachstum!

Factbox:

Erhöhte Zölle gelten ab dem 01. August für 87 Länder, etwas später wohl auch für Russland. Für weitere 102 Staaten gilt dann der Pauschal-Zollsatz von 10 %. Das US-Bundesgericht für internationalen Handel (U.S. Court of International Trade) hat am 28. Mai d.J. geurteilt, dass Präsident Donald Trump seine Befugnisse im Rahmen des International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) überschritten habe. Dieses Urteil wurde allerdings am 10. Juni durch das Berufungsgericht (U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit) ausgesetzt. Am 31. Juli beginnt das Verfahren in Washington D.C. mit den ersten Anhörungen. Unbetroffen davon sind die Zusatzzölle auf Automobile, Stahl und Aluminium. Diese basieren auf der Section 232 des Trade Expansion Act von 1962.

In der Liste der betroffenen Länder finden sich auch zwei Kuriositäten: Die Heard- und McDonaldinseln, 4000 km südwestlich von Australien. Hier leben gerade mal Seevögel, Robben und Pinguine. Nach Angaben der Weltbank wurden von diesen Inseln jedoch im Jahr 2022 Waren im Wert von 1,4 Mio $ in die USA importiert. Und zum Zweiten: Die Insel Diego Garcia! Sie zählt zu den britischen Überseegebieten. Mit Ausnahme eines gemeinsamen US- und britischen Militärstützpunktes ist die Insel aller-dings unbewohnt: Die Einwohner wurden schon in den 1970er Jahren umgesiedelt!

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Engelbert Dollfuß – Held oder Diktator?

Der Mann war tapfer, bereit, sich bis zur letzten Konsequenz für Österreich einzusetzen. Damals habe ich ja alles aus dieser Perspektive gesehen: Wir müssen Österreich erhalten.“

(Otto Habsburg-Lothringen, November 2007)

Bruno Kreisky schrieb in seinen Memoiren über Dollfuss:

…zunächst eine jener Persönlichkeiten zu sein, mit denen sich unter normalen Bedingungen eine akzeptable Zusammenarbeit zwischen Opposition und Regierung hätte herstellen lassen!“

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), im Speziellen der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol, erklärte 2014, dass es im bürger-lichen Lager keinen „Dollfuß-Mythos“ gäbe.

Die katholische Kirche distanziert sich von Engelbert Dollfuß: Bilder werden verhängt, Gedenkschriften in den oberen Teil der Kirche verbracht, Gedenktafeln demontiert, …

Viele Studentenverbindungen des katholischen Cartellverbandes hatten ihm schon zu Lebzeiten die Ehrenmitgliedschaft verliehen.

Was hat es wirklich auf sich mit Engelbert Dollfuß? War er ein öster-reichischer Held oder ein austrofaschistischer Diktator? Und v.a. – was geschah an diesem 25. Juli des Jahres 1934 tatsächlich? Zeit für einen History-Blog!

Engelbert Dollfuß wurde am 18. November 1868 in Texing im Bezirk Melk in Niederösterreich geboren. Eigentlich wollte er Priester werden. Nach Fürsprache durch seinen Pfarrer (Simon Veith) erhielt er ein Stipendium der Diözese für das fürsterzbischöfliche Knabenseminar der Erzdiözese Wien, in welchem er 1913 die Matura mit gutem Erfolg bestand.

Im Anschluss studierte er einige Monate lang Theologie, wechselte aber schliesslich zu den Rechtswissenschaften. Nach Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zum Militärdienst bei den Tiroler Schützen. Mit Aus-zeicnung wurde er aus der Brixener Offizierschule ausgemustert und in Bozen stationiert. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Kommandant einer Maschinengewehrabteilung an der italienischen Front. Insgesamt vierfach dekoriert, setzte er nach Kriegsende sein Studium fort, das er nach einigen Auslandsmonaten in Berlin 1922 in Wien abschloss.

Seine politische Karriere begann Engelbert Dollfuß 1919 als Sekretär beim Bauernbund. Er wirkte mit bei der Errichtung der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, deren Direktor er 1927 wurde. Der spätere Bundeskanzler führte die landwirtschaftlichen Genossenschaften ein, daneben auch die Sozialversicherung für die Bauern und die Arbeits-losenunterstützung für landwirtschaftliche Lohnarbeiter. Daneben wurde er Präsident der Österreichischen Bundesbahnen. Obgleich Dollfuß nie als Abgeordneter im Nationalrat sass, wurde er am 18. März 1931 als neuer Landwirtschaftsminister vereidigt. Am 10. Mai beauftragte Bundes-präsident Wilhelm Miklas Engelbert Dollfuß mit der Regierungsbildung. Er übernahm das Kanzleramt, das Aussenministerium und das Landwirt-schaftsministerium.

Dollfuß liebäugelte mehr mit dem Regime Mussolinis in Italien als mit dem Adolf Hitlers in Berlin, der am 30. Januar 1933 zum deutschen Reichskanzler gewählt wurde. Mussolini war durchaus erfreut über diese Pufferzone Österreichs zwischen ihm und Hitler. Dass er diesem nicht vertraute, zeigen wohl am ehesten die Befestigungen in Südtirol auf, die er als Verteidigungswall errichten liess.

Dollfuß war durchaus rechtsnational eingestellt. So war er u.a. maß-geblich an der Einführung des Arierparagraphen im Cartellverband beteiligt. Daneben suchte er auch zweimal Kontakt zu Arthur Seyß-Inquart, der kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich Innenminister, dann Bundeskanzler war und schliesslich Reichsstatthalter der „Ostmark“. Die zweite Kontaktaufnahme erfolgte kurz vor dem Juliputsch 1934. Im Oktober 1932 umging Dollfuß zum ersten Mal das österreichische Parlament, indem er versuchte, mit dem Kriegswirt-schaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 die Creditanstalt und damit auch die Staatsschulden Österreichs zu sanieren. Um sich abzusichern, ernannte er 1932 den Wiener Heimwehrführer Emil Fey zum Staats-sekretär für Sicherheitswesen. Der verbot als erstes alle Aufmärsche der Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten.

Engelbert Dollfuß führte am 04. März 1933 in einer dringlichen Sitzung des Nationalrates einen Staatsstreich durch. Anlass hierfür war der am 01. März begonnene Eisenbahnerstreik. Er nutzte dafür eine Geschäfts-ordnungskrise. Nachdem es zu Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung gekommen war, traten die drei Nationalratspräsidenten zurück. Damit aber war das Parlament nicht mehr beschlussfähig. Dollfuß sprach von einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ und schaltete das Parlament und den Verfassungtsgerichtshof mittels Notverordnung aus. Er bot dem Bundespräsidenten seinen Rücktritt an, dieser aber betraute ihn mit der Weiterführung der Regierungsgeschäfte. Fortan regierte er durch die Ausschaltung der Legislative und Judikative alleine – also diktatorisch! Er führte die Pressezensur ein und verbot erneut jegliche Veranstaltungen und Aufmärsche. Eine Fortsetzung der damaligen Nationalratssitzung wurde mit Polizeigewalt verhindert. Auch Neuwahlen verhinderte Dollfuß – er befürchtete eine Machtergreifung der NSDAP, wie sie kurz zuvor in Deutschland stattgefunden hatte. Mussolini versuchte zu vermitteln – allerdings ohne Erfolg. Dollfuß traf Mussolini in Rom und kurz danach in Riccione. Der hatte zuvor die Abschaffung des Parteienstaates zugunsten eines Ständestaates gefordert. Dollfuß setzte dies um:

…sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“

Ernst Rüdiger Starhemberg löste den Heimatblock auf und trat mit der Heimwehr in die „Vaterländische Front“ ein, die künftige Einheitspartei. Vor dem zweiten Treffen mit Mussolini wurde am 19. Juni 1933 die NSDAP in Österreich verboten, die Sozialdemokratische Partei später am 12. Februar 1934. Bei der Entwaffnung der radikalen Kräfte des Republi-kanischen Schutzbundes besetzten diese die Sozialwohnanlage Karl-Marx-Hof in Wien und lieferten sich schwere Gefechte mit der Heimwehr und dem Bundesheer. Der Aufstand griff auch auf St. Pölten und Steyr über. Insgesamt gab es über 350 Tote. Am 01. Mai 1934 wurde der austrofaschistische Ständestaat ausgerufen. Soweit die geschichtlichen Fakten.

Nicht einmal in Österreich wurde es begriffen, dass sich der Bundeskanzler deutschnationaler Motive bediente, um den Anschluss zu verhindern.“

(Autor Franz Schausberger)

Nun zu diesem folgenschweren 25. Juli 1934! Ein Revierinspektor der Polizei, der mit der verbotenen NSDAP sympathisierte, wurde von einem Kriminalbeamten gleicher Gesinnung angerufen, dass der „Aktionsplan“ nun anlaufe. Da er sich nicht sicher war, welcher seiner Vorgesetzten Nazi war, wandte er sich an die Vaterländische Front (die Einheitspartei unter Dollfuß). Dort wurde der Anruf nicht ernst genommen. Deshalb suchte er den Kontakt zur Heimwehr. Die Nachricht erreichte den vorhin angesprochenen Major Emil Fey, der sofort weitere Massnahmen einleitete. Er fuhr zur Ministerratssitzung, die zu diesem Zeitpunkt tagte. Dollfuß wies alle Minister an, unmittelbar in ihre Ministerien zu gehen – nur Fey und der Staatssekretär Carl Karwinsky verblieben im Bundes-kanzleramt. Das Bundesheer wurde in Alarmbereitschaft versetzt.

Inzwischen hatten sich in der Halle des Deutschen Turnvereins in der Siebensterngasse rund 150 Angehörige der SS-Standarte 89 versammelt – entlassene Bundesheersoldaten und aktive Polizisten. Sie bewaffneten sich und machten sich in Uniformen des Bundesheeres und der Bundessicherheitswache auf den Weg. Zuvor wurde noch ein Ablenkungs-manöver ausgestreut: Auf den Wagen des Bundeskanzlers sollte am Michaelerplatz ein Attentat verübt werden. Um 12:53 Uhr erreichte der Konvoy der Putschisten den Ballhausplatz. Dort wurden sie aufgrund ihrer Uniformen und des Wachewechsels direkt durchgelassen. Ihr Auftrag lautete: Die Regierung in Geiselhaft zu nehmen! Anstelle des zurück-getretenen Engelbert Dollfußes sollte der frühere steirische Landeshaupt-mann Anton Rintelen die Regierungsgeschäfte weiterführen. Er wartete bereits im Hotel „Imperial“ auf das vereinbarte Zeichen. Die Wachen des Bundeskanzleramtes wurden entwaffnet, die Tore verriegelt. Paul Hudl, Franz Holzweber und Otto Planetta (ein unehrenhaft entlassener Stabs-wachtmeister), alle zusammen ehemalige Bundesheerangehörige, durch-suchten die Stockwerke. Staatssekretär Karwinsky und der Portier Hedvicek versuchten den Bundeskanzler durch das Staatsarchiv und dem Nebenausgang zum Minoritenplatz in Sicherheit bringen. Dort jedoch stiessen sie auf die Männer um Planetta. Ob nun dieser auf die Männer geschossen hat, oder sich ein Schuss bei einem Handgemenge mit Dollfuß löste, ist nach wie vor nicht bekannt. Gerichtsmediziner aber betonten, dass sich der Schuss aus rund 15 cm löste und den Bundes-kanzler im Halswirbelbereich traf. Er dürfte aufgrund dessen gelähmt worden sein und verstarb später durch Verblutung. Seiner Bitte nach einem Priester kamen die Putschisten nicht nach.

Inzwischen hatten andere Putschisten das Funkhaus der Rundfunkgesell-schaft RAVAG besetzt und den Moderator zu folgenden Durchsage gezwungen:

Die Regierung Dollfuß ist zurückgetreten. Dr. Rintelen hat die Regierungsgeschäfte übernommen.“

Es sollte das Zeichen für die SA-Kameraden in den Bundesländern sein, den Aufstand auch dort zu beginnen – gottlob erfolglos. Nur in der Steiermark und Kärnten fanden kleinere Gefechte statt. Die Funkhaus-besetzer konnten rasch durch die Polizei überwältigt werden.

Bundespräsident Wilhelm Miklas hatte inzwischen in seinem Urlaub aus Kärtnen den bisherigen Justiz- und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg mit der provisorischen Übernahme der Regierungsgeschäfte beauftragt. Welche Rolle nun Fey zukam, bleibt wohl auch weiterhin unbeantwortet. Die Putschisten verwendeten ihn als Vermittler, angeblich soll ihm in der Regierung Rintelen der Posten des Sicherheitsministers angeboten worden sein. Die Spekulationen des sozialdemokratischen Juristen Fritz Kreisler gehen davon aus, dass er sogar den zweiten Schuss auf Dollfuß abgegeben haben soll, dessen Spuren die Gerichtsmediziner zutage beförderten. Oder war es der Sicherheitswachebeamte Franz Leeb, der dies am Abend der Tat seinem SS-Kameraden Wilhelm Kern gestanden haben soll? Oder der SS-Untersturmführer Otto Käfinger? Auch die Nazis in Berlin hätten dies gerne geklärt gehabt. So stellte Reichsführer-SS Heinrich Himmler eine Historiker-Kommission zusammen – ein Ergebnis blieb aus. Wer diesen brutalen und mehr als unehrenhaften Schuss auf einen unbeweglichen Sterbenden tatsächlich abgegeben hatte, bleibt ebenso im Verborgenen. Fey beging am 16. März 1938 mit seiner Familie Selbstmord! Drei Tage nach dem Beschluss des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und einen Tag nach dem Einmarsch Hitlers in Wien. Dollfuß verstarb um 15.45 Uhr – zuvor soll er noch Fey instruiert haben, Kontakt mit Mussolini auf-zunehmen, damit sich dieser um seine Frau und die Kinder kümmere.

Die Putschisten gaben kurz nach 19.00 Uhr auf. Ein Militärgerichtshof verurteilte neben 12 anderen auch Planetta wegen Mordes zum Tode – er wurde am 31. Juli gehängt, viele andere und auch Rintelen erhielten lebenslang. Andere konnten nach Hitlerdeutschland fliehen.

Adolf Hitler muss von diesem Putschversuch gewusst haben. Nach einer Eintragung im Tagebuch Joseph Goebbels traf er sich mit den Haupt-verantwortlichen des Putsches kurz zuvor in Berlin. Dass jedoch Bundes-kanzler Engelbert Dollfuss dabei umgebracht würde – das entsprach nicht dem Plan Hitlers. Mussolini reagierte sehr rasch und entsandte noch am 25. Juli Truppen an die österreichisch-italienische Grenze. Hitler soll getobt haben.

Filmtipp:

.) Engelbert Dollfuß: „Arbeitermörder“ oder verklärter Märtyrer; ORF-Doku 2002

.) Das Attentat – Der Tod des Engelbert Dollfuß; 1967

Lesetipps:

.) „Der Führer bin ich selbst.“ Engelbert Dollfuß – Benito Mussolini. Briefwechsel; Hrsg.: Wolfgang Maderthaner; Löcker 2004

.) Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen; Lucile Dreidemy; Böhlau 2014

.) Das Dollfuß-Regime in Österreich; Heinrich Bußhoff; Duncker & Humblot 1968

.) Mein Vater – Hitlers erstes Opfer; Eva Dollfuss: Amalthea 1994

.) Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuss I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie; Franz Schausberger; Böhlau 1993

.) „Sommerfest mit Preisschießen“. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934; Hans Schafranek; Czernin 2006

.) Wir werden ganze Arbeit leisten … Der austrofaschistische Staatsstreich 1934; Hrsg.: Stephan Neuhäuser; BOD 2004

.) Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938; Emmerich Tálos; Lit 2013

.) So sprach der Kanzler. Dollfuss’ Vermächtnis. Aus seinen Reden; Anton Tautscher; Baumgartner 1935

.) Die Altersfürsorgerente in der Land- u. Forstwirtschaft Österreichs. Eine Anleitung für Oberösterreich; Engelbert Dollfuß/Hans Walter; Agrarverlag 1929

.) Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten; Bruno Kreisky; Siedler Verlag und Kremayr & Scheriau 1986

Links:

  • hdgoe.at
  • hpb.univie.ac.at
  • zeitgeschichte.univie.ac.at
  • www.demokratiezentrum.org
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Dalai Lama – Seine Heligkeit ist 90!

Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen.“

(Der Dalai Lama im Januar 2015 anlässlich des islamistischen Terror-anschlags auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“)

Eigentlich heisst er ja Lhamo Döndrub, doch die ganze Welt kennt ihn unter „Dalai Lama“! Um genau zu sein: Den 14. Dalai Lama! Doch dazu mehr etwas später. Geboren wurde Lhamo Döndrub am 06. Juli 1935 in Takster/Region Amdo in Osttibet. Als eines von ingesamt 16 Kindern (!) einer Bauernfamilie – fünf Buben und zwei Mädchen überlebten die Kind-heit. 1933 verstarb der 13. Dalai Lama ohne einen Nachfolger zu bestimmen. Viele Mönche schwärmten daraufhin aus, um den nächsten „Yishi[n] Norbu“ (Wunscherfüllendes Juwel) zu finden. Und vier Mönchen gelang das Unmögliche, als sie den Zweijährigen ded Paares Dekyi und Chökyong Tshering entdeckten. Er soll einen als Diener verkleideten Lama direkt erkannt und einige Gegenstände aus dem Besitz des 13. Lamas sofort an sich genommen haben. Die Mönche wollten den Kleinen gleich mitnehmen – hatten aber nicht mit dem Provinzgouverneur gerechnet: Nach zweijährigen Verhandlungen erhielt dieser eine Freikauf-summe in stattlicher Höhe. Im Alter von vier Jahren kam Lhamo schliesslich in Lhasa an, wo er im Rahmen des Neujahrsfestes Losar am 22. Februar 1940 inthronisiert wurde. Trug er zuvor den Mönchsnamen Tenzin Gyatso, so hiess er nun „Jetsün Jampel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso“ (Heiliger Herr, gütiger Herr, mitfühlender Verteidiger des Glaubens, Ozean der Weisheit). 1948 begann die Freundschaft zu dem österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer, der ihn noch bis 1951 begleitete. Auch später besuchte der Dalai Lama häufig noch Harrer in dessen Heimat Kärnten. Im Jahre 1950 wurde das religiöse Oberhaupt der Tibeter auch das weltliche. Aufgrund des wachsenden Drucks von Mao Zedong und seiner Volksrepublik China verliess der Dalai Lama mitsamt seines ganzen Regierungsstabrs Lhasa in Richtung Dromo an der indischen Grenze. Nachdem chinesische Truppen in der osttibetischen Provinz Chamdo einmarschierten, erhielt Peking am 24. Oktober 1951 die telegrafische Zusage zum sog. „17-Punkte-Abkommen“ zur Rettung Tibets. Demgemäss sollte Tibet die Religionsfreiheit und die innenpoli-tische Autonomie erhalten bleiben, China jedoch übernahm den Aussenhandel, die Aussenpolitik und alle militärischen Agenden. Der Dalai Lama betonte später stets, dass er das Abkommen nur deshalb unterzeichnet habe, um Tibet vor der kompletten Zerstörung duch China zu bewahren. 1954 reiste der er auf Einladung der chinesischen Regierung nach Peking. Dort wurde er zum Abgeordneten und etwas später zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Am 10. März 1959 begann der Tibetaufstand gegen die Vorherrschaft der Chinesen. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand zwar noch auf dem Papier eine weltliche Führung Tibets, danach allerdings nicht mehr. Der Dalai Lama floh nach Indien. Auch heute noch residiert er in Dharamsala im Exil. 1989 erhielt er den Friedensnobelpreis (im Westen gilt er nach wie vor als „Botschafter des Friedens“), 2005 den Hessischen Friedenspreis. Sechs Jahre später trat er von all seinen politischen Ämtern zurück. Er bat die Exilregierung darum, dass demokratisch gewählte Volksvertreter ihn ersetzen sollen.

In all den Jahren seither möchte er im Rahmen von Vortragsreihen, aber auch durch seine vielen Schriften die Menschen zu einem friedfertigen, konstruktiven und mitfühlenden Dialog miteinander veranlassen – die Grundlagen des tibetischen Buddhismuses. Eine sehr intensive Freund-schaft verband ihn übrigens auch mit Papst Johannes Paul II. Sein persönliches Interesse gilt der Wissenschaft – immer wieder ist er als Gast oder Vortragender bei Wissenschaftskongressen zu sehen.

2005 meinte der Dalai Lama, der Krieg sei veraltet. Ziel sei eine demilitarisierte Welt. 2009 unterzeichnete er, gemeinsam mit 16 anderen Nobelpreisträgern, eine Petition zum Verzicht nuklearer Waffen, die an den damaligen US-Präsidenten Barack Obama übergeben wurde. Schon 1998, nach den ersten Kernwaffentests Indiens und Pakistans, forderte er die Eliminierung der Atomwaffen. Für Tibet wünscht er sich eine Republik in der Volksrepublik China, um höchstwahrscheinlich nicht noch mehr Benzin in das Feuer zu giessen. Peking hatte ihm schon zuvor Separa-tismus vorgeworfen. Vielen Tibetern hingegen geht das zu wenig weit – sie fordern die komplette Unabhängigkeit Tibets. Schon jetzt laufen die Diskussionen über seine Nachfolge. China will hierbei unbedingt ein Machtwort mitreden. Der Dalai Lama hingegen meinte selbst, dass er wiedergeboren würde – gleichgültig ob als Mann oder Frau! Auch im Buddhismus ist diese Weissagung aussergewöhnlich! Schliesslich soll Buddha selbst bei der Gründung eines Frauenordens betont haben, dass mit einem weiblichen Orden die buddhistische Lehre anstatt über 1000 Jahre nur 500 Jahre Bestand haben wird. Es ist davon auszugehen, dass er sich selbst mit dieser Aussage korrigieren will. Im Jahr 2010 meinte er zum Thema einer Frau als Dalai Lama:

Wenn sie eine hässliche Frau ist, wird sie nicht sehr effektiv sein, oder?“

Neun Jahre später relativierte er seine Aussage und betonte, dass die wahre Schönheit die innere Schönheit ist, für die Menschen aber auch das Äussere sehr wichtig sei. Das gab natürlich wieder Anlass zur Kritik. Der Dalai Lama entschuldigte sich bei jenen Menschen, die er durch seine Aussage verletzt habe. Dabei war das nur ein Nebensatz in einem Interview mit dem Frauenmagazin Vogue. Die Chefredakteurin hatte Seine Heiligkeit gefragt, ob denn auch eine Frau Dalai Lama werden könnte. Dieser meinte daraufhin:

Sicher, wenn das hilfreicher wäre!“

Und dann kam der Nebensatz – als Scherz gemeint! Der amtierende Dalai Lama ist bekannt für seine Scherze, betont auch die Professorin für Religionswissenschaft und Tibet-Expertin Karénina Kollmar-Paulenz auf eine Aktion hin, die der Dalai Lama vor laufenden Kameras einem Kind gegenüber machte, was weltweit für einen Aufschrei sorgte: Er küsste es auf den Mund und streckte ihm die Zunge raus.

Der Dalai Lama scheint sich nicht bewusst gewesen zu sein, dass sein Verhalten in anderen Ländern als sexuell aufgefasst werden könnte.“

Genauer wird das Ganze durch die Schwester des Dalai Lama, Jetsun Pema, erklärt:

… absolut normales Zeichen, wenn Kinder alles haben wollen und man ihnen signalisiert, dass es nichts mehr gibt. Dann strecken Erwachsene ihre Zunge heraus und sagen: ‚Jetzt kann ich dir nur noch meine Zunge geben.‘ Es ist liebevoll und als Scherz gemeint.“

Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich der Dalai Lama schon seit den 1960er Jahren für die SOS-Kinderdörfer engagiert. Damals vornehm-lich für tibetische Flüchtlingskinder in Indien. Daneben engagiert sich der 14. Dalai Lama für die Organisation Sea Shepherd (gegen den Walfang) und ist Schirmherr der „Action for Happiness“, einer Bewegung für eine glücklichere und fürsorglichere Gesellschaft.

Zur Migrations-Debatte riet er in einem BBC-Interview, dass Europa die Flüchtlinge aufnehmen und ausbilden sollen, was sie dann zum Wieder-aufbau ihrer Heimat nutzen können.

Schon 1996 riet er allen Tibetern, sich von der Shugden-Verehrung loszusagen – es sei eine sektiererische Haltung! Ein Jahr später schlossen sich drei hochrangige Mönche dieser Meinung an – sie wurden allesamt Opfer von Gewaltverbrechen. Dorjen Shugden wird im tibetischen Buddhismus seit dem 17. Jahrhundert als Schutzgottheit verehrt – positiv als erleuchtender oder weltlicher Dharmabeschützer, negativ als böswilliger Geist: Hierbei ist sich der tibetische Buddhismus nicht einig!

Den Schreiberling dieser Zeilen verbindet eine grosse Hochachtung vor dem Dalai Lama in seiner Funktion, aber auch vor dem Menschen Lhamo Döndrub. Möge ihm ein noch langes und gesundes Leben gegönnt sein. Er ist einer der immer weniger werdenden Mahner für den Frieden und dem Miteinander der Menschen, in einer immer grösser werdenden Welt des Hasses! Alles Gute zum 90sten!

Doch lassen Sie uns nun gemeinsam einen Blick zurück werfen – was hat es wirklich mit dem Dalai Lama und Tibet auf sich?

Die Geschichte der Dalai Lamas beginnt mit Gendün Drub (geboren 1391, gestorben 1475). Er begründete das Kloster Trashilhünpo, war einige Zeit auch dessen Abt und wurde posthum zum Dalai Lama erklärt. Auch dem zweiten Dalai Lama, Gendün Gyatsho, wurde der Titel posthum verliehen.

Im tibetischen Buddhismus gilt der Dalai Lama als „Erleuchtetes Wesen“, als „Ozeangleicher Lehrer“, der aus blossem Mitgefühl als Reinkarnation Avalokiteshvaras stets wiedergeboren wird. Nach seinem Tod werden hochrangige Mönche zu Findungskommissionen vereint, mit dem Ziel die Wiedergeburt des Erleuchteten zu finden. Beim aktuellen Dalai Lama suchten insgesamt drei solcher Kommissionen. Nach der offiziellen Findung erhält der junge Dalai Lama eine klösterliche Ausbildung. Erstmals taucht der Begriff im Jahre 1578 auf, als der mongolische Fürst Altan Khan seinen spirituellen Lehrer Sönam Gyatsho so bezeichnete – es war der 3. Dalai Lama! Nicht seit jeher war der Dalai Lama auch das weltliche Oberhaupt Tibets. Dies geschah erst am 03. Mai 1642 – an diesem Tag erklärte der westmongolische Fürst Hushri Khan den 5. Dalai Lama, Ngawang Lobsang Gyatsho, zur obersten Autorität ganz Tibets. Dies wirft allerdings auch ein Problem auf: Zwischen dem Tod des vorhergehenden und der Volljährigkeit der Reinkarnation ist Tibet politisch gesehen ohne Staatsoberhaupt. Dies führte in der Vergangenheit stets zum Einmarsch fremder Truppen in dieses Land. Darunter auch das kaiserliche China anno 1720. Nach den Chinesen kamen 1904 die Briten und schliesslich erneut die Chinesen unter General Zhao Erfeng, der am 12. Februar 1910 in Lhasa einmarschierte. Interne Probleme liessen die Chinesen jedoch rasch wieder abrücken – war es beim ersten Mal der Boxeraufstand, so begann im Oktober 1911 die chinesische Revolution. Der 13. Dalai Lama, Thubten Gyatsho, nutzte dies, um eine eigene Armee und eine Polizei aufzubauen. Das kostete ihn beinahe den Kopf, als das Militär putschen wollte. Deshalb suchte er in konservativen Mönchskreisen nach Verbündeten. Sein Tod am 17. Dezember 1933 kam sehr überraschend nach einem eigentlich als harmlos eingestuften Leiden. Deshalb wird bis heute spekuliert, ob nicht Gift die eigentliche Todesursache war.

Filmtipps:

  • Ein Leben für Tibet; Albert Knechtel/Thea Mohr 2005
  • Kundun; Martin Scorsese 1997
  • Sieben Jahre in Tibet; Jean-Jacques Annaud 1997

Lesetipps:

.) Die Lehren des tibetischen Buddhismus; Dalai Lama; Goldmann 1998

.) Das Buch der Freiheit. Die Autobiographie des Friedensnobelpreis-trägers; Dalai Lama; Bastei Lübbe 2004

.) Der Appell des Dalai Lama an die Welt Ethik ist wichtiger als Religion; Dalai Lama; Benevento 2024

,) Mitgefühl und Weisheit – Ein Gespräch mit Felizitas von Schönborn; Dalai Lama/Felizitas von Schönborn; Diogenes 2004

.) Die Geschichte der Dalai Lamas. Göttliches Mitleid und irdische Politik; Roland Barraux; Komet 2000

.) Das geheime Leben der Dalai Lamas; Alexander Norman; Lübbe 2007

.) Die Dalai Lamas. Tibets Reinkarnationen des Bodhisattva Avalokiteshvara; Hrsg.: Martin Brauen; Arnoldsche Verlagsanstalt 2005

.) Die vierzehn Wiedergeburten des Dalai Lama; Karl-Heinz Golzio/Pietro Bandini; O.W. Barth 2002

.) Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs; Colin Goldner; Alibri 1999

.) Religion und Politik im tibetischen Buddhismus; Michael von Brück; Kösel 1999

.) The Biographies of the Dalai Lamas; Yá Hánzhāng; Foreign Languages Press 1993

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