Health-Claims – Das Märchen von den gesunden Lebensmitteln

Habe vor kurzem einen sehr interessanten Spruch gelesen, der zu 100 % zutrifft:

„Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht. Würde der Stadtmensch wissen, was er isst, wäre er gerne Bauer!“

Mal ehrlich: Wissen Sie, was so alles auf Ihren Tisch kommt? Lesen Sie immer die auf der Verpackung verpflichtend angegebene Liste der Inhaltsstoffe und Zutaten durch? Wenn ja, wird Ihnen seit einiger Zeit eines aufgefallen sein: In immer mehr Lebensmitteln sind Vitamine oder Mineralstoffe zugesetzt! Das hat auch seinen Grund: Das Produkt soll dadurch als gesund propagiert werden und sich alsdann besser verkaufen. Für solche sog. „Health-Claims“ gibt es inzwischen klare, aber nach wie vor auch noch unklare gesetzliche Vorgaben. So muss etwa eine Mindestmenge an Vitaminen und Mineralstoffen zugesetzt worden sein. Ob diese allerdings natürlich (etwa durch Obst oder Gemüse) produziert wurden, ist beispielsweise nicht gesetzlich geregelt. Der Ausdruck „natürlich“ ist nicht rechtlich geschützt! So werden beispielsweise immer mehr Vitaminverbindungen synthetisch hergestellt, die es im natürlichen Kreislauf gar nicht gab und niemals geben wird. Und Überraschung: Die meisten dieser synthetischen Vitamine kommen aus China, um genauer zu sein aus der sog. „Medikamentenstadt“ Zhangjiang in der Nähe von Shanghai. Dort arbeiten hundertausende Menschen unter bei uns verbotenen Bedingungen Akkord, nicht selten sieben Tage in der Woche. Andere Wirkstoffe werden durch gentechnisch veränderte Bakterien (GVO) gewonnen. Wo aber ist der Unterschied?

Synthetisch bedeutet stets Labor! Bei manchen Amino- und Carbonsäuren sowie Vitaminen lag dieser Labor-Anteil schon vor fast zehn Jahren (2006) bei nahezu 100%! Übrigens: Synthetisch erzeugte Wirkstoffe, die vor dem Jahr 1997 noch nicht auf dem Markt verfügbar waren, benötigen eine Zulassung durch die EU.

  • Vitamin C wird grossteils aus der Synthese von Glukose, also Traubenzucker gewonnen.
  • Vitamin A mittels Cracking (Umwandlung der lang- in kurzkettige Kohlenwasserstoffen) aus Roh-Öl bzw. -Benzin
  • Vitamin D und K durch biotechnische Fermentation von Mikro-organismen, Pilzen bzw. der Hefe

Mit GVOs arbeitet, neben vielen anderen auch, zum Beispiel seit 2000 die DSM Nutritional Products (damals Roche Vitamin GmbH). Dort wird Vitamin B mit Hilfe des gentechnisch veränderten Bakteriums Bacillus subtilis produziert, ein stäbchenförmiges Bakterium, das im Jahr 2023 zur „Mikrobe des Jahres“ gewählt wurde. Andere Bakterien, die in der sog. „Weissen Biotechnologie“ verwendet werden sind etwa Escherichia coli, Pseudomonas denitrificans oder Propionibakterien. Diese GVOs allerdings dürfen nicht mehr als Verunreinigung im Endprodukt enthalten sein. So wurden etwa im Jahre 2018 antibiotika-resistente Bakterien in Tierfutter gefunden, die für die Produktion des Vitamins B-2 zum Einsatz gekommen sind. Schlimmstes Szenario: Ein Tier, das damit gefüttert wurde, erkrankt, kann aber nicht mehr behandelt werden, da es nicht mehr auf Antibiotika anspricht.

Wie bereits erwähnt, stammen die meisten dieser Wirkstoffe aus China, obgleich auch manches Mal Indien als Herkunftsland genannt wird. Dieses aber bezieht ebenfalls bis zu 70 % der Substanzen aus dem Reich der Mitte. Das hat fatale Konsequenzen, wie die gesamte westliche Welt während der Corona-Pandemie feststellen musste: Lieferengpässe en masse, auch wenn die Produzenten deutsche oder eidgenössische Konzerne sind, die aber in eigenen Werken in China oder Indien produzieren lassen! So sperrte Indien den Export, um genügend Medikamente für die eigene Bevölkerung zu haben. Engpass aber auch beim Vitamin C, das nahezu ausschliesslich in China produziert wird. Doch – über dieses Thema habe ich bereits an dieser Stelle geschrieben (Antibiotika!).

Sie selbst nun haben die Möglichkeit, all diese Zustände zu ändern: Seit dem 01. April 2020 müssen auf Nahrungsmittelergänzungen die Ursprungsländer der Primärzutaten angeführt sein. Boykottieren Sie Produkte aus China, wird dies wohl zu Änderungen im Marktverhalten der Konzerne führen!

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32006R1925&qid=1755320828630

Doch zurück zu den Health Claims! Falsche gesundheitsbezogene Versprechungen sind verboten – Health Claims (wie etwa “Hilft bei Kopfschmerzen und Migräne“, „Gute Laune, weniger Stress, eine tolle Ausstrahlung“, „Functional Water“ oder “Reich an Omega-3-Fettsäuren“) müssen durch die EU-Behörden genehmigt werden – derzeit sind über 270! Eines gleich vorweg: Derartige zugesetzte Nahrungsmittel-ergänzungen sind nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zumeist absolut sinnfrei, da einerseits die Versorgung mit Vitaminen in Mitteleuropa ausreichend möglich ist und andererseits die Wirkstoffe in solch geringen Mengen beigesetzt werden, sodass man zeitweise mehrere Kilo/Liter des entsprechenden Produktes essen bzw. trinken müsste, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Für den Konsumenten also oftmals unbrauchbar! Für die Produzenten hingegen umso wichtiger: Ab einer gewissen Konzentration des Wirkstoffes in einem Lebensmittel darf das Produkt als „gesund“ oder „gesund–heitsfördernd“ bezeichnet werden. Allerdings zeigte schon 2016 eine Studie der Organisation foodwatch auf, dass „90 % der mit Vitaminen beworbenen Lebensmittel ungesund sind“, da sie nicht den Standards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für ausgewogene Lebensmittel entsprechen! Untersucht wurden 214 Produkte in Deutschland und 430 in den Niederlanden, die mit dem Wort „Vitamine“ auf der Verpackung werben. Sie waren entweder zu süss, zu fettig oder zu salzig (190 in Deutschland und ¾ in den Niederlanden). So enthalten viele Frucht-gummis, die mit „gesund“ beworben werden, mehr als 50 % Zucker – gar nicht gesund! Unter den beanstandeten Produkten fanden sich auch grosse Namen wie Katjes, Coca Cola, Monster, Rockstar aber auch Müller Milch.

Die Lebensmittelindustrie setzt hunderten Produkten für winzige Cent-Beträge künstlich Vitamine zu, um Süßigkeiten, Zuckergetränken oder anderem Junkfood einen gesunden Anstrich zu verpassen. Mit Vitaminwerbung werden Verbraucher bewusst in die Irre geführt und ihr Bemühen um eine gesunde Ernährung torpediert. Damit muss Schluss sein!“

(Michaela Kruse, foodwatch)

Die Hersteller von Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland, die Mitglied im Deutschen Lebensmittelverband sind, müssen ihre Produktion nach dem „Kodex ethischer Grundsätze für die Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung von Nahrungsergänzungsmittel“ ausrichten. Der wiederum richtet sich im Grossen und Ganzen nach dem „Food Supplements Guide to Good Manufacturing Practice for Manufacturer of Food Supplements“. Für Produkte aus dem Online-Versand ausserhalb der EU gilt dies selbstverständlich nicht! Hier kommt es schon mal vor, dass der Wirkstoff überdosiert ist.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnt ausdrücklich davor, dass solche Nahrungsergänzungen kein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung bei jungen Menschen darstellen.

Links:

No Comments »

Wer regiert in Deutschland und Österreich?

Der Deutsche Bundestag verfügt in der aktuellen Legislaturperiode (21. Dt. Bundestag) über 630 Sitze! Ebenso wie beim Österreichischen Nationalrat (183 Abgeordnete) wird hierbei vom „Parlament“ gesprochen, dem höchsten Gremium einer Demokratie! Man möchte meinen, dass hier alle Drähte des sozialen Lebens zusammenlaufen, hierfür Gesetze entworfen und beschlossen werden und die Kontrolle über die jeweilige Regierung geübt wird. Nun – ähm – JEIN!

Sowohl in Berlin als auch Wien existieren Interessensverbände, deren Ziel die Einflussnahme auf die parlamentarischen Entscheidungsprozesse darstellt: Der Lobbyismus!

Die Vertretung gesellschaftlicher Interessen gegenüber der Politik gehört zu den Wesensmerkmalen einer jeden Demokratie.“

(Lobbyregister des Dt. Bundestages)

Wie wichtig dieser Lobbyismus nun ist, zeigen die aktuellen Zahlen der Lobbyvertreter auf. Im deutschen Lobbyregister gibt es aktuell 6.109 Eintragungen, im österreichischen 447! Somit kommen auf einen Bundes-tagsabgeordneten 9,7 Lobbyisten, auf einen Nationalratsabgeordneten im Alpenland 2,44! Hochbezahlte Manager, oftmals selbst aus einem Volks-vertretungsposten stammend, versuchen die Politik im Land zugunsten ihrer Arbeitgeber nach allen erlaubten (und manches Mal auch nicht erlaubten) Mitteln und Methoden zu biegen und zu brechen. Oftmals geht es um recht hohe Geldsummen, manches Mal um teure Festivitäten, teil-weise auch um einen 5*-Urlaub mit Privatjet-Feeling! Die Formen der wohlwollenden Zuschläge sind unerschöpflich und kommen aus allen Richtungen der Wirtschaft, der Finanzen, der politischen Verbände aber auch der NGOs (wie Umweltverbände, Tierschutz, Menschenrechte etc.).

Lassen Sie mich das anhand der jeweils beiden letzten Eintragungen in das Lobbyregister (Stand: 07.08.2025) aufzeigen:

.) Deutschland

  • Celanese Services Germany GmbH

Ein Unternehmen mit Sitz im saarländischen Sulzbach. Interessen: Aussenpolitik, Energiepolitik, Europapolitik, Immissions- und Klima-schutz uvam. Geht man dem jedoch etwas genauer nach, so gelangt man auf die Website des Mutterunternehmens mit Sitz im texanischen Irving, das sich mit sog. „Engineered Materials“, also Chemikalien und Kunst-stoffen beschäftigt. Nach Angaben des Lobbyregisters wurden hier im Jahr 2024 zwischen 150.001 und 160.000 € für Lobbytätigkeiten ausge-geben.

  • CC Business Consulting

Ein Beratungsunternehmen aus Berlin. Interessen: Energie- und Flücht-lingspolitik (Migration und Integration), sowie Bauwesen und Bauwirt-schaft. Auch hier einen Blick hinter den Vorhang geworfen, gelangt man zu einem FDP-Politiker aus Berlin und dem „Fachverband Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e.V. FVHF“. 2024 wurde noch kein Geld für Lobbyarbeit ausgegeben.

In beiden Fällen können Sie sich, werte Leser, wohl vorstellen, in welcher Richtung die Interessensarbeit der beiden Eintragungen gehen soll.

.) Österreich

  • Varian Medical Systems Gesellschaft m.b.H.

Ein Unternehmen mit Österreich-Sitz in Brunn am Gebirge mit dem Tätigkeitsbereich des Handels mit Medizinprodukten. Weitergeclickt gelangt der Interessierte zur „Varian Medical Systems, Inc., a Siemens Healthineers company“, einem Unternehmen aus dem kalifornische Palo Alto, das sich vornehmlich mit der Krebs-Bestrahlung beschäftigt.

  • vi.pr Communications GmbH

Ein Unternehmen mit Sitz in Wien. Es bietet Lösungen im Bereich der strategischen und Krisenkommunikation, sowie der politischen Strategie-beratung an, kann also von jedem beauftragt werden, der sich etwas mehr an politischer Hingabe erwartet.

Was aber ist der Lobbyismus und wie funktioniert diese Macht im Schatten tatsächlich?†

Das ZDF führte 2024 gemeinsam mit Abgeordnetenwatch das sog. „Lobbyismus-Experiment“ durch. Ziel war es, aufzuzeigen, wie einfach es eigentlich ist, eine politische Einflussnahme im eigenen Interesse anzu-kurbeln. Dabei gaben sich die Reporter als Vertreter einer ausgedachten Lobbyagentur aus Luxemburg aus, die von einer britischen Firma für das Pushen von E-Zigaretten beauftragt worden sein soll. 32 Bundestags-abgeordnete wurden angeschrieben, sechs davon aus den Fraktionen der FDP, der CDU, der SPD und der AfD erklärten sich spontan dazu bereit, an einem Treffen teilzunehmen, eine CDU-Abgeordnete bot während des Gespräches sogar die Schirmherrschaft eines Lobby-Events im Bundestag an.

Der wohl bekannteste Lobby-Skandal in Österreich war sicherlich der inzwischen ausgesessene Akt zwischen einer englischen Scheinfirma und dem damaligen Delegationsleiter der ÖVP im Europaparlament, dem ehe-maligen Innenminister Ernst Strasser, anno 2011. Der Vertreter der Scheinfirma war der Reporter Jonathan Calvert von der „Sunday Times“, der Sonntagsausgabe der grossen „The Times“ aus London. In einem aufgezeichneten Video erklärte sich Strasser damals bereit, für eine gewisse Summe bei einem Gesetzesantrag zu lobbyieren. Nach der Veröffentlichung des Videos trat Strasser von allen politischen Ämtern zurück, er wurde zu drei Jahren unbedingt verurteilt, der OGH wandelte dies in sechs Monate und 16 Monate Hausarrest mit Fussfessel um.

Lobbyismus ist im Grunde genommen nichts Schlechtes! Bei der Fülle von Gesetzesanträgen müssten die Volksvertreter Spezialisten in allen mög-lichen Richtungen sein um abschätzen zu können, ob sie dieses Gesetz gegenüber ihrer Wähler vertreten können. Oder es müssten unzählige Spezialisten als objektive Berater angeheuert werden um eine Fach-expertise zu erhalten. Dies würde wohl den finanziellen Rahmen einer jeden Fraktion sprengen. Also suchen sie Rat bei den kostenlosen, dafür aber umso mehr motivierten Lobbyisten.

Diese allerdings – und nun das Schlechte an diesem System – haben selbstverständlich grosses Interesse daran, dass ihre Geldgeber entweder wirtschaftlich oder in einer anderen Form vom neuen Gesetz profitieren. Das scheut sie auch nicht davor zurück, einseitige Studien miteinfliessen zu lassen, Lobby-Events abzuhalten oder gar die bereits angesprochenen Geldflüsse zum Laufen zu bringen. Solches wurde etwa dem CDU-Abgeordneten Philipp Amthor 2020 vorgeworfen. Er soll sich 2018 für das New Yorker Start-up Augustus Intelligence durch einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (auf offiziellem Bundestags-Briefpapier) stark gemacht haben. Seine Belohnung: Durchaus lukrative Aktienoptionen sowie ein Sitz in der Direktion des Unternehmens. Amthor wies jedoch alle Anschuldigungen zurück. Ein guter Lobbyist verfügt über ein ausgezeichnetes Netzwerk zu Entscheidungsträgern aus allen Fraktionen. Es soll gar vorkommen, dass die Gesetzesanträge von den Unternehmen bzw. deren Lobbyisten selbst verfasst wurden und ohne weitere Prüfung das entsprechende Plenum passierten. Eine Schande für das durch die Wähler in ihre Vertreter gesetzte Vertrauen und das Verantwortungsgefühl derjenigen.

Um nun mehr Transparenz in die Vorgänge zu bringen, wurde in Deutschland 2021 das Lobbyregister eingeführt, in Österreich bereits im Jahr 2012. Einige wenige Abgeordnete veröffentlichen auch auf ihren Websites, mit wem und wann sie Gespräche führten.

Transparency International Deutschland führte erstmals 2021 ein Lobby-Ranking an, das 2022 und 2024 aktualisiert wurde. Dabei werden die Angleichungen der Länder an die Transparenzkriterien veröffentlicht. Im vergangenen Jahr lag Thüringen bei einer Angleichung von 69 % – Platz 1. Bremen mit nur 9 % auf dem letzten Rang. Der Bund übrigens erreichte 71 %! Solche Entwicklungen sind nur aufgrund der hartnäckigen Arbeit von Organisationen wie eben Transparency Deutschland oder Abgeord-netenwatch zu verdanken, die auch den Schritt vor die Gerichte nicht scheuen.

Am 11.02.2025 wurde der „Korruptionswahrnehmungsindex 2024“ (Corruption Perception Index „CPI“ 2024) von Transparency International (TI) veröffentlicht. Deutschland erreicht dabei gemeinsam mit Kanada Platz 15, gefolgt von Hongkong. Österreich sackte mit 67 Punkten auf Platz 25 ab. Die Nachbarn: Davor die Vereinigten Arabischen Emirate, punktegleich Frankreich und Taiwan. Vor drei Jahren war das Alpenland noch auf Platz 13 zu finden. Zum Vergleich: Die Schweiz rangiert gemeinsam mit Norwegen und Luxemburg auf Platz 5. Dänemark führt vor Finnland und Singapore die Liste an.

Welche Konzerne oder Verbände haben nun den grössten Einfluss auf die Parlamente?!

Sehr engen Kontakt hielten etwa Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz und Siegfried Russwurm, seines Zeichens Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V.. Dieser gewann auch das Ranking des Medien-dienstleisters Unicepta, der im ersten Halbjahr 2024 4000 Artikel in Leitmedien auf Zitate hin untersuchte. Der BDI wurde in nicht weniger als 968 Artikeln zitiert (+30 % gegenüber 2023). Danach folgt der Gesamt-verband der Versicherer (GDV). Nach Angaben von Transparency Deutschland gaben 2024 die ersten drei Verbände GDV, VCI (Verband der Chemischen Industrie) und BVMW (Verband Der Mittelstand) zusammen rund 33,7 Mio € für die Lobbyarbeit aus. Im Vergleich dazu der Branchenverband Bitkom mit unter fünf Mio – dafür aber die Beein-flussung von 141 Regelungsvorhaben (Eigenangabe). Danach folgt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft mit einer Mitwirkung bei 132 Gesetzen (knapp 700.000 € Lobby-Ausgaben),

Ein Problem mehr stellen ehemalige Politiker dar, die nahezu nahtlos zum Lobbyismus übertreten. Sie haben zumeist noch ausgezeichneten Kontakt zu ihren Kollegen, aber auch der Regierung. Damit verkürzen sie Zeit und Wege ihrer Arbeitgeber und machen vieles möglich, was andere nicht geschafft hätten. Hier die Prominentesten, da die vollständige Liste den Rahmen dieses Blogs sprengen würde):

  • Ex-Kanzler Gerhard Schröder (Aufsichtsrat beim russischen Ölkonzern Rosneft)
  • Ex-Vizekanzler und Ex-Bundesminister in verschiedenen Ressorts Sigmar Gabriel (Aufsichtsrat bei u.a. der Deutschen Bank, ThyssenKrupp, Rheinmetall, Siemens Energy, sowie Berater für die Tönnies Holding)
  • Ex-Bundesumweltminister Joschka Fischer (Berater für die Deutsche Börse, Tank&Rast bzw. DocMorris)
  • Ex-Bundesverteidigungsminister Thomas De Maizière (Vorstandsvor-sitzender der Deutschen Telekom-Stiftung)
  • Ex-Bundeswirtschaftsminister Dirk Nebel (Interessensvertreter der Rheinmetall)
  • Ex-Bundesgesundheitsminister Otto Bahr (Vorstand der Allianz Private Krankenversicherung)
  • Ex-Ministerpräsident Torsten Albig (Philip Morris – obgleich Nicht-raucher)
  • Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (Kasachstan, Signa Holding)
  • Ex-NR-Abg Franz Hörl (Fachverband der österreichischen Seilbahnen)

Allerdings geht es auch anders: Indem die Lobbyisten direkt auf einen politischen Posten gesetzt werden. Da machte sich Deutschlands Bundes-wirtschaftsministerin Katherina Reiche zuletzt keine gute Presse: Sie forderte die Abschaffung der Vorschriften der Heizungsumrüstung (ein-gesetzt durch ihren Vorgänger Robert Habeck) und mehr Gaskraftwerke. Bedenklich: Vor ihrem Wiedereintritt in die Politik war sie Geschäfts-führerin der innogy Westenergie GmbH, einer Tochtergesellschaft von E.ON! Ein weiterer Lobbyist hätte in die Regierung Merz kommen sollen, wurde jedoch in letzter Sekunde verhindert: Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Vizepräsident des Deutschen Bauernver-bandes und Vorschlag von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder, Günther Felßner. Nach heftigen Protesten von Umweltschützern, einer Online-Petition und der Besetzung seines Bauernhofes durch Aktivisten zog er seine Kandidatur zurück. Ihm wurde vorgeworfen, einseitig die Interessen der Bauernschaft (auf Kosten von Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz) zu vertreten und dabei wissenschaftliche Akzente ausser Acht zu lassen. Zudem soll er jahrelang kontaminierte Abwässer in ein Wasserschutzgebiet abgeleitet haben und wurde hierfür durch ein Gericht verurteilt.

Nach Angaben von Abgeordnetenwatch besitzen derzeit 778 Lobbyisten Hausausweise für den Deutschen Bundestag. Das heisst, sie können zu jeder Tages- und Nachtzeit in das Hohe Haus und mit den Abgeordneten ihrer Wahl ungesehen Kontakt aufnehmen. Sollte uns das nicht zu denken geben? Für Österreich konnte ich trotz intensiver Recherche keine Zahlen finden!

TV-Tipps:

  • Lobbyismus für Besserverdienende: Die Show vom BdSt; ARD-Doku
  • Das Lobbyismus-Experiment; ZDF-Doku

Links:

No Comments »

Palmöl – die Umweltsünde

Ganz ehrlich?

Ich bin ein Fan der Beimengung sog. „Agrokraftstoffe“ zu den anderen, zumeist fossilen Brennstoffen – unter gewissen Voraussetzungen. Einer-seits tut man der Umwelt damit etwas Gutes, andererseits verringert dies die Abhängigkeit von den erdöl-produzierenden Ländern! Doch, als ich über diese Meldung gestolpert bin, hat es mir die Sprache verschlagen: Rund die Hälfte der jährlichen Palmöl-Importe werden zur Herstellung von Bio-Diesel oder E10 verwendet! Alter Schwede – da wird eine durch-aus hehre Absicht urplötzlich konterkariert: Der Biodiesel wird klima-feindlich – bis 2023 gar noch staatlich gefördert! Dazu mehr, etwas später!

Palmöl wird aus dem Fruchtfleisch der Ölpalmen-Früchte, das Palmkernöl aus den Kernen hergestellt. Zirka 30 % des Gesamtölaufkommens weltweit ist Palmöl – ein Drittel des Gesamverbrauchs an pflanzlichen Ölen. Das aus vornehmlich zwei Gründen: Es ist vielseitig einsetzbar und ist vor allem günstig. Daneben gibt es allerdings auch andere Vorteile: Hitzebeständig, geschmacksneutral, lange haltbar, hoher Anteil an Beta-Carotin und weiteren Carotinoiden, Vitamin E und Antioxidantien, gut mischbar mit anderen Flüssigölen und nicht zuletzt liefert die Ölpalme einen hohen Ertrag (jedes Fruchtbündel der bis zu 20 Meter hohen Ölpalme liefert über 1000 Früchte)! Über 70 Mio Tonnen werden jedes Jahr produziert, angebaut auf einer Fläche halb so gross wie Deutschland – 20-27 Mio Hektar. Die Produzenten sind Indonesien mit einer Anbau-fläche von 17 Mio Hektar, gefolgt von Malaysia, Thailand und Kolumbien sowie Nigeria. Doch eigentlich wächst die Ölpalme in allen Tropen-regionen dieser Erde. Klingt ja gar nicht so schlecht – oder?

Doch wie alles hat auch das Palmöl eine schlechte Seite! Durch die günstige Produktion ist die Nachfrage nach Palmöl gigantisch. Das auf Kosten tropischer Urwälder, die zuhauf abgeholzt werden um Platz für Ölpalmen-Plantagen zu schaffen. Damit wird ein grosser Teil der grünen Lunge unseres Planeten, aber auch der letzte Rückzugsort vieler Tiere und Pflanzen vernichtet: Die stark geschützten Orang Utans etwa. Jedes Jahr sterben zwischen 1-5.000 Tiere. Auch indigene Ureinwohner werden vertrieben. Auf den Plantagen dann Unmengen von Pestiziden (wie beispielsweise Glyphosat) und Mineraldünger eingesetzt. Ähnlich wie in Brasilien (Amazonas-Regenwald) schafft dies der Boden nicht lange. Ist er ausgelaugt, wird das saure Land als Brachland zurückgelassen. Bei Schlagwetter oder in der Regenzeit kommt es zu schweren Über-schwemmungen und riesigen Murenabgängen. Und zuguterletzt werden die Arbeiter und Kinder, die dort beschäftigt sind, miserabelst entlohnt.

Nun, werden vielleicht einige von Ihnen meinen: Was geht mich das an – ich verwende kein Palmöl! Trotzdem kommen Sie um dieses Öl nicht herum. So ist es nicht nur in vielen Lebensmitteln, sondern auch in Reinigungsmitteln, Kerzen, Kosmetika, Farben, Lacken und Agrartreib-stoffen enthalten – nahezu in jedem zweiten Supermarkt-Produkt. Dabei zeigt der Einsatz in etwa der Margarine, Nussnougat-Cremes oder Schokoaufstrichen bzw. Keksen auf, dass das Palmöl gar nicht so gesund ist, wie manche meinen. So wird der Genuss von zu vielen gesättigten Fettsäuren mit einem Anstieg des LDL-Cholesterins belohnt. Dieses „schlechte Cholesterin“ bringt Ablagerungen in den Blutgefässen und somit zu Gefässverengungen, die schliesslich zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten führen. Auch Diabetes muss bei hohem Konsum von gesättigten Fettsäuren in Kauf genommen werden. Deshalb sollte besser auf regional angebaute und produzierte Ölsorten zurückgegriffen werden – etwa Sonnenblumen, Mais, Raps, Disteln oder Leinsamen bzw. das weitaus gesündere Olivenöl aus Italien. Sie alle haben eines gemeinsam: Einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren! Tja – und schliesslich entstehen bei der Raffinierung von Palmöl Schadstoffe, die möglicher-weise krebserregend sein können (etwa 3-MCPD-Fettsäureester und Glycidol). Nach Angabe der Europäischen Behörde für Lebensmittel-sicherheit (EFSA) sollte von diesem 3-MCPD und seinen Fettsäureester nicht mehr als 0,8 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag aufgenommen werden.

Bis Dezember 2014 konnte man davon ausgehen, wenn im Zutaten-verzeichnis „Pflanzenöl“ oder „Pflanzenfett“ geschrieben stand, so war zumeist Palmöl enthalten. Vor 11 Jahren allerdings trat die EU-Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) (EU) Nr. 1169/2011 in Kraft. Seither müssen alle Inhaltsstoffe und deren pflanzliche Herkunft genannt werden. Nach wie vor halten sich viele Hersteller nicht daran.

Dabei kann Palmöl auch nachhaltig produziert werden. Nicht allen Zertifizierungen kann allerdings Glauben geschenkt werden. Ist auf der Verpackung „POIG“ zu lesen, so steht dies für eine Zertifizierung der Lieferanten durch die Palm Oil Innovation Group (POIG). Sehr viele Lebensmittelhhersteller (wie auch etwa Danone) arbeiten mit derart zertifizierten Zulieferunternehmen zusammen. Es gibt auch das Label „RSPO“ („Runder Tisch für nachhaltiges Palmöl“), das u.a. im Jahre 2004 auch durch den WWF mitinitiiert wurde. Hier gab und gibt es jedoch keinerlei Kontrollinstanz. Bei beiden Labels sind Mindeststandards enthalten – etwa keine Abholzung von Primärwäldern bzw. ein Mindestlohn für die Arbeiter. Allerdings kommen nur rund 0,1 % aus biologischem Anbau.

Nun zu dem am Beginn des heutigen Blogs angesprochenen Widerspruch – dem Agrartreibstoff Palmöl! Eigentlich selbsterklärend: Um das umwelt-schädliche fossile Erdöl zu verringern, werden Treibstoffen Agrartreib-stoffe beigemengt (Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU aus 2009). Eigentlich auch als Hilfe für jene Ackerbauern gesehen, die etwa Raps oder Mais anbauen, so besitzt der Raps etwa einen 36%-Anteil an den Agrartreibstoffen. Hier jedoch kam es zur Perversion, dass Pflanzen, die wichtig für die Ernährung der Bevölkerung gewesen wären, raffiniert und dem Diesel beigemischt wurden. Das gab unter’m Strich mehr Ertrag. Zudem geht wertvolles Ackerland verloren, das besser für Nahrungsmittel genutzt werden könnte – etwa für den Anbau von Weizen, Roggen, Mais etc. Also griff man auf das Palmöl zurück. Fast 60 % der Importe (Stand: 2020) wurden als Treibstoff verbrannt – ein 30 %-Anteil an den Agrar-treibstoffen. Hierbei ist der CO2-Fussabdruck enorm – schliesslich werden wertvolle Urwälder teilweise gar brandgerodet (gespeicherte Klimagase werden freigesetzt) und an deren Stelle bodenschädigende Monokulturen hochgezüchtet. Hinzu kommt der weite Transport. EU-weit wird die Förderung von Palmöl als Agrartreibstoff bis 2030 gestoppt, in Deutschland bereits seit 2023 und darf somit nicht mehr als Biotreibstoff genutzt werden (eigentlich erst für 2026 geplant). Die Deutsche Umwelthilfe forderte deshalb diesen Ausstieg schon 2022 – in diesen vier Jahren wäre es zu einem vermeidbaren Ausstoss von 5,8 Mio Tonnen an Treibhausgasen gekommen.

Es besteht die Sorge, dass klimaschädliches Palmöl einfach unter einem anderen Namen nach Europa gelangt.“

(Cian Delaney, Transport & Environment in „ZDF Frontal“)

So sind etwa Palmölreste aus dem Abwasser von Palmölmühlen („Palmoil Mill Effluent“ POME) für den Einsatz im Biodiesel erlaubt. In diesem Zusammenhang fallen in der Sendung Frontal auch Namen von grossen Konzernen wie Shell, OMV und Rosneft Deutschland! So betont Delaney, dass die EU 2024 mehr als doppelt so viel POME importiert habe, als eigentlich weltweit anfällt. Auch Indonesiens Handelsminister Budi Santoso warnt: 2024 habe sein Land zumindest auf dem Papier 3 Mio Tonnen POME ausgeführt, obgleich nur 300.000 Tonnen angefallen sind! Die Europäische Staatsanwaltschaft EPPO hat bereits Ermittlungen in einigen EU-Staaten aufgenommen, darunter auch Deutschland und Österreich.

Zur Klimabilanz des Biodiesels: Pro Tonne Diesel besitzt Biodiesel eine CO2-Einsparung von 2,3 Tonnen, rechnet man die Flächenumwidmung beim Palmöl nicht mit ein. Wurde nun die Plantage nachhaltig, also auf Gras- oder Brachland errichtet, so wird bei der Einrechnung die Klimabilanz schon nach wenigen Jahren positiv. Wurde Regenwald dafür gerodet, dauert es bis zu 75 Jahre, bei Brandrodung gar bis 90 Jahre bis die Klimabilanz positiv wird. Und zuguterletzt: Wurden Regenwälder auf Torfböden für die Plantagen gerodet – 690 Jahre! Bei der Trockenlegung solcher Torfböden entweicht nämlich wesentlich mehr CO2 pro Hektar und Jahr (66 to), als bei der Verwendung von Biodiesel im Vergleich zu Diesel, der nur aus Erdöl gewonnen wurde (Einsparung 7,4 to).

Was nun kann oder sollte Otto Normalverbraucher tun, um gegen all die negativen Folgen des Ölpalmen-Anbaus vorzugehen? Ist gar nicht so leicht, hierzu eine Antwort zu finden. Ein Boykott von Palmöl würde wohl dazu führen, dass sich die Grossfarmer eine Alternative zur Ölpalme suchen (etwa Soja – ebenfalls einer der grössten Verursacher globaler Entwaldung), die noch weitaus problematischer wäre. Besser wäre da schon nachhaltig angebautes und produziertes Palmfett oder -öl zu nutzen. Andere Umweltorganisationen, wie etwa die Orangutan Foundation International (OFI), beharren andererseits auf ihrem Standpunkt, dass nur ein völliger Boykott die Orang Utans und andere Wildtiere/-pflanzen retten kann.

TV-Tipp:

  • ZDF planet e.: Palmöl – Vom Urwald in die Schokocreme; Kurt Langbein
  • WDR-Reihe Die Story: Wir tanken Regenwald – Die Lüge vom Öko-Diesel; Florian Schneider/Ines Rainer

Lesetipps:

.) Auf der Ölspur: Berechnungen zu einer palmölfreieren Welt; Steffen Noleppa/Matti Cartsburg; WWF Deutschland 2016

.) Der Palmöl-Kompass. Hintergründe, Fakten und Tipps für den Alltag; Frauke Fischer/Frank Nierula; Oekom 2019

.) Lexikon der pflanzlichen Fette und Öle; Sabine Krist, Gerhard Buchbauer, Carina Klausberger; Springer Verlag 2008

.) Palm Oil. The Grease of Empire; Max Haiven; Vagabonds 2022

.) Palm Oil: Production, Processing, Characterization and Uses; Oi-Ming Lai, Chin-Ping Tan, Casimir C. Akoh; AOCS Press 2012

Links:

No Comments »

Wenn die wahre Realität verloren geht

„Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die richtige Wirklichkeit ist.“
(Hilde Domin, dt. Schriftstellerin)

Die Corona-Krise hat es wohl in aller Härte wie bislang noch nie aufgezeigt: Das Internet kann verrückt machen! Die Hamsterkäufe von Toilettenpapier, Mehl, Hefe etc. waren allesamt das Produkt von Panik-mache über die Social Medias mit dem Effekt, dass die Produkte teurer werden. . Durch die Ausgangsbeschränkungen waren noch weitaus mehr Menschen noch weitaus länger im World Wide Web als in normalen Zeiten. Da schaukelt man sich gegenseitig emotional hoch – ein wahrhaftiges Paradies für Fake News-Maker. Ein nicht zu unterschätzen-des Risiko, schliesslich droht hier der Realitätsverlust!
Wer sich trotz all dieser Negativmeldungen zum Einkauf in den Super-markt getraut hat, konnte feststellen, dass von allem noch (oder wieder) genug da war. Er konnte jedoch auch feststellen, wenn er zum Beispiel im Discounter einkaufen sollte, dass gewisse Gesellschaftsschichten anfäl-liger sind als andere. Wissenschaftler warnen schon seit Jahren vor dem exzessiven Gebrauch von beispielsweise PCGames, aber auch dem Internet. In beiden Fällen droht der Verlust des Realitätssinns – die Sucht wird deshalb seit Juni 2018 durch die WHO als „substanzungebundene Sucht“, also als psychische Krankheit im Rahmen der ICD-11-Erkran-kungen eingestuft – trat mit dem 1. Januar 2022 in Kraft. Besonders problematisch in dieser Hinsicht ist die sog. „Gaming Disorder“, also die Computerspielesucht. Auf diese möchte ich heute aber nicht im Speziellen eingehen, sondern das Problem allgemeiner halten. Wenn Sie die nun folgende Frage mit „Ja!“ beantworten können, sollten Sie auf jeden Fall diesen Blog bis zum Ende durchlesen:

„Sind Sie öfter als 30 Stunden die Woche im Internet?“

Facebook, Twitter, Instagram oder vor allem WhatsApp – in den Social Medias ist jegliches Zeitgefühl zumeist sehr schnell verloren! Dennoch lässt es sich nicht genau bestimmen, ab wann der Zeitvertreib zur Sucht wird. Deshalb gehen die meisten Experten inzwischen von einem anderen Erscheinungsmuster aus: Tritt ein Kontrollverlust mit erheblichen Auswir-kungen auf das soziale Leben und die Arbeitsfähigkeit ein, so ist die Schwelle zur Sucht überschritten! Das kann beim Mann in den Midlife-Crises sein, der stets neue Sexfotos oder -filme sucht, bei den Kaffee-tanten, die sich via SoMes jede Neuigkeit sofort zusenden müssen oder auch beim Teen, der nahe am Kollaps steht, wenn das Handy verlegt wurde und somit nicht gechattet werden kann. Es ist dieser nicht zu unterbindende innerliche Drang, stets einen Computer (in welcher Grösse oder Erscheinungsform auch immer) in greifbarer Nähe haben und ihn bedienen zu müssen. Betroffene Menschen reagieren oftmals stark gereizt und nervös. Das stärkste Zeichen einer Sucht jedoch ist es, wenn jemandem diese Sucht bewusst ist, man ihr aber hilflos gegenüber steht, dies also nicht in den Griff bekommen kann. Ob Drogen, Alkohol, Nikotin oder Computer – diese Abhängigkeit bleibt immer gleich.
Doch – was steckt wirklich dahinter? Ähnlich wie bei den Drogen oder dem Alkohol ist es vornehmlich die Flucht vor der Realität. In eine Welt, die vermeintlich besser ist, in welcher man Gleichgesinnte findet oder wo man sich als jener ausgeben kann, der man immer schon sein wollte. In die Risikogruppe fallen vornehmlich Menschen mit Problemen im privaten Bereich, der Arbeit oder Schule und jene, die unter einem mehr oder weniger starken Minderwertigkeitskomplex leiden. Auch Personen ohne soziale Kompetenz, mit nur eingeschränktem Freundeskreis sind gefährdet! Millionen User alleine im deutschsprachigen Raum sind hier-von betroffen. Alleine in Deutschland sind 560.000 Menschen bereits als virtuell-süchtig gemeldet, 2,5 Mio weitere werden als „problematische Internetnutzer“ bezeichnet.
Sie flüchten in eine Scheinwelt, aus der viele nurmehr schwer heraus-finden. Vor allem nicht ohne Unterstützung. Übrigens steht dieser Realitätsverlust auch am Beginn der Schizophrenie und der organischen Psychose.
Wie bei jeder exzessiven Sucht hinterlässt auch die Computersucht tiefe Spuren in der Psyche eines Menschen. So mancher Experte weiss zu berichten, dass die Online-Sucht schwieriger und gar gefährlicher als die Alkohol- und Nikotinsucht ist. Wenn ein klärendes Gespräch keine oder nur wenig Wirkung zeigt, sollten Experten zu Rate gezogen werden. Auch Suchthilfeorganisationen können hierbei weiterhelfen. So betont die Spielsuchtberatung der Stadt Klagenfurt (auch zuständig für Internet-sucht), dass es teilweise bis zu zehn Jahre dauere, bis sich ein Spiele-Süchtiger die Sucht eingesteht. Inzwischen haben sich Schulden ange-häuft, ist das Aggressionspotenzial gestiegen und die reale Welt durch die Spielewelt ersetzt worden, betont die Psychologin Petra Hinteregger von der Suchtberatung. Keinesfalls sollten die Symptome auf die leichte Schulter genommen werden. Vor allem Kindern und Jugendlichen droht oftmals gar der Realitätsverlust, meint der Neurobiologe und Autor Gerald Hüther! So fehle dem wachsenden Kind oder Jugendlichen mit jeder Stunde vor dem Computer auch eine Stunde, sich im wirklichen Leben weiterzuentwickeln, so Hüther. Irgendwann überwiegt die Schein-welt gegenüber der Realwelt – die Grenze ist überschritten. Nach den Untersuchungen der JIM-Studie 2024 (Jugend, Information, Medien) besitzen 93 % der deutschen Jugendlichen zwischen 12-19 Jahren ein Handy bzw. Smartphone. 98 % der Mädchen und 97 % der Jungen sind zumindest täglich im Internet – 96 % der Mädchen und 91 % der Jungen nutzen dafür das eigene Smartphone (38,7 h/Woche). Insgesamt erklärten die befragten Jugendlichen, 71,5 Stunden pro Woche im Internet zu sein (2023 waren es noch 69,9 Stunden). Hinzu kommen aber noch die anderen Bildschirmzeiten vor dem Fernseher oder dem PC! Alles in allem beläuft sich die Bildschirmzeit auf dieselbe Dauer wie die tägliche Schulzeit!
Diese Menschen finden sich zumeist in der wirklichen Gesellschaft nicht mehr zurecht – sie greifen nurmehr auf ihre digitale Friends zurück. Hüther bezeichnet dies als „Verinnerlichung virtueller Vorstellungs-welten“. Hirnforscher machten die Entdeckung, dass jene Hirnregion, die die Bewegungen der Daumen steuert, aufgrund des exzessiven Handyge-brauchs seit geraumer Zeit wächst. Das Gehirn strukturiert sich nach neuen Erfordernissen um. Gleiches stellten Wissenschaftler in bereits älteren Tests mit Gaming, Alkohol und Cannabis fest. In allen drei Bereichen führen die positiven Belohnungen zur Ausschüttung des Glückshormons Dopamin (klassische Konditionierung). Somit versucht der Betroffene immer mehr des Dopamins zu erheischen (siehe hierzu auch mein Blog zum Thema „Glück“). Süchtige können recht leicht erkannt werden: Sie sind aggressiver als ihre Altersgenossen. Zudem lassen Leistungen in Schule und Arbeit nach.
„Na cool!“, höre ich nun viele Eltern sagen. Der hat ja keine Ahnung. Stimmt möglicherweise, doch besitzen viele der Antworten von ausge-wiesenen Experten denselben Inhalt. So betont beispielsweise der Stressmediziner und Endokrinologe am Medizinischen Zentrum Ulm, Alfred Wolf: Hunderte Dinge können nebenbei nicht erledigt werden. Ich kann nicht wirklich frühstücken und ständig in’s Smartphone oder das Pad schauen. Wenn jemand joggen will, soll er mal für eine halbe Stunde nicht erreichbar sein. Jeder soll sich auf eine Aufgabe konzentrieren, dann wird diese auch besser erledigt und die Welt wird entschleunigt! Das können Sie auch Ihren Kindern mit auf den harten Weg des Lebens geben!

Lesetipps:

.) Computersüchtig – Kinder im Sog der modernen Medien, Wolfgang Bergmann / Gerald Hüther; Walter Verlag 2013
.) Digitale Hysterie – Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen; Georg Milner; Beltz Verlag 2016

Links:

No Comments »

Informationen gemäss DSGVO

Sehr geehrte Leser und Leserinnen,

dieser Blog verwendet nur temporäre Cookies. Sie werden beim Verlassen der Seite gelöscht!
Wir legen grössten Wert auf Ihre Anonymität, weshalb auch auf Analyse-Tools gänzlichst verzichtet wird!
Spamer hingegen werden zur Anzeige gebracht!

Ulrich Stock

No Comments »

Zölle – Trumps Spiel mit dem Feuer

Die Geschichte der Zölle ist uralt! Schon die Römer kannten sie, dann waren es die Adeligen, Grossgrundbesitzer und Wegelagerer (ausgezeich-nete Kombination!), die den Wegezoll abkassierten. Einige Jahrhunderte später wurde der Zoll berechnet, um Importwaren im Inland teurer zu machen als die heimischen Produkte. Doch ein Grundsatz blieb über all die Jahrhunderte hinweg erhalten: Mit dem Zoll soll immer eine Schatulle gefüllt werden – sei es die Staatskasse, die fürstliche Geldkiste oder der Geldstrumpf so mancher Räuber. Das ist bis heute geblieben! So freut sich auch der US-Präsident Donald Trump über Mehreinnahmen: Im Juni etwa nur durch die Zölle in der Höhe von 27,2 Mrd. Dollar – das führte zu einem Haushaltsüberschuss von 27 Mrd. Dollar (Angaben: US-Finanz-ministerium)! Mr. Trump fühlt sich dadurch bestätigt, berücksichtigt aber nicht, dass in den USA diese Produkte oder die Waren daraus entschei-dend teurer geworden sind. Das heizt wiederum die Inflation an! Es ist also ein Rattenschwanz bzw. eine Kettenreaktion, die der Präsident (mit der Begründung der „Nationalen Sicherheit“) losgetreten hat. Und mit dem Handelsdefizit hat dies nur wenig zu tun – das steigt nämlich noch weiter an! Doch eines nach dem anderen!

.) Zölle

US-Finanzminister Scott Bessent stellt bis Jahresende ganze 300 Mrd. Dollar zusätzlich in Aussicht! Dazu müssten die Zölle aber noch steigen! Sein Herr und Meister reagiert sofort darauf und kündigt zum 01. August weitere, wesentlich höhere Zölle an. Er spricht dabei vom „grossen Geld“! Treffen wird es nahezu alle Handelspartner der USA – nun auch Russland, das ebenso wie Nordkorea, Kuba und Belarus bislang verschont blieb. Trotz Sanktionen führen die USA nach wie vor Waren im Wert von 3,5 Mrd. Dollar aus Russland ein (vor dem Einmarsch in die Ukraine waren es 35 Mrd.). Schwer trifft es China, Brasilien, Kanada, Mexico und die EU, aber auch Japan und Südkorea. Auf Kupferimport und Waren aus Brasilien soll ein Zoll von satten 50 % aufgeschlagen werden. Trumps Begründung: Die dortige Regierung behandelt den ehemaligen Präsidenten und Gesin-nungsgenossen Trumps, Jair Bolsonaro, nicht so, wie es Trump passen würde. Kanada wird mit 35 % Aufschlag belohnt, die EU mit 30 %. Kanada hatte bereits zuvor auf die erste Zollwelle reagiert und Gegenzölle auf US-Waren verhängt bzw. diese aus den Regalen verbannt. Wie wichtig Herrn Trump bestehende Verträge sind, zeigt dieses Beispiel: Die USA sind ebenso Mitglied beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA), wie auch Kanada und Mexiko. Gottlob wurde der Freihandels-vertrag TTIP zwischen den USA und der EU niemals unterschrieben – es wäre umsonst gewesen! Die EU verhandelt nach wie vor mit Washington, doch gab es bislang keine Hinweise darauf, dass diese Verhandlungen von Erfolg gekrönt sind. Dabei sind derartige, höhere Zölle bereits für einige EU-Waren aktiv: 25 % auf Automobile und Autoteile bzw. 50 % auf Stahl und Aluminium – zusätzlich zu den bereits bestehenden 10 %. In Brüssel hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Vergel-tungszölle auf US-Waren im Wert von 21 Milliarden Euro vorerst bis zum 01. August ausgesetzt. Sollte Trump an seinen Plänen festhalten, werden Importe im Wert von 72 Milliarden davon betroffen sein: Gegenzölle! Die EU sollte ihr Licht dabei nicht unter den Scheffel stellen: Mit 450 Mio Einwohnern in 27 Ländern ist sie einer der grössten Binnenmärkte der Welt – die Chinesen haben dies bereits vor Jahren begriffen (siehe Neue Seidenstrasse bzw. Containerhafen in Athen)! Weitere und höhere Zölle bremsen nicht nur den Handel, sondern machen die Waren auch empfindlich teurer und gefährden viele Arbeitsplätze. Zudem: Die Verhandlungen, die seit Jahrzehnten über die Welthandelsorganisation (WTO) geführt wurden, werden mit einem Schlag wertlos, da es einem Menschen nicht in den Kram passt!

.) Handelsüberschuss

Dieses Thema ist weitaus komplexer! Nach Angaben des Bureaus of Economic Analysis (BEA), das direkt dem US-Handelsministerium unter-stellt ist, belief sich der Handelsüberschuss zwischen der EU und den USA im Jahre 2023 auf 235,6 Mrd. Dollar (201,5 Milliarden Euro) – zugunsten der EU! Sogar Österreich hat demnach ein Plus auf der Bilanz stehen (13,1 Mrd. Dollar). Ich wusste gar nicht, dass Tiroler Hüte in den USA so begehrt sind! Ein Ausgeglichen oder Minus verzeichneten nur die EU-Partner Niederlande, Spanien, Polen, Slowenien, Zypern sowie Luxemburg und Malta. Dieser Überschuss ist nach jenem von China direkt an zweiter Stelle zu finden. Das heisst, dass von der EU um diesen Betrag mehr Waren in die USA exportiert werden, als US-Waren den Weg nach Europa finden. Um genau zu sein: Die USA importierten Waren im Wert von 503 Mrd. Euro, die EU Waren aus den USA im Wert von 347 Mrd. Euro. Hinzu kommen noch die Dienstleistungen: Von der EU in die USA 319 Mrd., von den USA in die EU 427 Mrd. Euro. Rechnet man dies nun gegen, so bleiben (sofern ich richtig gerechnet habe!) 48 Mrd. als Handelsbilanz-defizit der USA bei den EU-Staaten übrig. Sicherlich – für Otto Normal-verbraucher eine gewaltige Summe – betrachtet aber auf das Handels-aufkommen gerade mal 3 %! Das liegt nämlich bei rund 1,6 Billionen Euro! Übrigens: Der Handelsüberschuss zwischen Deutschland und den USA ist nicht der grösste innerhalb der EU! Das wird durch Irland mit 86,7 Mrd. getoppt! Die Erklärung: Wegen der niedrigen Steuern in Irland haben viele Konzerne ihren Sitz auf der grünen Insel. Darunter etwa Pharma-unternehmen (Pfizer, Eli Lilly und Johnson & Johnson), aber auch US-Konzerne ihre Europa-Zentralen wie Apple, Google oder Meta.

.) Auswirkungen

Die letzten Monate seit April haben aufgezeigt, dass Zölle nicht nur diese 3 % (Handelsaufkommen) mit Müh‘ und Not verringern, sondern das gesamte Handelskonstrukt zwischen der EU und den USA gefährden. Als Beispiel: Mercedes muss für die in der EU produzierten PKW beim Import in die USA 10 + 25 % Zoll bezahlen. Das Unternehmen produziert jedoch in den USA auch Autos (vor allem SUVs), die weltweit – so auch in die EU – exportiert werden. Dort wird es nun Gegenzölle geben. Man muss kein Betriebswirtschaftler sein um dieses Problem zu lösen: Die bislang exportierten Fahrzeuge werden nun im Zielland selbst oder einem anderen Staat hergestellt, der nicht durch diese Zollspirale betroffen ist. Das allerdings führt zu weniger Handel zwischen der EU und den USA. Harley Davidson hat so etwa bereits während der ersten Amtszeit Trumps reagiert und die Produktion für den Export nach Brasilien ausgelagert. Somit sind US-Arbeitsplätze massivst gefährdet. Anderes Beispiel: Viele US-Autobauer produzieren selbst aus Kostengründen in Mexiko. Durch die Zölle bzw. den Wiederaufbau der inländischen Produktion rechnen die grössten US-Autobauer mit mehreren Milliarden Dollar Verlust! Ein Beispiel aus Europa: Die Antibiotika-Produktion Europas wurde nahezu zur Gänze nach Fernost ausgelagert. Übrig blieb der Standort von Sandoz im Tiroler Kundl. Dort musste mit erheblichen auch öffentlichen Zuwendungen die eher als klein zu bezeichnende Produktion wieder hochgefahren werden. Der italienische Landwirtschaftsverband Coldiretti hat in diesem Zusammenhang eine Berechnung angestellt. So würden diese 30 % Zoll alleine auf landwirtschaftliche Produkte der Apenninen-Halbinsel die US-Konsumenten und die italienische Landwirtschafts-branche 2,3 Mrd. Euro kosten.

Übrigens zum Schluss noch ein Gedanke: Würde China durch die US-Zölle schwer getroffen, so trifft dies wohl das gesamte Weltwirtschafts-Wachstum!

Factbox:

Erhöhte Zölle gelten ab dem 01. August für 87 Länder, etwas später wohl auch für Russland. Für weitere 102 Staaten gilt dann der Pauschal-Zollsatz von 10 %. Das US-Bundesgericht für internationalen Handel (U.S. Court of International Trade) hat am 28. Mai d.J. geurteilt, dass Präsident Donald Trump seine Befugnisse im Rahmen des International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) überschritten habe. Dieses Urteil wurde allerdings am 10. Juni durch das Berufungsgericht (U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit) ausgesetzt. Am 31. Juli beginnt das Verfahren in Washington D.C. mit den ersten Anhörungen. Unbetroffen davon sind die Zusatzzölle auf Automobile, Stahl und Aluminium. Diese basieren auf der Section 232 des Trade Expansion Act von 1962.

In der Liste der betroffenen Länder finden sich auch zwei Kuriositäten: Die Heard- und McDonaldinseln, 4000 km südwestlich von Australien. Hier leben gerade mal Seevögel, Robben und Pinguine. Nach Angaben der Weltbank wurden von diesen Inseln jedoch im Jahr 2022 Waren im Wert von 1,4 Mio $ in die USA importiert. Und zum Zweiten: Die Insel Diego Garcia! Sie zählt zu den britischen Überseegebieten. Mit Ausnahme eines gemeinsamen US- und britischen Militärstützpunktes ist die Insel aller-dings unbewohnt: Die Einwohner wurden schon in den 1970er Jahren umgesiedelt!

Links:

No Comments »

Engelbert Dollfuß – Held oder Diktator?

Der Mann war tapfer, bereit, sich bis zur letzten Konsequenz für Österreich einzusetzen. Damals habe ich ja alles aus dieser Perspektive gesehen: Wir müssen Österreich erhalten.“

(Otto Habsburg-Lothringen, November 2007)

Bruno Kreisky schrieb in seinen Memoiren über Dollfuss:

…zunächst eine jener Persönlichkeiten zu sein, mit denen sich unter normalen Bedingungen eine akzeptable Zusammenarbeit zwischen Opposition und Regierung hätte herstellen lassen!“

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), im Speziellen der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol, erklärte 2014, dass es im bürger-lichen Lager keinen „Dollfuß-Mythos“ gäbe.

Die katholische Kirche distanziert sich von Engelbert Dollfuß: Bilder werden verhängt, Gedenkschriften in den oberen Teil der Kirche verbracht, Gedenktafeln demontiert, …

Viele Studentenverbindungen des katholischen Cartellverbandes hatten ihm schon zu Lebzeiten die Ehrenmitgliedschaft verliehen.

Was hat es wirklich auf sich mit Engelbert Dollfuß? War er ein öster-reichischer Held oder ein austrofaschistischer Diktator? Und v.a. – was geschah an diesem 25. Juli des Jahres 1934 tatsächlich? Zeit für einen History-Blog!

Engelbert Dollfuß wurde am 18. November 1868 in Texing im Bezirk Melk in Niederösterreich geboren. Eigentlich wollte er Priester werden. Nach Fürsprache durch seinen Pfarrer (Simon Veith) erhielt er ein Stipendium der Diözese für das fürsterzbischöfliche Knabenseminar der Erzdiözese Wien, in welchem er 1913 die Matura mit gutem Erfolg bestand.

Im Anschluss studierte er einige Monate lang Theologie, wechselte aber schliesslich zu den Rechtswissenschaften. Nach Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zum Militärdienst bei den Tiroler Schützen. Mit Aus-zeicnung wurde er aus der Brixener Offizierschule ausgemustert und in Bozen stationiert. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Kommandant einer Maschinengewehrabteilung an der italienischen Front. Insgesamt vierfach dekoriert, setzte er nach Kriegsende sein Studium fort, das er nach einigen Auslandsmonaten in Berlin 1922 in Wien abschloss.

Seine politische Karriere begann Engelbert Dollfuß 1919 als Sekretär beim Bauernbund. Er wirkte mit bei der Errichtung der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, deren Direktor er 1927 wurde. Der spätere Bundeskanzler führte die landwirtschaftlichen Genossenschaften ein, daneben auch die Sozialversicherung für die Bauern und die Arbeits-losenunterstützung für landwirtschaftliche Lohnarbeiter. Daneben wurde er Präsident der Österreichischen Bundesbahnen. Obgleich Dollfuß nie als Abgeordneter im Nationalrat sass, wurde er am 18. März 1931 als neuer Landwirtschaftsminister vereidigt. Am 10. Mai beauftragte Bundes-präsident Wilhelm Miklas Engelbert Dollfuß mit der Regierungsbildung. Er übernahm das Kanzleramt, das Aussenministerium und das Landwirt-schaftsministerium.

Dollfuß liebäugelte mehr mit dem Regime Mussolinis in Italien als mit dem Adolf Hitlers in Berlin, der am 30. Januar 1933 zum deutschen Reichskanzler gewählt wurde. Mussolini war durchaus erfreut über diese Pufferzone Österreichs zwischen ihm und Hitler. Dass er diesem nicht vertraute, zeigen wohl am ehesten die Befestigungen in Südtirol auf, die er als Verteidigungswall errichten liess.

Dollfuß war durchaus rechtsnational eingestellt. So war er u.a. maß-geblich an der Einführung des Arierparagraphen im Cartellverband beteiligt. Daneben suchte er auch zweimal Kontakt zu Arthur Seyß-Inquart, der kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich Innenminister, dann Bundeskanzler war und schliesslich Reichsstatthalter der „Ostmark“. Die zweite Kontaktaufnahme erfolgte kurz vor dem Juliputsch 1934. Im Oktober 1932 umging Dollfuß zum ersten Mal das österreichische Parlament, indem er versuchte, mit dem Kriegswirt-schaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 die Creditanstalt und damit auch die Staatsschulden Österreichs zu sanieren. Um sich abzusichern, ernannte er 1932 den Wiener Heimwehrführer Emil Fey zum Staats-sekretär für Sicherheitswesen. Der verbot als erstes alle Aufmärsche der Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten.

Engelbert Dollfuß führte am 04. März 1933 in einer dringlichen Sitzung des Nationalrates einen Staatsstreich durch. Anlass hierfür war der am 01. März begonnene Eisenbahnerstreik. Er nutzte dafür eine Geschäfts-ordnungskrise. Nachdem es zu Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung gekommen war, traten die drei Nationalratspräsidenten zurück. Damit aber war das Parlament nicht mehr beschlussfähig. Dollfuß sprach von einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ und schaltete das Parlament und den Verfassungtsgerichtshof mittels Notverordnung aus. Er bot dem Bundespräsidenten seinen Rücktritt an, dieser aber betraute ihn mit der Weiterführung der Regierungsgeschäfte. Fortan regierte er durch die Ausschaltung der Legislative und Judikative alleine – also diktatorisch! Er führte die Pressezensur ein und verbot erneut jegliche Veranstaltungen und Aufmärsche. Eine Fortsetzung der damaligen Nationalratssitzung wurde mit Polizeigewalt verhindert. Auch Neuwahlen verhinderte Dollfuß – er befürchtete eine Machtergreifung der NSDAP, wie sie kurz zuvor in Deutschland stattgefunden hatte. Mussolini versuchte zu vermitteln – allerdings ohne Erfolg. Dollfuß traf Mussolini in Rom und kurz danach in Riccione. Der hatte zuvor die Abschaffung des Parteienstaates zugunsten eines Ständestaates gefordert. Dollfuß setzte dies um:

…sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“

Ernst Rüdiger Starhemberg löste den Heimatblock auf und trat mit der Heimwehr in die „Vaterländische Front“ ein, die künftige Einheitspartei. Vor dem zweiten Treffen mit Mussolini wurde am 19. Juni 1933 die NSDAP in Österreich verboten, die Sozialdemokratische Partei später am 12. Februar 1934. Bei der Entwaffnung der radikalen Kräfte des Republi-kanischen Schutzbundes besetzten diese die Sozialwohnanlage Karl-Marx-Hof in Wien und lieferten sich schwere Gefechte mit der Heimwehr und dem Bundesheer. Der Aufstand griff auch auf St. Pölten und Steyr über. Insgesamt gab es über 350 Tote. Am 01. Mai 1934 wurde der austrofaschistische Ständestaat ausgerufen. Soweit die geschichtlichen Fakten.

Nicht einmal in Österreich wurde es begriffen, dass sich der Bundeskanzler deutschnationaler Motive bediente, um den Anschluss zu verhindern.“

(Autor Franz Schausberger)

Nun zu diesem folgenschweren 25. Juli 1934! Ein Revierinspektor der Polizei, der mit der verbotenen NSDAP sympathisierte, wurde von einem Kriminalbeamten gleicher Gesinnung angerufen, dass der „Aktionsplan“ nun anlaufe. Da er sich nicht sicher war, welcher seiner Vorgesetzten Nazi war, wandte er sich an die Vaterländische Front (die Einheitspartei unter Dollfuß). Dort wurde der Anruf nicht ernst genommen. Deshalb suchte er den Kontakt zur Heimwehr. Die Nachricht erreichte den vorhin angesprochenen Major Emil Fey, der sofort weitere Massnahmen einleitete. Er fuhr zur Ministerratssitzung, die zu diesem Zeitpunkt tagte. Dollfuß wies alle Minister an, unmittelbar in ihre Ministerien zu gehen – nur Fey und der Staatssekretär Carl Karwinsky verblieben im Bundes-kanzleramt. Das Bundesheer wurde in Alarmbereitschaft versetzt.

Inzwischen hatten sich in der Halle des Deutschen Turnvereins in der Siebensterngasse rund 150 Angehörige der SS-Standarte 89 versammelt – entlassene Bundesheersoldaten und aktive Polizisten. Sie bewaffneten sich und machten sich in Uniformen des Bundesheeres und der Bundessicherheitswache auf den Weg. Zuvor wurde noch ein Ablenkungs-manöver ausgestreut: Auf den Wagen des Bundeskanzlers sollte am Michaelerplatz ein Attentat verübt werden. Um 12:53 Uhr erreichte der Konvoy der Putschisten den Ballhausplatz. Dort wurden sie aufgrund ihrer Uniformen und des Wachewechsels direkt durchgelassen. Ihr Auftrag lautete: Die Regierung in Geiselhaft zu nehmen! Anstelle des zurück-getretenen Engelbert Dollfußes sollte der frühere steirische Landeshaupt-mann Anton Rintelen die Regierungsgeschäfte weiterführen. Er wartete bereits im Hotel „Imperial“ auf das vereinbarte Zeichen. Die Wachen des Bundeskanzleramtes wurden entwaffnet, die Tore verriegelt. Paul Hudl, Franz Holzweber und Otto Planetta (ein unehrenhaft entlassener Stabs-wachtmeister), alle zusammen ehemalige Bundesheerangehörige, durch-suchten die Stockwerke. Staatssekretär Karwinsky und der Portier Hedvicek versuchten den Bundeskanzler durch das Staatsarchiv und dem Nebenausgang zum Minoritenplatz in Sicherheit bringen. Dort jedoch stiessen sie auf die Männer um Planetta. Ob nun dieser auf die Männer geschossen hat, oder sich ein Schuss bei einem Handgemenge mit Dollfuß löste, ist nach wie vor nicht bekannt. Gerichtsmediziner aber betonten, dass sich der Schuss aus rund 15 cm löste und den Bundes-kanzler im Halswirbelbereich traf. Er dürfte aufgrund dessen gelähmt worden sein und verstarb später durch Verblutung. Seiner Bitte nach einem Priester kamen die Putschisten nicht nach.

Inzwischen hatten andere Putschisten das Funkhaus der Rundfunkgesell-schaft RAVAG besetzt und den Moderator zu folgenden Durchsage gezwungen:

Die Regierung Dollfuß ist zurückgetreten. Dr. Rintelen hat die Regierungsgeschäfte übernommen.“

Es sollte das Zeichen für die SA-Kameraden in den Bundesländern sein, den Aufstand auch dort zu beginnen – gottlob erfolglos. Nur in der Steiermark und Kärnten fanden kleinere Gefechte statt. Die Funkhaus-besetzer konnten rasch durch die Polizei überwältigt werden.

Bundespräsident Wilhelm Miklas hatte inzwischen in seinem Urlaub aus Kärtnen den bisherigen Justiz- und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg mit der provisorischen Übernahme der Regierungsgeschäfte beauftragt. Welche Rolle nun Fey zukam, bleibt wohl auch weiterhin unbeantwortet. Die Putschisten verwendeten ihn als Vermittler, angeblich soll ihm in der Regierung Rintelen der Posten des Sicherheitsministers angeboten worden sein. Die Spekulationen des sozialdemokratischen Juristen Fritz Kreisler gehen davon aus, dass er sogar den zweiten Schuss auf Dollfuß abgegeben haben soll, dessen Spuren die Gerichtsmediziner zutage beförderten. Oder war es der Sicherheitswachebeamte Franz Leeb, der dies am Abend der Tat seinem SS-Kameraden Wilhelm Kern gestanden haben soll? Oder der SS-Untersturmführer Otto Käfinger? Auch die Nazis in Berlin hätten dies gerne geklärt gehabt. So stellte Reichsführer-SS Heinrich Himmler eine Historiker-Kommission zusammen – ein Ergebnis blieb aus. Wer diesen brutalen und mehr als unehrenhaften Schuss auf einen unbeweglichen Sterbenden tatsächlich abgegeben hatte, bleibt ebenso im Verborgenen. Fey beging am 16. März 1938 mit seiner Familie Selbstmord! Drei Tage nach dem Beschluss des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und einen Tag nach dem Einmarsch Hitlers in Wien. Dollfuß verstarb um 15.45 Uhr – zuvor soll er noch Fey instruiert haben, Kontakt mit Mussolini auf-zunehmen, damit sich dieser um seine Frau und die Kinder kümmere.

Die Putschisten gaben kurz nach 19.00 Uhr auf. Ein Militärgerichtshof verurteilte neben 12 anderen auch Planetta wegen Mordes zum Tode – er wurde am 31. Juli gehängt, viele andere und auch Rintelen erhielten lebenslang. Andere konnten nach Hitlerdeutschland fliehen.

Adolf Hitler muss von diesem Putschversuch gewusst haben. Nach einer Eintragung im Tagebuch Joseph Goebbels traf er sich mit den Haupt-verantwortlichen des Putsches kurz zuvor in Berlin. Dass jedoch Bundes-kanzler Engelbert Dollfuss dabei umgebracht würde – das entsprach nicht dem Plan Hitlers. Mussolini reagierte sehr rasch und entsandte noch am 25. Juli Truppen an die österreichisch-italienische Grenze. Hitler soll getobt haben.

Filmtipp:

.) Engelbert Dollfuß: „Arbeitermörder“ oder verklärter Märtyrer; ORF-Doku 2002

.) Das Attentat – Der Tod des Engelbert Dollfuß; 1967

Lesetipps:

.) „Der Führer bin ich selbst.“ Engelbert Dollfuß – Benito Mussolini. Briefwechsel; Hrsg.: Wolfgang Maderthaner; Löcker 2004

.) Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen; Lucile Dreidemy; Böhlau 2014

.) Das Dollfuß-Regime in Österreich; Heinrich Bußhoff; Duncker & Humblot 1968

.) Mein Vater – Hitlers erstes Opfer; Eva Dollfuss: Amalthea 1994

.) Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuss I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie; Franz Schausberger; Böhlau 1993

.) „Sommerfest mit Preisschießen“. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934; Hans Schafranek; Czernin 2006

.) Wir werden ganze Arbeit leisten … Der austrofaschistische Staatsstreich 1934; Hrsg.: Stephan Neuhäuser; BOD 2004

.) Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938; Emmerich Tálos; Lit 2013

.) So sprach der Kanzler. Dollfuss’ Vermächtnis. Aus seinen Reden; Anton Tautscher; Baumgartner 1935

.) Die Altersfürsorgerente in der Land- u. Forstwirtschaft Österreichs. Eine Anleitung für Oberösterreich; Engelbert Dollfuß/Hans Walter; Agrarverlag 1929

.) Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten; Bruno Kreisky; Siedler Verlag und Kremayr & Scheriau 1986

Links:

  • hdgoe.at
  • hpb.univie.ac.at
  • zeitgeschichte.univie.ac.at
  • www.demokratiezentrum.org
No Comments »

Dalai Lama – Seine Heligkeit ist 90!

Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen.“

(Der Dalai Lama im Januar 2015 anlässlich des islamistischen Terror-anschlags auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“)

Eigentlich heisst er ja Lhamo Döndrub, doch die ganze Welt kennt ihn unter „Dalai Lama“! Um genau zu sein: Den 14. Dalai Lama! Doch dazu mehr etwas später. Geboren wurde Lhamo Döndrub am 06. Juli 1935 in Takster/Region Amdo in Osttibet. Als eines von ingesamt 16 Kindern (!) einer Bauernfamilie – fünf Buben und zwei Mädchen überlebten die Kind-heit. 1933 verstarb der 13. Dalai Lama ohne einen Nachfolger zu bestimmen. Viele Mönche schwärmten daraufhin aus, um den nächsten „Yishi[n] Norbu“ (Wunscherfüllendes Juwel) zu finden. Und vier Mönchen gelang das Unmögliche, als sie den Zweijährigen ded Paares Dekyi und Chökyong Tshering entdeckten. Er soll einen als Diener verkleideten Lama direkt erkannt und einige Gegenstände aus dem Besitz des 13. Lamas sofort an sich genommen haben. Die Mönche wollten den Kleinen gleich mitnehmen – hatten aber nicht mit dem Provinzgouverneur gerechnet: Nach zweijährigen Verhandlungen erhielt dieser eine Freikauf-summe in stattlicher Höhe. Im Alter von vier Jahren kam Lhamo schliesslich in Lhasa an, wo er im Rahmen des Neujahrsfestes Losar am 22. Februar 1940 inthronisiert wurde. Trug er zuvor den Mönchsnamen Tenzin Gyatso, so hiess er nun „Jetsün Jampel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso“ (Heiliger Herr, gütiger Herr, mitfühlender Verteidiger des Glaubens, Ozean der Weisheit). 1948 begann die Freundschaft zu dem österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer, der ihn noch bis 1951 begleitete. Auch später besuchte der Dalai Lama häufig noch Harrer in dessen Heimat Kärnten. Im Jahre 1950 wurde das religiöse Oberhaupt der Tibeter auch das weltliche. Aufgrund des wachsenden Drucks von Mao Zedong und seiner Volksrepublik China verliess der Dalai Lama mitsamt seines ganzen Regierungsstabrs Lhasa in Richtung Dromo an der indischen Grenze. Nachdem chinesische Truppen in der osttibetischen Provinz Chamdo einmarschierten, erhielt Peking am 24. Oktober 1951 die telegrafische Zusage zum sog. „17-Punkte-Abkommen“ zur Rettung Tibets. Demgemäss sollte Tibet die Religionsfreiheit und die innenpoli-tische Autonomie erhalten bleiben, China jedoch übernahm den Aussenhandel, die Aussenpolitik und alle militärischen Agenden. Der Dalai Lama betonte später stets, dass er das Abkommen nur deshalb unterzeichnet habe, um Tibet vor der kompletten Zerstörung duch China zu bewahren. 1954 reiste der er auf Einladung der chinesischen Regierung nach Peking. Dort wurde er zum Abgeordneten und etwas später zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Am 10. März 1959 begann der Tibetaufstand gegen die Vorherrschaft der Chinesen. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand zwar noch auf dem Papier eine weltliche Führung Tibets, danach allerdings nicht mehr. Der Dalai Lama floh nach Indien. Auch heute noch residiert er in Dharamsala im Exil. 1989 erhielt er den Friedensnobelpreis (im Westen gilt er nach wie vor als „Botschafter des Friedens“), 2005 den Hessischen Friedenspreis. Sechs Jahre später trat er von all seinen politischen Ämtern zurück. Er bat die Exilregierung darum, dass demokratisch gewählte Volksvertreter ihn ersetzen sollen.

In all den Jahren seither möchte er im Rahmen von Vortragsreihen, aber auch durch seine vielen Schriften die Menschen zu einem friedfertigen, konstruktiven und mitfühlenden Dialog miteinander veranlassen – die Grundlagen des tibetischen Buddhismuses. Eine sehr intensive Freund-schaft verband ihn übrigens auch mit Papst Johannes Paul II. Sein persönliches Interesse gilt der Wissenschaft – immer wieder ist er als Gast oder Vortragender bei Wissenschaftskongressen zu sehen.

2005 meinte der Dalai Lama, der Krieg sei veraltet. Ziel sei eine demilitarisierte Welt. 2009 unterzeichnete er, gemeinsam mit 16 anderen Nobelpreisträgern, eine Petition zum Verzicht nuklearer Waffen, die an den damaligen US-Präsidenten Barack Obama übergeben wurde. Schon 1998, nach den ersten Kernwaffentests Indiens und Pakistans, forderte er die Eliminierung der Atomwaffen. Für Tibet wünscht er sich eine Republik in der Volksrepublik China, um höchstwahrscheinlich nicht noch mehr Benzin in das Feuer zu giessen. Peking hatte ihm schon zuvor Separa-tismus vorgeworfen. Vielen Tibetern hingegen geht das zu wenig weit – sie fordern die komplette Unabhängigkeit Tibets. Schon jetzt laufen die Diskussionen über seine Nachfolge. China will hierbei unbedingt ein Machtwort mitreden. Der Dalai Lama hingegen meinte selbst, dass er wiedergeboren würde – gleichgültig ob als Mann oder Frau! Auch im Buddhismus ist diese Weissagung aussergewöhnlich! Schliesslich soll Buddha selbst bei der Gründung eines Frauenordens betont haben, dass mit einem weiblichen Orden die buddhistische Lehre anstatt über 1000 Jahre nur 500 Jahre Bestand haben wird. Es ist davon auszugehen, dass er sich selbst mit dieser Aussage korrigieren will. Im Jahr 2010 meinte er zum Thema einer Frau als Dalai Lama:

Wenn sie eine hässliche Frau ist, wird sie nicht sehr effektiv sein, oder?“

Neun Jahre später relativierte er seine Aussage und betonte, dass die wahre Schönheit die innere Schönheit ist, für die Menschen aber auch das Äussere sehr wichtig sei. Das gab natürlich wieder Anlass zur Kritik. Der Dalai Lama entschuldigte sich bei jenen Menschen, die er durch seine Aussage verletzt habe. Dabei war das nur ein Nebensatz in einem Interview mit dem Frauenmagazin Vogue. Die Chefredakteurin hatte Seine Heiligkeit gefragt, ob denn auch eine Frau Dalai Lama werden könnte. Dieser meinte daraufhin:

Sicher, wenn das hilfreicher wäre!“

Und dann kam der Nebensatz – als Scherz gemeint! Der amtierende Dalai Lama ist bekannt für seine Scherze, betont auch die Professorin für Religionswissenschaft und Tibet-Expertin Karénina Kollmar-Paulenz auf eine Aktion hin, die der Dalai Lama vor laufenden Kameras einem Kind gegenüber machte, was weltweit für einen Aufschrei sorgte: Er küsste es auf den Mund und streckte ihm die Zunge raus.

Der Dalai Lama scheint sich nicht bewusst gewesen zu sein, dass sein Verhalten in anderen Ländern als sexuell aufgefasst werden könnte.“

Genauer wird das Ganze durch die Schwester des Dalai Lama, Jetsun Pema, erklärt:

… absolut normales Zeichen, wenn Kinder alles haben wollen und man ihnen signalisiert, dass es nichts mehr gibt. Dann strecken Erwachsene ihre Zunge heraus und sagen: ‚Jetzt kann ich dir nur noch meine Zunge geben.‘ Es ist liebevoll und als Scherz gemeint.“

Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich der Dalai Lama schon seit den 1960er Jahren für die SOS-Kinderdörfer engagiert. Damals vornehm-lich für tibetische Flüchtlingskinder in Indien. Daneben engagiert sich der 14. Dalai Lama für die Organisation Sea Shepherd (gegen den Walfang) und ist Schirmherr der „Action for Happiness“, einer Bewegung für eine glücklichere und fürsorglichere Gesellschaft.

Zur Migrations-Debatte riet er in einem BBC-Interview, dass Europa die Flüchtlinge aufnehmen und ausbilden sollen, was sie dann zum Wieder-aufbau ihrer Heimat nutzen können.

Schon 1996 riet er allen Tibetern, sich von der Shugden-Verehrung loszusagen – es sei eine sektiererische Haltung! Ein Jahr später schlossen sich drei hochrangige Mönche dieser Meinung an – sie wurden allesamt Opfer von Gewaltverbrechen. Dorjen Shugden wird im tibetischen Buddhismus seit dem 17. Jahrhundert als Schutzgottheit verehrt – positiv als erleuchtender oder weltlicher Dharmabeschützer, negativ als böswilliger Geist: Hierbei ist sich der tibetische Buddhismus nicht einig!

Den Schreiberling dieser Zeilen verbindet eine grosse Hochachtung vor dem Dalai Lama in seiner Funktion, aber auch vor dem Menschen Lhamo Döndrub. Möge ihm ein noch langes und gesundes Leben gegönnt sein. Er ist einer der immer weniger werdenden Mahner für den Frieden und dem Miteinander der Menschen, in einer immer grösser werdenden Welt des Hasses! Alles Gute zum 90sten!

Doch lassen Sie uns nun gemeinsam einen Blick zurück werfen – was hat es wirklich mit dem Dalai Lama und Tibet auf sich?

Die Geschichte der Dalai Lamas beginnt mit Gendün Drub (geboren 1391, gestorben 1475). Er begründete das Kloster Trashilhünpo, war einige Zeit auch dessen Abt und wurde posthum zum Dalai Lama erklärt. Auch dem zweiten Dalai Lama, Gendün Gyatsho, wurde der Titel posthum verliehen.

Im tibetischen Buddhismus gilt der Dalai Lama als „Erleuchtetes Wesen“, als „Ozeangleicher Lehrer“, der aus blossem Mitgefühl als Reinkarnation Avalokiteshvaras stets wiedergeboren wird. Nach seinem Tod werden hochrangige Mönche zu Findungskommissionen vereint, mit dem Ziel die Wiedergeburt des Erleuchteten zu finden. Beim aktuellen Dalai Lama suchten insgesamt drei solcher Kommissionen. Nach der offiziellen Findung erhält der junge Dalai Lama eine klösterliche Ausbildung. Erstmals taucht der Begriff im Jahre 1578 auf, als der mongolische Fürst Altan Khan seinen spirituellen Lehrer Sönam Gyatsho so bezeichnete – es war der 3. Dalai Lama! Nicht seit jeher war der Dalai Lama auch das weltliche Oberhaupt Tibets. Dies geschah erst am 03. Mai 1642 – an diesem Tag erklärte der westmongolische Fürst Hushri Khan den 5. Dalai Lama, Ngawang Lobsang Gyatsho, zur obersten Autorität ganz Tibets. Dies wirft allerdings auch ein Problem auf: Zwischen dem Tod des vorhergehenden und der Volljährigkeit der Reinkarnation ist Tibet politisch gesehen ohne Staatsoberhaupt. Dies führte in der Vergangenheit stets zum Einmarsch fremder Truppen in dieses Land. Darunter auch das kaiserliche China anno 1720. Nach den Chinesen kamen 1904 die Briten und schliesslich erneut die Chinesen unter General Zhao Erfeng, der am 12. Februar 1910 in Lhasa einmarschierte. Interne Probleme liessen die Chinesen jedoch rasch wieder abrücken – war es beim ersten Mal der Boxeraufstand, so begann im Oktober 1911 die chinesische Revolution. Der 13. Dalai Lama, Thubten Gyatsho, nutzte dies, um eine eigene Armee und eine Polizei aufzubauen. Das kostete ihn beinahe den Kopf, als das Militär putschen wollte. Deshalb suchte er in konservativen Mönchskreisen nach Verbündeten. Sein Tod am 17. Dezember 1933 kam sehr überraschend nach einem eigentlich als harmlos eingestuften Leiden. Deshalb wird bis heute spekuliert, ob nicht Gift die eigentliche Todesursache war.

Filmtipps:

  • Ein Leben für Tibet; Albert Knechtel/Thea Mohr 2005
  • Kundun; Martin Scorsese 1997
  • Sieben Jahre in Tibet; Jean-Jacques Annaud 1997

Lesetipps:

.) Die Lehren des tibetischen Buddhismus; Dalai Lama; Goldmann 1998

.) Das Buch der Freiheit. Die Autobiographie des Friedensnobelpreis-trägers; Dalai Lama; Bastei Lübbe 2004

.) Der Appell des Dalai Lama an die Welt Ethik ist wichtiger als Religion; Dalai Lama; Benevento 2024

,) Mitgefühl und Weisheit – Ein Gespräch mit Felizitas von Schönborn; Dalai Lama/Felizitas von Schönborn; Diogenes 2004

.) Die Geschichte der Dalai Lamas. Göttliches Mitleid und irdische Politik; Roland Barraux; Komet 2000

.) Das geheime Leben der Dalai Lamas; Alexander Norman; Lübbe 2007

.) Die Dalai Lamas. Tibets Reinkarnationen des Bodhisattva Avalokiteshvara; Hrsg.: Martin Brauen; Arnoldsche Verlagsanstalt 2005

.) Die vierzehn Wiedergeburten des Dalai Lama; Karl-Heinz Golzio/Pietro Bandini; O.W. Barth 2002

.) Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs; Colin Goldner; Alibri 1999

.) Religion und Politik im tibetischen Buddhismus; Michael von Brück; Kösel 1999

.) The Biographies of the Dalai Lamas; Yá Hánzhāng; Foreign Languages Press 1993

Links:

No Comments »

Agrarpatente – irgendwann hört der Spass auf!

Ein durchaus umstrittenes und damit heisses Thema, über das ich heute informieren möchte: Patente auf Tiere und Pflanzen! Angeschnitten habe ich dieses Thema bereits im meinem Text über die alten Sorten. Der damalige Saatgut-Riese Monsanto (heute zur deutschen Bayer AG gehörend) wollte damals Patente auf all seine Produkte, sodass die weltweite Landwirtschaft praktisch nurmehr die von ihm hergestellten Waren benutzen und dafür natürlich Lizenzen bezahlen sollte. Das wäre das Ende von Eigenzüchtungen und damit auch der alten Sorten gewesen.

Was aber hat sich seither geändert? Vieles, gleichzeitig aber eigentlich doch nichts! Ein kleines Beispiel? Am 15. Oktober 2024 wurde der Einspruch von „Keine Patente auf Saatgut“ gegen das Patent auf kälte-toleranten Mais der Firma KWS (EP 3380618) zurückgewiesen, obgleich Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Pflanzensorten in der EU nicht zulässig sind. KWS hatte das Patent im Jahre 2016 angemeldet, um damit auch Mais in nördlicheren Regionen anbauen zu können. Das ist alsdann die Begründung des Europäischen Patentamtes (EPA): Das Verbot ist nur auf Patente anzuwenden, die nach dem 01. Juli 2017 ange-meldet wurden! Sehr schwer zu verstehen!

Gegenbeispiel: Am 30. Oktober 2018 widerrief das EPA in München den Patentschutz auf ein Patent, das 2013 auf den „Super-Brokkoli“ von Monsanto (EP 1597965) erteilt wurde. Dieser Brokkoli ist eine besonders langhalsige Pflanze, damit sie besser geerntet werden kann. Schon 2014 protestierten Patent-Gegner vor dem EPA und überreichten 75.000 Unterschriften. Gemeinsam mit einem Konkurrenten Monsantos legten sie Einspruch gegen das Patent ein und erhielten Recht.

Der Widerruf des Patents erfolgt als Konsequenz der Umsetzung dieser Regelung in die Praxis.“

(Rainer Osterwalder, Pressesprecher des EPAs)

Im Speziellen geht es dabei um die Erteilung von Patenten auf Pflanzen aus konventioneller Züchtung. Dennoch hatte das EPA bis November 2018 rund 80 solcher Patente erteilt (Pflanzen und Produkte daraus). Soll heissen, wenn der Kleingarteninhaber oder Bio-Bauer ohne der Hilfe der Gentechnik eine neue Züchtung präsentiert und diese als Patent anmelden möchte, so sollte dies rechtmässig eigentlich nicht möglich sein. Diese Regelung aber gilt nicht für gentechnische Änderungen in der Züchtung – diese sind nach wie vor patentierbar. Der angesprochene US-Konzern jedoch ist selbstverständlich bekannt für seine konventionellen Züchtungen! Hätten sie damals die gentechnische Veränderung einge-standen, so wäre dies unter den Patentschutz gefallen. Doch: Gentech-nisch veränderte Pflanzen und deren Produkte müssen in der EU eindeutig gekennzeichnet sein. Stellt sich nun die Frage, wieso dieser Brokkoli als konventionelle Züchtung patentiert wurde?!

Zurück zum kältetoleranten Mais! Er stammt angeblich tatsächlich aus der konventionellen Züchtung! Das Unternehmen spricht von „Zufallsmuta-genese“ – die gentechnisch relevanten Anlagen wurden in bereits existierenden Pflanzenlinien entdeckt, die schon seit längerer Zeit zur Züchtung eingesetzt werden. Stellt sich hier erneut eine Frage: Wieso wurde der spezielle Mais patentiert, wenn er aus konventioneller Züchtung stammt?!

Und jetzt kommt der Knackpunkt: Besteht kein Patent, so können Züchter ohne Problem auf Züchtungsmaterial (Saatgut) zurückgreifen – das ist das „Züchterprivileg“. Und nun sind wir wieder dort, wo Monsanto damals die EU haben wollte: Dem Saatgut-Monopol! Besteht ein solches Agrar-Patent, so dürfen Zuchtunternehmen, aber auch kleine Garten-Züchter nurmehr auf das Saatgut des Patentträgers zurückgreifen und müssen selbstverständlich dafür bezahlen.

Grietje Raaphorst-Travaille vom niederländischen Zuchtunternehmen Nordic Maize Breeding bringt die Problematik auf den Punkt:

Vermutlich wurden diese Pflanzen bereits jahrelang zur Zucht eingesetzt, bevor das Patent angemeldet wurde. Es scheint jetzt unklar, ob Pflanzen mit diesen Erbanlagen auch in Zukunft zur Zucht frei verwendet werden können. Wir können unsere Sorten nicht einmal nach den speziellen Genabschnitten durchsuchen, weil sogar die entsprechenden Nachweisverfahren patentiert wurden. Derartige Patente können der konventionellen Züchtung den Boden unter den Füßen wegziehen.“

Soll heissen, dass Züchter, die dieses Saatgut seit Jahren verwenden, plötzlich dafür bezahlen müssen – möglicherweise gar rückwirkend! Ansonsten ist der weitere Anbau – und damit auch die weitere Gewinnung von Saatgut – verboten und zieht sehr hohe Strafen mit sich!

Im Jahr 2024 erteilte das EPA 20 neue Patente auf konventionelles Saatgut – wie ist das möglich? Insgesamt sind rund 1.300 Pflanzensorten von derartigen Patenten betroffen, die es eigentlich gar nicht geben dürften.

Das Europäische Patentamt und die Saatgut-Industrie zerstören mit diesen Patenten die Grundlagen der europäischen Pflanzenzucht. Noch nie war der Zugang zu konventionell gezüchteten Pflanzensorten so stark durch Patente behindert wie heute!“

(Johanna Eckhardt von Keine Patente auf Saatgut!)

Bereits 2023 erteilte das EPA 20 Patente auf Pflanzen konventioneller Züchtungen – dabei u.a. Gurken, Mais, Melonen, Paprika, Raps, Spinat, Tomaten und Weizen. Nach Angaben von „Keine Patente auf Saatgut!“ waren etwa folgende Unternehmen die Nutzniesser davon: Nunhems/BASF, Enza Zaaden, KWS, Rijk Zwaan, Seminis/Bayer und ChemChina/Syngenta. Der österreichische Verein Arche Noah erklärt, wie dies möglich ist: Damit eine Patentierung umgesetzt werden kann, werden in der modernen Gentechnik mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas spezielle Merkmale konventioneller Pflanzen kopiert. Diese Patente, die dann mit Hilfe der Gentechnik erzielt wurden, beschränken sich jedoch nicht nur auf die Gentechnik sondern – wie bereits kurz angesprochen – auch auf die Erfolge der konventionellen Züchtung durch Zufallsmutationen. Jene Züchter müssen dann Lizenzgebühren entrichten, obgleich die Züchtung möglicherweise sogar von ihnen selbst gemacht wurde. Ansonsten ruft der Richter.

Sehr peinlich ist in dieser Hinsicht das Moratorium des EPAs zur Prüfung von Patenten auf Pflanzen und Tiere. Nachdem das EU-Patentamt 2018 bemerkt hatte, dass widersprüchliche Entscheidungen bei der Prüfung von Saatgut gefällt worden sind, wurden die Prüfungen derartiger Patentanträge ab Anfang 2019 ausgesetzt. Ein Jahr später allerdings hob der Präsident des Europäischen Patentamtes, António Campinos, diese Aussetzung auf, obgleich nach wie vor viele Unklarheiten bestanden. Im Mai 2020 bestätigte die Grosse Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes, dass Pflanzen und Tiere aus herkömmlichen Züchtungs-verfahren nicht patentiert werden dürfen. ÄHM!? 2018 wurden Einsprüche etwa auf Patente durch herkömmliche Züchtung der Firma Carlsberg (Gerste und Bier) abgewiesen. Dem Schreiberling dieser Zeilen sei hierzu das Zitat eines Bibelspruches erlaubt: „ …, sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23:34, Lutherbibel 1912).

Das Patentrecht wird sonst dazu missbraucht, um sich Kontrolle über die Landwirtschaft und die Grundlagen unserer Ernährung zu verschaffen.“

(Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuer-liche Landwirtschaft AbL)

Und damit wieder zurück zum Anfang: Das Urteil, wonach Patente, die vor dem 1. Juli 2017 eingereicht wurden, nicht beeinsprucht werden können, ist kontraproduktiv! Damit bleibt eine Vielzahl der Patente, die eigentlich widerrechtlich zugelassen wurden, bestehen. Hier müsste das EPA von amtswegen tätig werden und das Patent neu überprüfen.

Die vorhergehende Umweltministerin Österreichs, Leonore Gewessler (Grüne), sieht den Alpenstaat federführend in der EU – zumindest in dieser Problematik auf dem durchaus richtigen Weg:

„ … fortschrittliche Regeln, die Patente auf Leben verhindern und sicherstellen, dass die heimische Landwirtschaft geschützt ist”

Applaus hierzu kommt etwa von Saatgut Austria, aber auch der Arche Noah:

Die österreichische Bundesregierung zeigt mit dem neuen Patentrecht vor, wie ein wirksamer Ausschluss von der Patentierbarkeit aussieht. Österreich wird damit Vorreiter in Europa!“

(Volker Plass, Geschäftsführer von Arche Noah)

Ende vergangenen Jahres wurde durch die deutsche Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Gutachten vorgelegt, das am 9. Dezember 2024 auch dem EU-Parlament vorgestellt wurde. Es kommt zu dem Schluss, ob entsprechende Vorlagen des EU-Parlaments und des EU-Ministerrates real überhaupt umsetzbar sind. „Keine Patente auf Saatgut“ begrüsst im Grossen und Ganzen den Vorstoss der deutschen Grünen, kritisert jedoch dabei, dass internationale Verträge abgeändert werden müssten, um ein solches Ziel zu erreichen – so beispielsweise das „Europäische Patentübereinkommen“ (EPU). Hier gehe das Gutachten zu wenig differenziert vor, wodurch erneut zu viele rechtliche Spielräume offen blieben. Ohne einen solchen weiteren politischen Schritt bleibt es wohl vorerst bei Lippenbekenntnissen, wie etwa dem 2. Patenten-Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft zu neuen Gentechniken vom 6. Februar 2025, in dem nach Meinung des AbL mehr den Wünschen und Vorstellungen der Patentinhaber und Konzernen entsprochen wird, als jenen der mittelständischen Pflanzenzüchter.





Links:

No Comments »

Diesen nachfolgenden Blog habe ich am Vormittag des 21. Junis 2025 online gestellt! Dass der US-Präsident noch am selben Tag den Einsatzbefehl gegeben hat, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht voraus-sehen!

No Comments »

WP Login