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Dalai Lama – Seine Heligkeit ist 90!

Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen.“

(Der Dalai Lama im Januar 2015 anlässlich des islamistischen Terror-anschlags auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“)

Eigentlich heisst er ja Lhamo Döndrub, doch die ganze Welt kennt ihn unter „Dalai Lama“! Um genau zu sein: Den 14. Dalai Lama! Doch dazu mehr etwas später. Geboren wurde Lhamo Döndrub am 06. Juli 1935 in Takster/Region Amdo in Osttibet. Als eines von ingesamt 16 Kindern (!) einer Bauernfamilie – fünf Buben und zwei Mädchen überlebten die Kind-heit. 1933 verstarb der 13. Dalai Lama ohne einen Nachfolger zu bestimmen. Viele Mönche schwärmten daraufhin aus, um den nächsten „Yishi[n] Norbu“ (Wunscherfüllendes Juwel) zu finden. Und vier Mönchen gelang das Unmögliche, als sie den Zweijährigen ded Paares Dekyi und Chökyong Tshering entdeckten. Er soll einen als Diener verkleideten Lama direkt erkannt und einige Gegenstände aus dem Besitz des 13. Lamas sofort an sich genommen haben. Die Mönche wollten den Kleinen gleich mitnehmen – hatten aber nicht mit dem Provinzgouverneur gerechnet: Nach zweijährigen Verhandlungen erhielt dieser eine Freikauf-summe in stattlicher Höhe. Im Alter von vier Jahren kam Lhamo schliesslich in Lhasa an, wo er im Rahmen des Neujahrsfestes Losar am 22. Februar 1940 inthronisiert wurde. Trug er zuvor den Mönchsnamen Tenzin Gyatso, so hiess er nun „Jetsün Jampel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso“ (Heiliger Herr, gütiger Herr, mitfühlender Verteidiger des Glaubens, Ozean der Weisheit). 1948 begann die Freundschaft zu dem österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer, der ihn noch bis 1951 begleitete. Auch später besuchte der Dalai Lama häufig noch Harrer in dessen Heimat Kärnten. Im Jahre 1950 wurde das religiöse Oberhaupt der Tibeter auch das weltliche. Aufgrund des wachsenden Drucks von Mao Zedong und seiner Volksrepublik China verliess der Dalai Lama mitsamt seines ganzen Regierungsstabrs Lhasa in Richtung Dromo an der indischen Grenze. Nachdem chinesische Truppen in der osttibetischen Provinz Chamdo einmarschierten, erhielt Peking am 24. Oktober 1951 die telegrafische Zusage zum sog. „17-Punkte-Abkommen“ zur Rettung Tibets. Demgemäss sollte Tibet die Religionsfreiheit und die innenpoli-tische Autonomie erhalten bleiben, China jedoch übernahm den Aussenhandel, die Aussenpolitik und alle militärischen Agenden. Der Dalai Lama betonte später stets, dass er das Abkommen nur deshalb unterzeichnet habe, um Tibet vor der kompletten Zerstörung duch China zu bewahren. 1954 reiste der er auf Einladung der chinesischen Regierung nach Peking. Dort wurde er zum Abgeordneten und etwas später zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Am 10. März 1959 begann der Tibetaufstand gegen die Vorherrschaft der Chinesen. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand zwar noch auf dem Papier eine weltliche Führung Tibets, danach allerdings nicht mehr. Der Dalai Lama floh nach Indien. Auch heute noch residiert er in Dharamsala im Exil. 1989 erhielt er den Friedensnobelpreis (im Westen gilt er nach wie vor als „Botschafter des Friedens“), 2005 den Hessischen Friedenspreis. Sechs Jahre später trat er von all seinen politischen Ämtern zurück. Er bat die Exilregierung darum, dass demokratisch gewählte Volksvertreter ihn ersetzen sollen.

In all den Jahren seither möchte er im Rahmen von Vortragsreihen, aber auch durch seine vielen Schriften die Menschen zu einem friedfertigen, konstruktiven und mitfühlenden Dialog miteinander veranlassen – die Grundlagen des tibetischen Buddhismuses. Eine sehr intensive Freund-schaft verband ihn übrigens auch mit Papst Johannes Paul II. Sein persönliches Interesse gilt der Wissenschaft – immer wieder ist er als Gast oder Vortragender bei Wissenschaftskongressen zu sehen.

2005 meinte der Dalai Lama, der Krieg sei veraltet. Ziel sei eine demilitarisierte Welt. 2009 unterzeichnete er, gemeinsam mit 16 anderen Nobelpreisträgern, eine Petition zum Verzicht nuklearer Waffen, die an den damaligen US-Präsidenten Barack Obama übergeben wurde. Schon 1998, nach den ersten Kernwaffentests Indiens und Pakistans, forderte er die Eliminierung der Atomwaffen. Für Tibet wünscht er sich eine Republik in der Volksrepublik China, um höchstwahrscheinlich nicht noch mehr Benzin in das Feuer zu giessen. Peking hatte ihm schon zuvor Separa-tismus vorgeworfen. Vielen Tibetern hingegen geht das zu wenig weit – sie fordern die komplette Unabhängigkeit Tibets. Schon jetzt laufen die Diskussionen über seine Nachfolge. China will hierbei unbedingt ein Machtwort mitreden. Der Dalai Lama hingegen meinte selbst, dass er wiedergeboren würde – gleichgültig ob als Mann oder Frau! Auch im Buddhismus ist diese Weissagung aussergewöhnlich! Schliesslich soll Buddha selbst bei der Gründung eines Frauenordens betont haben, dass mit einem weiblichen Orden die buddhistische Lehre anstatt über 1000 Jahre nur 500 Jahre Bestand haben wird. Es ist davon auszugehen, dass er sich selbst mit dieser Aussage korrigieren will. Im Jahr 2010 meinte er zum Thema einer Frau als Dalai Lama:

Wenn sie eine hässliche Frau ist, wird sie nicht sehr effektiv sein, oder?“

Neun Jahre später relativierte er seine Aussage und betonte, dass die wahre Schönheit die innere Schönheit ist, für die Menschen aber auch das Äussere sehr wichtig sei. Das gab natürlich wieder Anlass zur Kritik. Der Dalai Lama entschuldigte sich bei jenen Menschen, die er durch seine Aussage verletzt habe. Dabei war das nur ein Nebensatz in einem Interview mit dem Frauenmagazin Vogue. Die Chefredakteurin hatte Seine Heiligkeit gefragt, ob denn auch eine Frau Dalai Lama werden könnte. Dieser meinte daraufhin:

Sicher, wenn das hilfreicher wäre!“

Und dann kam der Nebensatz – als Scherz gemeint! Der amtierende Dalai Lama ist bekannt für seine Scherze, betont auch die Professorin für Religionswissenschaft und Tibet-Expertin Karénina Kollmar-Paulenz auf eine Aktion hin, die der Dalai Lama vor laufenden Kameras einem Kind gegenüber machte, was weltweit für einen Aufschrei sorgte: Er küsste es auf den Mund und streckte ihm die Zunge raus.

Der Dalai Lama scheint sich nicht bewusst gewesen zu sein, dass sein Verhalten in anderen Ländern als sexuell aufgefasst werden könnte.“

Genauer wird das Ganze durch die Schwester des Dalai Lama, Jetsun Pema, erklärt:

… absolut normales Zeichen, wenn Kinder alles haben wollen und man ihnen signalisiert, dass es nichts mehr gibt. Dann strecken Erwachsene ihre Zunge heraus und sagen: ‚Jetzt kann ich dir nur noch meine Zunge geben.‘ Es ist liebevoll und als Scherz gemeint.“

Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich der Dalai Lama schon seit den 1960er Jahren für die SOS-Kinderdörfer engagiert. Damals vornehm-lich für tibetische Flüchtlingskinder in Indien. Daneben engagiert sich der 14. Dalai Lama für die Organisation Sea Shepherd (gegen den Walfang) und ist Schirmherr der „Action for Happiness“, einer Bewegung für eine glücklichere und fürsorglichere Gesellschaft.

Zur Migrations-Debatte riet er in einem BBC-Interview, dass Europa die Flüchtlinge aufnehmen und ausbilden sollen, was sie dann zum Wieder-aufbau ihrer Heimat nutzen können.

Schon 1996 riet er allen Tibetern, sich von der Shugden-Verehrung loszusagen – es sei eine sektiererische Haltung! Ein Jahr später schlossen sich drei hochrangige Mönche dieser Meinung an – sie wurden allesamt Opfer von Gewaltverbrechen. Dorjen Shugden wird im tibetischen Buddhismus seit dem 17. Jahrhundert als Schutzgottheit verehrt – positiv als erleuchtender oder weltlicher Dharmabeschützer, negativ als böswilliger Geist: Hierbei ist sich der tibetische Buddhismus nicht einig!

Den Schreiberling dieser Zeilen verbindet eine grosse Hochachtung vor dem Dalai Lama in seiner Funktion, aber auch vor dem Menschen Lhamo Döndrub. Möge ihm ein noch langes und gesundes Leben gegönnt sein. Er ist einer der immer weniger werdenden Mahner für den Frieden und dem Miteinander der Menschen, in einer immer grösser werdenden Welt des Hasses! Alles Gute zum 90sten!

Doch lassen Sie uns nun gemeinsam einen Blick zurück werfen – was hat es wirklich mit dem Dalai Lama und Tibet auf sich?

Die Geschichte der Dalai Lamas beginnt mit Gendün Drub (geboren 1391, gestorben 1475). Er begründete das Kloster Trashilhünpo, war einige Zeit auch dessen Abt und wurde posthum zum Dalai Lama erklärt. Auch dem zweiten Dalai Lama, Gendün Gyatsho, wurde der Titel posthum verliehen.

Im tibetischen Buddhismus gilt der Dalai Lama als „Erleuchtetes Wesen“, als „Ozeangleicher Lehrer“, der aus blossem Mitgefühl als Reinkarnation Avalokiteshvaras stets wiedergeboren wird. Nach seinem Tod werden hochrangige Mönche zu Findungskommissionen vereint, mit dem Ziel die Wiedergeburt des Erleuchteten zu finden. Beim aktuellen Dalai Lama suchten insgesamt drei solcher Kommissionen. Nach der offiziellen Findung erhält der junge Dalai Lama eine klösterliche Ausbildung. Erstmals taucht der Begriff im Jahre 1578 auf, als der mongolische Fürst Altan Khan seinen spirituellen Lehrer Sönam Gyatsho so bezeichnete – es war der 3. Dalai Lama! Nicht seit jeher war der Dalai Lama auch das weltliche Oberhaupt Tibets. Dies geschah erst am 03. Mai 1642 – an diesem Tag erklärte der westmongolische Fürst Hushri Khan den 5. Dalai Lama, Ngawang Lobsang Gyatsho, zur obersten Autorität ganz Tibets. Dies wirft allerdings auch ein Problem auf: Zwischen dem Tod des vorhergehenden und der Volljährigkeit der Reinkarnation ist Tibet politisch gesehen ohne Staatsoberhaupt. Dies führte in der Vergangenheit stets zum Einmarsch fremder Truppen in dieses Land. Darunter auch das kaiserliche China anno 1720. Nach den Chinesen kamen 1904 die Briten und schliesslich erneut die Chinesen unter General Zhao Erfeng, der am 12. Februar 1910 in Lhasa einmarschierte. Interne Probleme liessen die Chinesen jedoch rasch wieder abrücken – war es beim ersten Mal der Boxeraufstand, so begann im Oktober 1911 die chinesische Revolution. Der 13. Dalai Lama, Thubten Gyatsho, nutzte dies, um eine eigene Armee und eine Polizei aufzubauen. Das kostete ihn beinahe den Kopf, als das Militär putschen wollte. Deshalb suchte er in konservativen Mönchskreisen nach Verbündeten. Sein Tod am 17. Dezember 1933 kam sehr überraschend nach einem eigentlich als harmlos eingestuften Leiden. Deshalb wird bis heute spekuliert, ob nicht Gift die eigentliche Todesursache war.

Filmtipps:

  • Ein Leben für Tibet; Albert Knechtel/Thea Mohr 2005
  • Kundun; Martin Scorsese 1997
  • Sieben Jahre in Tibet; Jean-Jacques Annaud 1997

Lesetipps:

.) Die Lehren des tibetischen Buddhismus; Dalai Lama; Goldmann 1998

.) Das Buch der Freiheit. Die Autobiographie des Friedensnobelpreis-trägers; Dalai Lama; Bastei Lübbe 2004

.) Der Appell des Dalai Lama an die Welt Ethik ist wichtiger als Religion; Dalai Lama; Benevento 2024

,) Mitgefühl und Weisheit – Ein Gespräch mit Felizitas von Schönborn; Dalai Lama/Felizitas von Schönborn; Diogenes 2004

.) Die Geschichte der Dalai Lamas. Göttliches Mitleid und irdische Politik; Roland Barraux; Komet 2000

.) Das geheime Leben der Dalai Lamas; Alexander Norman; Lübbe 2007

.) Die Dalai Lamas. Tibets Reinkarnationen des Bodhisattva Avalokiteshvara; Hrsg.: Martin Brauen; Arnoldsche Verlagsanstalt 2005

.) Die vierzehn Wiedergeburten des Dalai Lama; Karl-Heinz Golzio/Pietro Bandini; O.W. Barth 2002

.) Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs; Colin Goldner; Alibri 1999

.) Religion und Politik im tibetischen Buddhismus; Michael von Brück; Kösel 1999

.) The Biographies of the Dalai Lamas; Yá Hánzhāng; Foreign Languages Press 1993

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