Wenn die wahre Realität verloren geht
Posted on 07/26/25 by Ulsto„Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die richtige Wirklichkeit ist.“
(Hilde Domin, dt. Schriftstellerin)
Die Corona-Krise hat es wohl in aller Härte wie bislang noch nie aufgezeigt: Das Internet kann verrückt machen! Die Hamsterkäufe von Toilettenpapier, Mehl, Hefe etc. waren allesamt das Produkt von Panik-mache über die Social Medias mit dem Effekt, dass die Produkte teurer werden. . Durch die Ausgangsbeschränkungen waren noch weitaus mehr Menschen noch weitaus länger im World Wide Web als in normalen Zeiten. Da schaukelt man sich gegenseitig emotional hoch – ein wahrhaftiges Paradies für Fake News-Maker. Ein nicht zu unterschätzen-des Risiko, schliesslich droht hier der Realitätsverlust!
Wer sich trotz all dieser Negativmeldungen zum Einkauf in den Super-markt getraut hat, konnte feststellen, dass von allem noch (oder wieder) genug da war. Er konnte jedoch auch feststellen, wenn er zum Beispiel im Discounter einkaufen sollte, dass gewisse Gesellschaftsschichten anfäl-liger sind als andere. Wissenschaftler warnen schon seit Jahren vor dem exzessiven Gebrauch von beispielsweise PCGames, aber auch dem Internet. In beiden Fällen droht der Verlust des Realitätssinns – die Sucht wird deshalb seit Juni 2018 durch die WHO als „substanzungebundene Sucht“, also als psychische Krankheit im Rahmen der ICD-11-Erkran-kungen eingestuft – trat mit dem 1. Januar 2022 in Kraft. Besonders problematisch in dieser Hinsicht ist die sog. „Gaming Disorder“, also die Computerspielesucht. Auf diese möchte ich heute aber nicht im Speziellen eingehen, sondern das Problem allgemeiner halten. Wenn Sie die nun folgende Frage mit „Ja!“ beantworten können, sollten Sie auf jeden Fall diesen Blog bis zum Ende durchlesen:
„Sind Sie öfter als 30 Stunden die Woche im Internet?“
Facebook, Twitter, Instagram oder vor allem WhatsApp – in den Social Medias ist jegliches Zeitgefühl zumeist sehr schnell verloren! Dennoch lässt es sich nicht genau bestimmen, ab wann der Zeitvertreib zur Sucht wird. Deshalb gehen die meisten Experten inzwischen von einem anderen Erscheinungsmuster aus: Tritt ein Kontrollverlust mit erheblichen Auswir-kungen auf das soziale Leben und die Arbeitsfähigkeit ein, so ist die Schwelle zur Sucht überschritten! Das kann beim Mann in den Midlife-Crises sein, der stets neue Sexfotos oder -filme sucht, bei den Kaffee-tanten, die sich via SoMes jede Neuigkeit sofort zusenden müssen oder auch beim Teen, der nahe am Kollaps steht, wenn das Handy verlegt wurde und somit nicht gechattet werden kann. Es ist dieser nicht zu unterbindende innerliche Drang, stets einen Computer (in welcher Grösse oder Erscheinungsform auch immer) in greifbarer Nähe haben und ihn bedienen zu müssen. Betroffene Menschen reagieren oftmals stark gereizt und nervös. Das stärkste Zeichen einer Sucht jedoch ist es, wenn jemandem diese Sucht bewusst ist, man ihr aber hilflos gegenüber steht, dies also nicht in den Griff bekommen kann. Ob Drogen, Alkohol, Nikotin oder Computer – diese Abhängigkeit bleibt immer gleich.
Doch – was steckt wirklich dahinter? Ähnlich wie bei den Drogen oder dem Alkohol ist es vornehmlich die Flucht vor der Realität. In eine Welt, die vermeintlich besser ist, in welcher man Gleichgesinnte findet oder wo man sich als jener ausgeben kann, der man immer schon sein wollte. In die Risikogruppe fallen vornehmlich Menschen mit Problemen im privaten Bereich, der Arbeit oder Schule und jene, die unter einem mehr oder weniger starken Minderwertigkeitskomplex leiden. Auch Personen ohne soziale Kompetenz, mit nur eingeschränktem Freundeskreis sind gefährdet! Millionen User alleine im deutschsprachigen Raum sind hier-von betroffen. Alleine in Deutschland sind 560.000 Menschen bereits als virtuell-süchtig gemeldet, 2,5 Mio weitere werden als „problematische Internetnutzer“ bezeichnet.
Sie flüchten in eine Scheinwelt, aus der viele nurmehr schwer heraus-finden. Vor allem nicht ohne Unterstützung. Übrigens steht dieser Realitätsverlust auch am Beginn der Schizophrenie und der organischen Psychose.
Wie bei jeder exzessiven Sucht hinterlässt auch die Computersucht tiefe Spuren in der Psyche eines Menschen. So mancher Experte weiss zu berichten, dass die Online-Sucht schwieriger und gar gefährlicher als die Alkohol- und Nikotinsucht ist. Wenn ein klärendes Gespräch keine oder nur wenig Wirkung zeigt, sollten Experten zu Rate gezogen werden. Auch Suchthilfeorganisationen können hierbei weiterhelfen. So betont die Spielsuchtberatung der Stadt Klagenfurt (auch zuständig für Internet-sucht), dass es teilweise bis zu zehn Jahre dauere, bis sich ein Spiele-Süchtiger die Sucht eingesteht. Inzwischen haben sich Schulden ange-häuft, ist das Aggressionspotenzial gestiegen und die reale Welt durch die Spielewelt ersetzt worden, betont die Psychologin Petra Hinteregger von der Suchtberatung. Keinesfalls sollten die Symptome auf die leichte Schulter genommen werden. Vor allem Kindern und Jugendlichen droht oftmals gar der Realitätsverlust, meint der Neurobiologe und Autor Gerald Hüther! So fehle dem wachsenden Kind oder Jugendlichen mit jeder Stunde vor dem Computer auch eine Stunde, sich im wirklichen Leben weiterzuentwickeln, so Hüther. Irgendwann überwiegt die Schein-welt gegenüber der Realwelt – die Grenze ist überschritten. Nach den Untersuchungen der JIM-Studie 2024 (Jugend, Information, Medien) besitzen 93 % der deutschen Jugendlichen zwischen 12-19 Jahren ein Handy bzw. Smartphone. 98 % der Mädchen und 97 % der Jungen sind zumindest täglich im Internet – 96 % der Mädchen und 91 % der Jungen nutzen dafür das eigene Smartphone (38,7 h/Woche). Insgesamt erklärten die befragten Jugendlichen, 71,5 Stunden pro Woche im Internet zu sein (2023 waren es noch 69,9 Stunden). Hinzu kommen aber noch die anderen Bildschirmzeiten vor dem Fernseher oder dem PC! Alles in allem beläuft sich die Bildschirmzeit auf dieselbe Dauer wie die tägliche Schulzeit!
Diese Menschen finden sich zumeist in der wirklichen Gesellschaft nicht mehr zurecht – sie greifen nurmehr auf ihre digitale Friends zurück. Hüther bezeichnet dies als „Verinnerlichung virtueller Vorstellungs-welten“. Hirnforscher machten die Entdeckung, dass jene Hirnregion, die die Bewegungen der Daumen steuert, aufgrund des exzessiven Handyge-brauchs seit geraumer Zeit wächst. Das Gehirn strukturiert sich nach neuen Erfordernissen um. Gleiches stellten Wissenschaftler in bereits älteren Tests mit Gaming, Alkohol und Cannabis fest. In allen drei Bereichen führen die positiven Belohnungen zur Ausschüttung des Glückshormons Dopamin (klassische Konditionierung). Somit versucht der Betroffene immer mehr des Dopamins zu erheischen (siehe hierzu auch mein Blog zum Thema „Glück“). Süchtige können recht leicht erkannt werden: Sie sind aggressiver als ihre Altersgenossen. Zudem lassen Leistungen in Schule und Arbeit nach.
„Na cool!“, höre ich nun viele Eltern sagen. Der hat ja keine Ahnung. Stimmt möglicherweise, doch besitzen viele der Antworten von ausge-wiesenen Experten denselben Inhalt. So betont beispielsweise der Stressmediziner und Endokrinologe am Medizinischen Zentrum Ulm, Alfred Wolf: Hunderte Dinge können nebenbei nicht erledigt werden. Ich kann nicht wirklich frühstücken und ständig in’s Smartphone oder das Pad schauen. Wenn jemand joggen will, soll er mal für eine halbe Stunde nicht erreichbar sein. Jeder soll sich auf eine Aufgabe konzentrieren, dann wird diese auch besser erledigt und die Welt wird entschleunigt! Das können Sie auch Ihren Kindern mit auf den harten Weg des Lebens geben!
Lesetipps:
.) Computersüchtig – Kinder im Sog der modernen Medien, Wolfgang Bergmann / Gerald Hüther; Walter Verlag 2013
.) Digitale Hysterie – Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen; Georg Milner; Beltz Verlag 2016
Links:
- internetsucht-hilfe.de/
- www.computersuchthilfe.info/
- jugendnotmail.de/
- www.vivid.at
- www.praevention.at
- www.psychiatrie.med.uni-goettingen.de
- www.uke.de
- www.onlinesucht.de/
- www.suchtvorbeugung.net
- suchtpraevention-zh.ch
- mpfs.de/studie/jim-studie-2024/
Informationen gemäss DSGVO
Posted on 07/19/25 by UlstoSehr geehrte Leser und Leserinnen,
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Ulrich Stock
Zölle – Trumps Spiel mit dem Feuer
Posted on 07/19/25 by UlstoDie Geschichte der Zölle ist uralt! Schon die Römer kannten sie, dann waren es die Adeligen, Grossgrundbesitzer und Wegelagerer (ausgezeich-nete Kombination!), die den Wegezoll abkassierten. Einige Jahrhunderte später wurde der Zoll berechnet, um Importwaren im Inland teurer zu machen als die heimischen Produkte. Doch ein Grundsatz blieb über all die Jahrhunderte hinweg erhalten: Mit dem Zoll soll immer eine Schatulle gefüllt werden – sei es die Staatskasse, die fürstliche Geldkiste oder der Geldstrumpf so mancher Räuber. Das ist bis heute geblieben! So freut sich auch der US-Präsident Donald Trump über Mehreinnahmen: Im Juni etwa nur durch die Zölle in der Höhe von 27,2 Mrd. Dollar – das führte zu einem Haushaltsüberschuss von 27 Mrd. Dollar (Angaben: US-Finanz-ministerium)! Mr. Trump fühlt sich dadurch bestätigt, berücksichtigt aber nicht, dass in den USA diese Produkte oder die Waren daraus entschei-dend teurer geworden sind. Das heizt wiederum die Inflation an! Es ist also ein Rattenschwanz bzw. eine Kettenreaktion, die der Präsident (mit der Begründung der „Nationalen Sicherheit“) losgetreten hat. Und mit dem Handelsdefizit hat dies nur wenig zu tun – das steigt nämlich noch weiter an! Doch eines nach dem anderen!
.) Zölle
US-Finanzminister Scott Bessent stellt bis Jahresende ganze 300 Mrd. Dollar zusätzlich in Aussicht! Dazu müssten die Zölle aber noch steigen! Sein Herr und Meister reagiert sofort darauf und kündigt zum 01. August weitere, wesentlich höhere Zölle an. Er spricht dabei vom „grossen Geld“! Treffen wird es nahezu alle Handelspartner der USA – nun auch Russland, das ebenso wie Nordkorea, Kuba und Belarus bislang verschont blieb. Trotz Sanktionen führen die USA nach wie vor Waren im Wert von 3,5 Mrd. Dollar aus Russland ein (vor dem Einmarsch in die Ukraine waren es 35 Mrd.). Schwer trifft es China, Brasilien, Kanada, Mexico und die EU, aber auch Japan und Südkorea. Auf Kupferimport und Waren aus Brasilien soll ein Zoll von satten 50 % aufgeschlagen werden. Trumps Begründung: Die dortige Regierung behandelt den ehemaligen Präsidenten und Gesin-nungsgenossen Trumps, Jair Bolsonaro, nicht so, wie es Trump passen würde. Kanada wird mit 35 % Aufschlag belohnt, die EU mit 30 %. Kanada hatte bereits zuvor auf die erste Zollwelle reagiert und Gegenzölle auf US-Waren verhängt bzw. diese aus den Regalen verbannt. Wie wichtig Herrn Trump bestehende Verträge sind, zeigt dieses Beispiel: Die USA sind ebenso Mitglied beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA), wie auch Kanada und Mexiko. Gottlob wurde der Freihandels-vertrag TTIP zwischen den USA und der EU niemals unterschrieben – es wäre umsonst gewesen! Die EU verhandelt nach wie vor mit Washington, doch gab es bislang keine Hinweise darauf, dass diese Verhandlungen von Erfolg gekrönt sind. Dabei sind derartige, höhere Zölle bereits für einige EU-Waren aktiv: 25 % auf Automobile und Autoteile bzw. 50 % auf Stahl und Aluminium – zusätzlich zu den bereits bestehenden 10 %. In Brüssel hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Vergel-tungszölle auf US-Waren im Wert von 21 Milliarden Euro vorerst bis zum 01. August ausgesetzt. Sollte Trump an seinen Plänen festhalten, werden Importe im Wert von 72 Milliarden davon betroffen sein: Gegenzölle! Die EU sollte ihr Licht dabei nicht unter den Scheffel stellen: Mit 450 Mio Einwohnern in 27 Ländern ist sie einer der grössten Binnenmärkte der Welt – die Chinesen haben dies bereits vor Jahren begriffen (siehe Neue Seidenstrasse bzw. Containerhafen in Athen)! Weitere und höhere Zölle bremsen nicht nur den Handel, sondern machen die Waren auch empfindlich teurer und gefährden viele Arbeitsplätze. Zudem: Die Verhandlungen, die seit Jahrzehnten über die Welthandelsorganisation (WTO) geführt wurden, werden mit einem Schlag wertlos, da es einem Menschen nicht in den Kram passt!
.) Handelsüberschuss
Dieses Thema ist weitaus komplexer! Nach Angaben des Bureaus of Economic Analysis (BEA), das direkt dem US-Handelsministerium unter-stellt ist, belief sich der Handelsüberschuss zwischen der EU und den USA im Jahre 2023 auf 235,6 Mrd. Dollar (201,5 Milliarden Euro) – zugunsten der EU! Sogar Österreich hat demnach ein Plus auf der Bilanz stehen (13,1 Mrd. Dollar). Ich wusste gar nicht, dass Tiroler Hüte in den USA so begehrt sind! Ein Ausgeglichen oder Minus verzeichneten nur die EU-Partner Niederlande, Spanien, Polen, Slowenien, Zypern sowie Luxemburg und Malta. Dieser Überschuss ist nach jenem von China direkt an zweiter Stelle zu finden. Das heisst, dass von der EU um diesen Betrag mehr Waren in die USA exportiert werden, als US-Waren den Weg nach Europa finden. Um genau zu sein: Die USA importierten Waren im Wert von 503 Mrd. Euro, die EU Waren aus den USA im Wert von 347 Mrd. Euro. Hinzu kommen noch die Dienstleistungen: Von der EU in die USA 319 Mrd., von den USA in die EU 427 Mrd. Euro. Rechnet man dies nun gegen, so bleiben (sofern ich richtig gerechnet habe!) 48 Mrd. als Handelsbilanz-defizit der USA bei den EU-Staaten übrig. Sicherlich – für Otto Normal-verbraucher eine gewaltige Summe – betrachtet aber auf das Handels-aufkommen gerade mal 3 %! Das liegt nämlich bei rund 1,6 Billionen Euro! Übrigens: Der Handelsüberschuss zwischen Deutschland und den USA ist nicht der grösste innerhalb der EU! Das wird durch Irland mit 86,7 Mrd. getoppt! Die Erklärung: Wegen der niedrigen Steuern in Irland haben viele Konzerne ihren Sitz auf der grünen Insel. Darunter etwa Pharma-unternehmen (Pfizer, Eli Lilly und Johnson & Johnson), aber auch US-Konzerne ihre Europa-Zentralen wie Apple, Google oder Meta.
.) Auswirkungen
Die letzten Monate seit April haben aufgezeigt, dass Zölle nicht nur diese 3 % (Handelsaufkommen) mit Müh‘ und Not verringern, sondern das gesamte Handelskonstrukt zwischen der EU und den USA gefährden. Als Beispiel: Mercedes muss für die in der EU produzierten PKW beim Import in die USA 10 + 25 % Zoll bezahlen. Das Unternehmen produziert jedoch in den USA auch Autos (vor allem SUVs), die weltweit – so auch in die EU – exportiert werden. Dort wird es nun Gegenzölle geben. Man muss kein Betriebswirtschaftler sein um dieses Problem zu lösen: Die bislang exportierten Fahrzeuge werden nun im Zielland selbst oder einem anderen Staat hergestellt, der nicht durch diese Zollspirale betroffen ist. Das allerdings führt zu weniger Handel zwischen der EU und den USA. Harley Davidson hat so etwa bereits während der ersten Amtszeit Trumps reagiert und die Produktion für den Export nach Brasilien ausgelagert. Somit sind US-Arbeitsplätze massivst gefährdet. Anderes Beispiel: Viele US-Autobauer produzieren selbst aus Kostengründen in Mexiko. Durch die Zölle bzw. den Wiederaufbau der inländischen Produktion rechnen die grössten US-Autobauer mit mehreren Milliarden Dollar Verlust! Ein Beispiel aus Europa: Die Antibiotika-Produktion Europas wurde nahezu zur Gänze nach Fernost ausgelagert. Übrig blieb der Standort von Sandoz im Tiroler Kundl. Dort musste mit erheblichen auch öffentlichen Zuwendungen die eher als klein zu bezeichnende Produktion wieder hochgefahren werden. Der italienische Landwirtschaftsverband Coldiretti hat in diesem Zusammenhang eine Berechnung angestellt. So würden diese 30 % Zoll alleine auf landwirtschaftliche Produkte der Apenninen-Halbinsel die US-Konsumenten und die italienische Landwirtschafts-branche 2,3 Mrd. Euro kosten.
Übrigens zum Schluss noch ein Gedanke: Würde China durch die US-Zölle schwer getroffen, so trifft dies wohl das gesamte Weltwirtschafts-Wachstum!
Factbox:
Erhöhte Zölle gelten ab dem 01. August für 87 Länder, etwas später wohl auch für Russland. Für weitere 102 Staaten gilt dann der Pauschal-Zollsatz von 10 %. Das US-Bundesgericht für internationalen Handel (U.S. Court of International Trade) hat am 28. Mai d.J. geurteilt, dass Präsident Donald Trump seine Befugnisse im Rahmen des International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) überschritten habe. Dieses Urteil wurde allerdings am 10. Juni durch das Berufungsgericht (U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit) ausgesetzt. Am 31. Juli beginnt das Verfahren in Washington D.C. mit den ersten Anhörungen. Unbetroffen davon sind die Zusatzzölle auf Automobile, Stahl und Aluminium. Diese basieren auf der Section 232 des Trade Expansion Act von 1962.
In der Liste der betroffenen Länder finden sich auch zwei Kuriositäten: Die Heard- und McDonaldinseln, 4000 km südwestlich von Australien. Hier leben gerade mal Seevögel, Robben und Pinguine. Nach Angaben der Weltbank wurden von diesen Inseln jedoch im Jahr 2022 Waren im Wert von 1,4 Mio $ in die USA importiert. Und zum Zweiten: Die Insel Diego Garcia! Sie zählt zu den britischen Überseegebieten. Mit Ausnahme eines gemeinsamen US- und britischen Militärstützpunktes ist die Insel aller-dings unbewohnt: Die Einwohner wurden schon in den 1970er Jahren umgesiedelt!
Links:
- ahk-usa.net
- www.ihk.de
- www.dihk.de/
- bdi.eu/
- www.wko.at
- bpd.de
- www.bundesregierung.de
- www.bea.gov/
- www.cit.uscourts.gov/
- www.cafc.uscourts.gov/home/the-court
Engelbert Dollfuß – Held oder Diktator?
Posted on 07/12/25 by Ulsto„Der Mann war tapfer, bereit, sich bis zur letzten Konsequenz für Österreich einzusetzen. Damals habe ich ja alles aus dieser Perspektive gesehen: Wir müssen Österreich erhalten.“
(Otto Habsburg-Lothringen, November 2007)
Bruno Kreisky schrieb in seinen Memoiren über Dollfuss:
„…zunächst eine jener Persönlichkeiten zu sein, mit denen sich unter normalen Bedingungen eine akzeptable Zusammenarbeit zwischen Opposition und Regierung hätte herstellen lassen!“
Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), im Speziellen der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol, erklärte 2014, dass es im bürger-lichen Lager keinen „Dollfuß-Mythos“ gäbe.
Die katholische Kirche distanziert sich von Engelbert Dollfuß: Bilder werden verhängt, Gedenkschriften in den oberen Teil der Kirche verbracht, Gedenktafeln demontiert, …
Viele Studentenverbindungen des katholischen Cartellverbandes hatten ihm schon zu Lebzeiten die Ehrenmitgliedschaft verliehen.
Was hat es wirklich auf sich mit Engelbert Dollfuß? War er ein öster-reichischer Held oder ein austrofaschistischer Diktator? Und v.a. – was geschah an diesem 25. Juli des Jahres 1934 tatsächlich? Zeit für einen History-Blog!
Engelbert Dollfuß wurde am 18. November 1868 in Texing im Bezirk Melk in Niederösterreich geboren. Eigentlich wollte er Priester werden. Nach Fürsprache durch seinen Pfarrer (Simon Veith) erhielt er ein Stipendium der Diözese für das fürsterzbischöfliche Knabenseminar der Erzdiözese Wien, in welchem er 1913 die Matura mit gutem Erfolg bestand.
Im Anschluss studierte er einige Monate lang Theologie, wechselte aber schliesslich zu den Rechtswissenschaften. Nach Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zum Militärdienst bei den Tiroler Schützen. Mit Aus-zeicnung wurde er aus der Brixener Offizierschule ausgemustert und in Bozen stationiert. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Kommandant einer Maschinengewehrabteilung an der italienischen Front. Insgesamt vierfach dekoriert, setzte er nach Kriegsende sein Studium fort, das er nach einigen Auslandsmonaten in Berlin 1922 in Wien abschloss.
Seine politische Karriere begann Engelbert Dollfuß 1919 als Sekretär beim Bauernbund. Er wirkte mit bei der Errichtung der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, deren Direktor er 1927 wurde. Der spätere Bundeskanzler führte die landwirtschaftlichen Genossenschaften ein, daneben auch die Sozialversicherung für die Bauern und die Arbeits-losenunterstützung für landwirtschaftliche Lohnarbeiter. Daneben wurde er Präsident der Österreichischen Bundesbahnen. Obgleich Dollfuß nie als Abgeordneter im Nationalrat sass, wurde er am 18. März 1931 als neuer Landwirtschaftsminister vereidigt. Am 10. Mai beauftragte Bundes-präsident Wilhelm Miklas Engelbert Dollfuß mit der Regierungsbildung. Er übernahm das Kanzleramt, das Aussenministerium und das Landwirt-schaftsministerium.
Dollfuß liebäugelte mehr mit dem Regime Mussolinis in Italien als mit dem Adolf Hitlers in Berlin, der am 30. Januar 1933 zum deutschen Reichskanzler gewählt wurde. Mussolini war durchaus erfreut über diese Pufferzone Österreichs zwischen ihm und Hitler. Dass er diesem nicht vertraute, zeigen wohl am ehesten die Befestigungen in Südtirol auf, die er als Verteidigungswall errichten liess.
Dollfuß war durchaus rechtsnational eingestellt. So war er u.a. maß-geblich an der Einführung des Arierparagraphen im Cartellverband beteiligt. Daneben suchte er auch zweimal Kontakt zu Arthur Seyß-Inquart, der kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich Innenminister, dann Bundeskanzler war und schliesslich Reichsstatthalter der „Ostmark“. Die zweite Kontaktaufnahme erfolgte kurz vor dem Juliputsch 1934. Im Oktober 1932 umging Dollfuß zum ersten Mal das österreichische Parlament, indem er versuchte, mit dem Kriegswirt-schaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 die Creditanstalt und damit auch die Staatsschulden Österreichs zu sanieren. Um sich abzusichern, ernannte er 1932 den Wiener Heimwehrführer Emil Fey zum Staats-sekretär für Sicherheitswesen. Der verbot als erstes alle Aufmärsche der Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten.
Engelbert Dollfuß führte am 04. März 1933 in einer dringlichen Sitzung des Nationalrates einen Staatsstreich durch. Anlass hierfür war der am 01. März begonnene Eisenbahnerstreik. Er nutzte dafür eine Geschäfts-ordnungskrise. Nachdem es zu Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung gekommen war, traten die drei Nationalratspräsidenten zurück. Damit aber war das Parlament nicht mehr beschlussfähig. Dollfuß sprach von einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ und schaltete das Parlament und den Verfassungtsgerichtshof mittels Notverordnung aus. Er bot dem Bundespräsidenten seinen Rücktritt an, dieser aber betraute ihn mit der Weiterführung der Regierungsgeschäfte. Fortan regierte er durch die Ausschaltung der Legislative und Judikative alleine – also diktatorisch! Er führte die Pressezensur ein und verbot erneut jegliche Veranstaltungen und Aufmärsche. Eine Fortsetzung der damaligen Nationalratssitzung wurde mit Polizeigewalt verhindert. Auch Neuwahlen verhinderte Dollfuß – er befürchtete eine Machtergreifung der NSDAP, wie sie kurz zuvor in Deutschland stattgefunden hatte. Mussolini versuchte zu vermitteln – allerdings ohne Erfolg. Dollfuß traf Mussolini in Rom und kurz danach in Riccione. Der hatte zuvor die Abschaffung des Parteienstaates zugunsten eines Ständestaates gefordert. Dollfuß setzte dies um:
„…sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“
Ernst Rüdiger Starhemberg löste den Heimatblock auf und trat mit der Heimwehr in die „Vaterländische Front“ ein, die künftige Einheitspartei. Vor dem zweiten Treffen mit Mussolini wurde am 19. Juni 1933 die NSDAP in Österreich verboten, die Sozialdemokratische Partei später am 12. Februar 1934. Bei der Entwaffnung der radikalen Kräfte des Republi-kanischen Schutzbundes besetzten diese die Sozialwohnanlage Karl-Marx-Hof in Wien und lieferten sich schwere Gefechte mit der Heimwehr und dem Bundesheer. Der Aufstand griff auch auf St. Pölten und Steyr über. Insgesamt gab es über 350 Tote. Am 01. Mai 1934 wurde der austrofaschistische Ständestaat ausgerufen. Soweit die geschichtlichen Fakten.
„Nicht einmal in Österreich wurde es begriffen, dass sich der Bundeskanzler deutschnationaler Motive bediente, um den Anschluss zu verhindern.“
(Autor Franz Schausberger)
Nun zu diesem folgenschweren 25. Juli 1934! Ein Revierinspektor der Polizei, der mit der verbotenen NSDAP sympathisierte, wurde von einem Kriminalbeamten gleicher Gesinnung angerufen, dass der „Aktionsplan“ nun anlaufe. Da er sich nicht sicher war, welcher seiner Vorgesetzten Nazi war, wandte er sich an die Vaterländische Front (die Einheitspartei unter Dollfuß). Dort wurde der Anruf nicht ernst genommen. Deshalb suchte er den Kontakt zur Heimwehr. Die Nachricht erreichte den vorhin angesprochenen Major Emil Fey, der sofort weitere Massnahmen einleitete. Er fuhr zur Ministerratssitzung, die zu diesem Zeitpunkt tagte. Dollfuß wies alle Minister an, unmittelbar in ihre Ministerien zu gehen – nur Fey und der Staatssekretär Carl Karwinsky verblieben im Bundes-kanzleramt. Das Bundesheer wurde in Alarmbereitschaft versetzt.
Inzwischen hatten sich in der Halle des Deutschen Turnvereins in der Siebensterngasse rund 150 Angehörige der SS-Standarte 89 versammelt – entlassene Bundesheersoldaten und aktive Polizisten. Sie bewaffneten sich und machten sich in Uniformen des Bundesheeres und der Bundessicherheitswache auf den Weg. Zuvor wurde noch ein Ablenkungs-manöver ausgestreut: Auf den Wagen des Bundeskanzlers sollte am Michaelerplatz ein Attentat verübt werden. Um 12:53 Uhr erreichte der Konvoy der Putschisten den Ballhausplatz. Dort wurden sie aufgrund ihrer Uniformen und des Wachewechsels direkt durchgelassen. Ihr Auftrag lautete: Die Regierung in Geiselhaft zu nehmen! Anstelle des zurück-getretenen Engelbert Dollfußes sollte der frühere steirische Landeshaupt-mann Anton Rintelen die Regierungsgeschäfte weiterführen. Er wartete bereits im Hotel „Imperial“ auf das vereinbarte Zeichen. Die Wachen des Bundeskanzleramtes wurden entwaffnet, die Tore verriegelt. Paul Hudl, Franz Holzweber und Otto Planetta (ein unehrenhaft entlassener Stabs-wachtmeister), alle zusammen ehemalige Bundesheerangehörige, durch-suchten die Stockwerke. Staatssekretär Karwinsky und der Portier Hedvicek versuchten den Bundeskanzler durch das Staatsarchiv und dem Nebenausgang zum Minoritenplatz in Sicherheit bringen. Dort jedoch stiessen sie auf die Männer um Planetta. Ob nun dieser auf die Männer geschossen hat, oder sich ein Schuss bei einem Handgemenge mit Dollfuß löste, ist nach wie vor nicht bekannt. Gerichtsmediziner aber betonten, dass sich der Schuss aus rund 15 cm löste und den Bundes-kanzler im Halswirbelbereich traf. Er dürfte aufgrund dessen gelähmt worden sein und verstarb später durch Verblutung. Seiner Bitte nach einem Priester kamen die Putschisten nicht nach.
Inzwischen hatten andere Putschisten das Funkhaus der Rundfunkgesell-schaft RAVAG besetzt und den Moderator zu folgenden Durchsage gezwungen:
„Die Regierung Dollfuß ist zurückgetreten. Dr. Rintelen hat die Regierungsgeschäfte übernommen.“
Es sollte das Zeichen für die SA-Kameraden in den Bundesländern sein, den Aufstand auch dort zu beginnen – gottlob erfolglos. Nur in der Steiermark und Kärnten fanden kleinere Gefechte statt. Die Funkhaus-besetzer konnten rasch durch die Polizei überwältigt werden.
Bundespräsident Wilhelm Miklas hatte inzwischen in seinem Urlaub aus Kärtnen den bisherigen Justiz- und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg mit der provisorischen Übernahme der Regierungsgeschäfte beauftragt. Welche Rolle nun Fey zukam, bleibt wohl auch weiterhin unbeantwortet. Die Putschisten verwendeten ihn als Vermittler, angeblich soll ihm in der Regierung Rintelen der Posten des Sicherheitsministers angeboten worden sein. Die Spekulationen des sozialdemokratischen Juristen Fritz Kreisler gehen davon aus, dass er sogar den zweiten Schuss auf Dollfuß abgegeben haben soll, dessen Spuren die Gerichtsmediziner zutage beförderten. Oder war es der Sicherheitswachebeamte Franz Leeb, der dies am Abend der Tat seinem SS-Kameraden Wilhelm Kern gestanden haben soll? Oder der SS-Untersturmführer Otto Käfinger? Auch die Nazis in Berlin hätten dies gerne geklärt gehabt. So stellte Reichsführer-SS Heinrich Himmler eine Historiker-Kommission zusammen – ein Ergebnis blieb aus. Wer diesen brutalen und mehr als unehrenhaften Schuss auf einen unbeweglichen Sterbenden tatsächlich abgegeben hatte, bleibt ebenso im Verborgenen. Fey beging am 16. März 1938 mit seiner Familie Selbstmord! Drei Tage nach dem Beschluss des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und einen Tag nach dem Einmarsch Hitlers in Wien. Dollfuß verstarb um 15.45 Uhr – zuvor soll er noch Fey instruiert haben, Kontakt mit Mussolini auf-zunehmen, damit sich dieser um seine Frau und die Kinder kümmere.
Die Putschisten gaben kurz nach 19.00 Uhr auf. Ein Militärgerichtshof verurteilte neben 12 anderen auch Planetta wegen Mordes zum Tode – er wurde am 31. Juli gehängt, viele andere und auch Rintelen erhielten lebenslang. Andere konnten nach Hitlerdeutschland fliehen.
Adolf Hitler muss von diesem Putschversuch gewusst haben. Nach einer Eintragung im Tagebuch Joseph Goebbels traf er sich mit den Haupt-verantwortlichen des Putsches kurz zuvor in Berlin. Dass jedoch Bundes-kanzler Engelbert Dollfuss dabei umgebracht würde – das entsprach nicht dem Plan Hitlers. Mussolini reagierte sehr rasch und entsandte noch am 25. Juli Truppen an die österreichisch-italienische Grenze. Hitler soll getobt haben.
Filmtipp:
.) Engelbert Dollfuß: „Arbeitermörder“ oder verklärter Märtyrer; ORF-Doku 2002
.) Das Attentat – Der Tod des Engelbert Dollfuß; 1967
Lesetipps:
.) „Der Führer bin ich selbst.“ Engelbert Dollfuß – Benito Mussolini. Briefwechsel; Hrsg.: Wolfgang Maderthaner; Löcker 2004
.) Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen; Lucile Dreidemy; Böhlau 2014
.) Das Dollfuß-Regime in Österreich; Heinrich Bußhoff; Duncker & Humblot 1968
.) Mein Vater – Hitlers erstes Opfer; Eva Dollfuss: Amalthea 1994
.) Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuss I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie; Franz Schausberger; Böhlau 1993
.) „Sommerfest mit Preisschießen“. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934; Hans Schafranek; Czernin 2006
.) Wir werden ganze Arbeit leisten … Der austrofaschistische Staatsstreich 1934; Hrsg.: Stephan Neuhäuser; BOD 2004
.) Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938; Emmerich Tálos; Lit 2013
.) So sprach der Kanzler. Dollfuss’ Vermächtnis. Aus seinen Reden; Anton Tautscher; Baumgartner 1935
.) Die Altersfürsorgerente in der Land- u. Forstwirtschaft Österreichs. Eine Anleitung für Oberösterreich; Engelbert Dollfuß/Hans Walter; Agrarverlag 1929
.) Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten; Bruno Kreisky; Siedler Verlag und Kremayr & Scheriau 1986
Links:
- hdgoe.at
- hpb.univie.ac.at
- zeitgeschichte.univie.ac.at
- www.demokratiezentrum.org
Dalai Lama – Seine Heligkeit ist 90!
Posted on 07/05/25 by Ulsto„Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen.“
(Der Dalai Lama im Januar 2015 anlässlich des islamistischen Terror-anschlags auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“)
Eigentlich heisst er ja Lhamo Döndrub, doch die ganze Welt kennt ihn unter „Dalai Lama“! Um genau zu sein: Den 14. Dalai Lama! Doch dazu mehr etwas später. Geboren wurde Lhamo Döndrub am 06. Juli 1935 in Takster/Region Amdo in Osttibet. Als eines von ingesamt 16 Kindern (!) einer Bauernfamilie – fünf Buben und zwei Mädchen überlebten die Kind-heit. 1933 verstarb der 13. Dalai Lama ohne einen Nachfolger zu bestimmen. Viele Mönche schwärmten daraufhin aus, um den nächsten „Yishi[n] Norbu“ (Wunscherfüllendes Juwel) zu finden. Und vier Mönchen gelang das Unmögliche, als sie den Zweijährigen ded Paares Dekyi und Chökyong Tshering entdeckten. Er soll einen als Diener verkleideten Lama direkt erkannt und einige Gegenstände aus dem Besitz des 13. Lamas sofort an sich genommen haben. Die Mönche wollten den Kleinen gleich mitnehmen – hatten aber nicht mit dem Provinzgouverneur gerechnet: Nach zweijährigen Verhandlungen erhielt dieser eine Freikauf-summe in stattlicher Höhe. Im Alter von vier Jahren kam Lhamo schliesslich in Lhasa an, wo er im Rahmen des Neujahrsfestes Losar am 22. Februar 1940 inthronisiert wurde. Trug er zuvor den Mönchsnamen Tenzin Gyatso, so hiess er nun „Jetsün Jampel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso“ (Heiliger Herr, gütiger Herr, mitfühlender Verteidiger des Glaubens, Ozean der Weisheit). 1948 begann die Freundschaft zu dem österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer, der ihn noch bis 1951 begleitete. Auch später besuchte der Dalai Lama häufig noch Harrer in dessen Heimat Kärnten. Im Jahre 1950 wurde das religiöse Oberhaupt der Tibeter auch das weltliche. Aufgrund des wachsenden Drucks von Mao Zedong und seiner Volksrepublik China verliess der Dalai Lama mitsamt seines ganzen Regierungsstabrs Lhasa in Richtung Dromo an der indischen Grenze. Nachdem chinesische Truppen in der osttibetischen Provinz Chamdo einmarschierten, erhielt Peking am 24. Oktober 1951 die telegrafische Zusage zum sog. „17-Punkte-Abkommen“ zur Rettung Tibets. Demgemäss sollte Tibet die Religionsfreiheit und die innenpoli-tische Autonomie erhalten bleiben, China jedoch übernahm den Aussenhandel, die Aussenpolitik und alle militärischen Agenden. Der Dalai Lama betonte später stets, dass er das Abkommen nur deshalb unterzeichnet habe, um Tibet vor der kompletten Zerstörung duch China zu bewahren. 1954 reiste der er auf Einladung der chinesischen Regierung nach Peking. Dort wurde er zum Abgeordneten und etwas später zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Am 10. März 1959 begann der Tibetaufstand gegen die Vorherrschaft der Chinesen. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand zwar noch auf dem Papier eine weltliche Führung Tibets, danach allerdings nicht mehr. Der Dalai Lama floh nach Indien. Auch heute noch residiert er in Dharamsala im Exil. 1989 erhielt er den Friedensnobelpreis (im Westen gilt er nach wie vor als „Botschafter des Friedens“), 2005 den Hessischen Friedenspreis. Sechs Jahre später trat er von all seinen politischen Ämtern zurück. Er bat die Exilregierung darum, dass demokratisch gewählte Volksvertreter ihn ersetzen sollen.
In all den Jahren seither möchte er im Rahmen von Vortragsreihen, aber auch durch seine vielen Schriften die Menschen zu einem friedfertigen, konstruktiven und mitfühlenden Dialog miteinander veranlassen – die Grundlagen des tibetischen Buddhismuses. Eine sehr intensive Freund-schaft verband ihn übrigens auch mit Papst Johannes Paul II. Sein persönliches Interesse gilt der Wissenschaft – immer wieder ist er als Gast oder Vortragender bei Wissenschaftskongressen zu sehen.
2005 meinte der Dalai Lama, der Krieg sei veraltet. Ziel sei eine demilitarisierte Welt. 2009 unterzeichnete er, gemeinsam mit 16 anderen Nobelpreisträgern, eine Petition zum Verzicht nuklearer Waffen, die an den damaligen US-Präsidenten Barack Obama übergeben wurde. Schon 1998, nach den ersten Kernwaffentests Indiens und Pakistans, forderte er die Eliminierung der Atomwaffen. Für Tibet wünscht er sich eine Republik in der Volksrepublik China, um höchstwahrscheinlich nicht noch mehr Benzin in das Feuer zu giessen. Peking hatte ihm schon zuvor Separa-tismus vorgeworfen. Vielen Tibetern hingegen geht das zu wenig weit – sie fordern die komplette Unabhängigkeit Tibets. Schon jetzt laufen die Diskussionen über seine Nachfolge. China will hierbei unbedingt ein Machtwort mitreden. Der Dalai Lama hingegen meinte selbst, dass er wiedergeboren würde – gleichgültig ob als Mann oder Frau! Auch im Buddhismus ist diese Weissagung aussergewöhnlich! Schliesslich soll Buddha selbst bei der Gründung eines Frauenordens betont haben, dass mit einem weiblichen Orden die buddhistische Lehre anstatt über 1000 Jahre nur 500 Jahre Bestand haben wird. Es ist davon auszugehen, dass er sich selbst mit dieser Aussage korrigieren will. Im Jahr 2010 meinte er zum Thema einer Frau als Dalai Lama:
„Wenn sie eine hässliche Frau ist, wird sie nicht sehr effektiv sein, oder?“
Neun Jahre später relativierte er seine Aussage und betonte, dass die wahre Schönheit die innere Schönheit ist, für die Menschen aber auch das Äussere sehr wichtig sei. Das gab natürlich wieder Anlass zur Kritik. Der Dalai Lama entschuldigte sich bei jenen Menschen, die er durch seine Aussage verletzt habe. Dabei war das nur ein Nebensatz in einem Interview mit dem Frauenmagazin Vogue. Die Chefredakteurin hatte Seine Heiligkeit gefragt, ob denn auch eine Frau Dalai Lama werden könnte. Dieser meinte daraufhin:
„Sicher, wenn das hilfreicher wäre!“
Und dann kam der Nebensatz – als Scherz gemeint! Der amtierende Dalai Lama ist bekannt für seine Scherze, betont auch die Professorin für Religionswissenschaft und Tibet-Expertin Karénina Kollmar-Paulenz auf eine Aktion hin, die der Dalai Lama vor laufenden Kameras einem Kind gegenüber machte, was weltweit für einen Aufschrei sorgte: Er küsste es auf den Mund und streckte ihm die Zunge raus.
„Der Dalai Lama scheint sich nicht bewusst gewesen zu sein, dass sein Verhalten in anderen Ländern als sexuell aufgefasst werden könnte.“
Genauer wird das Ganze durch die Schwester des Dalai Lama, Jetsun Pema, erklärt:
„… absolut normales Zeichen, wenn Kinder alles haben wollen und man ihnen signalisiert, dass es nichts mehr gibt. Dann strecken Erwachsene ihre Zunge heraus und sagen: ‚Jetzt kann ich dir nur noch meine Zunge geben.‘ Es ist liebevoll und als Scherz gemeint.“
Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich der Dalai Lama schon seit den 1960er Jahren für die SOS-Kinderdörfer engagiert. Damals vornehm-lich für tibetische Flüchtlingskinder in Indien. Daneben engagiert sich der 14. Dalai Lama für die Organisation Sea Shepherd (gegen den Walfang) und ist Schirmherr der „Action for Happiness“, einer Bewegung für eine glücklichere und fürsorglichere Gesellschaft.
Zur Migrations-Debatte riet er in einem BBC-Interview, dass Europa die Flüchtlinge aufnehmen und ausbilden sollen, was sie dann zum Wieder-aufbau ihrer Heimat nutzen können.
Schon 1996 riet er allen Tibetern, sich von der Shugden-Verehrung loszusagen – es sei eine sektiererische Haltung! Ein Jahr später schlossen sich drei hochrangige Mönche dieser Meinung an – sie wurden allesamt Opfer von Gewaltverbrechen. Dorjen Shugden wird im tibetischen Buddhismus seit dem 17. Jahrhundert als Schutzgottheit verehrt – positiv als erleuchtender oder weltlicher Dharmabeschützer, negativ als böswilliger Geist: Hierbei ist sich der tibetische Buddhismus nicht einig!
Den Schreiberling dieser Zeilen verbindet eine grosse Hochachtung vor dem Dalai Lama in seiner Funktion, aber auch vor dem Menschen Lhamo Döndrub. Möge ihm ein noch langes und gesundes Leben gegönnt sein. Er ist einer der immer weniger werdenden Mahner für den Frieden und dem Miteinander der Menschen, in einer immer grösser werdenden Welt des Hasses! Alles Gute zum 90sten!
Doch lassen Sie uns nun gemeinsam einen Blick zurück werfen – was hat es wirklich mit dem Dalai Lama und Tibet auf sich?
Die Geschichte der Dalai Lamas beginnt mit Gendün Drub (geboren 1391, gestorben 1475). Er begründete das Kloster Trashilhünpo, war einige Zeit auch dessen Abt und wurde posthum zum Dalai Lama erklärt. Auch dem zweiten Dalai Lama, Gendün Gyatsho, wurde der Titel posthum verliehen.
Im tibetischen Buddhismus gilt der Dalai Lama als „Erleuchtetes Wesen“, als „Ozeangleicher Lehrer“, der aus blossem Mitgefühl als Reinkarnation Avalokiteshvaras stets wiedergeboren wird. Nach seinem Tod werden hochrangige Mönche zu Findungskommissionen vereint, mit dem Ziel die Wiedergeburt des Erleuchteten zu finden. Beim aktuellen Dalai Lama suchten insgesamt drei solcher Kommissionen. Nach der offiziellen Findung erhält der junge Dalai Lama eine klösterliche Ausbildung. Erstmals taucht der Begriff im Jahre 1578 auf, als der mongolische Fürst Altan Khan seinen spirituellen Lehrer Sönam Gyatsho so bezeichnete – es war der 3. Dalai Lama! Nicht seit jeher war der Dalai Lama auch das weltliche Oberhaupt Tibets. Dies geschah erst am 03. Mai 1642 – an diesem Tag erklärte der westmongolische Fürst Hushri Khan den 5. Dalai Lama, Ngawang Lobsang Gyatsho, zur obersten Autorität ganz Tibets. Dies wirft allerdings auch ein Problem auf: Zwischen dem Tod des vorhergehenden und der Volljährigkeit der Reinkarnation ist Tibet politisch gesehen ohne Staatsoberhaupt. Dies führte in der Vergangenheit stets zum Einmarsch fremder Truppen in dieses Land. Darunter auch das kaiserliche China anno 1720. Nach den Chinesen kamen 1904 die Briten und schliesslich erneut die Chinesen unter General Zhao Erfeng, der am 12. Februar 1910 in Lhasa einmarschierte. Interne Probleme liessen die Chinesen jedoch rasch wieder abrücken – war es beim ersten Mal der Boxeraufstand, so begann im Oktober 1911 die chinesische Revolution. Der 13. Dalai Lama, Thubten Gyatsho, nutzte dies, um eine eigene Armee und eine Polizei aufzubauen. Das kostete ihn beinahe den Kopf, als das Militär putschen wollte. Deshalb suchte er in konservativen Mönchskreisen nach Verbündeten. Sein Tod am 17. Dezember 1933 kam sehr überraschend nach einem eigentlich als harmlos eingestuften Leiden. Deshalb wird bis heute spekuliert, ob nicht Gift die eigentliche Todesursache war.
Filmtipps:
- Ein Leben für Tibet; Albert Knechtel/Thea Mohr 2005
- Kundun; Martin Scorsese 1997
- Sieben Jahre in Tibet; Jean-Jacques Annaud 1997
Lesetipps:
.) Die Lehren des tibetischen Buddhismus; Dalai Lama; Goldmann 1998
.) Das Buch der Freiheit. Die Autobiographie des Friedensnobelpreis-trägers; Dalai Lama; Bastei Lübbe 2004
.) Der Appell des Dalai Lama an die Welt Ethik ist wichtiger als Religion; Dalai Lama; Benevento 2024
,) Mitgefühl und Weisheit – Ein Gespräch mit Felizitas von Schönborn; Dalai Lama/Felizitas von Schönborn; Diogenes 2004
.) Die Geschichte der Dalai Lamas. Göttliches Mitleid und irdische Politik; Roland Barraux; Komet 2000
.) Das geheime Leben der Dalai Lamas; Alexander Norman; Lübbe 2007
.) Die Dalai Lamas. Tibets Reinkarnationen des Bodhisattva Avalokiteshvara; Hrsg.: Martin Brauen; Arnoldsche Verlagsanstalt 2005
.) Die vierzehn Wiedergeburten des Dalai Lama; Karl-Heinz Golzio/Pietro Bandini; O.W. Barth 2002
.) Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs; Colin Goldner; Alibri 1999
.) Religion und Politik im tibetischen Buddhismus; Michael von Brück; Kösel 1999
.) The Biographies of the Dalai Lamas; Yá Hánzhāng; Foreign Languages Press 1993
Links:
Agrarpatente – irgendwann hört der Spass auf!
Posted on 06/28/25 by UlstoEin durchaus umstrittenes und damit heisses Thema, über das ich heute informieren möchte: Patente auf Tiere und Pflanzen! Angeschnitten habe ich dieses Thema bereits im meinem Text über die alten Sorten. Der damalige Saatgut-Riese Monsanto (heute zur deutschen Bayer AG gehörend) wollte damals Patente auf all seine Produkte, sodass die weltweite Landwirtschaft praktisch nurmehr die von ihm hergestellten Waren benutzen und dafür natürlich Lizenzen bezahlen sollte. Das wäre das Ende von Eigenzüchtungen und damit auch der alten Sorten gewesen.
Was aber hat sich seither geändert? Vieles, gleichzeitig aber eigentlich doch nichts! Ein kleines Beispiel? Am 15. Oktober 2024 wurde der Einspruch von „Keine Patente auf Saatgut“ gegen das Patent auf kälte-toleranten Mais der Firma KWS (EP 3380618) zurückgewiesen, obgleich Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Pflanzensorten in der EU nicht zulässig sind. KWS hatte das Patent im Jahre 2016 angemeldet, um damit auch Mais in nördlicheren Regionen anbauen zu können. Das ist alsdann die Begründung des Europäischen Patentamtes (EPA): Das Verbot ist nur auf Patente anzuwenden, die nach dem 01. Juli 2017 ange-meldet wurden! Sehr schwer zu verstehen!
Gegenbeispiel: Am 30. Oktober 2018 widerrief das EPA in München den Patentschutz auf ein Patent, das 2013 auf den „Super-Brokkoli“ von Monsanto (EP 1597965) erteilt wurde. Dieser Brokkoli ist eine besonders langhalsige Pflanze, damit sie besser geerntet werden kann. Schon 2014 protestierten Patent-Gegner vor dem EPA und überreichten 75.000 Unterschriften. Gemeinsam mit einem Konkurrenten Monsantos legten sie Einspruch gegen das Patent ein und erhielten Recht.
„Der Widerruf des Patents erfolgt als Konsequenz der Umsetzung dieser Regelung in die Praxis.“
(Rainer Osterwalder, Pressesprecher des EPAs)
Im Speziellen geht es dabei um die Erteilung von Patenten auf Pflanzen aus konventioneller Züchtung. Dennoch hatte das EPA bis November 2018 rund 80 solcher Patente erteilt (Pflanzen und Produkte daraus). Soll heissen, wenn der Kleingarteninhaber oder Bio-Bauer ohne der Hilfe der Gentechnik eine neue Züchtung präsentiert und diese als Patent anmelden möchte, so sollte dies rechtmässig eigentlich nicht möglich sein. Diese Regelung aber gilt nicht für gentechnische Änderungen in der Züchtung – diese sind nach wie vor patentierbar. Der angesprochene US-Konzern jedoch ist selbstverständlich bekannt für seine konventionellen Züchtungen! Hätten sie damals die gentechnische Veränderung einge-standen, so wäre dies unter den Patentschutz gefallen. Doch: Gentech-nisch veränderte Pflanzen und deren Produkte müssen in der EU eindeutig gekennzeichnet sein. Stellt sich nun die Frage, wieso dieser Brokkoli als konventionelle Züchtung patentiert wurde?!
Zurück zum kältetoleranten Mais! Er stammt angeblich tatsächlich aus der konventionellen Züchtung! Das Unternehmen spricht von „Zufallsmuta-genese“ – die gentechnisch relevanten Anlagen wurden in bereits existierenden Pflanzenlinien entdeckt, die schon seit längerer Zeit zur Züchtung eingesetzt werden. Stellt sich hier erneut eine Frage: Wieso wurde der spezielle Mais patentiert, wenn er aus konventioneller Züchtung stammt?!
Und jetzt kommt der Knackpunkt: Besteht kein Patent, so können Züchter ohne Problem auf Züchtungsmaterial (Saatgut) zurückgreifen – das ist das „Züchterprivileg“. Und nun sind wir wieder dort, wo Monsanto damals die EU haben wollte: Dem Saatgut-Monopol! Besteht ein solches Agrar-Patent, so dürfen Zuchtunternehmen, aber auch kleine Garten-Züchter nurmehr auf das Saatgut des Patentträgers zurückgreifen und müssen selbstverständlich dafür bezahlen.
Grietje Raaphorst-Travaille vom niederländischen Zuchtunternehmen Nordic Maize Breeding bringt die Problematik auf den Punkt:
„Vermutlich wurden diese Pflanzen bereits jahrelang zur Zucht eingesetzt, bevor das Patent angemeldet wurde. Es scheint jetzt unklar, ob Pflanzen mit diesen Erbanlagen auch in Zukunft zur Zucht frei verwendet werden können. Wir können unsere Sorten nicht einmal nach den speziellen Genabschnitten durchsuchen, weil sogar die entsprechenden Nachweisverfahren patentiert wurden. Derartige Patente können der konventionellen Züchtung den Boden unter den Füßen wegziehen.“
Soll heissen, dass Züchter, die dieses Saatgut seit Jahren verwenden, plötzlich dafür bezahlen müssen – möglicherweise gar rückwirkend! Ansonsten ist der weitere Anbau – und damit auch die weitere Gewinnung von Saatgut – verboten und zieht sehr hohe Strafen mit sich!
Im Jahr 2024 erteilte das EPA 20 neue Patente auf konventionelles Saatgut – wie ist das möglich? Insgesamt sind rund 1.300 Pflanzensorten von derartigen Patenten betroffen, die es eigentlich gar nicht geben dürften.
„Das Europäische Patentamt und die Saatgut-Industrie zerstören mit diesen Patenten die Grundlagen der europäischen Pflanzenzucht. Noch nie war der Zugang zu konventionell gezüchteten Pflanzensorten so stark durch Patente behindert wie heute!“
(Johanna Eckhardt von Keine Patente auf Saatgut!)
Bereits 2023 erteilte das EPA 20 Patente auf Pflanzen konventioneller Züchtungen – dabei u.a. Gurken, Mais, Melonen, Paprika, Raps, Spinat, Tomaten und Weizen. Nach Angaben von „Keine Patente auf Saatgut!“ waren etwa folgende Unternehmen die Nutzniesser davon: Nunhems/BASF, Enza Zaaden, KWS, Rijk Zwaan, Seminis/Bayer und ChemChina/Syngenta. Der österreichische Verein Arche Noah erklärt, wie dies möglich ist: Damit eine Patentierung umgesetzt werden kann, werden in der modernen Gentechnik mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas spezielle Merkmale konventioneller Pflanzen kopiert. Diese Patente, die dann mit Hilfe der Gentechnik erzielt wurden, beschränken sich jedoch nicht nur auf die Gentechnik sondern – wie bereits kurz angesprochen – auch auf die Erfolge der konventionellen Züchtung durch Zufallsmutationen. Jene Züchter müssen dann Lizenzgebühren entrichten, obgleich die Züchtung möglicherweise sogar von ihnen selbst gemacht wurde. Ansonsten ruft der Richter.
Sehr peinlich ist in dieser Hinsicht das Moratorium des EPAs zur Prüfung von Patenten auf Pflanzen und Tiere. Nachdem das EU-Patentamt 2018 bemerkt hatte, dass widersprüchliche Entscheidungen bei der Prüfung von Saatgut gefällt worden sind, wurden die Prüfungen derartiger Patentanträge ab Anfang 2019 ausgesetzt. Ein Jahr später allerdings hob der Präsident des Europäischen Patentamtes, António Campinos, diese Aussetzung auf, obgleich nach wie vor viele Unklarheiten bestanden. Im Mai 2020 bestätigte die Grosse Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes, dass Pflanzen und Tiere aus herkömmlichen Züchtungs-verfahren nicht patentiert werden dürfen. ÄHM!? 2018 wurden Einsprüche etwa auf Patente durch herkömmliche Züchtung der Firma Carlsberg (Gerste und Bier) abgewiesen. Dem Schreiberling dieser Zeilen sei hierzu das Zitat eines Bibelspruches erlaubt: „ …, sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23:34, Lutherbibel 1912).
„Das Patentrecht wird sonst dazu missbraucht, um sich Kontrolle über die Landwirtschaft und die Grundlagen unserer Ernährung zu verschaffen.“
(Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuer-liche Landwirtschaft AbL)
Und damit wieder zurück zum Anfang: Das Urteil, wonach Patente, die vor dem 1. Juli 2017 eingereicht wurden, nicht beeinsprucht werden können, ist kontraproduktiv! Damit bleibt eine Vielzahl der Patente, die eigentlich widerrechtlich zugelassen wurden, bestehen. Hier müsste das EPA von amtswegen tätig werden und das Patent neu überprüfen.
Die vorhergehende Umweltministerin Österreichs, Leonore Gewessler (Grüne), sieht den Alpenstaat federführend in der EU – zumindest in dieser Problematik auf dem durchaus richtigen Weg:
„ … fortschrittliche Regeln, die Patente auf Leben verhindern und sicherstellen, dass die heimische Landwirtschaft geschützt ist”
Applaus hierzu kommt etwa von Saatgut Austria, aber auch der Arche Noah:
„Die österreichische Bundesregierung zeigt mit dem neuen Patentrecht vor, wie ein wirksamer Ausschluss von der Patentierbarkeit aussieht. Österreich wird damit Vorreiter in Europa!“
(Volker Plass, Geschäftsführer von Arche Noah)
Ende vergangenen Jahres wurde durch die deutsche Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Gutachten vorgelegt, das am 9. Dezember 2024 auch dem EU-Parlament vorgestellt wurde. Es kommt zu dem Schluss, ob entsprechende Vorlagen des EU-Parlaments und des EU-Ministerrates real überhaupt umsetzbar sind. „Keine Patente auf Saatgut“ begrüsst im Grossen und Ganzen den Vorstoss der deutschen Grünen, kritisert jedoch dabei, dass internationale Verträge abgeändert werden müssten, um ein solches Ziel zu erreichen – so beispielsweise das „Europäische Patentübereinkommen“ (EPU). Hier gehe das Gutachten zu wenig differenziert vor, wodurch erneut zu viele rechtliche Spielräume offen blieben. Ohne einen solchen weiteren politischen Schritt bleibt es wohl vorerst bei Lippenbekenntnissen, wie etwa dem 2. Patenten-Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft zu neuen Gentechniken vom 6. Februar 2025, in dem nach Meinung des AbL mehr den Wünschen und Vorstellungen der Patentinhaber und Konzernen entsprochen wird, als jenen der mittelständischen Pflanzenzüchter.
Links:
- www.no-patents-on-seeds.org/de
- www.kein-patent-auf-leben.de/
- www.arche-noah.at
- www.fian.at
- www.patentamt.at
- www.bdp-online.de/de
- www.abl-ev.de
- www.saatgut-austria.at
- nordicmaize.com/
- www.oxfamnovib.nl/
Diesen nachfolgenden Blog habe ich am Vormittag des 21. Junis 2025 online gestellt! Dass der US-Präsident noch am selben Tag den Einsatzbefehl gegeben hat, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht voraus-sehen!
Posted on 06/22/25 by UlstoIran/Israel – das Pulverfass explodiert gerade
Posted on 06/21/25 by Ulsto„Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle!“
(Friedrich Merz, deutscher Bundeskanzler im ZDF)
Dieter Hallervorden und 20 weitere haben den dt. Bundeskanzler inzwischen für diese Aussage angezeigt, obwohl sie ihm ja quasi auf dem Präsentierteller vorgelegt wurde.
Es ist ein offener Schlagabtausch, der seit nunmehr etwas mehr als einer Woche zwischen Israel und dem Iran stattfindet – zumeist über den Köpfen der Bevölkerung des Iraks, Syriens, Jordaniens bzw. Saudi Arabiens hinweg. Diese Staaten liegen nämlich zwischen den beiden Kriegsparteien.
Lange ist die Eskalation befürchtet worden, nun ist sie eingetreten. Begonnen durch die Luftangriffe auf Atomanlagen (wie Natans und Fordo), Atomwissenschaftler und ranghohe Offiziere der Revolutions-garden. Es waren Punktangriffe – das hat sich inzwischen geändert: Hat offenbar der israelische Geheimdienst Mossad erst gute Arbeit bei der Weiterleitung der Koordinaten geleistet, spricht die NGO „Human Rights Activists News Agency (HRANA)“ inzwischen (seit Beginn bis zum 20. Juni) von 263 getöteten Zivilisten (bei ingesamt 657 Toten. Der Iran antwortete ebenfalls mit Drohnen und Raketen, dabei wurden die ersten Menschen in der Zivilbevölkerung getötet. Israel nimmt zwar auch weiterhin vornehm-lich die Atom- und Rüstungsanlagen unter Beschuss, bei Angriffen auf Militärs und Wissenschaftlern jedoch nimmt man durchaus auch Kollateralschäden in Kauf. Der Unterschied: Israel besitzt viele Bunker – wenn nicht gar die meisten im internationalen Ländervergleich. Die Mullahs in Teheran hingegen liessen und lassen die Bevölkerung im Stich – und dies obgleich sie seit der Machtübernahme der Mullahs eine ständige Aggressionspolitik verfolgen und den internationalen Terro-rismus unterstützen. Somit sollte eigentlich davon ausgegangen werden, dass irgendwann ein solcher Erstschlag erfolgt. Bereits in der ersten Amtszeit Trumps tötete eine US-Drohne des Typs MQ-9 Reaper am 03. Januar 2020 den iranischen Divisionskommandanten Qasem Soleimani sowie den irakischen Brigadegeneral Abu Mahdi al-Muhandis, einen Hisbollah-Führer und fünf weitere Personen. Der Angriff erfolgte zwar im Irak, hätte aber durchaus auch im Iran stattfinden können. Nach ständigen Drohungen zwischen Teheran und Tel Aviv sowie der Unter-stützung der Terrormilizen Huthi, Hamas und Hisbollah bei derem Kampf gegen Israel musste man wohl auch davon ausgehen, dass dem rechtskonservativen Ministerpräsidenten Netanjahu der Kragen platzt. Somit ist diese Nicht-Vorsorge eine grobe Vernachlässigung gegenüber der iranischen Bevölkerung. Jene, die es sich leisten können, fliehen deshalb über die Grenzen um sich in Sicherheit zu bringen.
So pervers es klingt, doch sehen iranische Regimegegner im Exil nun eine Chance zum Neuanfang in ihrem Land. Das allerdings gehe nur mit der Bevölkerung, die seit der Revolution im Jahre 1979 v.a. unter den geist-lichen Führern von damals (Ayatollah Ruhollah Khomeini) bis heute (Ayatollah Khamenei), aber auch den weltlichen Präsidenten von Abol-hassan Banisadr bis zum heutigen Massud Peseschkian (die stets im Schatten der geistigen Führer standen) zu leiden hatte.
Offiziell ist der Iran eine Islamische Republik, inoffiziell allerdings eine Autokratie der Mullahs. Widerrufe werden im Keim erstickt, Demons-trationen mit Gewalt niedergeschlagen, Kritiker verhaftet und gefoltert sowie oftmals auch hingerichtet. 2024 wurden nach Angaben der UNO mindestens 975 Menschen hingerichtet – im Revolutionsjahr 1979 waren es 900! 16 Journalisten sind inhaftiert, wie viele politischen Gegner zudem ist nicht bekannt. Gehen Frauen auf die Strasse, um gegen etwa die Todesstrafe zu demonstrieren, werden sie festgenommen und Körperstrafen oder gar Todesurteile über sie verhängt. Apropos Frauen: Sie dürfen erst seit 2019 wieder an Sportveranstaltungen aktiv und passiv teilnehmen. Hierfür gab es zwei Anlässe: Die Selbstverbrennung von Sahar Chodayari, die sich als Mann verkleidet am 12. März 2019 ins Fussballstadion schlich, um das Spiel ihres Teams Esteghlal Teheran gegen al-Ain (VAE) in der asiatischen Champions League zu verfolgen. Sie machte ein Selfie und setzte es in die Sozialen Medien . Ein Riesenfehler! Es dauerte nicht lange bis sie festgenommen wurde. Sie sollte für ein halbes Jahr ins Gefängnis. 90 % ihrer Haut wurden bei ihrem Selbstmord verbrannt – einige Tage später starb sie. Und zum Zweiten kämpfte die Tochter des ehemaligen Präsidenten Rafsandschani, Faezeh Haschemi, als Politikerin und Sportfunktionärin für das Recht der Frauen am Sport.
Das Internet im Iran war zwar vor dem Beginn der gegenseitigen Angriffe freigegeben, unterlag aber ebenfalls wie Zeitungen, Radio und Fernsehen der staatlichen Zensur.
Rund 80 % der iranischen Wertschöpfung wird von religiösen Stiftungen (Bonyads) kontrolliert. Die grösste davon ist die Āstān-e Qods-e Razavi, die mehrere Banken, Hotels, Geschäfte, Fabriken, aber auch Museen und Bibliotheken betreibt. Sie macht jährlich einen Umsatz von rund 14 Milliarden Dollar. Obgleich die Regierungen seit 2001 an Privatisierungen arbeiteten, bestand hier kein wirklich grosses Interesse daran. Erst 2008 griffen verschiedene Kommandeure der Iranischen Revolutionsgarden zu.
Alles somit durchaus Erscheinungsbilder autokratisch regierter Staaten oder gar Diktaturen, die häufig auch durch UN-Resolutionen scharf kritisiert wurden. Deshalb sehen Regimekritiker wie Nasrin Sotudeh (die Trägerin des Alternativen Nobelpreises und des EU-Menschenrechts-preises) eine gute Chance für einen Regimewechsel im Iran. Nach den Angriffen Israels sind viele Führer nicht mehr vorhanden, die Herrschaftsklasse ist geschwächt. Auch aus militärischer Sicht betonen viele Experten, dass der Iran angezählt ist. So wurden viel Geld und Waffen in die Terrormilizen investiert, die selbst derzeit geschwächt sind. Und weitere Waffen (v.a. Drohnen) wurden nach Russland geliefert. Werden nun auch die Einnahmequellen vornehmlich aus der Erdöl-förderung abgeschnitten, da durch Raketeneinschläge für längere Zeit ausser Funktion gesetzt, so verliert das derzeitige Mullah-Regime auch den wirtschaftlichen Hintergrund. Hauptabnehmer des iranischen Erdöls waren übrigens bislang China und Indien.
Anlass zu Spekulationen gaben diesbezüglich zwei Regierungsflüge mit Maschinen der Airline „Meradsch“ von Teheran nach Maskat/Oman am 18. Juni des Jahres. Der Oman hatte einst im Atomstreit der USA und dem Iran vermittelt. Gerüchte nun meinen, dass hochrangige Regierungs-mitglieder ausgeflogen wurden. Bislang liegen keine Erklärungen des Iran und des Omans vor. Sollte es jedoch tatsächlich zu einem Regimewechsel kommen, so bestht die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass hochange-reichertes Uran in falsche Hände kommen könnte.
Entscheidend wird wohl die Position der USA in diesem Konflikt sein. Trump lässt keine Zweifel darüber aufkommen, dass sie in den Kriieg eingreifen werden. Zwei Flugzeugträger und mehrere Zerstörer der Navy wurden in die Region verlegt. Tankflugzeuge, die Langstreckenbomber in der Luft auftanken sollen, stehen ebenfalls bereit. Werden diese aktiv in den Konflikt eingreifen, oder unterschtüzen sie das Flugabwehrsystem Israels (dieses Mal vornehmlich „Arrow“ für die Langstreckenangriffe, daneben gibt es noch den „Iron Dome“ für Kurz- und „David’s Sling“ für die Mittelstreckenangriffe), dem langsam die Abwehrraketen auszugehen drohen. China hat seine Bürger bereits aus dem Iran evakuiert, andere Länder ebenfalls. Trump empfahl der iranischen Regierung die Kapitulation, Ayatollah Ali Chamenei hat dies selbstverständlich abge-lehnt. Er warnte auch andere Staaten davor, in den Konflikt einzugreifen.
Stein des Anstosses ist übrigens das iranische Atomprogramm. So ist es dem Land international erlaubt, Uran für den Gebrauch in Atom-kraftwerken, nicht jedoch für den Bau von Atomwaffen anzureichern. Dieses Atomabkommen cancelte Trump bereits während seiner ersten Amtszeit und verhängte Sanktionen gegen das Land und führende Regierungs- und Wirtschaftsmitglieder. Er ging gar so weit, Ländern zu drohen, die nach wie vor mit dem Iran Geschäfte machten. Für diese Urananreicherung sind Zentrifugen notwendig. Diese soll Israel immer wieder unter Beschuss genommen haben. Teilweise jedoch sind sie unterirdisch bzw. durch Bunker geschützt. Hat Israel also sich selbst und den Nahen Osten durch diesen eindeutig völkerrechtswidrigen „Präventiv-schlag“ geschützt? Oder hat der Chef der Internationalen Atomenergie-behörde IAEA, Rafael Grossi, recht, wenn er behauptet, dass keine Beweise für den systematischen Versuch des Irans vorliegen, an Atom-waffen zu gelangen. Allerdings kann auch er nicht ausschliessen, dass es versteckte Aktivitäten gegeben habe. Der Iran hatte in letzter Zeit seine Uran-Vorräte stark aufgestockt – mit beinahe waffenfähigem Uran.
Scharfe Kritik am Angriff Israels kam übrigens aus Pakistan und ausgerechnet aus Russland. So warf Moskau der israelischen Regierung vor, „die Welt in Richtung einer nuklearen Katastrophe zu treiben“ und warnte die USA davor, direkt in diesen Konflikt einzugreifen.
Ob nun der Iran oder Israel die Wahrheit gesprochen hat, wird sich wohl so oder so in den kommenden Wochen zeigen. Ich hoffe, dass die Parteien doch noch an den Verhandlungstisch zurückkehren und objektiven Prüfkommissionen voller Einblick gewährt wird. Ansonsten haben wir einen Kriegsschauplatz mehr auf der Erde, der erneut der Zivilbevölkerung beider Staaten viel Blut und Leid bringen wird.
Übrigens: Im Jahr 2023 flüchteten insgesamt 36.173 Menschen aus dem Iran (Angabe: UNHCR) – in Deutschland wurden 1.511 positive Entscheide gefällt (40,08 Prozent).
Lesetipps:
.) Zwischen den Welten. Von Macht und Ohnmacht im Iran; Natalie Amiri: Aufbau 2021
.) Geschichte Irans – Von der Islamisierung bis zur Gegenwart; Monika Gronke; C.H. Beck 2016
.) Moderne, Subjekt, Staat: zur Rolle der Bildung in der Kontroverse zwischen Individuum und Staat in Iran; Parvin Javadi; Schwarz 2014
.) Iran. Grundzüge einer geographischen Länderkunde; Eckart Ehlers; Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980
.) Revolutionary Iran – A History of the Islamic Republic; Michael Axworthy; Penguin Books 2013
.) The Cambridge History of Iran; Cambridge University Press 1993
.) A History of Modern Iran; Ervand Abrahamian: Cambridge University Press 2008
.) Contemporary Iran – Economics, Society, Politics; Hrsg.: Ali Gheissari; Oxford University Press 2009
.) Der schiitische Islam. Von der Religion zur Revolution; C.H. Beck 1994
Links:
www.cia.gov/the-world-factbook/countries/iran/
teheran.diplo.de/ir-de
www.hrw.org/
rsf.org/en
www.ohchr.org
Die Vertreibung der Massai
Posted on 06/14/25 by UlstoSie gelten als das stolze Krieger-Volk Ostafrikas; Die Massai! Beheimatet vornehmlich im Süden Kenias und Tansania ist nicht genau bekannt, wie viele Menschen dieser Volksgruppe zugehören. Bei Volkszählungen etwa in Kenia geben viele ihre ethnische Zugehörigkeit nicht an, da sie mögliche Diskriminierungen deshalb befürchten. Das ist in Tansania nicht der Fall. Schätzungen belaufen sich auf 430-500.000. Das Volk selbst wird in 16 Untergruppen („Iloshons“) unterteilt und lebt in der Serengeti. Um genau zu sein: In den Nationalparks Masai Mara und Amboseli in Kenia bzw. der Region Arusha in Tansania. Und bei letzterer liegt das Problem: Die 37.576 Quadratkilometer grosse Region wird seit Jahren zur Touristenhochburg ausgebaut – für Safari-Touren und zahlungskräftige Jäger. Dabei stehen die Massai mit 14 ihrer Dörfer im Weg!
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So pervers es klingen mag: Rund 70.000 Massai werden in Tansania immer mehr zugunsten des Naturschutzes vertrieben! Damit nämlich diese Tourismuspläne umgesetzt werden können, werden grosse Teile der Arusha-Region zu Naturschutzgebieten erklärt. In dieser „Game Controlled Area“ sind Wildtiere geschützt, dürfen aber geschossen werden. In solchen Naturschutzgebieten allerdings dürfen keine Menschen leben – auch nicht die Massai, die diese zumeist karge Savanne als Weideland nutzen. Die Rinderherden würden zudem den Wildtieren das Wasser entziehen. Als ein Gericht im August 2023 diese präsidiale Anordnung der Game Controlled Area ausser Kraft setzte, reagierte die tansanische Regierung prompt und benannte das Gebiet um in ein „Game Reserve“, wo auch Touristen willkommen sind, die nicht jagen wollen.
Alles begann vor rund drei Jahren, als am 07. Juni 2022 die ersten 700 Sicherheitskräfte, bestehend aus Militärs, Polizisten, Paramilitärs und Ranger, in der Stadt Loliondo eintrafen, um die Behörden bei den Grenzmarkierungen von rund 1.500 Quadratkilometern zu unterstützen. Am 09. Juni, also zwei Tage später, gingen örtliche Gemeindemitglieder aus den betroffenen Dörfern Ololosokwan, Oloirien, Kirtalo und Arash (nahe des Ngorongoro-Kraters) dagegen auf die Strasse und entfernten die Markierungen wieder. Sie wurden mit Schusswaffen und Tränengas zurückgedrängt. Dabei wurden zahlreiche Protestierende verletzt – viele trugen auch Schussverletzungen davon. 24 Massai (darunter einige Dorfälteste) wurden festgenommen. Ihnen wurde Verschwörung zum Mord an einem Polizisten vorgeworfen. Das konnte jedoch durch Rechtsbeistände (finanziert unter anderem durch Menschenrechts-organisationen) widerlegt werden. Die Betroffenen wurden wieder frei-gelassen.
Die Massai waren durchaus im Recht, schliesslich verstiessen diese Grenzmarkierungen gegen den Richterspruch des Ostafrikanischen Gerichtshofes sowie die Menschenrechte. So können die Massai durch die Vertreibung aus ihren Dörfern nicht mehr ihrem normalen, traditionellem Leben nachgehen, da ihnen die Grundlage dafür entzogen wird. Viele Massai sind aufgrund der Vorfälle nach Kenia geflohen, möchten aber selbstverständlich wieder zurück in ihre Heimat, wo sie geboren wurden und seit Jahrhunderten vornehmlich als Viehzüchter tätig sind. Dabei leben sie stets im Einklang mit der Natur, auch mit den Wildtieren.
Recherchen von in Tansania nicht gerne gesehenen Journalisten ergaben, dass bereits in den 1990er Jahren ein Unternehmen aus Dubai (Otterlo Business Corporation OBC) Lizenzen für Grosswildjagden erworben hatte. Dem folgte nun ein Pachtvertrag für die Arabischen Emirate, die die inzwischen aufgestellten Luxusressorts und ein eigens gebautes Flugfeld zu diesen Zwecken nutzen. Die Regierung Tansanias erhält nun nicht nur die Pachteinnahmen, sondern auch die Gebühren aus den Lizenzen für Abschussfreigaben. Dabei soll es den betuchten Scheichs möglichst leicht gemacht werden, die Abschussquote zu erfüllen. Somit seien die Rinder-herden im Weg, da sie die Wildtiere vertreiben würden.
Doch sind die Emirate auch neben dem Tourismus in Tansania engagiert: Auf rund acht Prozent der Fläche des Landes soll der ökologische Fussabdruck von Dubai durch CO2-Projekte verringert werden.
Und schliesslich: Ein chinesischer Investor hat sich den Ngorongoro-Krater angeeignet. Gut eingezäunt wurden Touristencamps errichtet. Willkommen sind nur jene, die für den Einlass bezahlen. Partner dieses Projektes sind seit 50 Jahren auch die deutsche Bundesregierung und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt.
Nach wie vor sind Gerichtsverfahren anhängig, die wertvolle Zeit verschlingen. So werden etwa in Ngorongoro ganze Massai-Rinderherden von schwer bewaffneten Wildhütern konfisziert und schliesslich verkauft, wenn diese zu Wasserstellen getrieben werden. Viele der Massai haben dadurch ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Jenen Massai, die Ackerflächen besitzen, wurde die Bewirtschaftung ihrer Felder untersagt – gleichzeit stiegen Preise für importierten Reis und Bohnen in astronomische Höhen. Gelder etwa für wichtige infrastrukturelle Massnahmen in den Massai-Gebieten wurden gestrichen. Die Regierung unternimmt wirklich alles Erdenkliche, das Volk aus dieser Region zu vertreiben. Auch die Ärzte des medizinischen Flugdienstes mussten im April 2022 ihre Betreuung einstellen, nachdem den Piloten die Flug-lizenzen entzogen wurden.
Als Vertreter der UNESCO in Arusha eingetroffen sind um die Zustände im „Weltkulturerbe Serengeti“ zu überprüfen, erhielten sie nur Regierungs-termine und somit einen mehr als einseitigen Blick auf die Situation. Die Massai wurden nicht in den Gesprächen gehört. Das Europäische Parlament hat am 14. Dezember 2023 die Regierung Tansanias in der „EU-Resolution gegen die Vertreibung der Maasai aus dem Ngorongoro-Naturschutzgebiet und dem geplanten Schutzgebiet in Loliondo“ aufge-fordert, die gewaltsamen Vertreibungsversuche einzustellen. Hierzu hiess es vonseiten der Regierung, dass man den Massai durchaus Ersatz-wohnungen angeboten habe.
Übrigens: Im Landnutzungsplan 2023 für Ngorongoro sind keine Massai-Dörfer und -Weideflächen mehr für diese Region enthalten. Der Plan regelt die Landnutzung des Gebietes bis 2043, er wird vom dortigen Bezirksrat abgelehnt! Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt, die offenbar an der Erstellung dieses Planes beteiligt war, streitet eine Rolle an den Gebietsmarkierungen von Loliondo ab – allerdings betonen die Massai, dass mit den Stiftungsgeldern und den Entwicklungsgeldern der deutschen Bundesregierung zwar keine Waffen angeschafft werden, dafür jedoch Fahrzeuge und Verwaltungsgebäude errichtet werden. Dass es sich um keine Peanuts handelt – 2023 belief sich der Förderbetrag auf 30,5 Mio Euro (29,5 Mio als Hilfe der Bundesrepublik)! Davon wurden für den zuvor angesprochenen Nutzungsplan rund 220.000 € ausgegeben. Die meisten der Gerichtsprozesse wurden durch den Maasai-Anwalt und Weimarer Menschenrechtspreisträger Joseph Oleshangay ausgefochten, der auch nicht von einem Protest vor dem Gebäude der ZGF in Frankfurt zurückschreckte, um auf die Zustände in Tansania hinzuweisen. Er musste sein Heimatland 2024 auf Druck der Regierung verlassen. Von Oleshangay war auch zu erfahren, dass die angebliche Ersatzsiedlung für die Massai im 600 km entfernten Msomera errichtet worden sei. Bis 2026 sollen die Naturschutzgebiete auf 50 % der Landfläche Tansanias erweitert werden, damit würden mehr als 300.000 Massai vertrieben. Der Beitrag Deutschlands für den Naturschutz ist zwar sehr hehr – doch offenbar weiss man in Berlin und Frankfurt nichts davon, dass dieser Naturschutz tatsächlich eine Wirtschaftsmassnahme der tansanischen Regierung darfstellt. Und zum Thema Massai-Vertreibung schweigt man sich tunlichst aus. Anfang 2024 wurden die 29,5 Mio um weitere neun Mio aufgestockt.
Lesetipps:
.) Waters of the Sanjan. A Historical Novel of the Masai; David Read/Pamela Brown; Selbstverlag 1982
.) Bwana Game; George Adamson; Hoffmann und Campe 1969
.) Die weisse Massai; Corinne Hofmann; A1 Verlag 2000 (2005 auch verfilmt)
Links:
Na denn: Guten Appetit!
Posted on 06/07/25 by UlstoDer Lachs ist einer der begehrtesten Fische – nicht nur in der mittel-europäischen Küche. Er ist reich an Omega-3-Fettsäuren und benötigt nur wenig Zeit in der Zubereitung, völlig gleichgültig ob roh, gebraten, gekocht, gegrillt oder auch geräuchert. Wichtig ist nur, dass er stets mit der Hautseite nach unten in die Pfanne gegeben wird. Seine charak-teristische Fleischfärbung von dunkelrosa bis orange ist deshalb sowohl in der Sommer- als auch der Low Carb-Küche gern gesehen. Ausge-zeichnet passt der Lachs zu Nudeln, Salat oder auch Gemüse, wie etwa dem Spargel. Frischer Lachs hat eine feste Konsistenz und riecht nach Boden und Gras.
Da der Bedarf nur zu rund 30 % aus gefangenem Wildlachs abgedeckt werden kann, werden seit den 1970er Jahren die meisten Fische kommerziell in „Lachsfarmen“ gezüchtet. Viele davon wurden in den norwegischen Fjorden errichtet, da hier das Wasser relativ ruhig ist. 92 % der Zuchtlachse werden von nur sechs Staaten „produziert“: Norwegen, Grossbritannien, Kanada, Chile, Australien und Neuseeland.
Die Funktionsweise der Lachsfarmen ist nahezu ident mit jener der Forellenzucht. Das Leben der Fische beginnt in einem grossen Warm-wasserbecken, in dem die Eier reifen. Dort bleiben die geschlüpften Fische noch rund 40 Tage lang, bevor sie in grosse Tanks umquartiert werden. Dort erfolgt auch der erste Kontakt mit Impfstoffen. Ab einem Gewicht von zirka 100 Gramm werden sie in die Netzgehegeanlagen im Meerwasser ausgesetzt. Die Grössenmessung erfolgt mittels Ansaugung durch einen Schlach in die Messstation.
Diese riesigen Aquakultur-Netze befinden sich zumeist an Stellen mit grosser Tiefe und einer Strömung, damit die Abfallstoffe der Fische weitertransportiert werden. Das ist Problem Nummer eins der Lachs-farmen. Zu viele Fische (in grossen Farmen können dies schon mal bis zu 1 Mio sein) führen zu einer starken lokalen Verunreinigung des Wassers. Mit Problem Nummer 2 bleiben wir auch noch etwas beim Wasser: Eine weitere Belastung erfolgt durch das Futter der Tiere. Es besteht zumeist aus Pellets von gepresstem Fischmehl, Soja, Fischöl und Sojaöl. Daneben werden noch Farbstoffe (für die spätere Färbung des Fleisches) und bis 2017 zudem Ethoxyquin beigegeben. Dieses wird für die Haltbarmachung des Fischmehls verwendet. Die Europäische Behörde für Lebensmittel-sicherheit EFSA zog das Mittel allerdings ab 2020 (Ende der Über-gangsfrist) gänzlich aus dem Verkehr, da es sich in den Fischen anreicherte und somit in die Nahrungskette gelangte. Die Grenzwerte von 50 µg/kg Fleisch wurden zuhauf überschritten. Soll das Mittel angeblich für Fische und Landtiere unproblematisch sein, so kann eine Gefahr für den Menschen durch die zumeist im Ethoxyquin enthaltenen Verun-reinigung p-Phenetidin nicht ausgeschlossen werden. Diese sorgt im Genmaterial von Mensch und Tier zu möglichen Mutationen! 2016 hatte Chile aufgrund all dieser Verunreinigungen und toter Fische mit einer „Roten Flut“ an den Küsten zu kämpfen.
Damit zu Problem Nummer drei: Der Einsatz von Antibiotika! Damit sollten einerseits bakterielle Infektionen der Fische ausgeschlossen und andererseits der Lachslaus (Lepeophtheirus salmonis) an den Kragen gegangen werden. Die Lachslaus ist ein kleiner Krebs, der sich vom Schleim, der Haut und dem Blut der Fische ernährt. Durch die Nahrungskette gelangt das Antibiotikum in den menschlichen Körper. Nicht selten werden in der „Tierproduktion“ Antibiotika eingesetzt, die in der Humanmedizin oftmals als letztes Mittel gegen die sog. „Superkeime“ eingesetzt werden, bei welchen normale Arzneimittel nicht mehr funktionieren, da die Keime resistent dagegen geworden sind. Das ist nun auch die grosse Gefahr beim Menschen: Durch die Anreicherung des Antibiotikums im Körper bekommen diese Keime nun die Möglichkeit, Mutationen zu bilden, die auch gegen diese Arzneimittel resistent werden. Ein grosses allgemeines Problem der Massentierhaltung – völlig gleichgültig ob Geflügel, Rinder oder eben Fische. Gottlob ging der Antibiotika-Einsatz durch vornehmlich die Einzelimpfung der Fische zurück. Allerdings lag bei einer Untersuchung der Umweltorganisation Greenpeace noch 2018 der Antibiotika-Wert bei Lachsen aus Chile beim 700-fachen der Werte aus Norwegen. Gegen die Lachslaus werden übrigens Lumpfische und Bäder in mit Wasserstoffperoxid ange-reichertem Wasser eingesetzt.
Aus all diesen Gründen erhielt der Lachs auch die Bezeichnung als „Schwein der Meere“!
Doch ist dies noch lange nicht alles!
Ein weiteres Problem besteht ganz allgemein bei der Massentierhaltung in der sog. „Faunenverfälschung“! Aus der Farm entkommene Fische (in Norwegen etwa 200.000 pro Jahr) vermehren sich mit wild wachsenden Fischen, was nach und nach zu einem Aussterben der natürlichen Art führen kann. Norwegen hat aus diesem Grunde etwa die Angelzeit für entbückste Farmfische ausgeweitet. In Chile kommt der Fisch natürlich überhaupt nicht vor. Dort verliert er den Orientierungssinn und findet den Weg ins Süsswasser nicht mehr, wo er normalerweise den Laich absetzt.
Vermehrt kommt es in den Lachfarmen vornehmlich Norwegens, Kanadas und Grossbritanniens zu Massensterbeereignissen durch Seuchen und Infektionskrankheiten, aber auch dem durch die Klimaänderung immer wärmer werdenden Wasser, das weniger Sauerstoff enthält. So starben beispielsweise im Jahr 2023 in Norwegen nach Angaben der Organisation Foodwatch nicht weniger als rund 100 Mio Tiere. In einer Untersuchung von Gerald Singh et.al. von der kanadischen University of Victoria wird sogar die Zahl 865 Millionen zwischen 2021 und 22 angegeben. So kann etwa das Piscine Orthoreovirus in den Fischen zu Herz- und Muskelentzündungen führen.
Und schliesslich kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Fütterung der Fische genmanipuliertes Soja zum Einsatz kommt (wie etwa das Roundup-Ready-Soja), der eigentlich in Europa eigens auf der Packung ausgewiesen werden muss und eine gewisse Konzentration nicht überschreiten darf.
Ach ja – und da sind immer mal wieder die Fälle von Nematodenwürmer (Fadenwürmer), von welchen vor allem der Anisakis genera im mensch-lichen Darm zu geschwulstähnlichen Erscheinungen und Bauchschmerzen bis hin zum Darmverschluss (selten!) führen kann. Dagegen hilft nur ein ordentliches Durchgaren des Fischen bei 60-70 Grad oder das Gefrieren des Fleisches für zumindest einen Tag bei -20 Grad. Solche Fadenwürmer können übrigens auch in anderen Fischarten wie dem Kabeljau, Rot-barsch, Seeteufel, Steinbeisser und Blauleng vorkommen.
Natürlich gibt es auch in der Lachszucht eine Biovariante, die vornehmlich in Schottland und Irland nach den Bestimmungen der britischen Soil Association geführt wird.
Ob Sie nun auch weiterhin Lachs essen – diese Entscheidung bleibt Ihnen überlassen. Ich für meinen Anteil habe schon seit Jahren keinen Lachs mehr angerührt und beabsichtige dies auch für die Zukunft nicht. Foodwatch schliesslich fordert ein Verbot von norwegischem Lachs in Deutschland. Nur zwei von zehn befragten Lieferanten legten die Herkunft ihres ASC-zertifizierten Lachses offen – acht schwiegen sich aus.
https://www.foodwatch.org/de/mitmachen/keine-faulen-fische-lachsleid-stoppen
Vollständigkeitshalber sei hier noch angebracht, dass viele der Vorwürfe, die ich in diesem Blog verarbeitet habe und durch Foodwatch kritisiert wurden, in einer Stellungnahme des NSC (Norwegian Seafood Council) zurückgewiesen wurden.
Lesetipp:
.) Lachsfische (Salmoniformes): Biologie und Aquakultur; Martin Hoch-leithner; Aqua Tech Publications 2014
.) Die Strassen der Tiere; Hrsg.: Heini Hediger; Springer Wissenschafts-verlag 1967
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